Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 4)

25. Februar 1996

Über Einwände gegen die Gottessohnschaft Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Sohn Gottes konnte auf mannigfache Weise sich mit einer menschlichen Natur verbinden. Er wählte den Weg, auf dem seit Adam alle Generationen der Menschen entstanden sind, nämlich über eine irdische Mutter. Seitdem Gott den Überschritt aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit auf dem Wege über Maria getan hat, seitdem gehört Maria in das Glaubensbekenntnis der Kirche hinein. Die Menschwerdung Gottes ist nicht eine Abstraktion. Sie ist nicht eine ungeschichtliche philosophische Idee. Sie ist eine historische Tatsache. Weil die Menschwerdung eine historische Tatsache ist, deswegen gibt es eine irdische Mutter des menschgewordenen Gottessohnes; deswegen ist Maria die Mutter Jesu und damit die Mutter Gottes. Seit diesem Ereignis folgt die Marienlehre dem Jesusglauben wie der Schatten dem Licht. Seit der Menschwerdung aus einer menschlichen Mutter ist Maria aus dem Christentum nicht mehr wegzudenken. Nur wer die Geschichtlichkeit der Menschwerdung des Logos preisgibt, hat Anlaß, von den altchristlichen Glaubensbekenntnissen, die Maria als die Mutter Gottes bekennen, abzuweichen.

Schon das älteste christliche Glaubensbekenntnis, das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis, hält fest: „Er ist empfangen worden vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau.“ Hier sind das Prinzip der Empfängnis und der Ursprung der Geburt bezeugt. Und immer heißt es nicht nur „aus Maria“, sondern „aus Maria, der Jungfrau“. Im Jahre 325 mußte sich das Konzil von Nizäa gegen die Irrlehre des Arius wehren. Arius vertrat die Ansicht, Jesus sei nur das höchste Geschöpf Gottes, aber nicht selbst Gott, ein zweiter Gott – deuteros theos. Dagegen erhob sich die Kirche in der Kirchenversammlung von Nizäa und bekannte in dem dortigen Glaubensbekenntnis: „Um uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er herabgestiegen und Fleisch und Mensch geworden.“ Das wenige Jahrzehnte später tagende Konzil von Konstantinopel (381) hat dann jenes Glaubensbekenntnis formuliert, das wir immer am Sonntag in der heiligen Messe beten: „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau und ist Mensch geworden.“ Der große Kirchenvater Epiphanius, der etwa zur gleichen Zeit lebte, hat dieses Glaubensbekenntnis noch mehr entfaltet und in die Einzelheiten auseinandergelegt. In seinem Glaubensbekenntnis heißt es u.a.: „Der wegen uns Menschen und wegen unseres Heiles willen herabgestiegen und Fleisch geworden ist“ – jetzt kommt die Erklärung –,“das heißt vollkommen geboren wurde aus der heiligen, allzeit jungfräulichen Maria durch den Heiligen Geist“ – jetzt wird die Verfaßtheit Jesu erklärt –, „der Mensch geworden ist, das heißt die vollkommen menschliche Natur angenommen hat, nämlich Seele, Leib und Geist und alles, was zum Menschen gehört, ausgenommen die Sünde, und zwar“ – Anspielung auf die wunderbare Geburt – „ohne Samen eines Mannes und nicht in einem Menschen gleichsam wohnend, sondern er hat zu sich selbst den Leib emporgebildet zu einer heiligen Einheit; nicht in der Weise, wie er die Propheten inspirierte und in ihnen sprach und wirkte, sondern er ist vollkommen Mensch geworden.“

Nun schien der Marienglaube fest in Formeln ausgedrückt wie der Jesusglaube. Aber die menschliche Irrtumsfähigkeit, so scheint es, ist unbegrenzt. Und so erhob sich im 5. Jahrhundert eine Irrlehre, die wir den Nestorianismus nennen. Der Urheber war der Patriarch von Konstantinopel, Nestorius. Er zerriß die Einheit in Jesus. Er sagte: In Jesus sind nicht nur zwei Naturen, eine menschliche und eine göttliche, sondern in Jesus sind zwei Personen, eine menschliche Person und eine göttliche. Infolgedessen hat Maria nur einen Menschen geboren. Sie kann also Menschengebärerin heißen, sie kann auch Christusgebärerin heißen, aber sie darf nicht Gottesgebärerin heißen. Dagegen erhob sich ein Sturm im gläubigen Volk und im Mönchtum. Der Patriarch von Alexandrien, Cyrill, war der machtvolle Verteidiger der Muttergotteswürde Mariens. Er legte dem Konzil von Ephesus (431) 12 Anathematismen vor, und in dem ersten heißt es: „Wer nicht bekennt, daß der Emanuel in Wahrheit Gott und die heilige Jungfrau deshalb Gottesgebärerin ist, weil sie das fleischgewordene, aus Gott entstammte Wort dem Fleische nach geboren hat, der sei ausgeschlossen.“ Und in einem Brief, den Cyrill an Nestorius geschrieben hat, steht der Satz: „Denn es ist nicht zuerst ein gewöhnlicher Mensch aus der heiligen Jungfrau geboren worden und auf diesen dann das Wort herabgestiegen, sondern aus dem Mutterschoße selbst ist er geeint hervorgegangen, und deshalb heißt es, daß er sich der fleischlichen Geburt unterzogen hat, weil er die Geburt seines Fleisches zu seiner eigenen Geburt machte.“

Aber jetzt kam nun wieder der Gegenschlag. Gegen die irrige Zerreißung Jesu in zwei Personen wandte sich Dioskur, der Patriarch von Alexandrien, und lehrte eine solche Einheit im Wesen, die die beiden Naturen nicht mehr in ihrem vollen Bestande bestehen ließ. Es ist das der Monophysitismus, die Ein-Natur-Lehre. Gegen den Monophysitismus mußte die Kirche Stellung nehmen, denn hier wird die menschliche Natur Jesu verkürzt. Wenn es nur eine Natur in Jesus gibt, die göttliche, dann bleibt von der menschlichen nichts übrig; dadurch ist die Realität, die Wirklichkeit der Menschwerdung gefährdet. Deswegen hat der große Papst Leo in seinem berühmten Brief an Flavian die kirchliche Lehre lichtvoll dargestellt: „Vom Heiligen Geist ist er empfangen worden im Schoße der Jungfrau, und sie hat ihn ohne Beeinträchtigung ihrer Jungfrauschaft geboren, wie sie ihn ohne Beeinträchtigung ihrer Jungfrauschaft empfangen hat. Denn wohl hat der Heilige Geist der Jungfrau die Fruchtbarkeit verliehen, der wirkliche Leib aber wurde vom Leibe der Mutter genommen. Die Weisheit hat sich selbst ein Haus gebaut.“ Und an einer anderen Stelle: „In einer neuen Geburt kam er zur Welt; denn unverletzte Jungfräulichkeit, die keine Begierde kannte, hat ihm den Leib bereitet. Er hat von seiner Mutter die Natur, nicht die Schuld angenommen, und ist auch die Geburt unseres Herrn Jesus Christus, der aus dem Schoße einer Jungfrau geboren wurde, wunderbar, so ist doch seine Natur der unseren nicht unähnlich. Denn derselbe, der wahrer Gott ist, ist zugleich auch wahrer Mensch, und in dieser Einheit ist keine Lüge.“

So hat dann das Konzil von Chalcedon diese Lehre des Papstes Leo aufgenommen und in seinem Gaubensbekenntnis festgestellt: „Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater gezeugt seiner Gottheit nach. In den letzten Tagen aber wurde derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren.“

Von nun an war die Wahrheit gesichert. Gegen die Zerreißung der Person Jesu war der Nestorianismus abgewiesen; gegen die Verschmelzung beider Naturen hatte man den Monophysitismus verurteilt. Das Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 hat dann noch einmal eine ganz hervorragende Zusammenfassung der kirchlichen Lehre geboten: „Wer die heilige, glorreiche, immerwährende Jungfrau Maria nur im uneigentlichen und nicht im wahren Sinne Gottesgebärerin nennt oder nur der Beziehung nach, als ob nur ein Mensch aus ihr geboren und nicht das Wort Gottes aus ihr Fleisch angenommen habe, wobei nach jenen die menschliche Geburt insofern auf Gott das Wort zu beziehen wäre, als es mit dem geborenen Menschen zusammen war; und wer die heilige Versammlung von Chalcedon fälschlich anklagt, daß sie die Jungfrau gemäß dieser gottlosen Ansicht des Theodorus Gottesgebärerin genannt habe; oder wer sie Menschengebärerin nennt oder Christusgebärerin, als ob Christus nicht Gott wäre und sie nicht vielmehr im eigentlichen und wahren Sinne Gottesgebärerin nennt, weil das von Ewigkeit aus dem Vater geborene Wort Gottes in den letzten Tagen aus ihr Fleisch angenommen hat, und wer nicht zugesteht, daß die heilige Kirchenversammlung von Chalcedon sie in diesem frommen Sinne als Gottesgebärerin bezeichnet habe, der sei ausgeschlossen.“

Damit ist eigentlich der Gipfelpunkt wie auch der Abschluß dieser Entwicklung erreicht worden. Wir wissen, meine lieben Freunde, daß wir auf diesem altkirchlichen Glauben auch heute noch stehen. Es hat sich immer gezeigt im Laufe der Geschichte: Wer an der Marienlehre rüttelt, der bewahrt auch den Christusglauben nicht. Die sogenannten Reformatoren des 16. Jahrhunderts haben zwar selbst noch an der Muttergotteswürde Mariens festgehalten, aber ihre Nachfolger haben sie immer mehr abgeschwächt oder fallengelassen. Und so ist mit den Mariendogmen im Protestantismus auch der Christusglaube in Gefahr geraten.

Wenn die Kirche den Marienglauben in so betonter Weise herausstellt, dann tut sie nichts Unerlaubtes. Dann gibt sie nicht Maria zu viel der Ehre, sondern dann bezeugt sie damit, daß sie die Menschwerdung des Gottessohnes ernst nimmt, daß sie seine göttliche Würde unverbrüchlich festhält, daß sie die Erlösung, die durch den menschgewordenen Gottessohn bewirkt wurde, in wahrer Weise bekennt. Denn wenn er nicht die menschliche Natur angenommen hat und sich mit ihr vereint hat, dann ist die menschliche Natur auch nicht erlöst. Sie mußte aufgenommen werden in die Gottheit, damit ihre Todes- und Sündenverfallenheit überwunden wurde. Das ist der Zusammenhang, der in den Mariendogmen und in den Christusdogmen uns vor Augen tritt. Wir halten an Maria fest, weil wir an Christus festhalten. Wir verehren Maria, weil wir Christus verehren. Und wir bekennen Maria in den Glaubensbekenntnissen, weil wir darin Christus bekennen.

Amen.

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