Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. August 2016

Die Vorsehung Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der heilige Johannes Bosco in Turin hatte Hunderte von verwahrlosten Jugendlichen und Kindern um sich versammelt und brachte sie in seinen Anstalten unter, lehrte sie, nicht nur den Katechismus, sondern ein Handwerk und andere Fertigkeiten. Aber er war häufig in Sorge, wie er seine vielen Jungen ernähren sollte. Wenn er kein Krümchen, kein Körnchen mehr in seinen Scheuern hatte, was tat er dann? Er spannte einen Esel vor einen Wagen und ließ den Esel dahin gehen, wo er wollte, ohne Begleitung. Und wenn die Menschen das Eselchen und den Wagen sahen, da füllten sie ihn mit Gaben, und dann war wieder für eine Weile für seine Jungen gesorgt. Das Vertrauen auf die göttliche Vorsehung ist geradezu der Prüfstein unseres Glaubens. Mag im Leben kommen, was will, der wirklich religiöse Mensch wird besonnen und ruhig bleiben. Er wird die Zukunft der göttlichen Führung überlassen. Das ist die Gesinnung des Gotteskindes, der seinen Vater kennt. Der Vater ist am Steuer, der Vater ist auf dem Posten, der Vater weiß, was mir Not tut. Darum hat auch der Gottessohn den Glauben an die Vorsehung des Vaters im Himmel den Seinigen mit den schönsten Bildern und Gleichnissen nahegebracht, wie wir sie eben gehört haben. „Schaut auf die Vögel des Himmels; sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheunen, und doch ernährt sie euer himmlischer Vater.“ Und ähnlich ist es mit den Lilien des Felde: „Sie arbeiten nicht, sie spinnen nicht, und doch sind sie so schön, wie nicht einmal Salomon in seiner Herrlichkeit war.“ Hier ist zunächst die irrige Meinung widerlegt, dass Gott die Welt geschaffen hat, um sie im Stich zu lassen, wie das Heidentum und der Deismus gelehrt haben. Sie konnten sich wohl einen Schöpfer vorstellen. Sie waren überzeugt, dass die Welt nicht aus sich selbst entstanden ist, aber sie leugneten, dass Gott, nachdem er die Welt geschaffen hatte, weiter auf sie einwirkt. Sie leugneten die Erhaltung der Welt durch Gott. Sie hatten also ein falsches Bild von Gott; „einen Gott in Pension“, wie Hermann Bahr sie genannt hat, einen Gott in Pension. Nein, Gott ist ein Gott, der wirkt bis zur Stunde, der alles erhält, der die ganze Geschöpfung trägt. Es gibt eine „creatio continua“, eine fortgesetzte Schöpfung, und die nennen wir die Erhaltung der Welt. Die Welt würde in das Nichts zurückfallen, wenn Gott sie nicht erhielte. Wie alles durch des Schöpfers Allmacht, Weisheit und Güte ins Dasein gerufen wurde, so würde alles sofort sein Dasein verlieren, wenn nicht Gottes Vorsehung mit den geschaffenen Dingen wäre, und die gleiche Kraft, die sie uranfänglich geschaffen hat, sie im Dasein erhielte. Durch innere Kraft trägt Gott jede Tätigkeit, jede Bewegung auf der ganzen Erde und im ganzen Weltall. Wer meint, Gott überlasse die Menschen sich selbst, fügt Gott die ungeheuerste Schmach zu. Den Menschen nicht zu erschaffen, das wäre kein Unrecht gewesen. Aber ihn erschaffen und dann sich nicht um ihn kümmern, das wäre größte Grausamkeit.

Eine zweite Wahrheit legt Jesus dar durch den Schluss vom Geringeren zum Größeren. Er weist auf die vernunftlosen Wesen hin und vergleicht sie mit den vernunftbegabten, also den Menschen: „Seid ihr nicht viel mehr als die Vögel des Himmels, als die Lilien des Feldes? Wenn nun Gott das Gras, das heute auf dem Felde steht und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet, um wie viel mehr dann euch Kleingläubigen!“ Wenn die an Wert so tief unter den Menschen stehende sichtbare Schöpfung in die Vorsehung Gottes einbezogen ist, wie sollten dann die bevorzugten auserwählten Kinder Gottes von der Sorge des Vaters ausgeschlossen sein? Der Schöpfer ist auch Lenker und Erhalter. Er hat sein Werk nicht aus der Hand gegeben, er ist immerfort tätig in der Ausgestaltung bis zur letzten Vollendung. Nur solch eine Vorstellung von Gott ist überhaupt Gottes würdig. „Ein Gott ohne höchste Weisheit, Liebe und Macht ist für mich so viel als kein Gott“, hat einmal der weise Michael Sailer geschrieben. In dem schönen Lied „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“ lautet die letzte Strophe: „Den lieben Gott lass ich nur walten, der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld und Erd und Himmel will erhalten, hat auch mein Sach aufs Best bestellt.“ Wer diese Gesinnung kindlichen Vertrauens sich errungen hat, der geht frisch und fröhlich an das Werk. Er erfüllt seine Plicht, und er weiß, mehr verlangt man von ihm nicht als die Pflichterfüllung. Wo immer ein Mensch es ernst und ehrlich meint, wo immer er nur zu Gott aufschaut und erwartungsvoll vor ihm steht, da vereinigen sich Güte und Barmherzigkeit Gottes, um zu helfen. Was immer geschehen mag, es kommt von Gott. Eine solche tiefe Überzeugung kann nichts Irdisches, auch nicht das furchtbarste Schicksal schrecken. Vor einigen Jahrzehnten weilte ich im British Museum in London. Und in dem British Museum ist ausgestellt das Tagebuch von Robert Scott, dem Südpolarforscher. Er hat den Südpol erreicht, aber 4 Wochen nach dem Norweger Amundsen. Doch er kam nicht mehr vom Südpol zurück. Er und seine Begleiter sind am Südpol zugrunde gegangen. In sein Tagebuch schrieb Robert Scott: „Wir sind schwach, das Schreiben wird schwer. Aber meinetwegen bereue ich diese Reise nicht. Wir haben es gewagt, und das Glück hat gegen uns entschieden. Wir dürfen uns deswegen nicht beklagen, sondern wir beugen uns vor dem Willen der Vorsehung und sind entschlossen, bis zuletzt auszuharren.“ Robert Scott hat auf die Vorsehung vertraut und ist nicht an ihr irre geworden. Im Jahre 1918 wurde in Kiew der Befehlshaber der damals bis dorthin vorgedrungenen deutschen Truppen von einem russischen Sozialrevolutionär erschossen. Auf dem Denkmal des Generalfeldmarschalls von Eichhorn steht das Wort: „Er glaubte an das Recht des deutschen Schwertes und an die Vorsehung.“

Jesus, der die Gedanken der Menschen besser kennt, als der Mensch sie sich selbst vormachen kann, er hat noch eine dritte Wahrheit für uns bereitet, die es uns leicht machen sollte, uns an Gott zu klammern und uns seinen heiligen Absichten zu fügen. Wir können, so lehrt er uns, gar nicht entscheidend für uns Sorge tragen. „Wer von euch vermag mit all seinem Sorgen seiner Leibeslänge eine Elle hinzufügen?“ Von zahlreichen, wichtigen und bedeutsamen Dingen im Leben gilt das Wort: Das alles ist Schicksal, ist Vorsehung, ist Gottes Wille. Es liegt jenseits der Wirkung unserer Hände und jenseits unserer zergrübelten Gehirne. Die Sorge des Menschen ist nur im Kleinen stark genug, in allem Großen, bei allen ausschlaggebenden Wendungen ist sie ohnmächtig. Gott aber ist allmächtig. Wir können ihm unsere Sorge nur anvertrauen, aber wir können sie ihm nicht abnehmen oder gar entreißen. Der Psalmist des Alten Bundes hat diese Wahrheit ausgedrückt mit den Worten: „Wenn der Herr das Haus nicht baut, dann bauen die Bauleute umsonst. Wenn der Herr die Stadt nicht bewacht, dann wachen die Wächter umsonst.“ Gewiss wollte er damit nicht sagen, dass die Menschen überhaupt nichts schaffen und die eigene Kraft nicht einsetzen, dass sie also die Stadt unbewacht lassen und ihren Lebensunterhalt unbesorgt lassen sollen. Nein, ganz gewiss wollte der Herr uns nicht die Bequemlichkeit und die Sorglosigkeit empfehlen, den Müßiggang, er wollte uns nicht die Arbeitsamkeit und die Sorge für die Zukunft ausreden, sonst hätte er nicht den Knecht loben können, der mit seinem Pfunde gewuchert hatte, und den anderen verurteilt, der sein Pfund vergraben hatte. Nein, der Herr will, dass wir arbeiten, als hinge alles von unserer Arbeit ab, und dass wir glauben und hoffen, als hinge alles von unserem Glauben und unserer Hoffnung ab. Auch Jesus selbst hat nicht damit gerechnet, dass der Herr ihn wunderbar speist. Er hatte eine Kasse, und in diese Kasse wurde eingelegt, was die Leute spendeten, und von dieser Kasse lebte er mit seinen Jüngern. Was uns die Heilige Schrift empfiehlt, ist, dass wir nicht so schaffen dürfen, als müssten wir alles allein schaffen; das hieße Gott schnöde misstrauen. Die Bemühung des Menschen und der Segen des Himmels, die menschliche Vorsicht und die göttliche Vorsehung müssen zusammenwirken, um unser Leben gelingen zu lassen. Im Reiche Gottes kommt es nicht darauf an, welchen Platz wir ausfüllen, welche Last wir zu tragen haben, welches Glück uns beschieden ist. Denn kein Schicksal kann den Menschen adeln oder beflecken, aber er kann das Schicksal adeln. Der wahre, der innere Wert eines Menschen im Urteil Gottes ist völlig unabhängig vom äußeren Erfolg, von Vorteilen durch Herkunft, Erbschaft, durch Menschendienst und sog. Glück. Wenn wir nur in jedem Beruf den Ruf Gottes erkennen, wenn wir nur in jeder Arbeit Gott treu dienen, dann ist unser Heil gesichert. Freilich warnt der Herr auch vor der übermäßigen Sorge. „Sorg’, aber sorge nicht zuviel. Es kommt doch, wie Gott es haben will.“ Er nennt das die Art der Heiden. Heide ist, wer über sich nur ein blindes, gefühlloses Schicksal anerkennt. Christi Geist aber hat, wer in Gott den Vater sieht: „Euer Vater weiß ja, dass ihr dies alles benötigt.“ Und er weiß es nicht nur, er hat auch die Macht, es uns zu geben, noch mehr, er hat auch den Willen, es uns zu geben. Wir haben einen Vater im Himmel; das ist die Grundlehre Jesu Christi, das ist die Grundwahrheit unseres Glaubens, das ist die tiefste Hoffnung unseres Herzens, das ist die unendliche Freude eines frommen Gemütes. Wir beten nicht vor tauben Mächten, vor kalten Steinen, vor Götzenbildern, die ins Leere starren, vor einem unheimlichen zornmütigen Herrscher. Wir dürfen den himmlischen Vater um alles bitten, was menschenwürdig ist. Aber wir müssen uns erinnern, dass der Himmel über der Erde steht. Wir müssen also uns über die irdischen Wünsche und Güter hinaus an den Himmel binden. „Suchet darum zuerst das Reich Gottes, und alles Übrige wird euch dazugegeben werden.“ Wer sich ganz auf Gott verlässt, für den sorgt Gott. Das war der große, der eine ganze Menschheit bewegende Gedanke des heiligen Franziskus: Arm leben, nur für Gott da sein, und doch nicht zugrunde gehen, weil Gott für die Armen im Geiste seine Hand offen hält. Mit diesem heiligen dringenden Wunsche schließt Jesus seine klare Unterweisung über Quelle und Inhalt des Vorsehungsglaubens. Zugleich gibt er ihm hierdurch die sichere Zielrichtung vom Natürlichen zum Übernatürlichen. Gar zu leicht vergessen wir Menschen über der Mannigfaltigkeit unserer Geschäfte und Nöte, den Blick zu den höchsten unvergänglichen Gütern zu erheben. Jesus weiß, dass uns diese Erde anvertraut ist, dass wir sie bebauen müssen, dass wir ihre Früchte genießen dürfen, aber beklagt, wenn wir vor lauter Mühen um das irdische Wohl vergessen, zum Himmel aufzuschauen. Die Seele, meine lieben Freunde, die mit weniger zufrieden ist als mit Gott, wird zuletzt auch unzufrieden mit allem, was sie sich einmal gewünscht hat. Wir bedürfen der Nahrung für den Leib, aber auch die Seele muss Speise erhalten. Wir brauchen die Kleidung zum Schutz des Leibes, aber wir brauchen auch das hochzeitliche Gewand der Seele, die Gnade, die uns heiligt und uns zum Kinde Gottes macht. Sobald sich einer aufrichtig müht und sorgt um das ewige Heil seiner Seele, ist die Hand des himmlischen Vaters geöffnet, Segen über Segen zu spenden. „Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles wird euch dazugeschenkt werden.“ In Bonn steht das Grabmal eines frommen Theologieprofessors, Arnold Rademacher, und auf diesem Grabmal steht das Wort: „Ich gehe zum Vater“; so hat er sein ganzes Leben verbracht: Ich gehe zum Vater. Und der württembergische Dichter Eduard Mörike hat uns den schönen unvergänglichen Vers beschert: „Du, Vater, du rate! Lenke du und wende! Herr, dir in die Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt!“

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt