Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. April 2008

Gott, Ursprung und Ziel des Lebens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus verstand sehr gut, dass seine Jünger traurig waren, als er von ihnen scheiden musste. Der Gedanke beherrschte sie: Jetzt verlässt er uns. Und da legte er ihnen eine Frage nahe, nämlich die Frage: Wohin gehst du? Die Antwort auf diese Frage konnte nur lauten: „Ich gehe zum Vater.“ Aber diese Frage: Wohin gehst du? ist eigentlich die Frage der ganzen Menschheitsgeschichte und eines jeden einzelnen Menschenlebens. Wohin gehst du?

Der große russische Dichter Graf Tolstoi hat ein erschütterndes Buch geschrieben, das den Titel trägt: „Meine Beichte“. In diesem Buche berichtet er, wie er sich, als Ungläubiger,  jahrelang fragte: Wozu alles? Ich bin Herr über 6.000 Morgen und 300 Pferde; ich habe eine Familie, ich habe Kinder. Ich bin ein Schriftsteller und kann berühmter werden als Gogol oder Puschkin oder Molière. Aber alles wozu? Wozu das alles? Und er fand keinen Ausweg aus dieser Verlorenheit, aus dieser Ungewissheit. Er schreibt an einer Stelle: „Ich legte alle Schnuren beiseite, damit ich nicht in die Gefahr geriete, mich mit einer zu erhängen.“ Lange Zeit hat er unter diesen Anfechtung gelitten, bis er eines Tages bei einem Spaziergang im Walde eine Stimme hörte, die ihm zuflüsterte: „Gott ist wirklich.“ Und diese Stimme hat ihn bekehrt. In diesem Augenblick, in dem er wusste: Gott ist wirklich, da wußte er auch: Gott kennen und leben, das gehört zusammen. Lebe, indem du Gott suchst!

Und so ist es, meine lieben Freunde, in einem jeden Leben. Ohne Gott ist alles Spott. Mit Gott hat alles Wert. Wir müssen drei Fragen wissen und die Antwort auf sie kennen, nämlich woher ich komme, wofür ich lebe und wohin ich gehe. Also woher? Wozu? Wohin? Das sind die drei Fragen, die unser Leben entscheiden. Die Frage: Woher kommst du? ist in unserem Glauben beantwortet. Wir wissen: Alles, was existiert, hat seinen Grund in Gott. Gott ist der Schöpfer von allem. Ach, was sind das für lächerliche Ausflüchte, welche die Ungläubigen haben: Die Welt ein Spiel des Zufalls. Ja, der Zufall erklärt nichts, meine lieben Freunde. Wer etwas mit dem Zufall erklärt, der lässt es unerklärt. Andere grewifen zu der Ausflucht der Evolution. Ja, warum denn nicht Evolution. Aber woher kommt denn die Evolution? Auch die Evolution hat doch den Grund nicht in sich selbst.

Gewiß handelt Gott durch Zwischenursachen. Wir sind entstanden durch das Wirken Gottes und unserer Eltern, aber diese Zwischenursachen müssen münden in einer Erstursache, und die nannten schon die Griechen den ersten unbewegten Beweger, das „ens a se“, dasjenige Sein, das seinen Grund in sich selbst trägt. Unser Glaube ist vernünftig. Wir sagen nicht: Gott hat wieder eine Ursache, nein, wir sagen: Gott ist der Grund seiner selbst. Er ist das „ens a se“, das Sein, das wegen seiner unendlichen Seinsfülle seinen Grund in sich selbst trägt. Unser Glaube ist vernünftig. Und wenn man auf jede Erklärung verzichtet, also sich auf das Nichtwissen zurückzieht, da müssen wir sagen: Wir sind klüger. Wir Christen, wir kennen den Grund von allem, was ist. Gott ist der Urheber der Welt, der Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, der geistigen und der körperlichen. Er hat mit seiner allmächtigen Kraft gleichzeitig zu Beginn der Zeit beide Schöpfungswelten aus dem Nichts erschaffen. Diese Wahrheit stammt aus dem 4. Laterankonzil vom Jahre 1215. In dieser Zeit, in der die Philosophie blühte und die Theologie einen ungeheuren Aufschwung nahm, ist diese Wahrheit vom Konzil für alle Zeit gültig festgelegt worden. Gott ist Schöpfer. Und die Schöpfung im ursprünglichen Sinne besagt das Hervorbringen aus dem Nichts. Das Nichts ist nicht ein Stoff oder eine Materie, aus der Gott geschaffen hätte. Nein, das Nichts besagt die Anfanglosigkeit alles Irdischen, alles Geschöpflichen. Aus seiner unendlichen Seinsfülle hat Gott das Irdische, das Geschöpfliche, hervorgebracht. Die Materie und die Form, die belebte und die unbelebte Welt, alles hat in ihm seinen Grund.

Auch der Mensch stammt von Gott. Er ist sogar ein Abbild Gottes, ein unendlich weit entferntes, gewiß, aber immerhin: Gott hat ihn nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. „Er bildete“, so heißt es in kindlicher Redeweise, die vor Jahrtausenden den Menschen vorgelegt wurde, „den Menschen aus Lehm der Erde und blies in sein Angesicht den Odem des Lebens, und es ward der Mensch zu einem lebenden Wesen.“ Das Dogma sagt nichts, wie Gott dabei zu Werke ging. Hier wird nur in einer schlichten, für einfache Menschen bestimmten Redeweise erklärt, dass alles seinen Ursprung in Gott hat. Die Bibel spricht in bildhafter Weise, wie man eben zu Menschen auf einer niederen Kulturstufe sprechen musste, wenn man verstanden werden wollte.

Die Schöpfungsberichte wollen uns keine Auskunft geben über Naturkunde, über Biologie oder über Physik. Sie wollen uns die Herkunft alles Geschaffenen aus der Allmacht Gottes lehren. Was der Mensch mit seinem Verstande erforschen kann, das soll er erforschen. „Dass der Mensch von Gott erschaffen ist, das bezweifelt kein Mensch außer ein undankbarer“, hat einmal der heilige Augustinus geschrieben. Wir sind also zum Dank verpflichtet, dass wir geschaffen sind. Wir kommen nicht aus der Tiefe, wir kommen aus der Höhe. Wir entstehen nicht aus dem Niederen, sondern wir entstehen aus dem Erhabenen. Wir haben also, bildlich gesprochen, einen Adelsbrief, nämlich den Adelsbrief, den Gott durch seine Schöpfung ausstellt. Unser Leib und unsere Seele sind ein Abbild, ein unendlich fernes gewiß, und dennoch ein Abbild Gottes.

Dieses Abbild Gottes zeigt sich besonders in der Erkenntnis und in der Freiheit, die dem Menschen mitgegeben sind. Der Mensch kann erkennen, und er kann wollen. Er soll das Rechte erkennen, und er soll das Rechte wollen. Damit ist er weit über alle Natur erhaben. Die Sonnen und die Sterne, die Meere und die Kontinente, die Tiere und die Pflanzen, Wälder und Felder, alles, was sich bewegt, lobt Gott, ist kraft der Schöpfung Gottes ausgestattet mit Harmonie und mit Schönheit. Die Geschöpfe sind tatsächlich Fußspuren Gottes. Die Ordnung und die Harmonie der Dinge sind wie Buchstaben, die von ihrem Herrn und Schöpfer berichten. Jede Kreatur ist ein Strahl des Schöpfers. „Himmel und Erde“, so singen wir ja im Liede, „Luft und Meer sind erfüllt von deinem Ruhm. Alles ist dein Eigentum.“ Aber die Geschöpfe wissen nicht darum, dass sie Gott verherrlichen. Sie tun es, ohne es zu wissen. Nur der Mensch weiß es oder kann es wissen und ist deswegen aufgerufen, sich in den Dienst des höchsten Herrn zu stellen. Die erste Frage des Katechismus, den Sie vielleicht – vielleicht – noch gelernt haben, lautete: „Wozu ist der Mensch auf Erden?“ Die Antwort: „Der Mensch ist auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen.“ Das ist eine geradezu erschütternd tiefe und einfache Antwort. Der Mensch ist auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen. Das besagt nicht, dass man immerfort beten muss. Gebet ist gewiß höchste Verehrung Gottes und auch höchste Pflicht des Menschen. Aber alles andere soll ebenfalls in den Dienst Gottes gestellt werden. „Ihr möget essen oder trinken oder was immer tun“, sagt der Apostel Paulus, „tut alles zur Ehre Gottes!“ Durch die gute Meinung, die wir an jedem Morgen fassen, stellen wir den ganzen Tag, das ganze Tagewerk in den Dienst Gottes. Wir sollten jeden Morgen beten, meine lieben Freunde: „O Gott, laß mich diesen Tag zu deiner Ehre, zum Heil meiner Seele und zum Segen für meine Mitmenschen verbringen.“ Das ist der schönste Vorsatz, den man sich machen kann. Laß mich diesen Tag zu deiner Ehre, zum Heile meiner Seele und zum Segen für meine Mitmenschen verbringen. Dadurch wird das ganze Tagewerk Gott geweiht und übergeben. Und selbst ohne diese Absicht, wenn wir nur das Rechte tun, ehren wir damit Gott. Es lässt sich in einem richtigen Sinne sagen: Das Sachgemäße ist immer das Gott Wohlgefällige. Wer sachgemäß handelt, der handelt Gott wohlgefällig.

Also nicht nur unser Beten und unser Arbeiten, sondern unser ganzes Wesen rühmt die Ehre Gottes, ist ein wahrhaftiges Gotteslob. Es hat doch Menschen gegeben, meine lieben Freunde, um deretwillen man sich freuen konnte, dass es einen Schöpfer gibt. Und immer wieder gibt es solche Menschen, um deretwillen wir nicht nur die Erde lieben und das Leben preisen, sondern um deretwillen wir an den Himmel glauben und den Herrgott loben. Alles Starke in uns, alles Leuchtende, das ist Kraft von Gott, das ist Glanz von Gott. Und alles soll ihm dargebracht sein. Nicht uns, o Herr, nicht uns, sondern deinem heiligen Namen gib die Ehre!

Weil Gott lebt, wissen wir, wie wir leben sollen. Er erwartet unsern Dienst, er gibt uns Weisung, wie dieser Dienst aussehen soll. Und damit wird auch das Leben in den schwersten Situationen erträglich. Wenn man das Leben als eine Aufgabe betrachtet, dann vermag man es immer zu tragen. Weil Gott lebt, wissen wir, dass jeder Tag, jede Stunde kostbar ist, dass wir die Zeit als Geschenk Gottes ansehen müssen. „Denke immer an das Ende und daran, dass die verlorene Zeit nicht wiederkehrt“, so heißt es im Buch von der Nachfolge Christi. Denke immer an das Ende und daran, dass die verlorene Zeit nicht wiederkehrt. Und der heilige Pfarrer von Ars lehrt uns: „Wenn die Verdammten die Zeit hätten, die wir so unnütz vertun, welch heilsamen Gebrauch würden sie davon machen! Hätten sie nur eine halbe Stunde Zeit, diese halbe Stunde würde die Hölle entvölkern.“ Wie recht hat er! Trage Gott in dein Leben, dann trägt dich dein Leben zu Gott. „Das Leben ist ein leerer Krug, du hast ihn anzufüllen, und was du dir gesammelt hast, wird dich im Jenseits stillen.“ „Wenn du nur willst, so ist der Himmel dein, wie unermesslich reich kann auch der Ärmste sein“, sagt unser schlesischer Dichter Angelus Silesius.

Wahrhaftig, meine lieben Freunde, die Erde ist eine Straße, die nur wichtig ist wegen des Zieles. Dieses Ziel liegt weit draußen in einer unermesslichen Ferne. Aber derselbe gütige Gott, der uns erschaffen hat, gibt uns die Gnade, dass wir seine Straße wandeln und sein Ziel erreichen. Wer in der Gnade lebt, wer in der Gnade glaubt und wirkt, dem liegt das Ziel schon nicht mehr weit draußen, sondern dem ist es schon in nächster Nähe. Er weiß sich in der Gottesnähe und in der Gottesfreundschaft. Was er jetzt im Glauben besitzt, das wird er einmal im Schauen erwerben. Er trägt ein Stück des Himmels wie ein Heiligtum in sich selbst. Und so konnte der Martyrerbischof Ignatius von Antiochien, als er auf dem Wege zur Hinrichtung war, schreiben: „Schön ist es, unterzugehen von der Welt zu Gott, damit ich in ihm meinen Sonnenaufgang habe.“

Wahrhaftig, wir sind Menschen, die eine Hoffnung haben. Ich habe vor Jahrzehnten einmal ein Buch in der Sowjetzone veröffentlicht, in der DDR. Und der Zensor, der staatliche Zensor beanstandete eine Stelle des Buches, weil ich nämlich geschrieben hatte: „Die Ungläubigen sind Menschen ohne Hoffnung.“ „Nein, nein, sie haben eine Hoffnung“, so meinte er, die Ungläubigen nämlich, „die Erde besser zu gestalten.“ Ich musste also diese Stelle im Buch ändern und schreiben: „Die Ungläubigen sind ohne Hoffnung auf das ewige Leben.“ Das ließ er dann durchgehen; denn an ein ewiges Leben glaubten die Marxisten nicht. Wir aber glauben daran. Wir beten in der Totenmesse: „In Christus ist uns die Hoffnung ewigen Lebens, seliger Auferstehung erschienen. Bedrückt uns auch das unabänderliche Schicksal des Sterbens, so tröstet uns doch die Verheißung der Unsterblichkeit. Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben nicht geraubt, sondern neu gestaltet. Bricht auch das Zelt, in dem wir hier auf Erden leben, ab, dann erwartet uns drüben eine unzerstörbare Heimat im Himmel.“

Diese Hoffnung ist der Grund, warum die Christen in den Katakomben in Rom und anderswo die Gräber ihrer Verstorbenen geziert haben mit Blumen, mit Fruchtgehängen, mit Weinlaub, denn sie wussten was auf ihren Inschriften stand: „in Frieden, in der Erquickung, in Gott.“ Es gibt einen letzten Sinn, der Welt, meine lieben Freunde, denn Gott existiert. So wahr Gott lebt, so wahr ist auch der unsterblichen Seele ewiges Leben bei Gott verheißen. Welche Bedeutung, welche Weihe, welches Glück strahlt aus diesem Leben, aus diesem ewigen Leben in unser irdisches Dasein! Kein Tag ist wertlos oder gleichgültig, auch kein Tag der Mühsal und der Leiden ist verloren. Verloren wäre nur ein Tag der Gottesferne. Darum lässt sich die Nutzanwendung auf die große Frage: Wohin gehst du? zusammenfassen in den beiden Sätzen: „Vergiß seinen Gott nicht! Sorge für seine Seele!“

Amen.

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