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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 11)

28. April 1996

Die Mutterschaft Mariens im Heilsplan Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Initiative zur jungfräulichen Mutterschaft Mariens ging von Gott dem Vater aus. In seinem ewigen Heilsplan, der in der Zeit aufgedeckt wurde, war Maria als die Mutter des eingeborenen Sohnes Gottes, des Logos, vorgesehen. Sie gehört in die Heilsgeschichte hinein, wie eine Mutter zu ihrem Sohne gehört. Bis heute besteht unter den Theologen keine Einmütigkeit, ob Gott den Ratschluß der Menschwerdung bedingt oder unbedingt gefaßt hat. Das bedeutet, es gibt eine Gruppe von Theologen, die sagt: Nur weil Gott die Sünde vorausgesehen hat, hat er bestimmt, daß sein Sohn Mensch werden sollte, um die Sünde aufzuarbeiten und das Heil zu wirken. Eine andere Gruppe von Theologen behauptet: Die Menschwerdung war von Gott in jedem Falle geplant. Auch ohne die Sünde, wenn der Sündenfall ausgeblieben wäre, wäre der Logos Mensch geworden. Aber jetzt, in dieser Heilsordnung, nach dem Sündenfall, hat er bei seiner Menschwerdung die Aufgabe übernommen, als Retter der Menschheit deren Heiland zu sein. In jedem Falle ist Gott der Initiator der Menschwerdung und damit der Mutterschaft Mariens.

Aber Gott ist ein Liebhaber der Freiheit. Er zwingt den Menschen nicht, sondern er lädt ihn ein. Er behandelt ihn nicht wie ein Stück Holz, sondern als ein der Entscheidung fähiges Wesen. Und deswegen ist diese Struktur seines Vorgehens auch bei der Berufung Mariens zu beobachten. Der Bote des Herrn, der Engel, hat eine zweifache Aufgabe. Er bringt die Offenbarung, daß Maria die Mutter des Erlösers sein soll, und er holt ihre Zustimmung ein. Es ist also in dieser Botschaft des Engels auch die Aufforderung Gottes an Maria enthalten, sich für die Aufgabe, die Gott ihr zugedacht hat, zur Verfügung zu stellen. Es ist eines der dunkelsten Geheimnisse unseres Glaubens, wie Gottes Allwirksamkeit und die menschliche Freiheit miteinander harmonisieren können. Wir müssen festhalten, daß Gott alles wirkt. Wir müssen aber ebenso festhalten, daß der Mensch frei bleibt und sich deswegen Verdienst oder Mißverdienst erwerben kann.

Die Theologen haben versucht, dieses Geheimnis aufzuhellen, wobei sich die Gruppe der Thomisten von der anderen der Molinisten unterscheidet. Die Thomisten gehen aus von der Allwirksamkeit Gottes und versuchen zu erklären, wie sie mit der menschlichen Freiheit in eins gehen kann. Die Molinisten gehen von der Freiheit des Menschen aus und wünschen eine Erklärung dafür zu geben, wie diese Freiheit harmonisieren kann mit der Allwirksamkeit Gottes. Es ist nicht so, meine lieben Freunde, wie wir uns das vielleicht vereinfachend vorstellen möchten, daß Gott das Wichtigste wirkt und der Mensch das weniger Wichtige. Nein, es ist vielmehr so, daß Gott alles wirkt und der Mensch ebenfalls alles wirkt, aber in je verschiedener Weise. Gott wirkt alles in schöpferischer Überlegenheit als der absolute Herr; der Mensch wirkt alles in Abhängigkeit als der Diener und Knecht Gottes. Die Allwirksamkeit Gottes ist also keine Alleinwirksamkeit, vielmehr ist der Mensch am Wirken Gottes nach außen beteiligt.

Diese Struktur des menschlichen Handelns sehen wir auch bei Maria. Gott hat Maria von Ewigkeit her zur Mutter seines Sohnes bestimmt. Er hat sie berufen, dieser Erwählung in Freiheit zuzustimmen. Aber es ist nun nicht etwa so, als ob Gott gewissermaßen seine Erlösung im Ungewissen gelassen hätte, als ob sie in der Schwebe geblieben wäre, als ob er hätte warten müssen, was nun der Bote für eine Nachricht bringt von Maria. Nein, in seinem ewigen Ratschluß hat er Maria den Intensitätsgrad der Gnade zugemessen, der ihre Zustimmung unfehlbar gewährleistete. Gott hat von Ewigkeit her gewußt, daß Maria ihre Zustimmung geben würde. Der Plan Gottes und die Zustimmung Mariens standen von Ewigkeit her fest.

Maria faßt ihre Zustimmung in den Satz: „Siehe, ich bin des Herren Magd, mir geschehe nach deinem Worte.“ In diesen Augenblick müssen wir, obwohl es Lukas nicht ausdrücklich sagt, die Menschwerdung des Logos verlegen. Maria gebraucht für ihre Antwort das Wort Magd. Das ist die deutsche Übersetzung des griechischen Wortes „doulä“. Das griechische Wort doulä bedeutet Sklave oder Sklavin. Maria sagt also wörtlich eigentlich: Ich bin die Sklavin Gottes. Nun hat das Wort doulä (Sklavin) einen Bedeutungswandel durchgemacht. Im griechischen Lebensbereich besagte es ursprünglich den Sklaven, also den verachteten, den völlig abhängigen, den als Sache betrachteten und behandelten Diener seines Herrn. Das war die erste und Grundbedeutung. Aber sie hat sich schon gewandelt in den despotischen Monarchien des vorderen Orients. Dort wurde das Wort doulos, also Sklave, oder doulä, die Sklavin, in dem Sinne gebraucht, daß es das Verhältnis der Untertanen zum König bezeichnete. Und diese zweite Bedeutung ist dann die Grundlage geworden für die dritte, nämlich das Wort doulos (der Sklave) und doulä (die Sklavin) wurden zum Ausdruck für das absolute Abhängigkeitsverhältnis, in dem der Mensch zu Gott steht. Der Sklave und die Sklavin Gottes sind eben Knechte und Mägde Gottes. Sie sind ihm ganz übergeben, sie sind völlig von ihm abhängig, sie stehen ganz zu seinen Diensten, wobei aber bedacht werden muß, daß dieses Wort gleichzeitig eine ehrende Färbung annimmt. Wer nämlich ganz im Dienste Gottes steht, der ist dadurch ausgezeichnet und erhoben. Deswegen werden Männer wie Moses oder Abraham als Knechte, also als Sklaven Gottes bezeichnet.

Diese Bedeutung ist auch im Neuen Testament anzunehmen. Wenn also Maria sagt: Ich bin die Sklavin, die doulä, die Magd  Gottes, dann besagt das: Ich stehe Gott völlig zur Verfügung, ich bin vorbehaltlos und ausschließlich für die Aufgabe bereit, die Gott mir zugedacht hat. Gott mag mit mir tun, was er will, ich bin willens, seinen Willen zu erfüllen. Gleichzeitig ist aber auch das Erwählungsbewußtsein in dieser Rede spürbar. Wenn Maria sagt: Ich bin die Magd Gottes, dann gibt sie damit zu erkennen, daß sie weiß: Sie ist zu einem einzigartigen und besonderen Dienst Gottes auserwählt. Dieses Erwählungebewußtsein hat sie ja dann deutlich im Magnifikat ausgesprochen, wo es heißt: „Selig werden mich preisen alle Geschlechter.“

Im Lichte dieser eben angeführten Ausführungen verstehen wir, daß die Erlösung ein Vorgang von oben und von unten ist. Die Erlösung nimmt ihren Anfang im ewigen Heilsratschluß Gottes. Aber Gott tut nicht alles allein, sondern bedient sich dazu verantwortllicher menschlicher Werkzeuge, an erster Stelle natürlich Mariens. Jetzt verstehen wir auch, daß es manchmal, vor allen Dingen in der Advenstzeit, heißt, die Himmel sollten ihren Tau regnen, aber auch die Erde sollte das Reis hervorsprossen lassen. Beim Propheten Isaias, der ja der adventliche Prophet ist, ist das deutlich ausgesprochen: „Ich, der Herr, es gibt keinen anderen außer mir, ich werde dich gürten, ohne daß du mich kennst, damit man erkenne vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang, daß es außer mir keinen Gott gibt. Ich bin der Herr und sonst keiner, der Bildner des Lichtes wie der Finsternis Schöpfer, Bringer des Friedens wie Schöpfer des Unheils. Ich, der Herr, wirke dies alles. Träufelt, ihr Himmel, von oben! Ihr Wolken, laßt rieseln den Segen. Die Erde tue sich auf, daß erblühe das Heil. Sie sprosse Segen zumal. Ich, der Herr, will es schaffen.“ Hier sehen wir zwei Reihen von Aussagen. In der einen Reihe wird das Heil allein der Wirksamkeit Gottes zugeschrieben, kommt also bildlich gesprochen von oben. In der anderen Reihe von Aussagen wird das Heil der Erde zugewiesen, kommt also gewissermaßen von unten. Ist das nicht ein Widerspruch, eine Spannung zwischen diesen beiden Aussagereihen? Nein. Es besteht deswegen keine Spannung, weil Gott sich selbst in die Erde hat einsenken lassen, weil Gott ein Mensch geworden ist dank der Jungfrau Maria, und weil er dann als einer von uns die Last der Schuld und der Sünde, des Todes und der Leiden aufarbeiten und auf diese Weise zum Heiland der Welt werden konnte. Es war ja im Proto-Evangelium, also in der ersten Verheißung des Erlösers, schon gesagt, daß der Sproß der Eva, der Sproß jener Frau, die das Unheil eingelassen hatte, dem Satan den Kopf zertreten werde. Und diese erste Verheißung ist in Jesus Christus, geboren aus der Jungfrau und Mutter Maria, in Erfüllung gegangen.

Amen.

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