Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wer ist dieser Jesus (Teil 13)

31. Dezember 2000

Die Genugtuung durch Jesus Christus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir müssen wissen, wem wir getraut haben. Deswegen stellen wir seit vielen Sonntagen unermüdlich die Frage: Was dünkt euch von Jesus? Wir müssen wissen, wer Jesus ist, und wir müssen wissen, was wir von ihm zu erwarten haben. Wir hatten an den vergangenen Sonntagen ihn als den Sieger über den Teufel, Tod, Sünde und Leid erkannt. Aber damit nicht genug. Er ist der Sieger über all diese Mächte, insofern er derjenige ist, der Gott genuggetan hat. Er ist derjenige, der die Genugtuung vollbringt, d. h. der Sühne leistet für die Sünden der Menschen. Genugtuung ist uns aus dem Geschäftsverkehr des Alltags bekannt. Genugtuung ist die Befriedigung einer Forderung, vor allem die Wiedergutmachung einer Beleidigung. Und dieses Wort wird nun übertragen auf das, was Jesus für uns getan hat. Er hat für uns genuggetan. Er hat die Ehre Gottes, die durch die Sünde verdunkelt war, wieder in helles Licht gesetzt. Er hat Sühne geleistet für die Schuld der Menschen, für uns, d. h. an unserer Stelle und zu unseren Gunsten. Als er auf Golgotha stand, da leistete er den Sühnetod an unserer Stelle. Er starb den Tod, den wir hätten sterben müssen; er ist der Stellvertreter. Sein Sühnetod war ein stellvertretender Sühnetod für uns.

Die Kirche hat es als einen Glaubenssatz formuliert, daß Christus durch sein Leben, Leiden und Sterben für uns genuggetan hat, daß er für uns Sühne geleistet hat. Das Konzil von Trient erklärt: „Dazu kommt, daß wir durch die Genugtuung, die wir für die Sünden leiden, Christus Jesus gleichförmig werden, der für unsere Sünden genuggetan hat.“ Das ist der entscheidende Satz: Christus, der für unsere Sünden genuggetan hat. Aber nicht nur das Konzil von Trient, auch frühere Kirchenversammlungen haben diese Wahrheit ausgesprochen, z. B. das Konzil von Toledo im Jahre 675: „In dieser angenommenen Menschengestalt ist er nach unserem Glauben, gemäß der Wahrheit des Evangeliums, ohne Sünde empfangen, ohne Sünde geboren, ohne Sünde gestorben. Nur um unseretwillen ist er Sünde geworden, d. h. Sühneopfer für unsere Sünden.“ Um noch eine letzte Stelle anzuführen: Der große Papst Pius XI. hat im Jahre 1928 erklärt: „Gewiß, die Erlösung Christi war überreich und hat uns im Übermaß alle Missetaten vergeben. Doch müssen wir uns dabei bewußt bleiben, daß wir Genugtuung leisten müssen, aber diese Genugtuung ist nur wertvoll in der Kraft Christi. Die eigene Genugtuung lebt von der Sühnekraft des einen. blutigen Opfers Christi.“

Was die Kirche hier in ihren Lehrentscheidungen bekannt hat, das ist nichts anderes, als was in der Heiligen Schrift grundgelegt wird. Der Prophet Isaias hatte ja von dem Gottesknecht gesagt, daß er „unsere Leiden getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir hielten ihn für geschlagen, für getroffen von Gott und geplagt. Doch ob unserer Sünden ward er verwundet, ob unserer Frevel zerschlagen. Zu unserem Heil lag Strafe auf ihm. Durch seine Striemen wurden wir geheilt.“ Was das Alte Testament im Bild, in der Gestalt des Gottesknechtes ankündigt, das ist im Neuen Testament erfüllt worden. Jesus, unser Heiland, sagt: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Als Lösegeld für viele! Und beim Letzten Abendmahl, da spricht er: „Das ist mein Blut des Neuen Bundes, das für viele vergossen wird.“ Er, der Eine, vergießt sein Blut für die Vielen, d. h. für alle. Der Apostel Paulus hat die Verkündigung Christi aufgenommen und ihn als den sühnenden und erlösenden Messias geschildert. „Um uns aus dieser schlimmen Welt zu retten, hat er sich selbst für unsere Sünden dahingegeben. So war es der Wille unseres Gottes und Vaters.“ An einer anderen Stelle: „Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes erlöst, da er für uns zum Fluch geworden ist.“ Zum Fluch ist Christus geworden, weil er den Sklaventod am Kreuze gestorben ist. Aber es war nicht seine Schuld, die er da gebüßt hat, sondern es war die Schuld der Menschen. Deswegen kann Paulus an einer anderen Stelle schreiben: „Ihn hat Gott dargestellt als blutiges Sühneopfer.“ Als Sühneopfer für uns, an unserer Stelle und zu unserem Nutzen.

Die Sühne, die Christus leistete, war der Schuld ebenbürtig, ja überlegen. Er war imstande, die Schuld der Menschen zu sühnen aus einem doppelten Grund. Einmal, weil er ein Mensch war. Als Mensch konnte er das Gericht über sich ergehen lassen, das Gericht des Todes, des Straftodes. Sodann, weil er Gott war. Als Gott konnte er das Grauen der Sünde ausmessen und auf sich nehmen. Die Tiefe der Sünde ist für einen Menschen nicht auslotbar. Es mußte ein Gott kommen, um die Sünde auszumessen und auf sich zu nehmen. Seine Liebe überstrahlte den Haß, der in der menschlichen Sünde emporgekommen war. Gott hat dadurch seine Ehre wiederhergestellt. Die Wiederherstellung der Ehre Gottes geschieht in folgender Weise: einmal von Gott her. Er hat seinen Sohn hingegeben, seinen geliebten, einzigen Sohn für uns hingegeben. Jetzt ist seine Liebe unübersehbar. Jetzt kann niemand mehr sagen: Gott liebt uns nicht. Und von seiten Christi: Christus hat die Herrlichkeit, die Herrschaft des Vaters anerkannt, indem er sich selbst in den Tod gab. Er hat durch seinen Gehorsam die Schuld, den Ungehorsam der Menschen ausgelöscht. Jetzt ist die Ehre Gottes wiederhergestellt; jetzt kann niemand mehr sagen: Ich kann nicht an Gott glauben, weil das Leid und die Schuld der Menschen zu groß ist. Nein, gegenüber dem Liebestod, den Christus für uns gestorben ist, verblaßt ein solcher Vorwurf.

Die abendländische Theologie hat von Anfang an, seit Tertullian, seit Cyprian, aber besonders lichtvoll seit dem heiligen Anselm von Canterbury, den Genugtuungscharakter des Todes Christi herausgearbeitet. Der heilige Anselm von Canterbury hat in seiner Schrift „Cur deus homo?“ – Warum ist denn Gott ein Mensch geworden? folgende Lehre vorgetragen, die von der Kirche auch akzeptiert worden ist: Die Sünde hat die Ehre Gottes beeinträchtigt. Angesichts der Sünde kann man fragen: Was ist das für ein Gott, der eine solche Welt schafft? Die Sünde ist eine Kränkung Gottes, und die Kränkung wird nach dem bemessen, der gekränkt wird. Wenn also Gott, der Unendliche, gekränkt wird, dann ist das eine unendliche Kränkung. Eine unendliche Kränkung kann ein endlicher Mensch nicht gutmachen. Um eine unendliche Kränkung aufzuarbeiten, muß eine unendliche Persönlichkeit die Arbeit leisten, und das ist der Gottmensch Jesus Christus. Er hat eine ebenbürtige, nein, eine überfließende Genugtuung für die Gott angetane Beleidigung geleistet.

Der heilige Thomas hat dieser Lehre Anselms von Canterbury aufgenommen und vertieft. Er sagt: Die Gott angetane Beleidigung ist nur der Intention nach, der Absicht nach, moralisch unendlich, während die Genugtuung, die Jesus leistet, physisch, dem Sein nach unendlich ist. Sie bedarf auch keiner Annahme; sie ist in sich von unendlichem Wert. Nur um diese Genugtuung auf die Menschen sich auswirken zu lassen, ist die Annahme Gottes notwendig.

Diese Lehre vermag uns deutlich zu machen, was es ist um die Genugtuung, die Jesus geleistet hat. Die Ehre Gottes wird durch die Sünde verdunkelt. Angesichts der Schuld, die die Menschen auf sich laden, angesichts der Empörung, die sie gegen Gott richten, kann die Frage entstehen: Was ist das für ein Gott, der eine solche Welt geschaffen hat, der solche Menschen geschaffen hat? Diese Frage wird zum Schweigen gebracht, wenn wir bedenken, was Gott für die Welt getan hat und was Christus für die Welt getan hat. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern ihn für alle hingegeben. Da wird seine Gerechtigkeit und seine Liebe deutlich wie nie zuvor. Gegen diese Liebe ist kein Einwand mehr möglich. Und Christus hat sich selbst zum Opfer gebracht, um die Oberherrlichkeit des Vaters anzuerkennen, um genugzutun für die Sünden der Menschen. Wir haben jetzt einen, an den wir uns klammern können, zu dem wir sagen können: Meine Genugtuung, die ich vollbringe, ist winzig, ist geringfügig, ist in keiner Weise ausreichend, das zu sühnen, was ich angerichtet habe. Aber da ist einer, der hat für mich genuggetan. Wir brauchen uns nur an Christus anzuschließen. Wir brauchen nur Christus als unseren Herrn anzuerkennen, im Glauben und in der Liebe uns ihm zu übergeben, dann wird seine Genugtuung, die er als Haupt der Menschheit auf Golgotha vollbracht hat, unsere Genugtuung.

Meine lieben Freunde, die Lehre von der Genugtuung ist auch in das Glaubensbewußtsein des katholischen Volkes übergegangen. Wenn die Osterzeit kommen wird, dann werden wir wieder singen:

Gelobt sei Gott im höchsten Thron

samt seinem eingebor’nen Sohn,

der für uns hat genuggetan.

Alleluja.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt