Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Schöpfung (Teil 7)

3. Oktober 1999

Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen hatten wir uns das Schöpfungswerk Gottes vor Augen geführt. Wir beten ja immer im Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den Allherrscher, den Schöpfer Himmels und der Erde.“ Gott hat aber seine Schöpfung, nachdem er sie ins Leben gerufen hatte, nicht sich selbst überlassen, sondern er erhält sie im Dasein. Gott ist nicht nur Schöpfer, Gott ist auch Erhalter der Welt. Die Kirche hat das in ihrer Lehrverkündigung immer festgehalten, etwa auf dem I. Vatikanischen Konzil: „Alles, was Gott schuf, schützt und leitet er mit seiner Vorsehung, kraftvoll von einem Ende zum anderen reichend und alles mit Milde ordnend.“ Auch das Konzil von Trient hat in seinem Katechismus diese Wahrheit ausgesprochen, wenn es dort heißt: „Was sich bewegt, was in Tätigkeit ist, dem gibt Gott durch innerliche Kraft den Antrieb zu Bewegung und Tätigkeit, so zwar, daß er, ohne die Wirksamkeit der geschaffenen Ursachen zu hindern, ihnen doch zuvorkommt.“ Also alles, was sich bewegt und was tätig ist, alles, was wächst und gedeiht, das verdankt seine Tätigkeit, sein Wachsen und Gedeihen dem innerlichen Antrieb Gottes. Gott erhält die Welt also nicht nur mittelbar, indem er die Voraussetzungen schafft, damit Früchte auf den Feldern gedeihen, indem er also Regen sendet und Sonnenschein und die Wachstumskräfte in den Boden legt, nein, er erhält die Welt auch unmittelbar, indem er innerlich in den Dingen wirkt. Er gewährt und gewährleistet einem jeden Ding, auch jedem Menschen, seine Existenz. Das nennen wir die erhaltende Tätigkeit Gottes.

Davon ist im Alten Testament häufig die Rede, wenn beispielsweise gesagt wird zu Gott: „Dein ist der Tag und dein ist die Nacht; Mond und Sonne hast du den Platz zugewiesen, hast festgelegt die Grenzen der Erde, hast Sommer und Winter geschaffen.“ Gott hat sich also nicht zur Ruhe gesetzt, als er die Welt geschaffen hatte, sondern er erhält sie fortdauernd im Dasein. Vor allem das Buch der Weisheit spricht oft von der erhaltenden Tätigkeit Gottes. „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis. Er, der das All umfaßt, kennt jegliche Rede. Das ganze Weltgefüge wird von Gott gehalten durch die Kraft seines Geistes.“ An einer anderen Stelle heißt es im Buch der Weisheit: „Der Herrscher des Alls hat vor niemandem Furcht. Er scheut sich vor keinem der Großen. Er hat ja den Kleinen und den Großen geschaffen. In gleicher Weise sorgt er für alle.“ In gleicher Weise sorgt er für alle. „Er ist der Herr der Zeit; er ist der Herr des Lebens und des Todes.“ Wiederum an einer anderen Stelle wird gesagt: „Du erbarmst dich aller, weil du alles vermagst, übst Nachsicht mit den Sünden der Menschen, damit sie Buße tun, denn du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du geschaffen. Denn hättest du etwas gehaßt, dann hättest du es nicht geschaffen. Wie könnte etwas bestehen, wenn du es nicht willst?“ Hier haben wir die Erhaltung Gottes deutlich ausgesprochen: „Wie könnte etwas bestehen, wenn du es nicht willst?“ Und noch an einer letzten Stelle im Buch der Weisheit: „Obschon du die Macht gebietest, hältst du doch mildes Gericht und herrschest über uns mit großer Schonung. Es ist kein anderer Gott, der für alles sorgt, so daß du ihm beweisen müßtest, du habest nicht ungerecht gerichtet.“ Kein anderer Gott erhält die Welt im Dasein als derselbe, der sie geschaffen hat.

Auch im Neuen Testament wird die Lehre von der Erhaltung der Welt durch Gott ausgesprochen und vorausgesetzt. Einmal machen dem Heiland die Pharisäer den Vorwurf, daß er am Sabbat heile. Da entgegnet er: „Warum soll ich am Sabbat nicht heilen? Mein Vater wirkt ja auch immerfort. Er wirkt allezeit, er wirkt auch am Sabbat. Und wenn mein Vater am Sabbat wirkt, warum sollte ich nicht am Sabbat Heilungswunder vollbringen? Mein Vater wirkt bis jetzt, so wirke auch ich.“ Er hat sich dem Vater angeglichen in seinem immerwährenden Wirken. Der Apostel Paulus spricht dieselbe Wahrheit aus, wenn er sagt: „In Christus ist alles erschaffen, und in ihm hat alles seinen Bestand.“ Also nicht nur erschaffen ist alles in Christus, sondern es besteht auch in Christus. Weil Christus ist und weil Christus es will, deswegen hat die Schöpfung ihren Bestand. Im Hebräerbrief wird noch deutlicher gesagt: „Er trägt alles mit dem Hauch seines Mundes.“ Er trägt alles mit dem Hauch seines Mundes. Und deswegen kann der Apostel Petrus die Gläubigen auffordern: „Werft alle Sorge auf den Herrn; er sorgt für euch.“ Er sorgt deswegen für die Menschen, weil er sie im Dasein erhält.

Das ist die Lehre der Schrift über die Erhaltung der Welt durch Gottes allmächtigen Willen. Die Kirchenväter haben diese Lehre aufgenommen und entwickelt. Sie greifen dabei gewöhnlich auf die erwähnte Stelle im Johannesevangelium zurück, wo der Herr sich gegen die Vorwürfe wegen seiner Sabbatheilungen verteidigt. So schreibt beispielsweise der heilige Augustinus: „Darum ist jene Ruhe am siebenten Tage so zu verstehen, daß Gott aufhörte, die natürlichen Dinge zu schaffen, nicht aber aufhörte, sie, nachdem sie erschaffen waren, zu regieren. Des Schöpfers Macht und des Allmächtigen und Allerhaltenden Kraft ist jeglicher Kreatur Ursache ihres Bestehens. Wenn diese Kraft einmal aufhörte, das, was geschaffen ist, zu lenken, so wäre alsobald ihre Gestalt am Ende, und jegliche Kreatur würde zusammenfallen.“

Wenn wir diese Lehre von der Erhaltung der Welt durch Gott uns mit dem Verstande klar machen müssen, so können wir zwei Beweisgänge versuchen. Einmal hat Gott die Welt nicht nur nach ihrem Wesensbestande, sondern auch nach ihren Daseinsweisen erschaffen. Welches sind die Daseinsweisen der Welt? Räumlichkeit und Zeitlichkeit. Die Zeithaftigkeit ist das Maß des Werdens aus der Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft. Die Zeithaftigkeit ist genauso von Gott geschaffen wie die Dinge selbst. Infolgedessen ist auch das Werden und das Bestehen und das Wachsen in die Zukunft von Gott gehalten. Ein anderer Beweisgang knüpft an an die Kontingenz der Dinge. Kontingenz besagt, daß die Dinge ihr Sein nicht kraft ihres Wesens haben, sondern durch Teilnahme am Sein eines anderen, nämlich am Sein Gottes. Die Dinge müssen nicht da sein, wenn Gott sie nicht gewollt und geschaffen hätte. Und diese Kontingenz ist eine durchgängige Wesenseigentümlichkeit aller Geschöpfe. Sie sind daher von Gott nicht nur abhängig in ihrem Entstehen, sondern auch in ihrem Bestehen. Sie sind immer von ihm abhängig. Das nennt man die erhaltende Tätigkeit Gottes.

Das hat gewichtige Folgerungen, meine lieben Christen. Einmal müssen wir dafür dankbar sein, daß Gott, was er geschaffen hat, im Dasein erhält, daß er die Welt durch die Kraft seiner Allmacht lenkt, daß er uns (heute, am Erntedanksonntag) die Gaben des Feldes und der Bäume schenkt. Die erhaltende Tätigkeit ist Anlaß zur Dankbarkeit. Die erhaltende Tätigkeit ist aber auch Grund zur Demut. Denn alles, was gewirkt wird, wird von Gott gewirkt. Wir stimmen gewissermaßen nur ein in das, was Gott wirkt. Gott ist allursächlich. Wie einmal ein geistlicher Schriftsteller geschrieben hat: „Alles, was außer ihm ist, das ist durch ihn und von ihm und in ihm. Das ist, weil er es will und wie er es will. Nichts kann anders werden, wenn er es nicht will. Niemand ist klug gegen ihn und stark gegen ihn. Niemand kann am Werden der Schöpfung etwas ändern, wenn er es nicht will.“

Das hat dann sogar Auswirkungen auf die Feinde Gottes. Die Feinde Gottes können ihre Macht nicht mehr betätigen, als Gott es zuläßt. Wenn Gott ihm seine Kraft nicht mehr gibt, dann kann der Mörder nicht mehr morden, der Räuber nicht mehr rauben, der Unterdrücker nicht mehr unterdrücken. Wenn Gott ihm seine Kraft nicht mehr gibt, dann kann der Teufel nicht mehr umhergehen, suchend, wen er verschlinge. Dann kann die Hölle nicht mehr gegen ihn knirschen und ihn nicht mehr lästern. Wenn Gott dem Sünder seine Kraft entzieht, dann geschieht keine Sünde mehr. Wenn ihr Gott seine Kraft entzieht, in diesem Augenblick ist die Hölle für immer still.

Wir können, meine lieben Freunde, einen dreifachen Welteinsatz Gottes unterscheiden. Der erste Welteinsatz Gottes geschah, als er die Welt ins Dasein rief, und diese Entscheidung nimmt Gott nicht mehr zurück. Er vernichtet nicht das, was er einmal ins Dasein gerufen hat. Als die Menschen durch ihre Sünde die Welt verdorben hatten, da machte er den zweiten Welteinsatz. Da hat er sich aufgemacht, die Verderbnisse der Welt zu heilen; da hat er seinen Sohn gesandt. In der Menschwerdung ist die Welt in der Tiefe bereits geheilt worden. Aber diese Heilung ist noch verborgen. Die Heilung der Welt durch Christus hat sich angekündigt in seinen Wundertaten. Sie ist zum Gipfel emporgestiegen in seiner Auferstehung. Der auferstandene Christus ist ja das Urbild aller Erlösung und die Kraft aller Erlösung. Aber wie gesagt: Noch ist die Welt nicht vollendet. Es bedarf eines dritten Welteinsatzes, um die Welt zu vollenden. Einmal wird Gott die Welt verwandeln. Er wird die Daseinsformen der Welt umgestalten, so daß sie durchsichtig werden für die Herrlichkeit Gottes. Auch jetzt ist es möglich, mit den Augen des Glaubens und mit gutem Willen Gottes Schöpfertum in der Schöpfung zu erkennen. Aber unsere Augen sind gehalten, und die Welt ist durch die Menschen verdorben. Wenn der neue Himmel und die neue Erde sich herabsenken, dann werden alle Verderbnisse beseitigt sein, dann wird die Welt ein Transparent, ein leuchtendes Bild der Herrlichkeit Gottes werden. Das wird der dritte Welteinsatz Gottes sein. Dieser Welteinsatz kann in Jahrmillionen  erfolgen oder in der nächsten Sekunde. Er ist beschlossen im unerforschlichen Willen Gottes. Deswegen sind wir trotz der erhaltenden Tätigkeit Gottes in einer tiefen Ungesichertheit, in einer Ungesichertheit, die jede irdische, menschliche Ungesichertheit weit übertrifft. Wir sind über das Nichts gehalten, freilich von der Hand Gottes. Einmal wird Gott die Welt richten, und dann wird der letzte Welteinsatz Gottes zu seinem Ziele kommen.

Die Lehre von der Erhaltung der Welt durch Gott hat hohen sittlichen Wert. Wir wissen jetzt, daß jedes Ding, daß jeder Mensch, dem wir begegnen, von Gott kommt. In dem Augenblick wird er von Gott zu uns entlassen, indem er zu uns kommt. Er kommt aus der Hand Gottes zu uns, und das bedeutet, daß wir ihn annehmen müssen mit jener Haltung, die den Geschenken Gottes ziemt, nämlich mit Ehrfurcht, mit Liebe, mit Dankbarkeit.

Im vorigen Jahrhundert hat der große Naturforscher Julius Robert Mayer das Gesetz von der Erhaltung der Energie entdeckt. Erst im 19. Jahrhundert ist dieses bedeutsame und durchgreifende Prinzip gefunden worden. Dieser Robert Mayer war ein gläubiger Mann. Als er am Sterbebett seiner Mutter saß, da sprach er das schöne Wort: „Es ist meine feste, wissenschaftlich begründete Überzeugung, daß es ein persönliches Fortleben nach dem Tode gibt und daß eine höhere Hand alle Schicksale leitet.“ Eine höhere Hand leitet auch unser Schicksal. Nicht ein augenloses Fatum herrscht über uns, sondern der Schöpfer und Erhalter aller Dinge regiert die Welt und unser Leben.

Amen.

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