Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Wege Gottes (Teil 8)

29. August 1993

Der Gott der Erhörung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Rufe zu mir, und ich will dich erhören!“ So ergeht die Aufforderung Gottes an den Propheten Jeremias. „Rufe zu mir, und ich will dich erhören!“ Das ist eine Verheißung Gottes, eine Verheißung, an die unser Herz sich klammert; denn wer von uns hätte nicht schon oft und immer wieder Bittgebete zu Gott emporgesendet, im Vertrauen auf das Wort: „Rufe zu mir, und ich will dich erhören!“ Gott ist ein Gott der Erhörung, das ist unsere gläubige Überzeugung. Und doch wirft auch die Erhörungsbereitschaft Gottes Fragen auf, Fragen, die uns manchmal dunkel dräuend am Horizont unseres Lebens zu stehen scheinen. Erhört Gott denn immer? Erhört er wirklich? Erhört er alle Gebete?

Wir wollen am heutigen Sonntag, dem Sonntag, an dem Gott das Flehen der Aussätzigen gehört hat, über den Gott der Erhörung nachdenken und drei Sätze aufstellen, nämlich

1. Gott erhört,

2. Gott erhört auf seine Weise,

3. Gott erhört immer zu unserem wahren Besten.

Erstens: Gott erhört. Das Alte Testament und das Neue Testament ist voll von Berichten über Gebetserhörungen. Ich erwähne nur eine, nämlich die Gewährung der Bitte des Königs Salomon. König Salomon wurde von Gott aufgefordert, sich etwas zu wünschen. „Verlange, was ich dir geben soll!“ Und was verlangte Salomon? „Du hast meinem Vater David große Huld erwiesen und mich an seiner Statt zum König gemacht. Möge sich doch jetzt, Herr und Gott, deine Verheißung, die an meinem Vater David ergangen ist, erfüllen. So verleihe mir nun Weisheit und Einsicht, dieses Volk in jeder Lage zu leiten!“ Gott antwortete Salomon: „Weil du dieses verlangt und nicht um Reichtum, Schätze und Ruhm und nicht um den Tod deiner Feinde, auch nicht um ein langes Leben gebeten, sondern dir Weisheit und Einsicht erfleht hast, um mein Volk, zu dessen König ich dich gemacht habe, zu regieren, so werde dir diese Weisheit und Einsicht zuteil, aber auch Reichtum, Schätze und Ruhm will ich dir verleihen, desgleichen kein König vor dir besessen hat noch nach dir besitzen wird.“

Die Bitte Salomons klang bescheiden. Er wollte Weisheit, um das Volk richtig regieren zu können. Aber Gott hat seine Bitte noch viel herrlicher erhört. Er hat sie weit übertroffen mit seiner Erhörung. Er gab ihm nicht nur Weisheit, das begehrte Gut, er gab ihm auch Macht und Reichtum und eine Fülle der Einsicht, wie sie kein König vorher besessen hatte.

Auch aus dem Leben der Heiligen und der bewährten vollkommenen Christen wissen wir von Gebetserhörungen zu berichten. In England lebte im vorigen Jahrhundert eine Familie Vaughan. Frau Vaughan war eine Konvertitin, sie war also vom anglikanischen zum katholischen Glauben übergetreten, aber sie war eine ganze und rechte Katholikin geworden. Sie hatte den Wunsch, daß von ihren Kindern möglichst viele geistlich werden sollten. Frau Vaughan hatte 13 Kinder. Von den 13 Kindern wurden 11 geistlich, sechs Söhne und fünf Töchter. Sechs Söhne wurden Priester, und fünf Töchter nahmen den Schleier. Von den Söhnen wurden zwei Bischöfe, einer Kardinal. In einer überschwenglichen Weise hat Gott das Gebet dieser Mutter erhört, in einer Weise, die sie sich vielleicht selbst nicht hatte vorstellen können.

Auch wir selbst wissen doch von Gebetserhörungen zu berichten. Wenn wir unser Leben rückschauend betrachten, dann stoßen uns Begebenheiten auf, in denen wir gefleht haben, und in denen Gott uns gehört hat. Zeugnis der Gebetserhörung sind die vielen Täfelchen, die wir an den Wallfahrtsstätten finden. Gehen wir nach Marienthal – „Maria hat geholfen“. Das ist ja doch nichts anderes als die Besiegelung des Wortes: „Rufe zu mir, und ich will dich erhören!“ Denn Maria ist ja auch eine Rufende, sie hilft nur unserem Rufen in ungeahnter Weise auf, aber die Erhörung kommt von Gott.

Gott erhört! Das ist auch von Jesus, dem Offenbarer selbst immer wieder bezeugt worden. „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann möget ihr bitten, um was ihr wollt, es wird euch zuteil werden. Alles, was ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, wird er euch geben. Bittet, und ihr werdet empfangen, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden, suchet, und ihr werdet finden!“ Das sind Verheißungen Christi, Verheißungen, die er im Namen Gottes uns Menschen gegeben hat, Verheißungen, in denen er sich verpflichtet hat, die Gebete, die wir an ihn richten, zu erhören. Deswegen muß der Satz stehen bleiben: Gott erhört.

Aber freilich, es muß sofort der zweite dazugesagt werden: Gott erhört auf seine Weise. Wir flehen als Menschen, aber er erhört als GOTT. Und das ist ein Unterschied. Die Erhörungen Gottes, die auf seine Weise erfolgen, lassen nämlich manchmal auf sich warten. Gott zögert nicht selten mit der Erhörung. Ja, warum tut er denn das? Warum erhört er denn nicht sogleich, sofort? Meine lieben Freunde: Damit er Gott bleibt! Damit man nicht aus lauter Geschäftstüchtigkeit durch Gebet Gott zu seinem Sklaven macht. Wenn man mit einem Rosenkranz eine Hypothek abstoßen und mit einer Serie von Messen einen bestimmten Erfolg oder das Bestehen einer Prüfung erzwingen könnte, dann wäre die ganze Menschheit religiös, aber religiös aus Geschäftsgeist! Und das darf nicht sein.

Nein, Gott verzögert häufig seine Erhörung, um unseren Glauben zu erproben. Er kommt oft eine Viertelstunde später, als wir meinen, daß er kommen müßte, um unseren Glauben zu erproben. Er macht uns durch die Verzögerung auch bewußt, wie groß unsere Bitte ist. Wenn er mit seiner Erhörung wartet, dann läßt er uns erkennen, daß die Bitte, die wir ihm vortragen, von einem erheblichen Ausmaß, von einer großen Tragweite ist. Er zeigt auch damit, daß er von uns erwartet, daß unsere Bitten ernstgemeint sind. Unser Bittgebet soll nicht eine flüchtige Laune sein, die schon im nächsten Augenblick wieder vergessen ist, nein, wenn es eine ernstgemeinte Bitte ist, dann werden wir eben sie immer wieder vortragen, dann werden wir sie über eine lange Zeit Gott unterbreiten, dann werden wir sie mit Gewissenhaftigkeit und mit innerem Engagement vortragen. Und damit das sichergestellt wird, deswegen wartet Gott mit der Erhörung.

Er wartet auch, damit wir innerlich reifen. Vielleicht erkennen wir im Laufe der Zeit, im Warten auf die Erhörung, daß unsere Bitte eigentlich gar nicht richtig formuliert ist, daß wir gar nicht um das Rechte beten. Vielleicht sehen wir, daß unser Gebet allzu kurzsichtig, allzu eigennützig war, und daß wir darum unser Gebet umstellen müssen, daß wir das Erbetene ändern müssen. Auch das ist ein Grund, warum Gott uns warten läßt auf die Erhörung unserer Bitte. Gott erhört auf seine Weise.

Er erhört auch häufig anders, als wir es meinen. Es kann sein, daß er etwas Größeres gibt, als wir erbeten haben, wie beim König Salomon. Es kann sein, daß unsere Bitte nicht das Rechte zum Gegenstand hat, dann kann er es uns nicht geben. Er kann uns nicht etwas gewähren, was uns zum Schaden ist. Er sagt ja doch: „Was ihr in meinem Namen erbitten werdet...“ Und man kann doch nicht im Namen Jesu etwas Schädliches erbeten. Man kann doch nicht etwas erbitten, das einem zum eigenen Untergang gereicht. Wenn also das Erbetene zur Anmaßung, zum Stolz, zur Undankbarkeit, zur Leichtfertigkeit verführen würde, dann kann es Gott nicht geben; denn wir müssen darauf achten, daß Gott seine Erhörung immer an eine Bedingung geknüpft hat: „Wenn ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet...“ Und „in meinem Namen“ betet man eben nur, wenn man um etwas bittet, was Gott wohlgefällig ist. Oder wenn er sagt: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann möget ihr bitten, um was ihr wollt.“ Die Worte, die in uns bleiben, sind doch die Worte der Wahrheit, und Gott, der in uns bleibt, ist doch der Gott der Wahrheit und des Heiles. Wenn also etwas gegen die Wahrheit und gegen das Heil verstößt, dann ist es ausgeschlossen, daß Gott das erhören könnte.

Gott erhört auf seine Weise. Er hat andere Wege, uns zu geben, wessen wir bedürfen. als wir begreifen. Er ist Gott – und wir sind Menschen. Wir beten auf menschliche Weise, aber Gott erhört auf göttliche Weise.

Schließlich ist es auch ganz sicher, daß es unerhörte Gebete gibt. Es gibt viele Gebete, die nicht erhört werden – weil sie nicht im Namen Jesu vorgetragen sind, weil sie contra rationem salutis sind, gegen die Ordnung des Heiles. Gebete, die nicht mit Andacht, Ausdauer und Vertrauen vorgebracht werden, werden nicht erhört. Ohne Andacht, ohne Ausdauer, ohne Vertrauen erhört Gott kein Gebet. Er verlangt von uns Andacht, Ausdauer, Vertrauen. Wir müssen also richtig beten. Wir müssen auch in der richtigen Verfassung beten. Wenn jemand sonst sich um den Willen Gottes nicht kümmert, der braucht nicht auf Gottes Erhörung zu rechnen. Wer mit unfruchtbaren Händen betet, der braucht keine Erhörung zu erwarten. Wir müssen unsere Hände mit Guttaten füllen, mit guten Werken, mit Rechttaten, mit Taten der Nächstenliebe, dann dürfen wir auch Erhörung erwarten. Wer sich nicht um Gott kümmert, der soll nicht meinen, daß Gott wie ein Dienstknecht im Augenblick herbeieilt, seine Wünsche und sein Verlangen zu erfüllen. Nein, wir müssen in der rechten Verfassung sein, in der Reinheit des Herzens, die Gott angenehm ist.

Wir müssen schließlich um das Rechte beten. Wenn wir das nicht tun, erhört Gott unsere Gebete nicht. Selbstsüchtige, allzu irdische, massive, sinnliche Dinge, die nichts für unser ewiges Heil beitragen,  werden von Gott nicht gewährt. Wir müssen in der rechten Weise um die rechten Dinge beten, denn nur dann beten wir im Namen Jesu. Nur dann beten wir in der Vereinigung mit Jesus, nur dann beten wir in der innigen Verbindung mit Jesus.

Gott erhört. Gott erhört auf seine Weise, und drittens: Gott erhört immer zu unserem wahren Besten. Wir bitten häufig um Skorpione, und Gott gibt uns einen Fisch. Wir bitten um einen Stein, und Gott gibt uns ein Brot. Seine Erhörung ist von göttlicher Weisheit. Er besitzt den Überblick, den Einblick, den Weitblick und den Vaterblick, die wir nicht haben. Uns gehen Überblick und Einblick, Weitblick und Vaterblick ab. Aber mit seiner Weisheit und mit seiner Allmacht weiß Gott unser Geschick richtig zu lenken. Der heilige Augustinus bringt ein schönes Beispiel für Gebete, die Gott zu unserem eigenen Besten nicht erhören kann. „Dein kleiner Sohn bittet dich,“ sagt er, „du sollst ihn auf das Pferd heben. Du weigerst dich, es zu tun. Er bittet unter Tränen. Du weigerst dich, es zu tun. Du hast ein ganzes Gut, das Haus und den Acker für ihn bestimmt, wenn er einmal groß sein wird, er wird dein Erbe sein. Und jetzt bittet er dich, ihn auf das Pferd zu heben und du lehnst es ab, es zu tun. Ja, bist du da nicht grausam? Nein,“ sagt der heilige Augustinus, „dein kleiner Sohn weiß noch nicht, das Pferd zu lenken, es würde ihn abwerfen, es könnte ihn zu Tode treten. Du bist also nicht grausam, wenn du ihm den Wunsch versagst, sondern du bist gütig und denkst weiter als dein kleiner Sohn.“ Nicht wahr, das ist ein schönes Beispiel für das Verhalten Gottes angesichts unserer Gebete, die eben oft töricht und unverständig sind, nicht in die Weite blicken und nicht danach fragen, was Gott mit uns vorhat. Und da wissen wir, daß Gott auch die Leiden und Kreuze unseres Lebens uns zum Heile auferlegt.

Auch der heilige Paulus wußte um unerhörte Gebete. Im 2. Korintherbrief schreibt er: „Damit ich mich nicht wegen der außerordentlichen Offenbarungen überhebe, ward mir ein Stachel für mein Fleisch gegeben, ein Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlägt. Um seinetwillen habe ich dreimal den Herrn angefleht, daß er von mir weichen möge. Er aber sprach: Es genügt dir meine Gnade, denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung.“ Die Erklärer der Heiligen Schrift haben viel gerätselt, was mit diesem Engel des Satans gemeint ist, der Paulus mit Fäusten schlägt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist immer noch die – Paulus war Epileptiker. Er hatte epileptische Anfälle, und natürlich wollte er von diesem furchtbaren Leiden befreit werden, darum hat er Gott gebeten, oft gebeten – die Zahl drei ist ja nur ein Ausdruck für das häufige Beten. Aber Gott hat ihm die Krankheit nicht genommen, ihm, dem Völkerapostel, seinem großen Herold, der unentwegt tätig war für ihn, der über Lande und über Meere gefahren ist, um seinen Namen kundzumachen bei den Heiden, hat er diesen Engel des Satans belassen. Wozu?

Damit er sich nicht überhebe, sagte Paulus. Sehen Sie, meine lieben Freunde, es muß unerhörte Gebete geben, weil Gott den Geist des Beters weit, weit überragt, weil Gott weiter und tiefer blickt als der Mensch, weil Gott GOTT bleiben muß in seiner göttlichen Erhörungsbereitschaft, aber auch in seinem göttlichen Erhörungswillen.

Deswegen: Behalten wir Mut und Vertrauen! Beten wir mit Beharrlichkeit! Beten wir vor allem im Geiste Christi, im Namen Jesu, mit seinen Worten und in seiner Gesinnung, mit seiner Einstellung und mit seinen Erwartungen! Beten wir nicht mit leeren Händen, sondern mit gefüllten Händen, mit Händen, die Gutes tun unseren Brüdern und Schwestern! Beten wir und harren wir auf die Erhörung! „Rufe zu mir, und ich will dich erhören!“

Amen.

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