Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
7. März 2004

Grenzen der Wissenschaft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Es war im Jahre 1952. Ich war Kaplan in einer Pfarrei der sowjetischen Besatzungszone, Deutsche Demokratische Republik genannt. Eines Tages erhielten wir die Kirchenaustrittserklärung eines 20jährigen Volkspolizisten. Einige Tage später traf der Pfarrer diesen ausgetretenen Volkspolizisten in der Stadt und fragte ihn, warum er denn ausgetreten sei. Der Polizist antwortete: „Ich habe jetzt eine wissenschaftliche Weltanschauung.“ Er meinte damit den dialektischen und historischen Materialismus. Nun war der junge Mann dem Pfarrer nicht unbekannt. Er hatte ihn schon als Kind in der Schule gehabt und wußte, daß er mehrmals sitzengeblieben war und aus der 5. Klasse der Volksschule ausgetreten war. Dieser Mann hatte nun „eine wissenschaftliche Weltanschauung“, wie er behauptete.

Eine der beliebtesten Waffen der Feinde der Religion ist die Berufung auf die Wissenschaft. Die Wissenschaft, sagen sie, hat erwiesen, daß die Religion nicht stimmt. Wissenschaft und Glaube stehen sich gegenüber wie Feuer und Wasser; die Wissenschaft hat die Religion besiegt.

Was haben wir solchen Einwänden entgegenzusetzen? Jedermann wird Achtung vor der Wissenschaft, vor der echten, vor der wahren Wissenschaft haben. Wissenschaft ist etwas Großes, etwas Gewaltiges, ja etwas Heiliges, denn sie ist Dienst an der Wahrheit. Aber nicht alles, was als Wissenschaft bezeichnet wird, ist Wissenschaft. Jedermann, der Wissenschaft betreibt, weiß, daß es in der Wissenschaft viele Dunkelheiten, viele Ungeklärtheiten gibt, daß nicht alles sicher ist, sondern daß vieles Hypothese, das heißt Vermutung, Aufstellung und Deutung von Tatsachen ist. Nicht alles, was als Wissenschaft sich ausgibt, ist Wissenschaft, und viele sogenannte Ergebnisse der Wissenschaft werden von den einen Wissenschaftlern vertreten, von den anderen abgelehnt. Ich erwähne zwei Beispiele. Viele von uns haben in der Schule von Homer gehört, Homer, dem griechischen Dichter, der in seiner „Ilias“ den Trojanischen Krieg beschrieben hat. Nach dieser Schrift sind die Achajer mit dem König Agamemnon an der Spitze nach Troja gefahren, haben die Stadt zehn Jahre belagert und schließlich durch eine List eingenommen. Die meisten Gelehrten hielten und halten diese Erzählung für erfunden, eine Fabel, eine Sage, die kaum historische Gründe hat. Nicht so Heinrich Schliemann. Heinrich Schliemann, ein Deutscher, der im 19. Jahrhundert lebte, nahm die „Ilias“ wörtlich und sagte: Dahinter steckt eine geschichtliche Wahrheit. Er reiste nach der Türkei und machte in Hisarlik, wo man Troja vermutete, Ausgrabungen. Und tatsächlich, er entdeckte dort viele Schichten, zerstörte Städte, Goldschmuck und Waffen. „Ich habe“, so telegraphierte er an den Kaiser in Deutschland, „Agamemnon ins Angesicht geschaut.“ Schliemann hat nicht jeden überzeugt. Auch heute gibt es Gelehrte, die meinen, was Schliemann gefunden hat, sei nicht das Troja der „Ilias“. Aber immerhin, eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür.

Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Wenn Sie einmal einen Atlas zur Hand nehmen und die Landmassen von Afrika und Südamerika vergleichen, dann können Sie feststellen, daß, wenn man die beiden zusammenschieben würde, sie zusammenpassen. Daraus hat der deutsche Gelehrte Alfred Wegener die Theorie der Kontinentalverschiebung entwickelt. Er sagt: In grauer Vorzeit haben die Landmassen zusammengehört. Dann ist ein Grabenbruch erfolgt, und sie sind auseinandergedriftet, und so ist der Atlantische Ozean entstanden. Wegener wurde belächelt und verspottet. Heute gibt es immerhin viele Wissenschaftler, die diese Theorie – oder besser Hypothese – der Kontinentalverschiebung für wahrscheinlich halten. Niemand war dabei, als sie geschah, keiner hat sie beobachtet, aber was Wegener dafür anführt, hat seine Gründe.

Wir sehen an diesen beiden Beispielen, die Wissenschaft kommt über eine gewisse Wahrscheinlichkeit häufig nicht hinaus. Ja, in manchen Fällen verfällt sie sogar dem Irrtum. Ich denke etwa an den historischen und dialektischen Materialismus. Er wurde entwickelt von Karl Marx und Friedrich Engels und dann weitergetrieben durch Lenin und Stalin. Nach diesem dialektischen und historischen Materialismus sammelt sich das Kapital in immer weniger Händen an, beherrscht alles, und die Massen des Proletariats verelenden. Wir wissen, daß das nicht eingetreten ist. Der Arbeiter ist nicht verelendet, sondern er ist aufgestiegen. Dem Arbeiter geht es heute viel besser als im 19. Jahrhundert, als die genannte Lehre entstand. Der Materialismus erklärt weiter, man müsse die Klassenunterschiede beseitigen, indem man die Produktionsmittel in der Hand der Arbeiterklasse vereinigt. Wenn die Arbeiterklasse alles beherrscht, dann ist die klassenlose Gesellschaft erreicht. Die Wahrheit sieht anders aus. In den kommunistischen Ländern hat sich eine neue Klasse gebildet, die den Staat so betrachtet, wie man früher das Privateigentum betrachtete, die mit den staatlichen Mitteln so umgeht, wie Privatleute mit ihrem Privateigentum umgehen. Und einer dieser Kommunisten, ein bekehrter, hat ein eigenes Buch geschrieben: Djilas, „Die neue Klasse“. Man sieht, es gibt Wissenschaft, die sich als solche bezeichnet, in Wirklichkeit eine Ideologie ist, eine Ideologie, die von den Tatsachen entlarvt wird.

Tatsächlich gibt es auch viele Irrtümer der Wissenschaft. Im Jahre 1856 entdeckte man bei Düsseldorf im Neandertal ein Skelett. Das Skelett wurde untersucht, und die Professoren, die es untersuchten, kamen zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Einer behauptete: Das ist ein Kosake aus dem Jahre 1814. Als damals die Russen in der Verfolgung Napoleons durch das Neandertal zogen, da hat sich dort ein Kosak sein Grab machen lassen. Ein anderer Professor sagte: Nein, das ist ein alter Holländer. Und Virchow, der berühmte Professor Virchow, sagte: Das ist ein gichtbrüchiger Greis. Und er konnte ganz genau die Lebensgeschichte und die Leidensgeschichte dieses Mannes angeben. Heute wissen wir, daß sie alle geirrt haben. Der Mann im Neandertal ist ein Mensch aus grauer Vorzeit, eben der Neandertaler Mensch, der eine bestimmte Stufe des Menschen darstellt, vielleicht ein bestimmtes Glied, in jedem Falle ein voller Mensch aus der grauen Vorzeit, in deren Schichten er eingebettet war.

Die Wissenschaft kann sich irren. Als im 19. Jahrhundert ein Gelehrter die These aufstellte, es habe in Deutschland und anderswo Eiszeiten gegeben, mehrere Eiszeiten, da wurde er verlacht und verspottet. Heute zweifelt niemand daran, daß solche Eiszeiten sich abgewechselt haben. Wir sprechen ja in Deutschland von der Günz-, Mindel-, Riß-, Würm-Eiszeit, von vier Eiszeiten, und solche Eiszeiten hat es auch in anderen Ländern gegeben. Die Wissenschaft ist gegen Irrtümer nicht gefeit. Ja, wir müssen zugeben, daß es eben viele Wissenschaftler gibt, die ungenau arbeiten, die schlampig arbeiten, deren sogenannte Ergebnisse korrigiert werden müssen. Dazu ist ja die Kritik da. Jedes Buch, das jemand veröffentlicht, wird in Zeitschriften besprochen, und wenn die Besprecher ihre Aufgabe richtig erfüllen, dann lesen sie das Buch von Deckel zu Deckel und prüfen genau nach, was darin steht, und entdecken die Irrtümer, die in diesem Buch enthalten sind.

Leider gibt es auch Gelehrte, die betrügen oder einem Betrug zum Opfer fallen. In Würzburg erschien einmal ein Buch von einem Professor Behringer. Darin bildete er viele Gegenstände, die er ausgegraben hatte, ab, eine Spinne, die ein Insekt fing, Vögel, Blumen, hebräische Schriftzeichen. Das Buch wurde gelobt und gefeiert. Eines Tages kam die Wahrheit heraus. Die Gegenstände, die er beschrieben hatte, waren von seinen Studenten dort eingelegt worden, wo er zu graben pflegte. Das waren Erfindungen seiner Studenten, die sich einen Ulk gemacht hatten. Solche Täuschungen kommen auch bei bedeutenden Gelehrten vor. Winkelmann ist ein großer Kunsthistoriker gewesen, und in einem seiner Bücher beschrieb er Gemälde, die angeblich in Pompeji von den Wänden abgezogen worden seien. Wie sich dann herausstellte, waren das Fälschungen einer Mannes namens Casanova. Er hatte sie selbst angefertigt, und sie waren niemals von den Wänden von Pompeji abgelöst worden. Noch viel schlimmer ist der Betrug, der sich in England im Anfang des 20. Jahrhunderts ereignete. Am 18. Dezember 1912 waren die Gelehrten in London versammelt, um eine phänomenale Entdeckung zu feiern. Ein Mann namens Dawson hatte in Piltdown Ausgrabungen gemacht und dort das „missing link“, das fehlende Glied zwischen Affe und Menschen gefunden, einen Unterkiefer mit Zähnen. Später wurden dann noch an zwei anderen Stellen solche Funde gemacht. Bis eines Tages die schreckliche Wahrheit herauskam: Der Eo-Anthropus oder Morgenröte-Mensch, den Dawson angeblich gefunden hatte, war von A bis Z erlogen. Der Dawson war ein geschickter Fälscher, der den Unterkiefer eine Orang-Utan, der heute lebt, benutzt hatte, ihn auf alt zu machen und ihn für ein Bindeglied zwischen Affen und Menschen auszugeben. Kein Mensch glaubt heute mehr daran, daß der Piltdown-Mensch jemals eine Existenz gehabt hat.

Aber, meine lieben Freunde, nicht nur in grauer Vergangenheit sind solche Fälschungen vorgekommen. Vor wenigen Wochen ging durch die Presse die Meldung, daß der junge deutsche Physiker Jan Hendrick Schön eine Fälschung begangen hat, die dazu führte, daß er aus dem Institut, in dem er arbeitete, ausgewiesen wurde. Jan Hendrick Schön hatte das elektronische Verhalten von molekularen Strukturen dargestellt. Andere Gelehrte haben seine sogenannten Ergebnisse untersucht und festgestellt, daß in 24 von 16 Fällen die Versuche gefälscht und fingiert waren. Wissenschaft! Wissenschaft heute! Naturwissenschaft! Ein verheißungsvoller Mann von 32 Jahren, dem man eine große Zukunft voraussagte, ist jetzt in seiner wissenschaftlichen Existenz vernichtet wegen dieser Fälschung.

Diese Beispiele, meine lieben Freunde, sollen uns zeigen, daß wir die Wissenschaft, die wahre Wissenschaft ist, ehren und annehmen sollen, daß wir aber kritisch bleiben müssen, wenn etwas als sicheres Ergebnis der Wissenschaft ausgegeben wird, was bloße Vermutung ist, und vor allem, sobald die Wissenschaft ihre Grenzen überschreitet; und sie hat solche Grenzen. Jede Wissenschaft endet in dem Bereiche, der ihr zugeschrieben ist, an einer Unzulänglichkeit. Sie können beispielsweise nicht mit einem Fischernetz, das 15 Zentimeter große Netzspalten hat, Heringe fangen. Die Forschungsmethoden müssen dem Gegenstand angemessen sein, und wo sie nicht angemessen sind, kommt es zu falschen, unsicheren, unglaubwürdigen Ergebnissen. Die Wissenschaft hat ihre Grenzen. Wir wissen noch heute beispielsweise nicht, was das Licht ist. Newton, Isaac Newton, der große englische Physiker, sagte: Das Licht besteht aus Korpuskeln, aus kleinen Teilchen, die wie Gewehrkugeln daherfliegen. Huygens widersprach ihm und sagte: Nein, das Licht ist eine Welle. Er glaubte den Beweis dafür liefern zu können, indem er einen Wellenkamm mit einem Wellental zusammenfallen ließ und dadurch das Licht auslöschte. Ein dritter, Compton, erklärte: Nein, das Licht ist weder Korpuskel noch Welle, das Licht ist ein Energiebündel. Wir wissen es nicht. Wir müssen zugeben, wir wissen bis heute nicht, was das Licht ist. Wir benutzen es, wir gebrauchen es, wir sind dankbar für das Licht, aber wir wissen es nicht, was das Licht eigentlich ist.

Die Wissenschaft hat ihre Grenzen, und diese Grenzen darf sie nicht überschreiten. Vor allen Dingen wird es gefährlich, wenn man versucht, mit angeblicher Wissenschaft die Religion aus den Angeln zu heben. Zwischen Wissenschaft und Religion kann ein Widerspruch nicht bestehen. Warum nicht? Weil Gott sowohl der Herr der Offenbarung ist, die wir in der Religion festhalten, als auch der Schöpfung, die er geschaffen hat und die wir in der Wissenschaft zu ergründen versuchen. Zwischen Glaube und Vernunft kann kein wissenschaftlicher, kann kein wahrer Gegensatz bestehen. Wenn ein scheinbarer Gegensatz besteht, dann rührt das davon her, daß eine von beiden, die Religion oder die Wissenschaft, ihre Grenzen überschritten hat. Die Religion kann ihre Grenzen überschreiten, wenn man etwas falsch versteht, was Gott geoffenbart hat. Es wäre zum Beispiel unsinnig, anzunehmen, Gott habe, wie es in der Genesis berichtet wird, mit seinen eigenen Fingern den Menschen gemacht. Gott hat keine Finger. Die Schrift spricht hier so, wie man von Menschen spricht, anthropomorph. Gott ist kein Mensch, der Finger hat und mit den Fingern etwas wirkt. Aber um die Lebendigkeit Gottes zu schildern, greift die Schrift zu dem Bilde, daß Gott mit den Fingern den Menschen gebildet hat.

Es ist in der Religion selbstverständlich vieles unerklärbar. Wir wissen nicht, wie Jesus in Tausenden von Tabernakeln gegenwärtig sein kann. Wir wissen nicht, wie die Auferstehung vor sich gegangen ist, denn wir können sie nicht im Experiment wiederholen. Wir wissen nicht, wo die Seelen der Verstorbenen sind. Es ist vieles unerklärbar, und es muß unerklärbar sein, denn die Unerklärbarkeit des Göttlichen ist ein Ausdruck dafür, daß Gott dem Menschen unverfügbar ist. Wenn der Mensch die gesamte Schöpfung und darüber hinaus den Schöpfer restlos erklären könnte, dann wären wir gewissermaßen in Gottes Höhe aufgestiegen. Das kann und das darf nicht sein. Der unvergeßliche Kardinal Faulhaber von München unterhielt sich einmal mit dem Physiker Albert Einstein. Einstein sagte zu ihm: „Ich achte die Religion, aber ich glaube an die Mathematik; und bei Ihnen, Eminenz, wird es umgekehrt sein.“ Faulhaber antwortete: „Sie irren sich. Für mich sind Religion und Mathematik zwei Ausdrucksweisen derselben göttlichen Exaktheit.“ „Ja, aber“, sagte Einstein, „wenn die Mathematik nachweisen könnte, daß gewisse Aussagen der Religion nicht zutreffen?“ Faulhaber entgegnete: „Wenn das der Fall sein sollte, habe ich die begründete Hoffnung, daß Sie, Professor, so lange nach dem Rechenfehler suchen würden, bis Sie ihn gefunden haben.“ Wahrhaftig, meine lieben Freunde, Religion und Wissenschaft, sind keine Gegensätze. Die Religion ehrt die Wissenschaft, fördert die Wissenschaft und lebt in gewisser Hinsicht sogar von der Wissenschaft, denn es gibt ja auch eine Gotteswissenschaft, die heilige Theologie. Umgekehrt ist die Wissenschaft auf die Religion angewiesen. Es gibt Unerforschliches, was die Wissenschaft niemals ergründen kann. Die Religion sagt nicht das Gegenteil von dem, was die Wissenschaft sagt, aber sie sagt etwas, was darüber ist. Sie sagt nicht das Gegenteil von dem, was die Sinne wahrnehmen, aber sie sagt, was über den Sinnen ist.

In Amerika unterhielten sich einmal ein Geistlicher und ein Ungläubiger. „Ja“, sagte der Ungläubige, „erklären Sie mir mal, wie das möglich ist, daß Jonas vier Tage im Bauch des Walfisches war!“ „Nun“, sagte der Geistliche, „ich weiß es nicht. Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn im Himmel treffe.“ „Ja“, sagte der Ungläubige, „aber wenn er in der Hölle ist?“ „Dann werden eben Sie ihn fragen.“

Religion und Wissenschaft widersprechen sich nicht. Sie müssen nur ihre Grenzen einhalten, und dann führt die Wissenschaft zur Religion und erhöht die Religion die Wissenschaft. Viele von Ihnen kennen den Namen Becquerel. Becquerel, ein französischer Forscher, ist der Entdecker der Radioaktivität. Und Becquerel hat einmal das Geständnis abgelegt: „Ich habe eine Zeitlang außerhalb der Religion gelebt. Aber meine Forschungen selbst haben mich zur Religion zurückgeführt.“

Amen.

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