Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen Gott (Teil 11)

14. Juni 1998

Die Pflicht des Gottesdienstes in Gemeinschaft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor einiger Zeit sprach ich mit einem österreichischen Tiefbauingenieur. Er baute Straßen in Saudi-Arabien. Beim Straßenbau wurden schwere Baumaschinen verwendet, die jeweils mit zwei Mann besetzt waren. Aber wenn die Zeit des Gebetes kam, dann sprangen beide ab, ließen die Maschine stehen und verrichteten ihre Gebete. Der Ingenieur schlug ihnen vor, sie sollten sich doch abwechseln, so daß einer betet und der andere die Maschine weiterbedient, und dann umgekehrt. Da schauten ihn diese Männer ganz entsetzt an und fragten ihn, ob er nicht wisse, daß das gemeinsame Gebet siebenmal mehr wert sei als das Gebet des einzelnen. Die Sache hatte ein diplomatisches Nachspiel. Der Ingenieur wurde ins Außenministerium zu Riad bestellt, und dort machte man ihm Vorhaltungen, weil er in das religiöse Leben der Arbeiter eingegriffen habe. An diesem Beispiel ist zu erkennen, wie hoch der Islam die gemeinsame, äußere und öffentliche Gottesverehrung schätzt.

In unseren Breiten gibt es Millionen von Menschen, die nicht nur keine äußere Gottesverehrung pflegen, sondern auch die innere aufgegeben haben. Millionen von Menschen beten nicht, und wiederum noch viel mehr Millionen besuchen keinen Gottesdienst. Handeln sie recht? Gibt es eine Pflicht zur Gottesverehrung? Gibt es ein sittliches Gebot, Gott einzeln und in Gemeinsamkeit zu verehren? Wir wollen diese Frage heute zu beantworten versuchen, indem wir uns in zwei Punkten folgendes überlegen:

1. Ist die Gottesverehrung als solche eine sittliche Pflicht?

2. Warum sollen wir Gott äußerlich, öffentlich und gemeinsam verehren?

Die erste Frage geht auf die Gottesverehrung allgemein. Die Religionsgeschichte ist eindeutig: Es gibt kein Volk ohne Religion, es gibt auch kein Volk ohne äußere und allgemeine Gottesverehrung. Aber in der abendländischen Christenheit hat sich ein Bruch zugetragen. Er geht zurück auf den Wittenberger Mönch Martin Luther. Seit Luther ist die Harmonie zwischen religiöser Überzeugung und religiöser Praxis zerbrochen. Er hat das religiöse Leben der Ordensleute verworfen, er hat das Opfer abgeschafft, er hat das Priestertum vernichtet, er hat den Weltdienst als gleichberechtigt oder gar überlegen neben den Gottesdienst gestellt. Hier setzt der Bruch zwischen religiöser Überzeugung und religiöser Praxis ein. In der Fluchtlinie der Gedanken Luthers steht die Lehre des Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Kant lehrt eine autonome Moral, also ein Sittengesetz, das sich der Mensch selber gibt. Und sobald er dieses Vernunftgesetz als gottgegeben anerkennt, hat er Religion. Eine andere Religion gibt es nicht und braucht es nicht als die sittlichen Gebote als gottgegebene Gesetze zu erkennen. Alles andere, sagt Kant, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes. Er selbst war Protestant, hat aber im Erwachsenenalter niemals einen Gottesdienst besucht. Selbst als Rektor der Universität Königsberg, wo er verpflichtet gewesen wäre, an den öffentlichen Gottesdiensten teilzunehmen, betrat er nicht die Kirche. Die Gedanken von Kant sind in unser Volk abgesunken. Ohne daß sie diesen Namen kennen, betätigen sich zahllose Menschen in unserem Volke, wie es Kant fordert, d.h. sie glauben, mit ihren Berufs- und familiären Pflichten genug getan zu haben. Sie beten nicht, sie verehren Gott nicht, sie besuchen keinen Gottesdienst, sie bringen keine Opfer dar.

Dagegen erheben Offenbarung und Vernunft Einspruch. Die Offenbarung ist eindeutig. Im Zehn-Gebote-Gesetz des Alten Bundes stehen die Pflichten gegen Gott an erster Stelle. Das Alte Testament ist eine Urkunde der Gottesbeziehung eines ganzen Volkes und jedes einzelnen. Die Psalmen und die Prophetenschriften sind voll von Ermahnungen zum Gottesdienst, zur Frömmigkeit. Jesus selbst, der Offenbarer des Neuen Bundes, hat gebetet. Er hat Nächte im Gebete zugebracht, er hat sich an den Gottesdiensten seines Volkes in den Synagogen und im Tempel beteiligt, er hat uns das Gebet des Vaterunsers geschenkt, in dem die Ordnung des Betens enthalten ist. Er hat das Opfer eingesetzt, das Opfer des Neuen Bundes. Der Befund der Offenbarung ist eindeutig. Gott will, daß der Mensch ihn verehrt.

Was sagt die Vernunft dazu? Die Verehrung Gottes ist einmal gefordert vom Wesen Gottes. Gott ist die unendliche Vollkommenheit. Diese Vollkommenheit darf nicht nur nebenher anerkannt werden, sie muß durch einen Kult der Huldigung verehrt werden. Wenn immer der Mensch Gott erkennt als den absolut Überlegenen, den Schöpfer und den majestätischen Herrn, dann folgt auf die Erkenntnis notwendig die Anerkennung. Das ist ein ganz selbstverständlicher und niemals zu zerreißender Vorgang. Wenn wir bei einem wunderbaren Sonnenaufgang stehen, sagen wir: „Wie schön!“ und erkennen damit das Naturgeschehen an. Wenn wir Gott erkennen, dann müssen wir ihn auch anerkennen als den größten Herrn, und Anerkennung Gottes ist Gebet. Der Zweck der Schöpfung ist die Verherrlichung Gottes. Die Steine, die Pflanzen und die Tiere verherrlichen Gott auf ihre Weise, in stummer Weise. Aber der Mensch als das Ebenbild Gottes, dem Gott die Sprache gegeben hat, muß den stummen Jubel der Schöpfung laut werden lassen. Er muß wegen seiner Gottähnlichkeit die geschöpfliche Verehrung Gottes in Sprache ummünzen und Gott mit Mund und Herz verehren.

Auch wenn man den Menschen betrachtet, ergibt sich die Pflicht der Gottesverehrung. Der Mensch gewinnt durch die Gottesverehrung. Schon Augustinus hat auf die Frage, ob denn die Gottesverehrung Gott nütze, gesagt: „Nein! Die Gottesverehrung nützt nicht Gott, sondern dem Menschen!“ Nicht Gott braucht die Verehrung, aber der Mensch braucht die Verehrung. Der Mensch kann nur seinsgerecht, nämlich als Geschöpf seinem Schöpfer gegenüber, leben, wenn er verehrt, wenn er anbetet, wenn er auf die Knie fällt. Der Mensch muß seine Gottbestimmung laut werden lassen. Er muß seine Gottähnlichkeit einsetzen, um Gott zu verehren. Dadurch wird auch das ganze Werk des Menschen geweiht. Kant meinte, wenn man Gott verehrt, hat man nicht genügend Zeit, um die irdischen Geschäfte zu besorgen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gottesverehrung gewährt dem Menschen die rechte Ausrichtung seines Schaffens. Sie lenkt sein gesamtes Tun auf Gott hin. Durch die Gottesverehrung gewinnen wir die rechte Ordnung unserer Arbeit und unseres Dienstes. Die Vernunft spricht für die Gottesverehrung deutlich, überzeugend und hörbar.

Die zweite Frage, die wir uns stellen, lautet: Warum aber dann eine äußere, eine öffentliche und eine gemeinsame Gottesverehrung? Genügt es nicht, wenn man Gott im stillen Kämmerlein, im Herzen verehrt? Nein, es genügt nicht. Die äußere Gottesverehrung ist notwendig, weil der Mensch Gott mit allen seinen Kräften verehren soll, und dazu gehört auch der Körper. Er soll mit Zunge und Hand Gott verehren, mit Gebärde und mit Sprache; mit allen seinen Kräften soll er Gott verehren. Ein innerer Drang veranlaßt den Menschen, Gott auch äußerlich zu verehren. Es ist ein natürlicher Trieb im Menschen, der von Gott eingesenkt ist, das, was er innerlich empfindet, auch äußerlich kundzutun. Und so ist auch ein psychologisches Gesetz vorhanden, daß wir unsere Gottesverehrung nach außen bekunden. Der öffentliche Kult, die öffentliche Gottesverehrung zeitigt darüber hinaus bedeutsame Wirkungen. Durch das Beispiel der gemeinsamen und öffentlichen Verehrung wird der einzelne angetrieben, mitzumachen; er fühlt sich angeregt, seinerseits Gott zu verehren. Es wird seine eigene Gottesverehrung hervorgerufen und gefördert. Durch die öffentliche Verehrung gewinnt er Mut, seinen Glauben zu bekennen. Die öffentliche Gottesverehrung ist deswegen unerläßlich, weil Religion keine Privatsache ist. Religion ist eine öffentliche Sache. Sie geht jeden einzelnen, aber auch jede Gemeinschaft an, auch die natürlichen Gemeinschaften, und deswegen ist gemeinsame Gottesverehrung notwendig. Auch die natürlichen Gemeinschaften sind von Gott geschaffen, und sie müssen als solche, als Gemeinschaften, Gott anbeten.

Vor allem hat Gott eine religiöse Gemeinschaft gestiftet, die für seine Verehrung Sorge trägt, die nennt man Kirche. Die Kirche ist eine religiöse Gemeinschaft, die nur leben kann, wenn sie gemeinsame Gottesverehrung betreibt. Der Mensch ist ein Sozialwesen, d.h. er ist auf den anderen, auf die Gesellschaft, auf die Gemeinschaft hingerichtet; und so muß er nicht nur in der Arbeit, sondern auch im Beten gemeinschaftlich vor Gott auftreten. Es gibt eine Pflicht des gemeinsamen Gottesdienstes. Äußerer, öffentlicher, gemeinsamer Gottesdienst ist unerläßlich, wenn die Religion nicht sterben soll.

Dagegen werden manche Einwände laut. „Der Gottesdienst gibt mir nichts“, sagte mir eine junge Dame. Der Gottesdienst gibt dir so lange nichts, wie du dich ihm nicht hingibst. Je mehr du investierst, um so reicher wirst du aus dem Gottesdienst gehen. Je mehr du dich hineingibst, um so mehr wird dir der Gottesdienst geben. „Ich weiß nicht, was ich in der Kirche soll“, sagte jemand. Denken Sie an ein Klassenzimmer, voll von Kindern, die Fenster geschlossen. Es ist eine stickige Luft, welche die Kinder gar nicht merken. Aber der Lehrer spürt es: Das Fenster muß geöffnet werden. Es muß durchgelüftet werden. So muß auch bei den Menschen eine Durchlüftung stattfinden. In der Woche mit ihrer Hektik, mit dem Betrieb und mit der Arbeit und mit den Sorgen, da kommt der Mensch nicht zur Besinnung. Er muß vom Atem der Ewigkeit durchlüftet werden, und das geschieht am Sonntag im Gottesdienst. „Ich habe kein Bedürfnis, in den Gottesdienst zu gehen.“ O, meine lieben Freunde, das Bedürfnis ist nicht entscheidend. Viele alte Menschen haben kein Bedürfnis, Flüssigkeit zu sich zu nehmen, und alle Ärzte sagen uns, alte Menschen sollen viel trinken. Das Bedürfnis ist nicht entscheidend, sondern der Wille Gottes, und der Wille Gottes ist uns einsichtig gemacht, weil der Mensch das Atmen in der Gegenwart Gottes braucht. Nehmen Sie eine glühende Kohle aus einem Haufen von Kohlen. Einen Augenblick glimmt sie noch, und dann erlischt sie. So ist es mit dem, der keinen Gottesdienst mehr besucht. Allmählich stirbt sein religiöses Leben. Er wird unempfänglich für das Wort und hat kein Verlangen mehr nach dem Leib des Herrn.

Nein, meine lieben Freunde, Gottesdienst ist höchstes, ehrenvollstes Tun des Menschen. Gottesdienst ist die Erfüllung seiner Geschöpflichkeit. Gottesdienst ist sittliche Notwendigkeit für unser irdisches und unser ewiges Wohl. Nicht wegen des Pfarrers, nicht wegen der Predigt gehen wir in den Gottesdienst, sondern Gottes wegen. Schaut zum Tabernakel! Schaut zum Hochaltar! Brennt die rote Lampe noch in der schwankenden Ampel? So brenne deine Seele zu Gott!

Amen.

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