Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. Juni 2008

Petrus und Paulus – Amt und Charisma

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Apostelfürsten Petrus und Paulus Versammelte!

Die Kirche begeht das Gedächtnis des Petrus und des Paulus an einem Tage. Das könnte verwundern, denn sie waren nicht miteinander verwandt, und sie standen sich wohl auch, was die Freundschaft betrifft, nicht besonders nahe. Es bestanden vielmehr zwischen ihnen erhebliche Gegensätze. Ihre Lebenswege gingen auseinander; Petrus war unter den Erstberufenen, sein Bruder Andreas führte ihn ja zum Heiland. Paulus wurde erst lange nach der Himmelfahrt des Herrn, auf dem Wege nach Damaskus, vom Rufe Gottes betroffen, als der Herr schon nicht mehr sichtbar auf Erden wandelte. Sie waren auch sehr verschiedenen Charakters. Petrus war nachgiebig, ängstlich, furchtsam; Paulus war ein Feuerkopf, ein Mann der Tat und der Entschiedenheit, von rücksichtslosem Kampfgeist erfüllt. Sie waren auch verschiedener Herkunft. Petrus war ein einfacher Fischer vom See Genesareth, Paulus war ein hochgebildeter Mann, ein Schriftgelehrter, weltgewandt, der sicher die Sprache der damaligen Welt, griechisch, fließend sprach.

Dennoch gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen ihnen. Beide gingen durch das tiefe, dunkle Tal der Schuld. Petrus in jener Stunde, wo er von einem Fehltritt überrascht wurde und dann hinausging und bitterlich weinte, Paulus dagegen von dem harten Verfolgerwillen erfüllt. Beide sind durch die Erinnerung an ihre Schuld klein, still und reif geworden. Sie wussten, dass sie allein durch die Erbarmung des Herrn gerettet worden waren. Beide gaben ihr Leben und ihr Blut für den Meister, den sie über alles liebten. Es ist eigenartig, dass beide, Petrus und Paulus, ihr Martyrium in Rom vollendet haben, in Rom, der Hauptstadt der Welt, und in Rom, der Hauptstadt des Reiches Gottes auf Erden. Es war, als hätte die Christengemeinde von Rom durch das Blut der beiden Apostel zusammen genährt werden müssen. Und so ist auch die Erinnerung an beide in der Kirche immer zusammengenommen worden. Fünfmal in der heiligen Messe werden Petrus und Paulus, immer zusammen, genannt. Und auch die Feste, die wir feiern, erwähnen immer nach dem heiligen Petrus den heiligen Paulus. Damit zeigt die Kirche, dass beide von einziger und einzigartiger Bedeutung für ihre Geschichte und ihr Leben sind. Sie nennt sie die Apostelfürsten. Jeder besitzt nämlich ein Führertum, einen Primat, wenn man so sagen will. Petrus trägt den Primat des Amtes, Paulus den Primat des Charismas, der lebendigen, begnadeten Persönlichkeit. Und diese beiden Führertümer, diese beiden Primate geben der Geschichte der Kirche ihren Charakter und ihre Eigenart.

Petrus hat den Primat erhalten durch ausdrücklichen Auftrag Christi. In jener stillen Stunde am See Genesareth, nach dem Frühmahle, das sie gehalten hatten, sprach der Herr zu ihm: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Damit war ihm der Primat der Führung übertragen. Damit war erfüllt, was der Herr ihm vor Cäsarea Philippi verheißen hatte: „Ich will über dir meine Kirche bauen.“ Und noch früher, schon beim ersten Zusammentreffen, hat er ihm den Namen gegeben, der für diesen Kirchenbau charakteristisch war: „Du bist Kephas“, d.h. der Fels.

Der Apostel Paulus wurde auf andere Weise bestellt. Er ist ein Spätberufener, und ihm wurde eigentlich nur der allgemeine Auftrag der Apostel zuteil, nämlich der Herr wollte ihm sagen, dass er ein auserwähltes Werkzeug sei, dass er den Namen Christi durch alle Länder, zu den Heiden und zu den Juden tragen werde und dass er viel leiden müsse um dieses Namens willen; er hat also keine besondere Sendung erhalten. Und doch war es ihm durch den Herrn bestimmt, eine richtunggebende und bestimmende und befruchtende Wirkung auf die junge Kirche auszuüben. Er hat einen Einfluß ausgeübt wie kein anderer Apostel, denn er hat die Kirche aus der größten Gefahr, die ihr damals drohte, hinweggerissen, nämlich aus der Gefahr, in den Schranken und Fesseln der jüdischen Gesetzlichkeit gefangen zu bleiben, stecken zu bleiben. Auf die ersten heilsbegierigen Heiden war zwar auch der Heilige Geist herabgekommen, und sie waren getauft worden, aber sie waren noch nicht im vollen Sinne als Christen anerkannt. Sie hatten noch nicht die völlige Gleichberechtigung mit den aus dem Judentum kommenden Christen erlangt.

Theoretisch wurde diese Frage auf dem ersten Konzil, dem Apostelkonzil in Jerusalem, entschieden. Auf diesem Konzil hatte Paulus keine entscheidende Stimme; es war ein Konzil der Altapostel. Er selbst war nur der Abgesandte der Heidengemeinden, der das Anliegen dieser Gemeinden vor die Apostel trug. Die Entscheidung fiel durch den Primat des Amtes. Damals hat Petrus zum ersten Mal seine Unfehlbarkeit bewährt bei dieser ersten Entscheidung ex cathedra. Aber nun galt es, diese Entscheidung in der Praxis durchzusetzen. Es gab schwere Hemmungen, es gab Widerstände, es gab Rückschläge, und Petrus hat sich bei dieser Entwicklung nicht sehr rühmlich benommen. Er suchte nämlich seiner Entscheidung, die er selbst gefällt hatte, auszuweichen. Und so hat Paulus ihm in Antiochien, wie er im Galaterbrief berichtet, „ins Antlitz“ widerstehen müssen. Er hat ihn hinweggerissen über seine Bedenken. Bei dieser Gelegenheit sehen wir, was Paulus geleistet hat, und das ist nur ein Beispiel für seine unermessliche Tätigkeit. Überall, in allen kritischen und gefährlichen Fragen, die das junge Christentum bewegten, wirkte er entscheidend mit. Und nicht so sehr als der beamtete, sondern als der begnadete, nicht so sehr als der bestellte, sondern als der geborene Führer des jungen Christentums.

So wirkten schon am Anfang der christlichen Geschichte diese beiden Formen des Führertums zusammen. Sie sind seit damals niemals mehr erloschen oder getrennt worden. Der Primat Petri pflanzte sich über Hunderte von Nachfolgern fort, von Papst zu Papst in langer Reihe, über Heilige und Sünder, über Heroen und Unwürdige, doch immer siegreich und immerfort auf seinem Felsenfundament die Kirche tragend. Aber auch der andere Primat, das Führertum des Paulus, dieses Führertum der individuellen, persönlichen Begnadung, sprang immer wieder von einem Geistesgewaltigen über zu einem anderen. Zuweilen waren beide Primate verbunden, wenn ein besonderer Charismatiker zum Papst gewählt wurde. Und es gab auch unter den Bischöfen solche Charismatiker. Wir denken alle gern zurück an den Bischof von Fulda, an Johannes Dyba. Zuweilen waren die Träger des Charismas stille Mönche oder Frauen wie Katharina von Siena, die den Träger des Primates zurückriß aus seiner Verbannung in Frankreich nach Rom, wohin er gehörte.

Dass der amtliche Primat auch heute nicht erloschen ist, wissen wir, und wir sind dankbar für den jetzigen Träger dieses Primates. Ich wüsste, meine lieben Freunde, ich wüsste keinen anderen, der besser das Amt verwalten könnte.

Aber auch der Primat des persönlichen Geistes ist nicht erloschen. Auch der Primat der charismatischen Begabung lebt in unserer Kirche fort. Er lebt fort einmal in den als heilig verehrten Männern und Frauen, in einem heiligen Johannes Bosco, in der wunderbaren Blüte von Lisieux, Theresia, in Mutter Teresa oder Pater Pio. Aber er lebt auch fort in Männern und Frauen, die nicht als Heilige verehrt werden, aber die ihre Begnadung und ihre Berufung in die Kirche eingebracht haben. Ich denke etwa an Pater Werenfried van Straaten, ich denke aber auch an Männer wie Martin Mosebach oder Robert Spaemann. Das sind Männer der charismatischen Begabung. Sie haben ihren Dienst in die Kirche eingebracht, und der oberste Träger des Amtes, Benedikt, hat ihre Beiträge aufgenommen und mit dem Amt, mit der Autorität des Amtes verbunden.

Der Primat des Amtes verkörpert die unantastbare Autorität Gottes. Er gibt der Kirche die Stetigkeit und die Ruhe, auch die Festigkeit über die Jahrtausende. Erst dieser überpersönliche Primat hebt die Kirche über die Zeiten hinweg und über das Milieu, rettet sie vor der momentanen Anpassung, die wir ja im Protestantismus jeden Tag beobachten können. Aber der Primat des Charismas ist es, der das Amt vor Erstarrung und vor Versteinerung bewahrt, der den Organismus der Kirche immer wieder durchströmen lässt von Glut und Feuer. Der Primat des Amtes ist unentbehrlich. In ihm wirkt sich ja der Gute Hirte selbst aus, und trotz aller Unzulänglichkeit der menschlichen Gehilfen, die ja nie auszuschließen ist, trotz aller Unzulänglichkeit hat die Herde Christi doch immer gute Weide gefunden. Aber ebensoviel verdankt die Kirche ihren begnadeten Einzelpersönlichkeiten, den Bahnbrechern der Seelsorge und der Nächstenliebe, den großen Leuchten. Denken wir nur an die vielen Frauen, die im 19. Jahrhundert ihre Kongregationen gegründet haben, von denen wir heute noch zehren und deren Zusammenschrumpfen wir mit Bitterkeit des Herzens erleben. Diese Menschen haben immer wieder die starre Kruste der Gewohnheit und der Schablone durchbrochen. Sie haben die einschläfernde Wirkung, die von falschen Theologen und von einer irrig verstandenen Vergangenheit ausgingen, durchbrochen durch ihre feurige Bewegtheit.

Die Kirchengeschichte, meine lieben Freunde, ist voll von großen und ergreifenden Erscheinungen, von entzückenden und bedrückenden Geschehnissen, von Licht und Finsternis, von Heroentum und Ärgernis. Aber zu den erstaunlichsten Offenbarungen dieser Geschichte der Kirche gehört doch unzweifelhaft das Zusammenwirken von Petrus und Paulus. Das Amt, ein absoluter und in reiner Objektivität dargestellter Wille, und das Charisma, eine lebendige Quelle, die sich immer wieder, Menschen unbegreiflich, erneuert. An der Spitze der Menschheit gehen deswegen zwei Führer. Sie gehen nebeneinander, Petrus und Paulus, die Hierarchie und das Charisma, die überpersönliche Autorität und die persönliche Begnadung. Von diesen beiden Vollmachten singt die Kirche: „Du hast sie als Fürsten gesetzt über die ganze Erde, o Herr, und sie werden deinen Namen allezeit verkünden.“

Amen.

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