Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Oktober 2013

Gott als Inhalt und Beweggrund des Glaubens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Inhalt der Offenbarung Gottes ist Gott. Der wesentliche Inhalt unseres Glaubens ist Gott, sein Wesen und seine Taten. Gott als Urgrund und Endziel des Menschen. Wenn die Offenbarung auch von „außergöttlichen“ Dingen spricht – etwa von der Schöpfung –, dann geschieht das um Gottes willen, in Abhängigkeit und in Beziehung und Hinordnung auf Gott. Noch einmal: Gott ist der entscheidende und wesentliche Inhalt der Offenbarung. Er ist auch der wesentliche und entscheidende Inhalt unseres Glaubens. Der Glaube vermittelt theoretische und praktische Wahrheiten. Theoretische: Das sind gedankliche Lehren. Und praktische Wahrheiten: Das sind Normen; nicht allein religiöse Gefühle und persönliches Gottvertrauen, wie es andere Religionen vertreten. Christus nennt sich den „Lehrer“, weil er eben eine Lehre darbietet, die anzunehmen ist. Er will die wahre Erkenntnis des Vaters bringen. „Die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin.“ Die Apostel handeln nicht anders, sie bieten die Wahrheit Gottes dar. Sie sind ja vom Geist der Wahrheit belehrt. So schreibt der Apostel Paulus beispielsweise: „Wir reden Weisheit“, also höhere göttliche Wahrheit. Die Annahme dieser Lehre ist heilsnotwendig: „Wenn du mit dem Munde Jesus als den Herrn bekennst, und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckt hat, wirst du gerettet werden.“ Der Glaube hat einen ganz präzisen unaufgebbaren Inhalt. Im ersten Brief an die Korinther schreibt der Apostel: „Ich erinnere euch an das Evangelium, das ich euch verkündet habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch feststeht. In ihm ist euer Heil, wenn ihr euch an das Wort haltet, mit dem ich es euch verkündet habe, sonst hättet ihr vergebens geglaubt.“ Die Bekenntnisse der Kirche zeigen mit aller Deutlichkeit, dass der Glaube einen lehrhaften Charakter hat; also im Gegensatz zu einem Gefühlsglauben, wie ihn z.B. der evangelische Theologe Schleiermacher vertreten hat. Im Athanasianischen Glaubensbekenntnis heißt es: „Wer da selig werden will, der muss vor allem den katholischen Glauben festhalten. Wer diesen nicht in seinem ganzen Umfange und unverletzt bewahrt, wird ohne Zweifel verloren gehen.“ Spätere kirchliche Lehrentscheidungen verurteilen ausdrücklich die Gleichstellung des Glaubens mit dem „Vertrauen“ Luthers. „Wenn jemand sagt, der rechtfertigende Glaube sei nichts anderes als das Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit, die die Sünden um Christi Willen nachlässt, oder dieses Vertrauen allein sei es, durch das wir gerechtfertigt werden, der sei ausgeschlossen“ , so lehrt das Konzil von Trient. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es in der Kirche eine Richtung, die heute wieder lebendig wird: Eine Richtung, die man „Modernismus“ nannte. Und dieser Modernismus löste die Wahrheit der Dogmen auf. Er vertrat die Ansicht, die religiösen Vorstellungen steigen aus dem Unbewussten auf, und jeder hat seine eigenen und von ihm zu vertretenden Ansichten. Wir Priester haben im „Antimodernisteneid“ beschworen: „Ich halte fest und bekenne, dass der Glaube nicht ein blindes religiöses Gefühl, das aus dem Dunkel des Unbewussten aufsteigt, ist, sondern eine wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen durch Hören empfangenen Wahrheit.“ Der theologische Glaube umfasst zwei Gebiete: Nämlich das Gebiet der vernünftiger Erkenntnis zugänglichen Wahrheiten und das Gebiet der menschlicher Verstandeserkenntnis nicht zugänglichen Wahrheiten – natürliche Wahrheiten, übernatürliche Wahrheiten. Die Dogmen zerfallen also in zwei Gruppen: In solche, die auch mit dem Verstande erkannt werden können, und andere, die nur durch Offenbarung uns zugänglich sind. Ich will es Ihnen an Beispielen erklären: Zur natürlichen Wahrheit, also zu der Wahrheit, die man auch mit dem Verstande erkennen kann, gehören die Existenz Gottes und die Erschaffung der Welt. Allein aus der Offenbarung dagegen wissen wir um die Dreieinigkeit Gottes, um die Jungfrauschaft Mariens, um die erlöserische Bedeutung des Lebens Jesu. Die Vernunft macht den Menschen aus, der Glaube den Christen. Die Vernunft führt uns an den Rand der Unendlichkeit. Der Glaube gibt uns Gott in seiner ganzen Fülle.

Nun hat das Zweite Vatikanische Konzil im Dekret über den Ökumenismus erklärt: „Es gibt eine Rangordnung, eine Hierarchie der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens.“ Eine Rangordnung der Wahrheiten, eine Hierarchie der Wahrheiten, je nach dem Zusammenhang mit dem Grundprinzip des christlichen Glaubens. Also nicht alle Glaubenswahrheiten haben den gleichen Stellenwert im Rahmen des Glaubens. Nun kann man durchaus verstehen, dass die Freiheit Mariens von der Erbsünde nicht so bedeutsam ist wie die leibhaftige Auferstehung Jesu Christi. Aber die Rangordnung darf nicht willkürlich bestimmt werden. Der Rang bestimmt sich nach der verschiedenen Dichte, nach der verschiedenen Art des Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens. Welches ist das Fundament? Nun, das ist die Gottesoffenbarung in Jesus Christus. Was näher an dieses Geheimnis heranführt, ist gewichtiger, als was weiter davon absteht. Also, dass die Gläubigen verpflichtet sind, mit ihren Mitteln die Kirche zu unterhalten, ist auch Gegenstand der Offenbarung, aber liegt ganz am Rande. Diese Verpflichtung kann es nicht aufnehmen mit der Notwendigkeit, die Wassertaufe zu empfangen, um Christus eingegliedert zu werden. Oder ein anderes Beispiel: Die Lehre von der Verehrung der Heiligen oder über die Gewinnung der Ablässe kann es an Bedeutung nicht aufnehmen mit der Lehre von Gott, dem Dreieinigen, oder von Jesus, dem Messias. Es gibt eine Mitte der Offenbarung, und es gibt Ränder der Offenbarung; daran ist nicht zu rütteln. Aber darüber darf nicht vergessen werden: Der gesamte Inhalt der Offenbarung hat teil an dem gleichen formalen Element des Offenbartseins. Alle geoffenbarten Wahrheiten sind gleich wahr, nicht die einen mehr oder die anderen weniger. Alle sind gleich wahr, weil sie nämlich von der Autorität Gottes gedeckt sind. Lehren, welche vom Mittelpunkt des Glaubens weiter weg liegen, sind nicht weniger wahr. Die Lehre von der Hierarchie der Wahrheit ist genuiner Bestandteil der katholischen Theologie, aber sie darf nicht verwechselt werden mit der protestantischen Lehre von den Fundamentalartikeln. Die protestantische Theologie unterscheidet zwischen fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensartikeln. Nur die ersteren sind heilsnotwendig zu glauben; die anderen kann man weglassen. Diese Unterscheidung ist abzulehnen. Alle geoffenbarten Wahrheiten haben, dank der Autorität Gottes, gleiche Geltung. Alle sind fundamental für den Zweck der Kirche. Weniger bedeutsame Wahrheiten sind also keine Verhandlungsmasse – etwa im Ökumenismus. Es ist ein schwerer Irrtum zu meinen, die jungfräuliche Empfängnis Mariens sei nicht wichtig und könne auf dem Altar des Ökumenismus verhandelt werden. Nein, sie ist unverhandelbar und unaufgebbar!

Aus der mehr oder weniger zentralen Bedeutung des einzelnen Dogmas ergibt sich, dass manche Dogmen ausdrücklich mit der Notwendigkeit des Mittels, also unter der Gefahr des Heilsverlustes, zu glauben sind. Dass Christus der Sohn Gottes ist, ist beispielsweise eine solche Wahrheit. Sie sind mit der Notwendigkeit des Mittels zu glauben, d.h. sie sind unentbehrlich für den heilbringenden, für den rechtfertigenden Glauben. Für andere besteht eine Glaubenspflicht kraft Gebotes. Sie müssen auch geglaubt werden, weil Gott es gebietet. Aber es genügt bei unverschuldeter Unwissenheit oder bei unverschuldetem Irrtum ein einschlussweiser Glaube – ein einschlussweiser Glaube. Der einschlussweise Glaube besagt, dass der einfache Gläubige, der nicht theologisch gebildet ist, in seinem noch unentfalteten Glauben den gesamten Inhalt des Glaubens mit bejaht. Er glaubt, was die Kirche glaubt. Das ist der einschlussweise Glaube. Nicht jeder kann alle Einzelheiten des Glaubensgebäudes beherrschen, und deswegen ist es ein großer Segen, dass die Kirche lehrt: Für den Gläubigen genügt der einschlussweise Glaube, dass er mit seinem Bekenntnis zu Christus alle Wahrheiten der Kirche mit bejaht.

Gott ist der wesentliche Inhalt des Glaubens. Er ist auch der innere Beweggrund des Glaubens, d.h. wir glauben, weil wir überzeugt sind, dass Gott sich geoffenbart hat und die Annahme der Offenbarung befiehlt. Gott der Inhalt, Gott der Beweggrund des Glaubens. Als Inhalt glauben wir an Gott als die absolute objektive Wahrheit. Als Beweggrund glauben wir an Gott wegen seiner absoluten Wahrhaftigkeit. Gott kann nicht täuschen und will nicht täuschen. Christus sagt ja von sich: „Der mich gesandt hat, ist wahrhaft. Und was ich von ihm gehört habe, rede ich in der Welt.“ Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis Gottes in sich, das Zeugnis Gottes. Wer dem Sohne nicht glaubt, macht ihn zum Lügner. Wenn wir Gott als Erkenntnisgrund bezeichnen, dann meinen wir damit, dass wir gleichsam mit den Gedanken Gottes denken. Wir denken im Glauben, so wie Gott denkt, und wir denken das, was er denkt.

Es ist katholisches Dogma, dass zum Glauben, zum Glaubensakt, zum Akt des heilskräftigen Glaubens, der freie Wille und die Gnade Gottes mitwirken müssen. Im Jahre 529 tagte in Südfrankreich, in Orange, ein bedeutsames Konzil. Das Konzil ist deswegen so bedeutsam, weil es auf der Lehre des hl. Augustinus aufruht. Und dieses Konzil von Orange hat einen Satz festgelegt, der unbedingt und unaufgebbar in der Kirche gilt, nämlich den Satz: „Der Anfang des Glaubens und die Stimmung der Glaubenswilligkeit sind in uns durch das Geschenk der Gnade.“ Der Anfang des Glaubens und die Stimmung der Glaubenswilligkeit sind in uns durch das Geschenk der Gnade. Die Zustimmung zur Heilspredigt ist in heilskräftiger Weise nicht möglich ohne Erleuchtung und Eingebung des Heiligen Geistes. Luther leugnete die Freiheit des Glaubensaktes. Gegen ihn hat das Konzil von Trient ausgesagt: „Diejenigen, die sich auf die Rechtfertigung vorbereiten, aufgerufen und unterstützt durch die Gnade den Glauben vom Hören aufnehmend, bewegen sich frei auf Gott hin.“ Also nicht so, wie Luther sich ausdrückte: „Der Mensch wird entweder vom Teufel geritten oder von Gott.“ Nein, der Mensch bewegt sich in der Gnade frei auf Gott hin. Die geforderte Hinwendung zu Gott steht bereits unter dem Einfluss der aktuellen Gnade. Die freie Willenstätigkeit schließt die Gnade nicht aus, sondern umgekehrt: Die Gnade bewirkt gerade, dass der Wille sich frei entscheidet. Das ist die Lehre der Heiligen Schrift, die hier von der Kirche vorgetragen wird. Der Heiland sagt: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht mein Vater ihn zieht.“ Und vom Glauben des Petrus sagt der Herr: „Nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist.“ An die Epheser schreibt Paulus: „Durch Gnade seid ihr gerettet, mittels des Glaubens, und das nicht aus euch. Es ist ein Geschenk Gottes, nicht aus Werken, damit sich keiner rühme.“ Nur deswegen ist auch der Unglaube sittlich böse, weil man eben sich verweigern kann. Man kann sich der Gnade ablehnend gegenüberstellen. „Wie oft habe ich deine Kinder um dich sammeln wollen“, sagt der Herr zu Jerusalem, „aber du hast nicht gewollt.“ Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet! Das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt kam und die Menschen die Finsternis mehr liebten als das Licht.

Das Zusammenwirken von Gnade und Freiheit bei der ersten Entstehung des Glaubens geschieht folgendermaßen: Schon in der Vorbereitung des Glaubens wirkt der menschliche Wille und wirkt die Gnade mit der menschlichen Vernunft zusammen. Das Suchen der Wahrheit, das Suchen der christlichen Wahrheit, setzt schon eine sittliche Stimmung des Willens und des Gemütes voraus. Ein Bewusstsein der Ratlosigkeit und der Schwäche, der Sehnsucht nach Licht und Reinheit, nach sittlich erhebender Wahrheit. Ebenso hängt das Finden der Wahrheit, also die Erkenntnis, dass die Offenbarung glaubwürdig ist, von der sittlich ernsten Willensverfassung ab. Aber unbedingt notwendig als wirkende Ursache des Glaubens ist und bleibt die Gnade. Die fromme Erhebung des Willens kann nur geschehen, indem Gott sich selbst uns neigt. Es ist ein unbeschreibliches Glück, meine lieben Freunde, glauben zu dürfen, glauben zu können. Der Glaube erhebt unser Erkennen und Wissen auf eine höhere Ebene. Wir Gläubigen kennen Gott und seinen Willen. „Herr, in dieser Zeit Gewog, da die Stürme rastlos schnauben, wahr, oh wahre mir den Glauben, der noch nimmer mich betrog“, hat der Dichter Emanuel Geibel geschrieben. „Herr, in dieser Zeit Gewog, da die Stürme rastlos schnauben, wahr, oh wahre mir den Glauben, der noch nimmer mich betrog.“

Amen.

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