Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 1995

Die Verehrung der Heiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Freuen wir uns alle am Feste Allerheiligen!“ So beginnt der Introitus, das Eingangslied der heutigen heiligen Messe. Freuen sollen wir uns am Feste Allerheiligen. Unter den Heiligen verstehen wir jene Gläubigen, die im Stande der Gnade aus dieser Welt geschieden sind und sich jetzt in der Herrlichkeit des Himmels befinden. Alle, ohne Ausnahme, die diese beiden Voraussetzungen erfüllen, sind heilig. Aber in besonderer Weise nennen wir jene Heilige, die von der Kirche, genauer vom Papst heiliggesprochen sind. Die Heiligsprechung hat ihnen nicht das Himmelstor geöffnet; die Heiligsprechung hat sie nur als Heilige bekanntgemacht. Die Kirche verfügt über die untrügliche Gewißheit, daß bestimmte Personen mit Sicherheit das himmlische Ziel erlangt haben. Diese Sicherheit gewinnt sie einmal durch ein sorgfältiges Verfahren, das zur Heiligsprechung führt, und zum anderen durch den Beistand des Heiligen Geistes, der sie vor Irrtum in diesen für die ganze Kirche bestimmten Akten bewahrt. Freuen wir uns also alle am Fest der Heiligen, das wir heute begehen! – Um in das Verständnis der Heiligen und der Heiligenverehrung einzudringen, wollen wir drei Fragen stellen und drei Antworten versuchen:

1. Warum verehren wir die Heiligen?

2. Wodurch verehren wir die Heiligen?

3. Wie verträgt sich die Verehrung der Heiligen mit der Ehre Gottes?

Die erste Frage lautet: Warum verehren wir die Heiligen? Wir verehren die Heiligen, weil sie Freunde Gottes, Fürsten des Himmels und unsere Wohltäter sind. Wir haben soeben das schöne Lied gesungen „Ihr Freunde Gottes allzugleich“. Diese Bezeichnung der Heiligen als Freunde Gottes ist berechtigt, denn wer im Stande der heiligmachenden Gnade ist und gar mit der himmlische Herrlichkeit beschenkt ist, der kann nur ein Freund Gottes sein. Gott liebt die Heiligen, und er hat sie ausgezeichnet durch die himmlische Herrlichkeit. Sie sind Fürsten des Himmels. Im Himmel sind unendlich viele Menschen, die heilig geworden sind, die das Ziel erlangt haben. Aber die Heiligen, die wir mit Namen nennen und anrufen, sind vor anderen hervorgehoben. Im Himmel gibt es keinen Neid, daß etwa der eine dem anderen eine höhere Stellung nicht gönnt. Nein, aber es gibt im Himmel eine Hierarchie, auch unter den Heiligen, und unter ihnen haben die von der Kirche Kanonisierten eine besondere Stellung; sie sind Fürsten des Himmels. Sie haben einen Vorrang vor anderen und werden von Gott in besonderer Weise eingesetzt, um den Menschen Wohltaten zu erweisen. Schon auf Erden haben uns die Heiligen Wohltaten erwiesen. Der heilige Bonifatius hat das Heidentum in unseren Ländern zurückgedrängt und überwunden, er hat das Christentum gebracht, Bistümer gegründet. Wir nennen ihn den Vater des Glaubens. Und als der Protestantismus unseren Glauben zu zerstören suchte, hat Gott andere Heilige erweckt, die sich dieser Woge entgegenstemmten, den heiligen Ignatius, den heiligen Petrus Canisius. Sie haben den Glauben in unseren Landen erhalten. So kann man bei allen Heiligen angeben, was wir durch sie erlangt haben. Sie sind unsere Wohltäter schon auf Erden gewesen. Und erst recht sind sie unsere Wohltäter in der Ewigkeit; denn sie bitten am Throne Gottes für uns, sie machen unsere Anliegen zu den ihren, sie tragen unsere Flehrufe vor Gott, und das ist der Dienst, den sie uns erweisen. So ist es kein Wunder, daß die Kirche auf dem Konzil von Trient gegen die Glaubensneuerer gesagt hat: Es ist gut und nützlich, die Heiligen zu verehren. Wir verehren die Heiligen, weil sie die Freunde Gottes, weil sie die Fürsten des Himmels und weil sie unsere Wohltäter sind.

Zweitens, wodurch verehren wir die Heiligen? Wir leben in der Gemeinschaft der Heiligen. Das heißt, alle, die durch die Gnade mit Gott verbunden sind, sind auch untereinander verbunden. Und so sind wir, die wir noch pilgern, mit jenen, die das Ziel der Pilgerschaft erreicht haben, verbunden. Wir zeigen diese Verbundenheit auf mannigfache Weise. Wir verehren die Heiligen, indem wir ihre Fürbitte anrufen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt bei der Heiligenverehrung. Wir zeigen damit das Vertrauen, das wir auf sie setzen. Die Heiligen hören uns und tragen unsere Gebete vor den Thron der Allmacht. Die Anrufung der Heiligen darf nicht aus unserem Herzen und von unseren Lippen weichen. Es scheint, daß Gott bestimmte Heilige für bestimmte Anliegen gleichsam bestellt hat. Es ist durchaus berechtigt, in bestimmten Anliegen bestimmte Heilige anzurufen. Wir wenden uns etwa an die heilige Ottilie bei Augenleiden; wir rufen den heiligen Florian an, daß er uns vor Feuersnot beschütze; wir gehen zum heiligen Johannes Nepomuk, damit wir mit der Zunge nicht sündigen, denn er ist der Martyrer des Beichtsiegels. So kann man bei allen Heiligen angeben, wofür sie gleichsam von Gott bestellt sind. Wie oft haben wir schon, wenn wir etwas verloren hatten, den liebenswürdigen heiligen Antonius von Padua angerufen, und wie oft hat seine Fürbitte uns den verlorenen Gegenstand zurückgebracht!

Die erste Weise also, wie wir die Heiligen verehren, ist die Fürbitte. Die zweite, indem wir ihre Feste feiern. Jeder Tag ist bestimmten Heiligen gewidmet. Wir gedenken ihrer an diesen Tagen, wir feiern die heilige Messe im Andenken an die Heiligen, wir stellen ihre Bilder auf und besuchen die Stätten, an denen sie gewirkt haben. Wir feiern ihre Feste und ehren damit die Heiligen. Heute ist das Fest aller Heiligen. Heute wird die gesamte Summe derer, die die Freude des Himmels gewonnen haben, in einer Festlichkeit zusammengefaßt. Deswegen ist es auch ein so großes und so herrliches Fest. Keiner ist ausgelassen, keiner vergessen, alle sind eingeschlossen.

Wir verehren die Heiligen, indem wir ihre Bilder und Reliquien hochschätzen. Jeder von uns trägt ein Bild seiner lieben Angehörigen im Herzen. Aber wir haben ihre Bilder auch in unseren Wohnungen, in unseren Alben aufbewahrt. Wir halten die Bilder unserer Lieben in Ehren, und Gegenstände, die sie benutzt haben, schätzen wir und bewahren wir sorgfältig auf. Um wieviel mehr muß das gelten von denen, die mit Sicherheit den Sieg über Sünde, Tod und Hölle gewonnen haben! Die Bilder der Heiligen werden in den Kirchen aufgestellt, in unseren Häusern; die Reliquien der Heiligen, also ihre Überbleibsel, werden verehrt; wir küssen sie zum Zeichen, daß wir sie lieben und daß wir auf ihre Fürbitte vertrauen.

Wir verehren die Heiligen weiter, indem wir ihre Namen tragen. Jeder sollte bei der Taufe den Namen eines Heiligen zugelegt bekommen, denn der Heilige soll sein Patron, also sein Schutzherr oder seine Schutzfrau, und sein Vorbild sein. Das ist der doppelte Sinn der Namengebung, Patronat und Vorbildfunktion. In meiner Jugend war es üblich, daß auch bei der Firmung noch ein Heiligenname gewählt oder zugelegt wurde. Man hat also einen zweiten Patron bei der Firmung gewonnen, durch den Firmnamen. Das ist ein sehr schöner und sehr nützlicher Brauch. Wenn man gefirmt wird, ist man ja mit den Geheimnissen des Glaubens besser vertraut als bei der Taufe und kann sich darum den Namen selbst wählen, ihn mit Bedacht wählen. Und er soll uns voranleuchten durch seine Tugendkraft und sein heiliges Leben.

Wir verehren die Heiligen, indem wir Gegenstände und Orte unter ihren Schutz stellen. Wenn Sie einmal, meine lieben Freunde, das Verzeichnis der Postleitzahlen durchschauen, dann finden Sie unter der Rubrik S (Sankt) eine Menge von Orten, die den Namen von Heiligen tragen. In Deutschland, in Österreich, in England, in Frankreich gibt es viele Orte, die den Namen von Heiligen tragen. Das beginnt bei St. Andrä in Österreich und endigt bei St. Zeno. Diese Orte sind durch die Namengebung unter den Schutz des Heiligen, dessen Namen sie tragen, gestellt: St. Ulrich, St. Peter, ja sogar St. Pauli in Hamburg. Diese Namen sind ein Zeichen dafür, daß unsere gläubigen Vorfahren auf den Schutz der Heiligen vertraut haben und daß sie ihnen ein ehrendes Gedenken widmen wollten.

Freilich, die beste Verehrung der Heiligen geschieht nicht durch äußere und manchmal äußerliche Dinge; die beste Verehrung der Heiligen geschieht durch die Nachahmung. Wer nur äußerlich, mit äußeren Dingen die Heiligen ehrt, der hat den Sinn der Heiligenverehrung recht wenig verstanden. Wir sollen ihnen nachfolgen. Sie sind das gelebte Evangelium. Sie sollen uns voranleuchten. Wir sollen uns an ihnen ausrichten, und indem wir ihre Tugenden nachahmen, verehren wir sie so, wie sie selbst es wünschen. Die beste Verehrung der Heiligen ist die Nachahmung ihres Lebens. Gewiß, nicht alles, was Heilige getan oder auch gesagt haben, eignet sich zur Nachahmung. Manches ist nur zu bewundern, wie man richtig sagt, und nicht nachzuahmen. Die Heiligen haben selber Fehler eingeräumt, die sie gemacht haben. Zum Beispiel hat der heilige Bernhard im reiferen Alter die furchtbare Strenge seines Lebens in der Jugend bedauert, denn dadurch hat er seine Gesundheit zugrundegerichtet.

Wir verehren also die Heiligen, indem wir ihre Feste feiern, indem wir ihre Namen über uns anrufen, indem wir sie um ihre Fürbitte angehen, indem wir ihren Schutz auf Gegenstände und Orte herabrufen.

Drittens, wie verträgt sich die Verehrung der Heiligen mit der Ehre Gottes? Ist es nicht, wie uns die Feinde der Heiligenverehrung sagen, eine Beeinträchtigung, eine Schmälerung der Ehre Gottes? Nimmt man nicht Gott etwas, wenn man neben ihm noch andere verehrt? Die Antwort lautet erstens: Wir verehren die Heiligen um Gottes willen. Die Heiligen sind ein Abglanz Gottes. Ihre Taten sind Gottes Geschenk, seine Gnade war in ihnen mächtig. Es wäre geradezu undankbar gegen Gott, wollten wir die Heiligen nicht verehren, wollten wir seine Machttaten in den Heiligen nicht preisen. Das wäre eine Schmälerung Gottes, wenn wir gleichgültig vorübergingen an dem, was er in den Heiligen und durch die Heiligen getan hat. Nein, es ist keine Schmälerung der Ehre Gottes, es ist eine Erhöhung seiner Ehre, wenn wir die Heiligen verehren. Denn Gott ist mächtig und wunderbar in seinen Heiligen. Er hat sie als seine Werkzeuge benutzt, und man muß den Werkmeister preisen, der diese Werkzeuge in so herrlicher Weise verwendet hat.

Und zweitens: Wir verehren die Heiligen nicht so, wie wir Gott ehren. Gott beten wir an. Anbeten heißt, seine völlige Unterwerfung und gänzliche Abhängigkeit bezeugen. Davon kann bei der Heiligenverehrung keine Rede sein. Weder völlige Unterwerfung noch gänzliche Abhängigkeit wird den Heiligen gezollt, sondern wir verehren sie als Geschöpfe, die in unendlichem Abstand vom Schöpfer stehen. Wir beten Gott allein an, wir bringen das Opfer Gott allein dar. Keinem Heiligen wird das Meßopfer dargebracht. Wir gedenken ihrer beim Meßopfer, wir bitten sie, daß sie beim Meßopfer zugegen sind und wir danken beim Meßopfer für das, was Gott an ihnen getan hat. Aber das Meßopfer als das einzige Opfer des Neuen Bundes wird nur dem Schöpfer, wird nur dem allmächtigen Gott dargebracht. Wir verehren die Heiligen, aber wir beten Gott an. Das Lateinische hat entsprechende Ausdrücke ausgebildet, um den wichtigen und unüberbrückbaren Unterschied zwischen Verehrung der Heiligen und Anbetung Gottes auszudrücken. Das Lateinische spricht bei der Anbetung Gottes von latria und bei der Verehrung der Heiligen von veneratio. Latria ist die Anbetung, die Übergabe, die gänzliche Hingabe, während veneratio eben die Hochachtung, die Dankbarkeit ausdrückt, die den Heiligen geschuldet ist.

Wir sollten, meine lieben Freunde, die Verehrung der Heiligen in unserem Leben kräftigen. Wir sollten täglich unseren Namenspatron, unseren Firmpatron, wenn wir einen haben, anrufen. Wir sollten oft zu den heiligen Vierzehn Nothelfern beten. Das ist ein besonders wichtiger Akt der Verehrung, diese Gruppe von Heiligen, die ja in unseren Breiten auch besonders verehrt werden, zu unseren ständigen Begleitern zu machen. Wir sollten natürlich Maria, die Königin der Heiligen, über allen anderen mit der Hochverehrung bedenken. Die Heiligen werden es uns entgelten, wenn wir sie um ihre Fürbitte anrufen. Wie heißt es doch so schön in der letzten Strophe des Liedes „Ihr Freunde Gottes allzugleich“: „Wir bitten euch durch Christi Blut, die ihr nun weilt beim höchsten Gut: Tragt vor die Not der Christenheit der Heiligsten Dreifaltigkeit! Helft uns in diesem Erdental, daß wir durch Gottes Gnad und Wahl zum Himmel kommen allzumal!“

Amen.

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