Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Sünden (Teil 4)

8. Juni 1992

Der Zorn als Wurzelsünde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seinen großen Feldzug gegen die Perser eröffnete König Alexander der Große mit dem gewaltigen Sieg am Granicus, einem Fluß in der heutigen Türkei. In dieser Schlacht kam er selbst in Lebensgefahr, aus der ihn Kleitos, einer seiner Generäle, rettete. Kleitos war also der Lebensretter Alexanders. Wenige Jahre später fand in Samarkand, wohin Alexander mit seiner Armee vorgedrungen war, ein Gastmahl statt. Bei diesem Gastmahl pries Claitos, der Lebensretter Alexanders, die militärische Tüchtigkeit und Tapferkeit des Vaters von Alexander, nämlich des Königs Philipp von Mazedonien. Über dieses Lob des Vaters geriet Alexander so in Zorn, daß er eine Lanze ergriff und seinen Lebensretter Kleitos durchbohrte. Als er wieder zur Besinnung kam, beweinte er seinen Freund, aber zum Leben konnte er ihn nicht mehr erwecken. Er bereitete ihm ein fürstliches Leichenbegängnis, aber dadurch wurde an dem Geschehenen nichts geändert.

Diese wahre Begebenheit zeigt, wohin der Zorn den Menschen treibt. Der Zorn ist nicht umsonst eine Haupt- oder Wurzelsünde, denn aus ihm sprossen viele andere Fehler und Frevel, Verfehlungen und Verbrechen hervor. Der Zorn ist das ungeordnete Verlangen nach strafender Zurückweisung. Es gibt auch ein geordnetes Verlangen nach strafender Zurechtweisung. Man darf in der rechten Weise fordern, daß Übeltäter gezüchtigt werden. Die Züchtigung muß sich nur nach Maß und Vernunft richten, sie muß nach Recht und Gerechtigkeit vor sich gehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem gerechten Zorn, und ein solcher gerechter Zorn ist in der Heiligen Schrift mehrfach bezeugt. Moses war auf dem Berge Sinai, um das Gesetz Gottes zu empfangen. Als er hinabstieg, sah er, wie sich sein Volk ein Götzenbild gemacht hatte, ein goldenes Kalb, und darum tanzte und sagte: „Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägypten geführt haben.“ Da entbrannte er im Zorn und warf die Tafeln, auf die das Gesetz Gottes geschrieben war, zu Boden. Und von unserem Herrn und Heiland wissen wir, daß er ergrimmte, als er sah, wie man sich im Tempel zu Jerusalem, im Heiligtum Gottes, benahm, daß er sich eine Geißel machte aus Stricken und die Verkäufer und Käufer aus dem Tempel trieb, die Tische der Taubenhändler und der Geldwechsler umstieß und daß die Jünger sich bei diesem Vorgehen an das Wort der Heiligen Schrift erinnerten: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.“ Der gerechte Zorn ist also Eifer für Gottes Sache. Wenn eine Erregung über das Böse nach Motiv und Maß gerechtfertigt ist, dann spricht man vom gerechten Zorn.

Aber leider ist der Zorn, mit dem wir es zu tun haben, mit dem wir zu kämpfen haben, in der Regel weder nach Motiv noch nach Maß gerechtfertigt. Der Zorn birgt eine Menge großer Gefahren in sich. Der zornige Mensch schadet seiner Gesundheit. Wir wissen, daß im Zorn die Körperkräfte erschüttert werden, daß viele Menschen im Zorn Schlaganfälle erlitten haben. Ein berühmtes Beispiel ist der deutsche Feldherr Frundsberg. Als seine Landsknechte meuterten, geriet er so in Zorn, daß er durch einen Schlaganfall dahingerafft wurde. Der Zorn schadet der Gesundheit, treibt den Blutdruck in die Höhe, läßt die Galle überlaufen. Der Zorn beraubt aber auch des Gebrauches der Vernunft. Im Zorne tut der Mensch Dinge, die er in einem ruhigen Zustande niemals tun würde. Der Zorn schränkt seine Vernunfttätigkeit ein, im Zorne geht er über das vernünftige Maß des Strafens hinaus. Von dem großen Philosophen Platon wird berichtet, daß er bei einem Gastmahl von einem Sklaven bedient wurde, der sich ungebührlich benahm. Er und die Gäste waren erregt. Einer der Gäste fragte ihn: „Warum strafst du, warum züchtigst du den Sklaven nicht?“ Platon gab zur Antwort: „Ich würde ihn strafen, wenn ich nicht zornig wäre.“ Platon wußte, daß der Zorn über das gebührende Maß des Strafens hinauszuführen pflegt. Im Zorn kommt der Mensch zu allerlei üblen Taten. Wir haben eben gehört, wie Alexander seinen Freund und Lebensretter Kleitos im Zorn getötet hat. Und wir selber wissen aus unserer armseligen eigenen Erfahrung, wie oft wir im Zorn etwas gesagt oder getan haben, was besser unterblieben wäre und was wir nachher bitter, bitter bereut haben.

Der Zorn macht und auch allen Menschen zum Feind, macht uns bei den Menschen verhaßt, denn wer will schon mit einem Zornmütigen zu tun haben? Wer will mit einem Menschen umgehen, der beim geringsten Anlaß ausfällig wird, der wütend wird und bitter und Schmähworte häuft, zu toben anfängt? Der Zorn ist schließlich eine Gefahr, die ewige Seligkeit zu verlieren. Denn der Zorn kann zur schweren Sünde werden, und die schwere Sünde trennt uns von Gott, beraubt uns der Gnade und bringt uns den Verlust der ewigen Seligkeit. Das alles sind Folgen des Zornes. Sie mahnen uns, bedächtig zu sein, den Zorn zu bekämpfen, zu überwinden und in Ruhe und Gelassenheit unser Leben zu führen.

Wie können wir den Zorn bekämpfen und überwinden? Der erste Grundsatz muß heißen: Im Zorn nicht reden. Im Zorn schweigen. Denn was im Zorn aus unserem Munde kommt, das sind keine guten, das sind keine überlegten Worte. Reden, wenn wir die Ruhe wiedergewonnen haben, aber im Zorn soll man nicht reden.

Zweitens: Im Zorn soll man nicht handeln. Denn was der Zornmütige tut, das ist vom Zorn eingegeben, und „der Zorn tut nicht, was recht ist vor Gott“, heißt es im Brief des Apostels Jakobus. Der Zorn tut nicht, was recht ist vor Gott. Deswegen warten mit dem Tun, bis der Zorn verraucht ist.

Drittens: Die Zornesanlage bekämpfen. Wir wissen, wie man sich in Zorn hineinsteigern kann, wie man Öl ins Feuer schütten kann, wie man die Erregung in sich immer mehr steigern kann, bis sie ausbricht. Man muß den Anfängen der Erregung begegnen, man muß dem Beginn des Zornes entgegentreten.

Viertens: Im Zorn beten, seine Zuflucht nehmen zu Gott. Wenn man auch nur ein Ave Maria spricht – diese Pause genügt, um uns innerlich zu beruhigen, ruft den Heiligen Geist herbei, hilft uns, den Zorn zu überwinden und macht uns geneigt, der Vernunft zu gehorchen. Wenn wir uns aber haben hinreißen lassen zum Zorne, dann sollen wir alsbald das, was wir damit angerichtet haben, wiedergutmachen, sollen an die Brust klopfen und uns vor Gott, aber auch vor den Menschen des Vergehens anklagen, das wir mit unserem Zorne vollbracht haben. „Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorne! Gebt dem Teufel nicht Raum!“ So mahnt der Apostel. Das heißt, es soll nicht Abend werden, ohne daß die Konfliktsituation bereinigt ist. Nicht warten bis morgen, sondern heute den Konflikt aus der Welt schaffen, heute vergeben und verzeihen, heute aber auch um Vergebung und um Verzeihung bitten. Denn sonst kommt der Groll, sonst kommt die Bitterkeit, sonst kommt die Rachsucht und der Haß ins Herz, und die letzten Dinge dieses Menschen sind schlimmer als die ersten.

Amen.

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