Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
5. Januar 2003

Das Dogma des eucharistischen Brotes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten seit geraumer Zeit von Dogmen des Lebens gesprochen. Das sind Glaubenswahrheiten und Glaubenssätze, die dem übernatürlichen Leben des Menschen dienen. Heute müssen wir von einem Dogma des Lebens sprechen, das wahrhaftig diesen Namen verdient, nämlich von dem Dogma des eucharistischen Brotes. Ein Geheimnis des Lebens ist dieses Dogma, ob es in der Monstranz ausgestellt wird oder ob es im Tabernakel verhüllt ist. Der Herr selbst sagt es ja, daß es ein Brot des Lebens ist, das heißt ein Brot, das Leben enthält und das Leben spendet. Ein Geheimnis ist es, das Geheimnis eines unbegreiflichen Daseins und einer unbegreiflichen Kraft. Diese Kraft ist eine Kraft der Tröstung, des Daheimseins und der Stärke.

Wir können das Geheimnis der Altäre nicht enthüllen. Es wird uns einmal enthüllt werden, wenn die Schleier dieser Zeit gefallen sind. Aber was wir darüber sagen können, das wollen wir sagen. Wir wollen unsere Erkenntnisse in drei Abschnitte teilen; wir wollen nämlich erstens sprechen von der leiblichen Gegenwart des Herrn, zweitens von den inneren seelischen Bewegungen, die der Herr in seiner leiblichen Gegenwart von sich ausgehen läßt, und drittens von den äußerlich sichtbaren Gebärden, in denen er die seelischen Bewegungen ausdrückt.

Wir sprechen zuerst von der leiblichen Gegenwart des Herrn. Was leibliche Gegenwart bedeutet, das wissen wir aus unserer Erfahrung. Ob ein Mensch da ist, oder ob er fern ist, ob er auf einem Friedhof liegt oder im Jenseits ist, davon hängt ungeheuer viel ab. Wenn wir seine Gegenwart spüren, seine Stimme hören, seine Augen sehen, seine Hand fühlen, dann sind wir getröstet. Wahrhaft liebende Menschen wissen, was es um die Gegenwart des geliebten Menschen ist. So hat auch Christus seine Gegenwart uns geschenkt, indem er sagte: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut.“ Das heißt: Das bin ich. Wir haben keinen Anlaß, diese Worte irgendwie abzuschwächen, sie irgendwie symbolisch zu erklären. Wir müssen sie so buchstäblich nehmen, wie er sie gemeint hat. Wenn er sagt: Das bin ich, dann müssen wir das so wahrnehmen, wie wenn er sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut.

Natürlich ist die Gegenwart der Seele das Entscheidende. Aber die Gegenwart des Leibes versichert uns der Gegenwart der Seele. Indem wir den Leib erkennen, und indem wir den Leib bei uns wissen, sind wir gewiß, daß seine Seele bei uns ist. Und deswegen hat Jesus auch nach seiner Auferstehung gesagt: Seht meinen Leib, seht meine Hände, seht meine Füße, daß ich es bin. Die leibliche Gegenwart verbürgt uns seine geistige Gegenwart. Er ist wahrhaftig und wirklich gegenwärtig, leiblich.

Der abgefallene englische Erzbischof Cranmer versuchte den katholischen Eucharistieglauben aus den Angeln zu heben, indem er sagte: „Jesus lebt doch mit seinem Leib im Himmel, wie kann er da auf der Erde sein?“ O Cranmer, du hast nicht verstanden die Macht und die Liebe unseres Gottes und Heilandes. Er vermag es, ein Stücklein Brot sich so anzueignen, daß er sagt: „Das ist mein Leib.“ Und er vermag ein Tröpfchen Wein sich so anzueignen, daß er sagen kann: „Das ist mein Blut.“ Er vermag sich gleichsam zu vermehren kraft seiner schöpferischen Gewalt.

Wir können, wenn wir einem Menschen nahe sein wollen, eigentlich nur in den Raum eintreten, in dem er sich befindet. Wenn wir räumlich bei ihm sind, dann sind wir ihm nahe, körperlich nahe. Jesus vermag eine ganz andere Nähe zu schenken, indem er sich ein Stücklein der Körperwelt aneignet und sich dadurch gegenwärtig setzt. Das ist mein Leib, das ist mein Blut – das bin ich. Das bin ich wirklich, wesentlich und wahrhaftig. Die leibliche Gegenwart läßt uns die Gegenwart seiner Seele erkennen und verbürgt sie uns.

Die seelischen Bewegungen, die Jesus im eucharistischen Opfersakrament bewirkt, sind zweifacher Art. Es ist einmal eine Bewegung zum Vater im Himmel. Wir wissen, daß sein ganzes Leben nichts anderes war als gehorsamer Dienst gegenüber dem Vater. Es war die Hingabe an den Vater, die sein Leben bewegte, und diese Bewegung nimmt er mit in die eucharistischen Gestalten. In den eucharistischen Gestalten ist er nicht anders gegenwärtig als in seinem ganzen irdischen Leben. „Siehe, Vater, einen Leib hast du mir bereitet; ich komme, deinen Willen zu erfüllen.“ Er geht also zum Vater als ein Sich-Opfernder, als ein Sich-Hingebender, als ein sich Vertrömender. Das ist seine Bewegung zum Vater, die er im eucharistischen Opfersakrament vollzieht. Aber indem er sich dem Vater hingibt, weiß er auch, daß der Vater ihn sogleich den Menschen zurückschenkt. Wenn der Vater ihn aufnimmt und sagt: „Du bist mein geliebter Sohn“, dann gilt zugleich, daß er sagt: Das ist der Sohn, der hingegeben wird für das Leben der Welt. Es ist also die zweite Bewegung, die Christus im eucharistischen Opfersakrament bewirkt, eine Hingabe an die Menschen. Er führt die Menschen, indem er sie an der Hand nimmt, zum Vater und sagt: Da sind sie, die meinen Namen kennen, die meinen Namen tragen. Vater, ich will, daß sie seien, wo ich bin. Ich will, daß sie da seien, wo ich meine Heimat habe. Sie sollen das Leben haben, so wie ich das Leben in mir trage. Sie sollen von mir leben, und sie sollen in mir leben. Das ist die zweite Bewegung, die Christus im eucharistischen Opfersakrament bewirkt. Es ist ein doppeltes Schenken. Eine Hingabe an den Vater: Siehe, Vater, ich komme als dein gehorsamer Knecht, und: Seht, ihr Menschen, ich gebe mein Leben hin als Sühnepreis, als Lösepreis für die vielen.

Dieser doppelten Bewegung entsprechen dann auch die Gebärden, in denen Christus sich im eucharistischen Opfersakrament zeigt. Es ist eine doppelte Gebärde, einmal, indem unter doppelter Gestalt seine Gegenwart bewirkt wird. Die Gestalt des Brotes deutet auf seinen Leib, der bleich und entseelt am Kreuze hing. Die Gestalt des Weines deutet auf sein Blut, das in der Erde wie in einem Kelch versickert ist. Diese Trennung der Gestalten deutet auf seinen Tod, auf die Vergießung seines Blutes. Die Trennung ist eben Andeutung, symbolische Darstellung seines Todes. Gleichzeitig sind diese Gestalten Nahrung und Trank. Sie werden den Menschen gereicht, damit sie sich davon nähren, damit sie sich davon zehren. Nehmt mich hin! Christus spricht nicht nur zum Vater. Nimm mich hin! Er sagt auch zu den Menschen: Nehmt mich hin! Esset von mir! Lebet von mir! Zehret von mir! Und so gibt er sich uns hin in den Gestalten von Speise und Trank. Wir sollen ihn aufnehmen, damit wir in ihm leben. Er will sich uns so zu eigen geben, wie die Speise unser eigen wird. Wir wissen ja, daß wir die Speise, die wir aufnehmen, die irdische Speise, in unseren Leib verwandeln. Ähnlich-unähnlich, ach, in weit überlegenerer Weise wird auch die Speise, die wir in der Eucharistie aufnehmen, in unser Leben verwandelt, in unser übernatürliches Leben, werden wir teilhaft göttlicher Natur, gewinnen wir Anteil an der Wirklichkeit unseres Herrn und Heilandes.

Jesus Christus geht mit ausgebreiteten Armen und mit geneigtem Haupt auf seinen Vater zu und spricht: Nimm mich hin als Opfer, als Sühneopfer für die Menschen. Er geht aber auch mit ausgebreiteten Armen und mit offenem Herzen auf die Menschen zu und sagt: Nehmt mich hin! Esset von mir! Lebet von mir! So kreist das Opferfeuer in tausend goldenen Kelchen über die Erde. In jeder Stunde des Tages wird irgendwo Christus geopfert, opfert sich Christus für uns. Und wenn die Menschheit auch noch so weit von Christus und von der Kirche entfernt ist, wenn sie auch noch so selten von wahrer Menschenliebe und Nächstenliebe erfüllt ist: Einer ist da, in dem diese Liebe zu Gott und diese Liebe zu den Menschen aufglüht wie eine Feuerflamme, Jesus Christus, unser Herr. Und diese Feuerflamme wandert um die ganze Erde, unaufhörlich, bis es einmal soweit sein wird, daß es Mittag wird und der Herr sprechen kann: Es ist vollbracht! Einmal wird dieser Zeitpunkt kommen, da legt er das Todesgewand ab, dann schließt er die Arme, die er ausgebreitet hat, um seine Geliebten und sagt: Nun bist du mein, nun bin ich dein. Nun sind wir eins.

Amen.

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