Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. Juli 1987

Außerordentliche Gnadengaben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit dem Fest der Geistausgießung, also dem Pfingstfest, haben wir uns bemüht, das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele kennenzulernen. Wir sagten: Nach den Verheißungen Christi kommt der Geist selbst und nimmt Wohnung in unserer Seele. Er bringt einwirkende Gnaden, er schenkt die heiligmachende Gnade, er gibt uns die sieben Gaben, die kostbaren Gaben des Heiligen Geistes. Es bleibt uns heute zu betrachten,

1. daß der Heilige Geist auch außerordentliche Gnadengaben manchen Menschen zuteilt, und

2. daß der Heilige Geist die katholische Kirche lenkt und leitet.

Der erste Satz lautet: Der Heilige Geist teilt, wie er will, außerordentliche Gnadengaben manchen Menschen mit. Daß es sich hier um außerordentliche Gaben handelt, bedeutet, diese Gaben werden nicht einem jeden zugeteilt, auch nicht zu jeder Zeit, sondern sie werden gegeben, wie es der Heilige Geist will. Außerordentliche Gnadengaben sind etwa die Gabe der Weissagung, die Gabe der Wunder, die Gabe der Heilungen, die Gabe der Unterscheidung der Geister, die Gabe der Herzenskenntnis, die Gabe der Sprachen. Die Heilige Schrift, aber auch die Kirchengeschichte künden von der Ausspendung solcher Gaben. Die Apostel besaßen die Gabe der Sprachen am Pfingsttage. Auch der heilige Franz Xaver, der Apostel der Inder, soll diese Gabe besessen haben. Den Propheten des Alten Bundes war die Gabe der Weissagung zu eigen. Sie konnten Zukünftiges mit Gewißheit voraussagen. Manchen Menschen hat Gott die Gabe der Wunder gegeben. Der heilige Petrus besaß die Gabe der Wunder. Der Bischof Blasius, der den Knaben von einer Fischgräte befreit hat, an der er zu ersticken drohte, besaß die Gabe der Wunder. Im vorigen Jahrhundert lebte in Bamberg ein Fürst Hohenlohe. Dieser Fürst Hohenlohe besaß die Gabe der Wunder. Er hat viele Menschen durch Gebet und Handauflegungen geheilt.

Die großen Heiligen wurden manchmal ausgezeichnet durch Stigmatisierung, d.h. sie empfingen die Wundmale des Herrn, etwa der heilige Franz von Assisi oder die heilige Katharina von Siena. Auch das waren außerordentliche Gnadengaben. Die heiligmäßige Katharina Emmerich besaß die Gabe der Vision. Sie hatte Schauungen und vermochte das Leiden des Herrn und das Leben der Muttergottes nachzuempfinden, und ein großer Meister des Geistes, Clemens Brentano, hat  ihre Schauungen aufgezeichnet.

Solche außerordentlichen Gnadengaben werden vor allem gegeben, wenn gefahrvolle Zeiten über die Kirche kommen. Am Anfang, als das Keimlein, das da vom Herrn eingesetzt war, begossen werden mußte, da hat er reichlich diese Gaben ausgeteilt, und immer wieder in gefährlichen Zeiten der Kirchengeschichte hat er Menschen mit diesen Gaben beschenkt, denn sie werden zum Nutzen anderer Menschen und zum Nutzen der Kirche gegeben. Sie machen den damit begabten Menschen nicht heiliger, sondern heilig wird man durch die rechte Verwendung dieser Gaben. Der heilige Fulgentius, dieser große Theologe des Frühmittelalters, hat einmal gesagt: „Man kann die Gabe der Wunder haben und verlorengehen.“ Auch von Judas wird berichtet, daß er Wunder gewirkt hat, und doch ist er nach menschlichem Urteil nicht unter den Geretteten.

Diese außerordentlichen Gnadengaben müssen von den Menschen in aller Demut entgegengenommen werden und nach den Absichten Gottes verwendet werden. Die Menschen, denen sie gegeben werden, sind nicht Herren über diese Gaben, sondern sie müssen sie dem Willen Gottes, der mit diesen Gaben verbunden ist, einpassen. Sie müssen die Gaben nach seinen Intentionen verwenden, nicht zur eigenen Erhöhung, sondern zum Dienst an den Menschen.

Der zweite Satz lautet: Der Heilige Geist lenkt und leitet die Kirche. Diese Wahrheit schließt ein Dreifaches in sich:

1. Der Heilige Geist erhält die Kirche, bewahrt sie vor dem Untergang und schützt sie vor Irrtum.

Es ist nicht möglich, meine lieben Freunde, daß vor der zweiten Ankunft Christi die katholische Kirche vom Erdkreis verschwinden wird. Das ist nicht möglich. Dagegen steht die Garantie des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wird bewirken, daß diese Kirche immer Bestand hat,  in einem Umfang, der uns nicht bewußt ist. Daß die Kirche Verluste größten Ausmaßes erleiden kann, daß sie in manchen Ländern ausgelöscht werden kann, das wissen wir aus der Geschichte. Im 7./8. Jahrhundert wurde die katholische Kirche in weiten Gebieten, die der Islam erobert hatte, vernichtet. Es sind kleine Reste übrig geblieben, wie die Kopten in Ägypten oder wie die Christen im Libanon, aber Millionen und Abermillionen sind zum Abfall geführt worden. In der Türkei beispielsweise existiert von der Kirche praktisch nichts mehr.

Das hat der Heilige Geist nicht verhindert. So müssen wir also unsere Erwartungen an den Heiligen Geist zwar hochschrauben, aber gleichzeitig darauf gefaßt sein, daß nach dem unergründlichen Willen Gottes die Kirche Schäden, Verluste gigantischen Ausmaßes erleidet.

Im 16. Jahrhundert hat der Protestantismus ganze Länder von der katholischen Kirche losgerissen. Auch das wurde vom Heiligen Geist nicht verhindert. In der Kirche sind Irrlehrer aufgestanden. Es gab noch nie eine Zeit, in der keine Irrlehren vorgetragen wurden, aber die Kirche als Ganzes, die Kirche als solche kann nicht in Irrtum verfallen. Die Kirche ist unfähig, als ganze dem Irrtum zu verfallen. Es mögen noch so viele Irrlehren vorgetragen werden, es mögen noch so viele Irrlehrer auftreten, es wird immer eine katholische Kirche geben, die in der Wahrheit steht, an die man sich halten muß und von der man nicht weichen darf.

2. Die Glieder der Kirche, vorzüglich die mit der Weihe ausgestatteten Glieder werden vom Heiligen Geiste geführt.

Der Heilige Geist gibt ihnen ein, was sie tun und was sie lassen sollen. Freilich muß man immer gleich dazusagen: nach dem Maße der Empfänglichkeit. Der Geist wirkt immer nur nach dem Maße der Aufgeschlossenheit des Menschen, und selbst ein Papst ist imstande, dem Wirken des Heiligen Geistes zu widerstehen. Selbstverständlich ist das möglich. Aber wir dürfen das Vertrauen haben, daß der Heilige Geist bei der Auswahl der Päpste und bei ihrer Regierung einwirkt und den Päpsten einzugeben gewillt ist, was der Kirche dient und was ihr nützt. Wir werden aber beim Weltgericht sehen, wie weit die Päpste auf die Einwirkungen des Geistes eingegangen sind und wie weit sie sich dem Wirken des Geistes verschlossen haben. Wir haben heute nur ein vorläufiges, ein mit Unsicherheit behaftetes Urteil. Erst wenn einmal das Weltgericht kommt, wenn im Angesicht der gesamten Menschheit die Institutionen, nicht nur die Menschen, auch die Institutionen gerichtet werden, dann werden wir einmal sehen, wie sich die Hirten der Kirche gegenüber den Einwirkungen des Heiligen Geistes verhalten haben.

3. Immer wieder erweckt der Heilige Geist in gefahrvollen Zeiten Männer und Frauen, die der Kirche mit ihrer Kraft und mit ihrer Persönlichkeit zu Hilfe kommen.

In der Zeit der arianischen Wirren war es der große Athanasius, der Bischof von Alexandrien, der die wahre Lehre sieghaft verteidigte. Fünfmal verbannt, einmal bei uns in Trier in Verbannung, hat dieser Heilige in einem unermüdlichen, jahrzehntelangen Kampf die katholische Wahrheit gegen den bequemen Irrtum des Arianismus zum Siege geführt.

Als der Klerus weitgehend verkommen war, da erweckte der Heilige Geist den Mönch Hildebrand, den großen Papst Gregor VII., der für die Freiheit der Kirche von unzulässiger Laieneinmischung gekämpft hat, gegen die Priesterehe, gegen die Laieninvestitur, gegen Simonie. Er starb in der Verbannung mit den Worten auf den Lippen: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt. Darum sterbe ich in der Verbannung.“

Als die Albingenser, diese Irrlehrer in Südfrankreich und in Norditalien, immer mächtiger wurden, da erweckte der Heilige Geist den heiligen Franz von Assisi und den heiligen Dominikus, die mit ihren Bettelorden, mit den Idealen der apostolischen Armut, mit ihrer Predigt und mit der Heiligkeit ihres Lebens die Irrlehre besiegten.

Und als im 14. Jahrhundert die Päpste jahrzehntelang Rom, ihrer Bischofsstadt, fernblieben und ihre Residenz in Südfrankreich aufschlugen, da erweckte der Heilige Geist eine Frau, ein Mädchen, die heilige Katharina von Siena. Sie war es, die mit ihrer Heiligkeit, mit ihrer Beredsamkeit, mit der Glut ihrer Liebe und mit der Kraft ihrer Sprache dafür sorgte, daß die Päpste sich von Avignon in Frankreich wieder nach Rom zurückbegaben.

Als im 16. Jahrhundert Martin Luther die Kirche verwüstete, da erweckte der Heilige Geist den heiligen Ignatius von Loyola, und mit seiner Sturmtruppe, mit dem Jesuitenorden, hat er für einen großen Teil Deutschlands und ganz Österreich den katholischen Glauben erhalten.

Im vorigen Jahrhundert stürmte der Liberalismus gegen die Kirche an. In dem damaligen Kulturkampf erweckte der Heilige Geist einen kleinen, von Statur kleinen Mann, aber großen Geistes, Ludwig Windthorst,den Führer der katholischen Zentrumspartei, der im Reichstag und im preußischen Landtag die Regierung nötigte, viele kirchenfeindliche Gesetze zurückzunehmen.

So lassen sich eigentlich, meine lieben Freunde, für jede Zeit der Kirchengschichte, für jede gefährliche Zeit Männer und Frauen namhaft machen, die für das sehende Auge das Wirken des Heiligen Geistes erkennen lassen. Der Heilige Geist lenkt und leitet die Kirche. Das ist kein Ruhekissen, das dient uns nicht zu einer falschen Beruhigung, aber es gibt uns eine letzte Sicherheit, die uns gewiß macht, daß der Herr seine Kirche nicht verläßt. Er wird sie erhalten, er wird sie führen und er wird auch gewiß wieder lichtere Zeiten für sie hervorbringen.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt