Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die göttliche Vorsehung (Teil 3)

18. Januar 1987

Die Vereinbarkeit des Leides mit der Vorsehung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben am vergangenen Sonntag über die Vereinbarkeit des „Unglücks“ des Gerechten und des Glücks des Sünders mit der Vorsehung Gottes gehört. Es bleibt uns heute zu bedenken, wie sich das Leiden und die Vorsehung Gottes zueinander verhalten.

Die Leiden sind mannigfaltig, körperliche, seelische Leiden, manchmal beides zusammen. Es gibt verschuldete und es gibt unverschuldete Leiden. Alle Leiden freilich gehen zurück auf die Ur- und Erbsünde.

Leiden und Gewinnung der ewigen Seligkeit sind untrennbar miteinander verknüpft. Ohne Leiden kann kein Mensch das ewige Leben gewinnen. „Es wird keiner gekrönt, er kämpfte denn zuvor.“

Als die beiden Emmausjünger den Fremdling neben sich sahen, da stellte er an sie die Frage: „Mußte nicht Christus alles dies leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ Mußte er nicht? Es war ein heiliger Zwang über ihm, durch Leiden die Herrlichkeit für sich und für die ganze Menschheit zu gewinnen. Es ist das dei. Das griechische Wort „dei“ heißt: Es muß sein. Es ist das dei der göttlichen Notwendigkeit. So ist es auch mit den Jüngern Jesu. „Niemand, der nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, kann mein Jünger sein.“

„Wenn du nicht leiden willst, so zeigt dies, daß du nicht verherrlicht werden willst,“ schreibt einmal ein bekannter Kardinal. Ja, so ist es tatsächlich. Das Leiden ist der einzige und für jeden verbindliche Weg zur ewigen Seligkeit. Freilich läßt Gott den Leidenden nicht ohne Trost. Wenn wir jetzt in der Zeit nach dem Leiden des Herrn das Geschick der Gottesmutter betrachten, dann sehen wir, daß immer auf ein Leiden ein Trost folgt und umgekehrt, daß auf einen Trost ein Leiden folgt. „Sie fanden keinen Platz in der Herberge“, aber es kamen die Hirten, die das Kind anbeteten. Josef drohte seine Frau zu entlassen, aber der Engel belehrte ihn, daß das, was in ihrem Schoß entstanden war, vom Heiligen Geiste war. „Sie suchten den Knaben in Jerusalem und glaubten ihn verloren,“ aber sie fanden ihn, wie er unter den Schriftgelehrten saß und sie befragte und ihnen antwortete.

Leiden kommen von Gott. Nicht jedes Leid wird von Gott verursacht, aber jedes Leid wird von Gott zugelassen. Die Leiden, die uns Gott schickt, sind von ihm geprüft und sind von ihm für uns hergerichtet. Gott wird nicht zulassen, daß du über deine Kraft versucht wirst. Kein Mensch belastet ein Tier mehr als es tragen kann, und so belädt auch Gott den Menschen nicht stärker als er zu tragen fähig ist.

Je größer ein Heiliger, um so mehr Leid hat er zu tragen. Das ist das Gesetz des Gottesreiches. Seinen Lieblingen gibt Gott mehr Leiden als denen, die fern von ihm sind. Der heilige Aloysius hat einmal geschrieben: „Durch Trübsale belohnt Gott die guten Werke der Seinen.“ Durch Trübsale belohnt er sie! Und der Erzengel Raphael sagte zu Tobias: „Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Versuchung dich bewähren.“ Das ist die Logik, nicht wahr, das ist die Logik Gottes. Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Versuchung dich bewähren! Und auch andere Stellen der Heiligen Schrift zeigen uns, daß Gott seinen Lieblingen besondere Leiden zumutet. „Wen Gott lieb hat, den züchtigt er.“ Es ist  eine uns fremdartig anmutende Liebe, aber es ist die Liebe Gottes! Wen er zu Hohem beruft, den führt er durch das Tal der Tränen. Wem er viel zutraut, dem schickt er viel Leid. Das ist das Gesetz des Gottesreiches.

Bekannt ist, daß die große heilige Theresia von Avila sich einmal bei Gott beklagte, daß er ihr so viele Schwierigkeiten bereite bei ihrem Erneuerungswerk, bei ihrer aufopfernden Tätigkeit. Da hörte sie, die ja eine Mystikerin war, von Gott die Antwort: „So behandle ich meine Freunde.“ Ja, so behandelt er seine Freunde! Und Theresia, die ja eine sehr mannhafte Frau war, gab zur Antwort: „Deswegen hast du auch so wenige Freunde!“ Ja, so ist es, so behandelt Gott seine Freunde. Dem Gerechten schickt Gott Leid und dem Sünder schickt Gott Leid, aber in verschiedener Absicht. Dem Sünder schickt er Leiden, damit er sich bekehre und seine Seele rette. Die Sprache der Not, die Sprache der Leiden ist von einigen Sündern verstanden worden. Manasses bekehrte sich, der verlorene Sohn besah sein Leben in der Fremde und kehrte zu seinem Vater zurück. In der Not geht dem Menschen nämlich die Hilflosigkeit auf, die Hilflosigkeit, die danach ruft, Gott anzugehen. Gleichzeitig erkennt er seine Sünde, er sieht in dem Leiden die Folge seiner Sünde, er kommt zur Selbsterkenntnis.

Und schließlich dient das Leid auch dazu, die Distanz von den Schätzen der Welt zu schaffen. Wer leidet, bekommt einen Abscheu, sich mit den Gütern der Welt zufrieden zu geben, und sein Blick wird gen Himmel gelenkt. So ist tatsächlich für den Sünder das Leid eine äußere Gnade. „Trifft dich ein Schmerz, so halte still und frag' dich, was er von dir will!“

Das gilt auch für den Gerechten. Dem Gerechten schickt Gott Leid, um ihn zu erproben, ob er Gott mehr liebt als das Geschöpf. Die heilige Schrift weiß von manchen Gerechten, auf die Gott Leiden geradezu gehäuft hat. Das beste Beispiel ist der gerechte Job, der Dulder Job. Er verlor sein Vermögen und seine Kinder, er wurde mit Krankheiten geschlagen, seine Frau und seine Freunde verspotteten ihn. Aber er wurde im Leiden bewährt. Ähnlich Tobias. Tobias begrub die Toten, obwohl es verboten war, er gab sein Vermögen hin als freigebiger Mensch, und doch ließ Gott zu, daß er sein Augenlicht verlor und arbeitsunfähig wurde. Die Gerechten will Gott durch die Leiden erproben. Sie sollen zeigen, daß sie Gott lieben ohne Lohn, daß sie ihn lieben aus reiner Hingabe. Gott will Herzen, die von aller Anhänglichkeit, von aller Lohnmoral frei sind. Die Gerechten sollen  schon auf Erden ihre Sündenstrafen abbüßen, ohne im Fegefeuer damit belastet zu werden. „Hier senge, hier brenne, hier schneide,“ schreibt der heilige Augustinus, „aber schone meiner in der Ewigkeit!“ Das ist die Gesinnung der Heiligen! Hier senge, hier brenne, hier schneide!

Durch die Leiden, die die Gerechten tragen müssen, wächst ihre Gottesliebe. Sie werden dankbar für das, was Gott ihnen gibt, und sie vergessen die Anhänglichkeit an die Erde. Sie werden fester verwurzelt, so wie ein Baum, den der Sturm zwingt, seine Wurzeln fester zu machen. So ähnlich ist es mit den Heiligen, so ähnlich ist es mit den Vollkommenen, mit den Gerechten, wenn sie durch das Tränental hindurch müssen, wenn sich Leiden auf sie häufen.

So wissen wir also, meine lieben Freunde, wie wir die Leiden tragen sollen, die uns treffen. Wir müssen sie tragen in Geduld. Der schlesische Dichter Josef Wittig schreibt einmal: „Gehobelt wird in jedem Falle, ob mit oder ohne deinen Willen. Du hast es aber in der Hand, ob du mit dem hobelnden Herrn eins sein willst oder ob du gegen seinen Willen leben willst.“ Gehobelt wird in jedem Falle! Wer die Leiden nicht geduldig trägt, der fügt sich doppeltes Leid zu. Die Leiden verschwinden ja nicht damit, daß er sich darüber aufregt, aber er vermehrt seine Leiden durch seine Ungeduld. Die wahren Verehrer Gottes haben für die Leiden gedankt. Sie haben unter Tränen Gott gelobt. Die heilige Theresia hatte den Wahlspruch oder besser das Gebet: „Leiden oder sterben!“ Also nicht angenehm leben, und wenn das nicht möglich ist, dann sterben, sondern ein Leidträger sein auf Erden, und wenn das nicht sein soll, dann abscheiden von dieser Erde.

Wahrhaftig, wer die Hand Gottes küßt, ob sie Wohltaten spendet oder ob sie Leiden bringt, der ist in der Vollkommenheit gewachsen, der ist nicht weit vom Reiche Gottes.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt