Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Glaube
30. August 2009

Im Glauben danken für Gottes Gnade

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Eine der furchtbarsten Krankheiten ist der Aussatz. Die Glieder sterben nach und nach ab, sie fallen regelrecht ab vom Körper. Der Herr hat zehn Aussätzige geheilt. Er hat ihnen die körperliche Gesundheit zurückgeschenkt. Und doch wird uns bei dieser ganzen Geschichte nicht recht wohl. Wir haben den Eindruck, dass die meisten von ihnen nicht ganz geheilt wurden, dass zwar ihr Körper gesund wurde, aber nicht ihre Seele. Gewiß, die Undankbarkeit ist eine schlimme Untugend, aber ich bin überzeugt, dass es nicht der Undank war, der den Herrn betrübt hat, sondern das, was hinter diesem Undank stand. Warum waren denn neun undankbar? Warum sind sie nicht zurückgekehrt und haben sich bei ihrem Heiler bedankt? Der Herr sah in ihrer Undankbarkeit ein Symptom, ein Kennzeichen, ein Merkzeichen, dass ihr Menschentum verkümmert und verfault war. Warum waren sie so undankbar? Warum dachten sie keinen Augenblick daran, ihrem Wohltäter den Dank abzustatten? Weil sie die Heilung nicht als Gnade, sondern als ihr Recht ansahen. Sie fühlten sich als Glieder des auserwählten Volkes und meinten, dass ihnen alles gewährt werden müsse, was ihnen zusteht, von Gott und von den Menschen. Sie waren die berufsmäßigen Unglücklichen, die immer und jederzeit der Meinung sind, dass die Gesunden ihnen verpflichtet sind und ihnen etwas schulden.

Solche Menschen leben in der Vorstellung, dass alle gesunden, glücklichen und frohen Menschen, ja selbst Gott nur dazu da sind, ihnen den Tribut der Hilfe, des Mitleids, der Rücksicht zu entrichten. Es gibt anspruchsvolle Arme, Menschen, die sich selbst nicht nur als Arme fühlen, sondern eine Art Kult mit ihrer Armut betreiben. Sie sind der Meinung, dass alle anderen Menschen, die mehr haben, denen es besser geht, ihnen den Tribut des Mitleids und der Hilfe zu entrichten haben. Ja, es gibt ganze Gruppen und Klassen von Menschen, die der Meinung sind, sie seien immer benachteiligt, sie würden immer zurückgesetzt, sie könnten sich immer klagend und anklagend an ihre Mitmenschen wenden und ihnen sagen: Entrichtet mir, was ihr mir schuldig seid! Menschen, die durchdrungen sind, dass ihre Ansprüche viel größer sind als das, was ihnen gewährt wird.

Solche Menschen kennen nicht das Gesetz der Gnade. Sie kennen nicht das wundervolle Erlebnis des freien Schenkens und des liebenden Empfangens. Sie strecken immerfort ihre Hände aus, aber nur fordernd und drohend. Sie können nicht wirklich sich beschenken lassen, weil sie alles, was ihnen gewährt wird, als ihr gutes Recht, als ihr verbrieftes Recht ansehen. Sie empfangen immer zu wenig und viel weniger, als ihnen eigentlich zustünde. Darum haben sie auch nie Grund, ein Dankeswort zu sagen. Diese Menschen können auch nicht wieder schenken, denn sie sind immer nur fordernd; sie können weder ihre Habe noch ihre Seele, weder ihre Hand noch ihr Herz wirklich verschenken. Sie können nicht lieben. Sie sind niemals bereit, für jemand überfließend, für jemand ganz offen da zu sein; sie sind nur für sich da und die anderen für sie selbst.

Es ist klar, dass diese Menschen unter einem furchtbaren Leid stehen, nämlich dem Leid eines verkümmerten Lebens, dem Leid einer verkümmerten Seele. Es geht nur Bitterkeit und Forderung von ihnen aus; sie kennen nicht die Freude des schöpferischen, des schenkenden, des überströmenden Menschen. Und so wird ihr Menschentum immer düsterer, immer härter, immer verbitterter, immer verknöcherter.

Und nun die entgegengesetzte Haltung und Seelenverfassung. Der Mensch der Bereitschaft, der Mensch der Gebefreudigkeit, der Mensch der Hingabe, der Mensch, der alles, was ihm zuteil wird, wie ein Wunder der Gnade und der Güte empfängt. Ein Mensch, der aber auch ganze Ströme von Licht und Wärme aussendet und dann erstaunt ist, dass soviel Güte und Liebe und Wärme auf ihn zurückströmt. Es ist leicht zu sehen, dass ein solcher Mensch wahrhaft gesund und lebendig ist, voll Kraft und voll Freude und voll von Gnade. Sogar sein Leib wird dadurch verschönt, und über das Antlitz eines alten Menschen oder über das Antlitz eines kranken Menschen, da geht ein Schimmer, da ist ein leuchtender Ausdruck, weil er alles, was man ihm tut, als Gnade und als unverdientes Glück empfindet. Diese Menschen empfangen mehr, viel mehr, als sie meinen verdient zu haben. Es geht ihnen viel besser, als sie es je erwarten konnten. Und deswegen sagen sie immer nur: „Gott vergelte es!“ Sie sagen es zu Gott, und sie sagen es zu den Menschen. Sie sagen es zu dem Brot, das sie essen, und zu dem Licht, das sie empfangen, zu den Blumen, die sie sehen, und zu dem Wasser, das ihnen wohl tut. „Vergelte es Gott!“ Alle, die sich beschenken lassen können, werden auch wirklich beschenkt, und alle, die das Wohltun empfangen und verdanken können, denen geschieht auch wirklich wohl.

Aber da erhebt sich die Frage: Wie kann man denn den verkümmerten Menschen helfen, dass sie aus ihrer Seelenhaltung herausfinden zu einer anderen, zu einer wachstumsfreudigen, zu einer dankbaren und empfänglichen Haltung? Nur ein Heilungswunder, wie es der Herr gewirkt hat, kann ihnen über diese Grenze hinüberhelfen. Wir könnten versuchen ihnen zu sagen: Geh hin und danke! Sei ein dankender Mensch! Aber ein derart verkümmerter Mensch wird eben keinen Grund zum Danken sehen. Er ist immer der Meinung, dass ihm zu wenig geschieht, „und so“, sagt er, „brauche ich mich auch nicht zu bedanken.“ Er weiß nur, dass die anderen ihm seine Rechte angeblich oder wirklich verkümmern. An die Verkümmerung seiner eigenen Seele denkt er nicht. Man könnte ihm auch sagen: Geh hin und bitte! Ja, wenn ein solcher Mensch recht zu bitten verstände, dann würde seine Seele schon geöffnet, dann würde ihm geholfen werden. Aber ein Mensch mit einer verkümmerten Seele versteht nicht zu bitten, er kann immer nur fordern. Man könnte ihm schließlich sagen: Gehe hin und schenke! Nimm dich anderer an, heile sie, mache sie lebendig, dann wird ihr Leben auf dich zurückströmen, und du wirst innewerden, dass ein Mensch, der nur für sich selbst lebt, eben nicht lebendig ist. Im Schenken wirst du lernen zu empfangen. Denn nur, wer schon alles zu geben bereit ist, der weiß auch alles zu empfangen. Aber ein Mensch mit einer derart verkümmerten Seele kann nicht schenken, kann nichts weggeben, muss alles festhalten mit seinen Händen, denn er hat ja noch nicht genug bekommen.

Der Anfang zu einem solchen verkümmerten Leben muss einem geschenkt werden durch die zuvorkommende Gnade. Und deswegen ist auch das Höchste, was wir im Leben erfahren können, das Empfangen in der Kommunion. Da ist keine Leistung, da ist keine Forderung, da ist kein gutes Recht. Man kann nur entgegennehmen, was der Herr uns schenkt. Man sollte meinen, dass dieses reine Empfangen, wie es in der Kommunion uns zuteil wird, alle Verkümmerung aufhebt, dass diejenigen, die diese Gabe empfangen, mit dem Psalm sprechen: „Wie kann ich dem Herrn vergelten, was er mir getan hat!“ Aber wir wissen es: Es gibt immer Menschen, die durch das Geschenk der Liebe in der Kommunion nicht wiederbelebt werden, denen Ströme lebendigen Wassers vom Herrn zufließen und die doch nicht aus ihrer Dürre aufwachen. Unter den zehn Aussätzigen waren neun, die das Geschenk, das ihren Leib heilte, hinnahmen, ohne dass ihre verkümmerte Seele belebt wurde. Und sind nicht auch unter den Menschen, die das Einswerden mit dem Herrn in der Kommunion erleben, allzu viele, die noch verkümmert, klein und armselig bleiben?

So scheint also das Leid des verkümmerten Herzens hoffnungslos zu sein. Alles, was wir, ja was Gott tun kann, das bleibt oft wirkungslos. Da erhebt sich die bange Frage: Ja, gibt es denn keinen Schlüssel, der in ein solches verkümmertes Herz hineinführt? Gibt es keine Berührung, die eine solche verkümmerte Seele aufwachen läßt? Was hat denn dem einen Aussätzigen geholfen? „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Der Glaube hat ihm geholfen, dieser Wunder wirkende Glaube. Worin bestand denn dieser Wunder wirkende Glaube? Er bestand darin, dass der Mensch sich entschließt, den Schritt zu Gott zu tun, dass er in persönlicher und bedingungsloser Hingegebenheit sich an die Persönlichkeit des göttlichen Du wendet, dass er in einem liebevollen Schenkungsakt zu Gott sagt: Dein bin ich, dir folge ich, mit dir will ich gehen, wohin immer du gehst. Dieses frohe und hingebungsvolle Schenken, das kann den Menschen befreien.

Man kann auch an einen Menschen glauben in diesem Sinne. Aber es muss ein Mensch sein, der ganz durchsichtig ist für Gott. Es muss ein Mensch sein, der ein Fenster ist, durch das man Gott erkennen kann. Dann kann man auch auf diese Weise an einen Menschen glauben. Und am besten können wir natürlich an den Gottmenschen glauben, weil er ganz und gar durchsichtig war für Gott. „Wer mich sieht, der sieht auch den Vater.“

Der Glaube also ist es, der wahrhaft lebendig macht, der alle Verkümmerung, alle Erstarrung und Dürre heilt. Der Akt, mit dem wir uns wirklich Gott übergeben, mit dem wir uns Gott in die Arme legen, dieser Glaube befreit uns von der stolzen und törichten Selbstgenügsamkeit, von dem erstarrenden Selbstkult, von der lichtlosen und luftlosen Enge des eigenen Ich. Dieser Glaube, meine lieben Freunde, mit dem wir uns Gott und dem Sohne Gottes und den Heiligen Gottes anvertrauen, um ihnen zu gehören, ist ein wahres Hinauswachsen der Seele über sich selbst. Man könnte diese Tat auch Liebe nennen. Dieser Glaube ist alles zugleich. Er ist Liebe und Hoffnung, er ist Dank, und er ist Empfangen, er ist ein Bitten und ein Schenken. Der Glaube ist eine wirkliche Aufopferung wie eine heilige Kommunion.

Freilich, er ist nur möglich gegenüber einer Persönlichkeit, die hell und licht ist wie die Wahrheit selbst, einer Persönlichkeit gegenüber, die wahr und gut ist wie ein Heimat, einer Persönlichkeit gegenüber, die groß und stark und milde ist wie Gott. Zur Heilung eines verkümmerten Lebens ist also zweierlei notwendig, erstens ein Du, an das man glauben kann, zweitens der Mut und der Wille zu glauben, eine Hingerissenheit, eine Begeisterungskraft, eine Überschwänglichkeit, um an dieses Du wirklich zu glauben. Wenn ein Mensch aus innerster Seele dahin gelangt ist, wo er mit glühendem Herzen sagen kann und sagen darf: Mein Licht bis du, meine Heimat bist, mein Leben bist du, mein Gott bist du, dann hat er diesen Glauben, der alle Verkümmerung heilt, dann fängt er an zu wachsen und zu blühen, dann ist er rein geworden und lebendig, dann hat ihm der Glaube geholfen.

Amen.

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