Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
31. Juli 1988

Die Vorbereitung der Rechtfertigung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Dieser ging gerechtfertigt nach Hause, jener aber nicht.“ Hier wird der wichtige Begriff „Rechtfertigung“ gebraucht. Wir haben am vergangenen Sonntag gesehen, was Rechtfertigung bedeutet. Sie besagt, daß aus einem Ungerechten ein Gerechter wird, daß man von Gott gerechtgesprochen wird, daß man von der Heiligungsgnade erfüllt wird. Rechtfertigung bedeutet Beseligung mit der heiligmachenden Gnade. Wir haben vom Begriff und von den Ursachen der Rechtfertigung gesprochen. Wir müssen heute von der Vorbereitung der Rechtfertigung reden.

Genau das ist von den Männern, die im 16. Jahrhundert gegen die Kirche aufstanden, geleugnet worden, daß es eine Vorbereitung auf die Rechtfertigung braucht. Sie sagten: Der menschliche Wille ist so unfrei, die menschliche Natur so verderbt, daß der Mensch zu seiner Rechtfertigung nichts, aber auch gar nichts beitragen kann. Demgegenüber hat die Kirche ihre alte, ihre wahre Lehre auf dem Konzil von Trient hervorgehoben, nämlich daß der Mensch sich auf die Rechtfertigung vorbereiten kann und muß mit Hilfe der aktuellen Gnade. Das ist ein Glaubenssatz der Kirche: Der Mensch kann und muß sich mit Hilfe der aktuellen Gnade auf die Rechtfertigung vorbereiten.

Die Kirche führt für diesen wichtigen Satz einen Schriftbeweis. Sie zieht zwei Stellen aus dem Alten Testament heran, eine aus dem Propheten Zacharias, die andere aus den Klageliedern. Die Stelle aus dem Propheten Zacharias lautet: „Wendet euch zu mir, so werde ich mich zu euch wenden!“ Gott spricht also zum Volk: „Wendet euch zu mir, und ich werde mich zu euch wenden!“ Und die Stelle aus den Klageliedern lautet: „Wende uns zu dir, so werden wir uns zu dir wenden!“ Das Volk sagt also zu Gott: „Wende uns zu dir, so werden wir uns zu dir wenden!“ In diesen beiden Sätzen sieht die Kirche die Freiheit des Menschen und die Notwendigkeit der aktuellen Gnade ausgesprochen. Wenn Gott die Menschen auffordert: „Wendet euch zu mir, und ich werde mich zu euch wenden!“, dann ist das eben ein Appell an die Freiheit des Menschen, ein Aufruf, sich vorzubereiten auf den Empfang der Rechtfertigungsgnade. Und wenn es heißt: „Wende uns zu dir!“, dann ist das ein Eingeständnis, daß der Mensch diese Wendung zu Gott in Freiheit zwar, aber nicht ohne Gnade vollziehen kann. „Wende uns zu dir, so werden wir uns zu dir wenden!“ Das ist also die ganze, die katholische Wahrheit in Fülle, nicht die Einseitigkeit der Häresie, sondern die Fülle der Wahrheit, wie sie die Kirche 2.000 Jahre durch die Zeiten getragen hat.

Dieser Notwendigkeit, sich vorzubereiten, entspricht auch die Praxis der Kirche in der Katechumenatszeit und in der Bußpraxis. Die Kirche hat immer verlangt, daß man sich auf die Taufe und auf die Bekehrung vorbereiten muß. In der alten Zeit war diese Vorbereitung sehr lang und sehr streng. Die Katechumenen mußten lange Zeit, manchmal jahrelang sich auf die Taufe vorbereiten, und die Büßer, die von der Sünde losgesprochen werden wollten, mußten lange Zeit, manchmal jahrelang Buße tun, bis sie dann die Lossprechung am Gründonnerstag empfingen. Heute ist das alles viel leichter. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß der Mensch sich auf die Rechtfertigung vorbereiten kann und vorbereiten muß.

Zur Rechtfertigung ist unentbehrlich der Glaube, denn der Glaube ist der Anfang des Heiles, die Wurzel und die Grundlage der Rechtfertigung. So nennt ihn das Konzil von Trient. Was für ein Glaube? Auch hier sind die Irrlehrer wieder in die Irre gegangen. Sie sagen: Der Fiduzialglaube, d.h. die bloße Zuversicht, daß Gott uns um des Leidens Jesu willen gnädig sein wird. Nein, sagt die Kirche, der reicht nicht. Der bloße Fiduzialglaube, der bloße Vertrauensglaube, reicht nicht. Es muß der dogmatische, der Bekenntnisglaube, der theologische Glaube sein, der alles das umschließt, was Gott geoffenbart hat. Glauben heißt eben, sich auf das Fundament der Offenbarung stellen. Glauben heißt, das für wahr halten, was Gott geoffenbart hat.

Und die Kirche weiß, daß sie damit auf dem Boden des Neuen Testamentes steht. Da wird zwar auch das Vertrauen auf Gott betont an vielen Stellen, aber wie kann ich denn auf Gott vertrauen, wenn ich nicht an ihn glaube, wenn ich nicht glaube, daß er ist und daß er barmherzig ist und daß er mir die Sünden verzeihen will? Der dogmatische Glaube muß also dem Vertrauensglauben vorangehen, er ist ja dessen Grundlage. So heißt es beispielsweise im Markusevangelium: „Verkündigt das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden. Wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Oder im Johannesevangelium: „Das ist aufgeschrieben, daß ihr glaubt – daß ihr glaubt! –, daß Jesus der Messias ist, und daß ihr glaubend das ewige Leben habt.“ Oder im Hebräerbrief: „Wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er ist und daß er denen, die ihn suchen, ein Vergelter wird. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“

Also zur Vorbereitung gehört der Glaube, der dogmatische, der Bekenntnisglaube, und deswegen hat die Kirche auch immer – sie tut es heute noch – vor der Taufe die Taufbewerber belehrt im Glauben. Das besagt nicht nur: Habt Vertrauen!, sondern das besagt auch: Glaubet alles, was Gott geoffenbart hat und durch seine Kirche zu glauben vorstellt! Deswegen wurde den Taufbewerbern – und wird auch heute noch – feierlich das Glaubensbekenntnis übergeben, also ein Inhalt, nicht nur eine Haltung.

Der Glaube ist unerläßlich. Aber es müssen zum Glauben auch andere Dispositionsakte, Vorbereitungshandlungen hinzukommen. Es genügt nicht der Fiduzialglaube allein, aber auch zu dem dogmatischen Glauben müssen noch andere Vorbereitungshandlungen hinzutreten, nur welche? Etwa die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit, der Abscheu vor der Sünde, die Furcht vor der Strafe Gottes, der Anfang der Gottesliebe und die Bereitschaft, ein neues Leben zu beginnen. Das sind die Vorbereitungsakte, die sich mit dem Glauben verbinden müssen. Einer von diesen Vorbereitungsakten ist absolut notwendig, nämlich die Reue. Wer keine Reue hat, dem werden keine persönlichen Sünden vergeben. Ohne Reue nützt auch der Glaube nichts. So notwendig wie der Glaube zur Rechtfertigung ist, so notwendig ist die Reue.

Nun gibt es eine Merkwürdigkeit, meine lieben Freunde. Es gibt zwei Stellen, beim Apostel Paulus eine und beim Apostel Jakobus, die scheinen sich zu widersprechen. Denn beim Apostel Paulus heißt es: „Wir halten dafür, daß der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird ohne Gesetzeswerke.“ Ich wiederhole: „Wir halten dafür, daß der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird ohne Gesetzeswerke.“ Dagegen schreibt Jakobus: „Ihr seht, daß ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein.“ Ich wiederhole: „Ihr seht, daß ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben allein.“ Ja, ist das kein Widerspruch? Der eine sagt: Der Glaube allein, der andere sagt: Nicht aus Glauben allein.

Man muß wissen, aus welchem Hintergrund die beiden Apostel sprechen. Der Apostel Paulus wendet sich gegen die Judaisten, also gegen solche Christen, die das ganze alttestamentliche Gesetz den neuen Christen auflegen wollen; und da betont er den Glauben. Jakobus wendet sich gegen laue Christen, die meinten, der Glaube allein genüge, und dann brauche man nichts mehr zu tun. Deswegen betont er die Werke. Sie sprechen also von ganz verschiedenen Situationen aus. Paulus versteht unter dem Glauben den in der Liebe wirksamen Glauben, d.h. den Glauben, der tätig ist und Werke, gute Werke hervorbringt. Die Werke, die er bekämpft, sind die Werke des Alten Testamentes, z.B. die Beschneidung. Die Rechtfertigung, die er meint, ist die erstmalige Begabung mit dem Heiligen Geist an einen heidnischen Sünder. Und da sagt er mit Recht: „Wir halten dafür, daß der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird ohne Gesetzeswerke.“ Es braucht keine Beschneidung, um die Rechtfertigung zu erlangen.

Dagegen spricht Jakobus von dem toten Glauben, von dem Glauben, der eben nicht lebendig ist, der keine Werke hat, der sich bloß ausruht und sagt: Ich glaube, und dann brauche ich nichts mehr zu tun. Und er spricht von den guten Werken, die eben normalerweise aus dem Glauben hervorgehen müssen. Der Christ muß gute Werke tun, wenn sein Glaube lebendig und heilskräftig sein will. Und die Rechtfertigung, die er meint, ist nicht die erstmalige. Er spricht ja zu Christen, die schon gerechtfertigt wurden. Worauf er zielt, ist die Rechtfertigung beim Endgericht Gottes. Und das ist ein Gericht nach den Werken. „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Also zwischen Paulus und Jakobus ist gar kein Widerspruch, sondern sie schildern zwei Seiten ein und derselben Sache. Der eine spricht zu Heiden, der andere spricht zu Christen, der eine wehrt sich gegen die Aufrichtung eines anderen Heilsmittlers als es Christus ist, an den man glaubt, der andere betont die Notwendigkeit, nun aber auch mit dem Glauben lebendig zu sein, Werke zu haben, damit man nicht beim Gerichte verlorengeht.

In den Katakomben, meine lieben Freunde, kann man manchmal ein Bild sehen. Da ist eine Wasserquelle, und die Wasser gehen nach verschiedenen Seiten; und da sind Schafe, die treten zur Wasserquelle und trinken, aber auch andere, die halten sich fern von der Wasserquelle. Das ist ein gutes Bild für die Notwendigkeit der Vorbereitung zur Rechtfertigung, aber auch für das Verhängnis dessen, der an eine solche Vorbereitung nicht denkt. Wenn wir uns zur Wasserquelle hinbegeben in der Kraft der Gnade, dann dürfen wir trinken. Wenn wir uns aber abwenden, dann werden wir vor Durst zugrunde gehen.

Der Glaube ist die Wurzel und der Anfang der Rechtfertigung, aber der Glaube muß durch Dispositionsakte wie die heilige Gottesfurcht, Hoffnung auf Gott, Abscheu vor der Sünde und den entschiedenen Willen, sich zu bessern, begleitet sein. Reue ist das Entscheidende, was zum Glauben hinzutreten muß.

Das ist auch heute noch so. Wenn wir in die schwere Sünde gefallen sind, dann müssen wir zum Bußsakrament treten, aber nicht nur mit Glauben, sondern auch mit Reue und gutem Vorsatz. Und dann kann es erneut geschehen, das Wunder, daß Gott aus dem Ungerechten einen Gerechten, aus dem Unheiligen einen Heiligen macht.

Amen.

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