Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen Gott (Teil 6)

26. April 1998

Die Pflicht zur Gottesliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vor geraumer Zeit vorgenommen, die Pflichten des Menschen gegen Gott zu bedenken. Wir waren dabei auf die göttlichen Tugenden gestoßen, die ebenso viele Befehle Gottes sind, nämlich Glaube und Hoffnung. Es bleibt uns heute, die Liebe zu betrachten. Gott gebietet uns, zu glauben; er befiehlt uns, zu hoffen. Aber er verlangt auch, daß wir ihn lieben. Wir wollen drei Fragen stellen und sie zu beantworten versuchen, nämlich

1. Was ist Liebe?

2. Warum sollen wir Gott lieben?

3. Wie sollen wir ihn lieben?

Die erste Frage lautet: Was ist Liebe? Die Liebe, von der hier gesprochen wird, ist die heilige Liebe, nicht das, was die Welt Liebe nennt. Liebe ist das am meisten geschändete Wort in allen Sprachen. Die Liebe, die wir zu Gott haben sollen, ist die Freundesliebe. Man kann die Liebe als ein Freundesverhältnis bezeichnen, und der Herr sagt es ja selbst: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, ich nenne euch Freunde, weil ich euch alles geoffenbart habe, was ich von meinem Vater gehört habe.“ Zwischen Freunden besteht eine Gemeinschaft, eine Einheit des Geistes, eine Verbundenheit. Freunde erweisen sich durch Wohlwollen, Wohltun und Einmütigkeit des Geistes. Die Liebe, die wir zu Gott hegen, ist also eine Freundesliebe; sie ist ein Freundesbund; sie ist ein Freundesverhältnis. Sie ist auch eine Tugend, eine göttliche Tugend, d.h. ein göttliches Geschenk, denn die göttlichen Tugenden haben ihren Namen daher, daß sie uns von Gott geschenkt werden und daß sie Gott zum Ziel haben. Es sind eingegossene, nicht erworbene Tugenden. Auch die übernatürliche Liebe wird uns von Gott geschenkt. Mit der Gnade zieht sie in unsere Seelen ein. Wenn der Heilige Geist kommt, bringt er die Liebe gleichsam mit. „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in euren Herzen durch den Heiligen Geist.“

Die Liebe Gottes ist also ein übernatürliches Tätigkeitsprinzip, durch das wir Gott freudig und leicht lieben und uns mit ihm vereinigen. Die Wirkursache der Liebe kann nur Gott sein. Aber der Mensch ist deswegen nicht unbeteiligt. Gott gibt uns die Liebe nach dem Maße seiner Einsicht und seiner Kraft, aber der Mensch muß dabei mitwirken; er muß sich dafür disponieren, wie das Konzil von Trient sagt. Und wie disponiert man sich für den Empfang der göttlichen Liebe? Durch Glaube, durch Hoffnung, durch Furcht, heilige Furcht, durch anfanghafte Liebe, durch Vorsatz und Reue. Diese Elemente nennt das Konzil von Trient, wenn es sagt: Der Mensch muß sich vorbereiten auf den Empfang der göttlichen Liebe. Freilich ist diese Vorbereitung auch schon wieder getragen von der aktuellen Gnade, von der helfenden Gnade. Aber das ändert nichts daran, daß sie ein echtes Tun, ein echtes Mittun, ein echtes Mitwirken des Menschen ist.

Die zweite Frage lautet: Warum sollen wir Gott lieben? Wir sollen Gott lieben erstens, weil Christus es geboten hat, und Christus ist der Gesetzgeber. „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus deinem ganzen Gemüte und aus allen deinen Kräften.“ Wir sollen Gott lieben, weil Gott zweitens das schönste und vollkommenste Gut ist. Wir bewundern schon die Werke der Schöpfung in ihrer Weisheit, in ihrer Ordnung, in ihrer Kraft. Wie muß erst der beschaffen sein, dem alles dies zu verdanken ist! Gott ist das höchste und vollkommenste Gut, und die Schönheit zieht unsere Liebe an. Wo Schönheit ist, da müssen wir gleichsam lieben, denn dabei entsteht das Wohlgefallen und das Wohlwollen, und das ist Liebe. Wir sollen Gott schließlich drittens lieben, weil er uns unendlich liebt und uns zahllose Wohltaten erwiesen hat. Die Liebe Gottes zeigt sich vor allem in der Hingabe seines Sohnes. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn für sie dahingab.“ Und der heilige Augustinus jubelt: „Den Knecht zu erretten, hast du den Sohn hingegeben!“ Wahrhaftig, Gott erweist uns unendlich viele Wohltaten übernatürlicher und natürlicher Art. Alles, was wir an Gutem empfangen, kommt in letzter Linie von Gott. „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter.“ Selbstverständlich vermittelt durch Zwischenursachen, aber diese Zwischenursachen bewegen sich in seiner Kraft. Wir sollen also Gott lieben, weil Christus es geboten hat, weil Gott das schönste und vollkommenste und erhabenste Gut ist und weil Gott uns unendlich liebt und uns zahllose Wohltaten erweist.

Drittens: Wie sollen wir Gott lieben? Wir sollen Gott lieben erstens, indem wir beständig an ihn denken. Wir sollen uns in Gott gleichsam bewegen. Der Volksmund sagt richtig: „Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über.“ Wenn wir also Gott wirklich lieben, dann werden wir uns in allen unseren Absichten, Handlungen und Betätigungen auf ihn ausrichten; dann werden wir alles mit Gott beginnen, mit Gott durchführen und mit Gott beenden. Wir werden beständig an ihn denken. Wir werden auch gern von ihm sprechen. Ich bin manchmal betrübt über die Unwilligkeit oder Unfähigkeit von Christen, von guten Christen, die nicht in der Lage sind, einem anderen, einem Nichtchristen oder einem Ungläubigen, ein Wort von Gott zu sagen. Wir sind es Gott schuldig, daß wir von ihm rühmend reden. Die Apostel haben die magnalia dei verkündet, die Großtaten Gottes. Wir lieben Gott also, indem wir beständig an ihn denken.

Wir lieben ihn zweitens, indem wir alles fliehen, was uns von ihm trennt. Was trennt uns denn von Gott? Nun, die Sünde. Wer Gott liebt, der meidet die Sünde, der ist bestrebt, den guten Gott nicht zu betrüben, zu kränken, zu beleidigen. Wer Gott liebt, der flieht die Sünde.

Drittens zeigen wir unsere Liebe zu Gott, indem wir für ihn arbeiten. Gott hat das Werk seiner Schöpfung und seiner Erlösung uns anvertraut, nicht nur den Priestern, auch allen Gläubigen. Sie sollen zu ihrem Teil, an ihrer Stelle das Erlösungswerk weitertragen, vor allem, indem sie den Glauben verbreiten, im Glauben leben, nach dem Glauben wirken, aus dem Glauben ihr Leben gestalten. Wer Gott liebt, hat Eifer für ihn. Der Eifer ist das Erzeugnis der Liebe. Also müssen wir darum uns kümmern, daß der Glaube weitergetragen wird, daß sie Ungläubigen bekehrt werden, daß die Abständigen zurückgeführt werden. Es darf uns keine Ruhe lassen, daß noch nicht alle zum Vater der Lichter und zu seinem Sohn Jesus Christus bekehrt sind.

Wer Gott liebt, der nimmt auch viertens alles aus Gottes Hand entgegen, Gutes und Schlimmes. Er dankt für die Wohltaten, die Gott ihm unablässig erweist, er trägt aber auch die Leiden, die Gott verordnet, die er auf seine Schulter nehmen muß. Wer Gott liebt, tut alles und trägt alles um Gottes willen. Wir sollen Gott lieben aus allen unseren Kräften, wir sollen ihn lieben über alles. Aus allen unseren Kräften, das bedeutet, daß wir in allem, was wir tun, Gott suchen, daß wir uns nicht den Geschöpfen um der Geschöpfe willen zuwenden, sondern daß wir in den Geschöpfen den Schöpfer sehen, und daß wir um des Schöpfers willen den Geschöpfen uns zuwenden. Wir sollen Gott über alles lieben, das heißt, wir dürfen ihm nichts vorziehen. Wir müssen alles weggeben, wenn Gott es verlangt.

O daß, meine lieben Freunde, wir doch in der Liebe wachsen möchten! Der Glaube ist das Fundament, die Hoffnung ist unentbehrlich, denn sie richtet unseren Blick nach oben. Aber die Liebe ist die Krönung. Die Liebe verbindet uns unmittelbar mit Gott. O daß wir doch sprechen könnten mit unserem schlesischen Dichter Angelus Silesius:

„Ich will dich lieben, meine Stärke,

ich will dich lieben, meine Zier.

Ich will dich lieben mit dem Werke

und immerwährender Begier.

Ich will dich lieben, schönstes Licht,

bis mir das Herz im Tode bricht.“

Amen.

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