Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Juni 2017

Wir gehen mit Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten am vergangenen Donnerstag erkannt, dass die Fronleichnamsprozession ein Gehen mit Gott ist, ein buchstäbliches Gehen mit Gott, verhüllt in der Brotsgestalt der heiligen Hostie. Wie das Gehen mit Gott beschaffen sein will und wie unserer Seele gestimmt sein soll, das lehrt uns diese Prozession. Sie lehrt uns, dass unser Lebensweg ein heiliges Gehen, ein freudiges Gehen und ein gemeinsames Gehen sein muss. Das ist der Charakter, den Christus dieser Prozession gegeben hat, und diesen Charakter müssen wir übersetzen in unser Leben. Erstens: Es soll unser Lebensweg ein heiliger Weg sein. Heilig ist die Prozession, weil sie ausgeht von einem Heiligtum und führt zu einem Heiligtum. Die Prozession muss ausgehen von einem heiligen Ort und führen zu einem heiligen Ort, und so soll unser Leben sein. Es geht ja auch aus von einem heiligen Geschehen, nämlich vom schaffenden Willen Gottes, und es ist angelegt, in einem Heiligtum zu enden, in ein Heiligtum zu münden, nämlich in die seligmachende Liebe Gottes. Dieser Lebensweg ist von Anfang an etwas Ernstes und Wichtiges. Er ist kein Spielweg, er ist kein Spazierweg, sondern er ist ein Berufungsweg, ein Heimkehrweg, ein Entscheidungsweg. Wenn wir diese Prozession halten, dann vollziehen wir nicht einen Triumphzug, den wir Menschen feiern, sondern einen Huldigungszug, den wir Gott in Demut darbringen. Die Mainzer und ihre Umgebung kennen ja viele Züge, aber der Prozessionszug ist kein Zug dieser Art. Er ist ein eigener Zug, ein Zug der Anbetung, nicht ein Festzug, den wir für uns selbst veranstalten. Über diesem Prozessionszug steht geschrieben das Wort: Kommt, lasst uns anbeten. Lasst uns niederfallen und ehrfurchtsvoll sein. Nach diesem Vorbild soll auch unser Lebensweg gestaltet werden. Die Fronleichnamsprozession ist eine Veranstaltung, die uns lehren will, wie wir unseren Lebensweg heiligen sollen, sodass er buchstäblich ein Gottesdienst wird, eine Anbetung, ein Lobgesang, nicht auf unsere eigene Größe und Herrlichkeit, sondern auf die Größe und Heiligkeit Gottes. Das will Christus erreichen, dass wir lernen, unseren Lebensweg in Ernst und Ehrfurcht zu gehen, tief geneigt und in gleicher Weise in starker Bereitschaft zu Dienst und Hingabe an den allgegenwärtigen Gott. Unser Leben ist eine höchst ernsthafte Sache. Das fühlen wir alle, denn nur ein einziges Mal dürfen wir den Lebensweg gehen; entweder er gelingt oder er misslingt, es gibt keine Wiederholung, es gibt keine Nachbesserung. Der rechte Lebensernst ist der heilige Ernst des Fronleichnamszuges, der aus dem Bewusstsein und Glauben kommt, dass es ein heiliges Gehen ist, ein Gehen in Gottes Gegenwart und nach Gottes Willen. Von Gottes Willen kommen wir und nach dem von ihm gesetzten Ziel streben wir. Vergessen wir nie, meine lieben Freunde: Gottes Blick ruht auf uns während unseres ganzen Lebens. Er kennt unsere Absichten und Entschlüsse, er weiß um unser Ruhen und Aufstehen, und der ganze Himmel ist gespannt, was wir aus unserem Leben machen. Der Himmel hofft, dass wir die rechte Richtung einschlagen. Der Himmel betet für uns, dass wir uns nicht verirren, nicht stehenbleiben, nicht umkehren.

Der rechte Ernst ist aber, meine lieben Freunde, zweitens niemals hoffnungslos traurig. Im wahren Ernst ist immer eine geheime Freude wirksam, denn es ist der Ernst, den die Wahrheit einflößt, und die Wahrheit ist ein Geschenk Gottes, und die Geschenke Gottes sind von Freude begleitet. „Mein Volk seid ihr, und ich will euer Gott sein“, so steht gewissermaßen über der Prozession geschrieben und so steht es auch über unserem Lebensweg. „Es ist meine Freude, bei den Menschenkindern zu sein. Ich will euch erquicken, die ihr mühevoll und beladen seid.“ Gewiss, die Freude, die aus der Fronleichnamsprozession quillt, ist nicht die Freude von dieser Welt. Es ist nicht die Freude, die an Erfolge unserer Selbstsucht oder an den Rausch der Sinne anknüpft. Nein, wer mit offener Seele und mit bereitem Herzen in einer Fronleichnamsprozession mitzugehen vermag, der kann auch erfahren, dass es andere und wirkliche Freuden gibt, jene Freuden, die aus dem Glück der Kommunionbank, des Kommunionempfanges stammt, jene Freude, die in der Ehrfurcht und Reinheit im Dienst und im Opfer gewonnen wird. Ja, diese Freude würden wir übersehen, wenn uns die Eucharistie, das eucharistische Opfergeschehen nicht daran erinnern würde. Denn das ist ja ein Geheimnis eines gekreuzigten und doch seligmachenden Lebens, das Geheimnis eines Geopferten, der aber mit seinem Opfer den Himmel aufgeschlossen hat, das Geheimnis der Stille und der Verborgenheit, das aber zugleich das Geheimnis unermesslicher Kraft und weltüberwindender Tat ist. So ist die Fronleichnamsprozession eine der vielen Veranstaltungen, die Christus von seinem eucharistischen Heiligtum aus trifft, um unseren Lebensweg zu einem frohen Weg zu machen. Die Fronleichnamsprozession sagt uns, dass wir an der Lebensfreude nicht irre werden dürfen. Gewiss, freudlos ist der Lebensweg vieler Menschen. Aber nicht deswegen, weil es an Freude oder an Grund zur Freude mangelt, sondern weil die große Masse der Menschen die wahren Brunnen der Freude vergessen und verlassen hat. Es gibt in unseren Tagen und Nächten nur ein einziges wirklich helles Licht, und das ist das ewige Licht, das über unseren Altären leuchtet, das uns die Gegenwart der einzigen Freude anzeigt, die es gibt, nämlich der seelischen Freude, der liebenden Freude, der dienenden und opfernden Freude, der wirkenden und schaffenden und der gemeinschaftlichen Freude. Weil so viele dieses ewige Licht und seine frohmachende Sprache nicht sehen und nicht hören, deswegen will Christus einmal im Jahr heraustreten aus der Verborgenheit seiner Gotteshäuser mit dem Vorsatz im Herzen: Meine Freude soll in euch sein und meine Freude soll in euch vollkommen sein. Das ganze Leben dieser Mühseligen soll durch die Monstranz und das von ihr ausgehende Licht mit Freude umkleidet werden. Es soll unser Leben ein buchstäbliches Freudenfest aus der Kraft des eucharistischen Heilandes werden.

Die Prozession ist aber auch drittens ein gemeinschaftliches Gehen. Eine Prozession kommt nicht zustande, wenn nur einige, nur wenige mitgehen, es müssen ihrer viele sein, es muss die Gemeinschaft sein, die sich beteiligt. Eine Prozession kommt nur zustande durch das Zusammenwirken vieler, die ganze Gemeinde muss zusammen sein. Unser Pfarradministrator, Pater Jakob, tröstet sich über die geringe Menge der Teilnehmer an der Budenheimer Prozession hinweg, indem er sagt: Es haben halt viele Leute die „Brücke“ gemacht. Sie haben am Freitag freigenommen, und dann können sie vier Tage Urlaub machen. O, lieber Pater Jakob, wo sind denn die, die die Brücke nicht machen? Die sind ja auch nicht da gewesen! Alle kommen zusammen, und so als gemeinschaftliches Gehen ist diese Feier eine der vielen Veranstaltungen, mit denen Christus versucht und sich immer wieder bemüht, unser Gehen zu einem gemeinschaftlichen Gehen zu machen. Das ist ja der große Wunsch seines Herzens, dass alle eins werden, dass sie zusammen gehen, zusammen glauben, dass sie zusammenhalten, zusammen wirken, zusammen beten. Christus lässt seinen Ruf zur Gemeinschaft am Deutlichsten vernehmen in der Zeremonie der Fronleichnamsprozession, aber vorhanden und wirksam ist dieser Ruf immer: in jeder Kommunion, denn das ist ein Einswerden mit allen übrigen Kommunikanten, vor jedem Tabernakel, denn der Tabernakel ist ein Zentrum der Einheit. Die katholische Kirche bleibt im letzten Grunde nicht durch ihre Organisation eine Einheit, sondern weil sie den Tabernakel besitzt, weil das ewige Licht ihrer Altäre einen Mittelpunkt und einen Richtpunkt für alle suchenden und pilgernden Menschen darstellt. Wenn Jesus aufhören würde, unter uns zu wohnen, dann würde die letzte und die innerste Einheit, die es auf Erden noch gibt, die Einheit aller christusliebenden Seelen, auch noch zerfallen. Gewiss, der Erfolg einer Prozession, der Erfolg einer Messfeier, der Erfolg einer Kommunionfeier, der Erfolg der jahrhundertelangen Anstrengungen Christi scheint gering zu sein. Es bleibt vielfach bei den bloßen Symbolen. Sie bleiben schöne oder manchmal auch weniger schöne Zeremonien, sie werden nicht in allen Herzen lebendige, glühende Wirklichkeit. Aber Christus ist ein geduldiger Arbeiter, er ist der geduldigste aller Arbeiter. Es verschlägt ihm nichts, noch weitere Jahrtausende an seinem Volke zu arbeiten, noch weitere Millionenmale durch die Straßen zu ziehen mit der Prozession. Wenn auch der Gewinn eines einzelnen Tages, einer einzelnen Kommunionfeier und einer einzelnen Prozession gering erscheint, allmählich wird doch die Zahl seiner Auserwählten wachsen, und eines Tages wird sie voll sein. Und dann, dann ist das Gehen zu Ende. Dann sind wir angelangt im Heiligtum und dürfen Gott preisen in alle Ewigkeit.

Amen.

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