Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Ehe und Familie (Teil 12)

2. April 1995

Die Bedeutung der Familie

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Viele Deutsche sind besorgt um den Wald. Und sie sind zu Recht besorgt. Der deutsche Wald ist vielfach in Gefahr oder schon geschädigt. Der saure Regen, die Abgase, Schädlinge, Naturkatastrophen wie gewaltige Stürme haben dem Wald schlimm zugesetzt. Die Forstleute sagen: Wir müssen die geschädigten Bäume abholzen und wieder aufforsten. Ob die Aufforstung gelingt, ist eine Frage, denn der Boden ist versauert.

Die Aufforstung ist zweifellos eine wichtige Aufgabe unseres Volkes. Aber noch gewichtiger ist die Wiederherstellung der Familie. Denn die Familie hat in den letzten Jahrzehnten mannigfachen Schaden erlitten. Es gibt in Deutschland Millionen zerstörter Familien, zerstört durch Ehescheidung. Es gibt in Deutschland Millionen kranker Familien, Familien, in denen sich die Gatten nichts mehr zu sagen haben und in denen die Eltern und die Kinder miteinander zerfallen sind. Nach einer statistischen Untersuchung ist die Kluft zwischen Eltern und Kindern in keinem Lande so groß wie in Deutschland. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind viel mehr Kinder in Übereinstimmung mit den Anschauungen und Überzeugungen ihrer Eltern als in Deutschland.

Ersatzgemeinschaften für die Familien haben sich aufgetan, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Kommunen, gleichgeschlechtliche Lebensverhältnisse. Die deutsche Familie ist krank. Und doch geht eine Sehnsucht durch die Menschen nach heilen Familien. Sie wissen, daß in der Familie Halt, Geborgenheit und Gemeinschaft gefunden werden kann, wenn die Familie intakt ist. Und so wollen wir heute unsere Reihe von Überlegungen über die Ehe abschließen mit Gedanken über die Familie. Wir wollen drei Sätze aufstellen:

1. Die Familie ist die erste Gemeinschaft.

2. Die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft.

3. Die Familie ist die schönste Gemeinschaft.

Die Familie ist die erste Gemeinschaft von allen Gemeinschaften, die es auf Erden gibt. Denn normalerweise wird ein Kind in eine Familie hineingeboren. Vater und Mutter stehen am Beginn der Familie. Der Zeit nach ist in jedem Falle die Familie vor allen anderen Gemeinschaften, ob es sich um Vereine oder ob es sich um Gemeinden oder ob es sich um den Staat handelt. Die Familie ist die Keimzelle jeder anderen Gemeinschaft. Aber sie ist nicht nur der Zeit nach die erste, sie ist auch dem Range nach die erste. Das ist daraus zu erkennen, daß unser Herr und Heiland Jesus Christus sein Erlösungswerk damit begann, daß er eine Familie heiligte. Das ist eine große und unbestreitbare Tatsache: Als unser Herr die Welt erlösen wollte, hat er damit begonnen, eine Familie zu heiligen. Jahrelang, jahrzehntelang hat er in einer Familie gelebt und gewirkt. Das verborgene Leben von Nazareth spricht laut zu uns von der Bedeutung und vom Range der Familie. Und als er dann sein Werk in der Öffentlichkeit aufnahm, hat er eine eigene Gnadenstätte errichtet, ein eigenes Sakrament geschaffen, das die Familien heiligen sollte, das Ehesakrament. Wahrhaftig, die Familie ist die erste Gemeinschaft der Zeit nach und dem Range nach.

Sie ist aber auch zweitens die wichtigste Gemeinschaft. Kein Kind kann heranwachsen und das für das Leben Notwendige lernen, wenn es nicht in einer Familie heranwächst. Die Familie muß das warme Nest sein, in dem ein Kind gedeiht. Die Familie muß der Ort sein, wo das Kind alles lernt, was es für das Leben braucht: beten, gehorchen, sich einordnen, mitarbeiten, sich verantwortlich fühlen. Die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft auch für alle anderen Gemeinschaften auf Erden. Aus kranken Familien kann kein gesunder Staat wachsen. Wie die Kinder aus den Familien kommen, so sind sie in der Schule. Und wenn wir heute hören, daß sich die Lehrer bitter beklagen über das Verhalten vieler Kinder in der Schule, wenn die Nervosität und Konzentrationsschwäche vieler Kinder bedauert wird, wenn wir von Aggressivität und Zerstörungswut in der Schule hören, wenn uns berichtet wird, daß Lehrer angegriffen, ja verdroschen werden von Schülern, dann ist das natürlich die Auswirkung dessen, was in den Familien gefehlt hat an Erziehung und Bildung und Bereitung für die Schulgemeinschaft und für die übrigen Gemeinschaften im Volk.

Die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft auch für die Kirche. Wenn wir gesunde Familien haben, dann braucht uns um die Zukunft der Kirche nicht bange zu sein. Wenn die Familien in heiliger Gottesliebe leben, wenn in ihnen der Glaube blüht, wenn das eucharistische Leben in ihnen gedeiht, dann ist die Kirche in einem Hochstand.

Vor vierzig Jahren, meine lieben Freunde, gab es ein Land, in dem die Familie in Blüte stand wie kaum irgendwo. Das waren die Niederlande, das war Holland. Die durchschnittliche katholische Familie hatte sechs bis zehn Kinder. Es gab kein Land auf der ganzen Erde, in dem so viele Priesterberufe und Ordensberufe wuchsen wie in Holland. Tausende von Missionaren zogen aus diesem kleinen Lande aus. Bis dann der große Zusammenbruch kam und, wie sich die Feinde des katholischen Lebens frohlockend ausdrückten, die biologische Gegenreformation zu Ende war.

Wenn die Familie intakt ist, dann ist auch die Kirche eine heile und heilige Gemeinschaft.

Die Familie ist die wichtigste Gemeinschaft auch für die Eltern. Vor dem Beruf und vor dem Verein kommt die Familie. Das ist die wichtigste Aufgabe, die Vater und Mutter gestellt ist. Sie sollten dieser Aufgabe nichts vorziehen. Berufsarbeit ist groß und notwendig, aber die Familie ist noch größer und noch notwendiger. Wenn es Väter und Mütter gibt, die die Familie vernachlässigen über der Berufsarbeit oder über der Tätigkeit in Vereinen, in der Politik, dann ist das sehr bedauerlich und trägt nicht zum Segen des Volkes bei. In der Familie wachsen die Eltern über sich hinaus. Da lernen sie selbstlose Liebe, opfernde Liebe, Beispiel geben, Milde, Geduld. Das alles kann man in einer Familie lernen. Es wird erzählt, daß einmal ein chinesischer Kaiser durch die Stadt Peking wanderte und in ein Haus kam, das sprichwörtlich für seine gesunden Familienverhältnisse war. Er fragte den Vater, wie es komme, daß seine Familie so in Frieden und in Glück zusammenlebe. Der wies auf den Großvater, der vor dem Hause saß. Und der Kaiser fragte ihn nach dem Rezept für die Glückhaftigkeit dieses Familienlebens. Der Großvater erbat sich Tusche, einen Pinsel und ein Papier, und darauf malte er drei Zeichen und überreichte sie mit einer tiefen Verbeugung dem Kaiser. Auf diesem Papier standen drei Worte, nämlich: „Geduld, Geduld, Geduld!“ Er hatte damit das Prinzip oder besser das Rezept angegeben, das für das Glück seiner Familie ausschlaggebend war.

Die Familie ist die erste Gemeinschaft, sie ist die wichtigste Gemeinschaft. Sie kann aber auch, wenn die Menschen das tun, was dazu notwendig ist, die schönste Gemeinschaft sein. In einer rechten und gesunden Familie herrscht Friede. In der Welt draußen, auch in der Arbeitswelt, ist oft Unfriede und Streit, gibt es Konflikte, Eifersucht, Mißgunst. In der Familie, die nach Gottes Willen aufgebaut ist, herrscht Friede. Wenn man in die Familie eintritt, da ist man in Ruhe gegenüber den Stürmen und Kämpfen des Lebens.

Die Familie kann die schönste Gemeinschaft sein, weil dort Geborgenheit herrscht. Wenn einer sich des anderen annimmt, wenn einer für den anderen eintritt, wenn einer dem anderen Wohlwollen entgegenbringt, dann fühlt man sich geborgen, dann ist man gesichert. Und die Familie soll eine Stätte sein, wo man sich in aller Ehrlichkeit aussprechen kann, ohne befürchten zu müssen, daß die Worte ins Schlechte gewendet oder nach außen getragen werden. Sie soll eine Stätte der Geborgenheit sein.

Die Familie soll auch ein Ort der Freude sein. Im Laufe des Lebens begeben sich mannigfache Ereignisse, die zur Freude gereichen können: Geburt und Taufe, der Empfang der Sakramente, ein gelungenes Schulzeugnis, eine abgeschlossene Berufsausbildung, die Namenstage und die Geburtstage, das können Anlässe zur Freude sein. Die Familie soll auch eine Gemeinschaft der Freude sein. Und diese Freuden dienen dazu, die Familie zur Heimat zu machen. Wo man sich freut, da ist man auch zu Hause, wenn die echte, die von innen kommende Freude in einer Familie genährt wird und lebendig ist.

Und schließlich ist die Familie auch deswegen die schönste Gemeinschaft, weil in ihr der Familiensinn blüht. Was ist Familiensinn? Familiensinn besteht darin, daß der eine sich für den anderen verantwortlich weiß, daß er alles tut, um zum Gedeihen und zum Blühen der Familie beizutragen, daß er seine Kraft einsetzt, um das Auskommen der Familie zu sichern, daß er seine Heimat und seine Geborgenheit in der Familie findet. Familiensinn ist die schönste Mitgift, die Eltern ihren Kindern geben können, ist aber auch der schönste Lohn, den Eltern finden können.

Wir müssen, meine lieben Freunde, um das Glück der Familie ringen und kämpfen. Wir müssen Menschen werden, die geeignet sind, eine schöne, eine glückliche Familie aufzubauen. Dazu sind Tugenden erforderlich: Zufriedenheit, Einfachheit, Verträglichkeit. Dazu ist notwendig die verzeihende Liebe, die vergebende Liebe, die verstehende Liebe; dazu ist notwendig, daß man sich unermüdlich erzieht, auf eigene Wünsche zu verzichten, eigene Rechte preiszugeben, zu fragen, was dem anderen zum Wohle dient und was ihm nützt, von sich selbst abzusehen und auf den anderen hinzuschauen. Die Selbstvergessenheit ist die wichtigste Eigenschaft, die wir als Menschen haben müssen, um ein glückliches Familienleben aufzubauen. Die Rettung des Menschengeschlechtes beginnt in der Familie, in der Ehe, am Brautaltar.

Amen.

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