8. April 1996
Die Wirklichkeit des Auferstandenen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wie kann man sich die Auferstehung und den Auferstandenen vorstellen? Die Wirklichkeit der Auferstehung und unsere Vorstellung davon sind zwei verschiedene Dinge. Aber um unseren Aufgaben der Verkündigung und der Erkenntnis gerecht zu werden, müssen wir uns bemühen, die Auferstehung mit dem Verstande zu begreifen, soweit das menschlicher Einsicht möglich ist. Man muß davon ausgehen, daß die Voraussetzung der Auferstehung der Tod war. Der Tod war für Jesus von Nazareth ein wirkliches, unwiderrufliches Ende. Die blutige Kreuzigung, der Lanzenstich, die Herabnahme vom Kreuze, das Verbringen in das Grab, die Wächter am Grabe stehen als Ankläger gegen alle auf, welche den Ernst dieses Todes bezweifeln.
Die Auferstehung Jesu ist aber keine Rückkehr in das bisherige Leben. Jesus ist nicht auferstanden, um das Leben, das er vor der Kreuzigung führte, fortzuführen. Das ist ein Mißverständnis. Wenn es so wäre, daß das bisherige Leben weitergeht, dann wäre das ein Mythos. Nein, das Leben des nachösterlichen Jesus ist keine Fortsetzung des irdischen Lebens, denn er ist verwandelt. Seine Natur ist verwandelt, sein Leib ist verwandelt. Das deutlichste Zeichen für diese Verwandlung ist seine Erhabenheit über Raum und Zeit. Er ist nicht mehr in die Enge von Raum und Zeit eingebunden; die Schranken von Raum und Zeit beherrschen ihn nicht mehr. Früher ging er mit ihnen umher, redete zu ihnen, aß und trank mit ihnen. Jetzt kommt er plötzlich, naht sich ihnen auf dem Wege, steht in einem verschlossenen Raum plötzlich unter ihnen und verschwindet wieder. Der Auferstandene ist in eine veränderte Lebensweise eingegangen. Sie ist mit unseren irdischen Begriffen schwer zu erfassen. In den Evangelien beobachten wir zwei Reihen von Aussagen. Die eine Folge von Texten schreibt ihm eine vergeistigte Wirklichkeit zu. Manchmal erscheint der Herr über Raum und Zeit, über Fleisch und Blut so erhaben, daß man meinen könnte, er wäre ein reiner Geist. Aber das ist nur die eine Reihe der Aussagen. Die andere Folge versichert uns, daß ihm die Körperlichkeit zu eigen war; gewiß nicht die massive Körperlichkeit des irdischen Jesus, aber eine echte Körperlichkeit, die sich darin beweist, daß man seinen Körper anrühren kann, daß er Speise zu sich nimmt, daß er zu ihnen spricht. Im Unterschied von der bloßen Geistigkeit wird die wirkliche Leiblichkeit des Herrn hervorgehoben. Und im Unterschied von der massiven irdischen Körperlichkeit wird seine verklärte Leiblichkeit ausgesagt. Die liberale Theologie nimmt das zum Anlaß, um die ganzen Berichte der Evangelien als unglaubwürdig darzustellen. In Wirklichkeit ergänzen sie sich. Gerade in ihrem Zusammen bringen sie die neue Wirklichkeit des Auferstandenen zum Ausdruck. Diese Wirklichkeit unterscheidet sich von der griechischen Unsterblichkeitslehre ebenso wie von der jüdischen (sadduzäischen) Auferstehungsauffassung.
Der heilige Apostel Paulus hat sich bemüht, die neue Wirklichkeit der Natur des Auferstandenen durch Vergleiche zu erhellen. Im 1. Korintherbrief stellt er sich selbst die Frage: „Könnte jemand sagen, wie stehen die Toten auf? Mit was für einem Leibe kommen sie zum Vorschein? Du Tor! Was du säst, keimt nicht auf, wenn es nicht zuvor abstirbt. Und wenn du säst, säst du nicht die Pflanze, die erst werden soll, sondern ein bloßes Korn, etwa ein Weizen- oder ein anderes Samenkorn. Gott aber gibt ihm einen Körper so, wie er will, und einer jeden Samenart einen eigenen Körper.“ Das ist der erste Vergleich: Samen – Pflanze. Jetzt kommen weitere Vergleiche. „Nicht alles Fleisch ist dasselbe, vielmehr ein anderes ist das Fleisch der Menschen, ein anderes das der Vierfüßler, anders das der Vögel, anders das der Fische.“ Wieder ein Vergleich. „So gibt es himmlische Körper und irdische Körper, aber anders ist der Glanz der himmlischen, anders derjenige der irdischen. Anders ist der Glanz der Sonne, anders der Glanz des Mondes, anders der Glanz der Gestirne. Denn Stern unterscheidet sich von Stern am Glanz. So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Gesät wird in Verweslichkeit, auferweckt in Unverweslichkeit; gesät wird in Häßlichkeit, auferweckt in Herrlichkeit; gesät wird in Hinfälligkeit, auferweckt in Kraft; gesät wird ein sinnlicher Leib, auferweckt ein vergeistigter. Wenn es einen sinnlichen Leib gibt, so wird es auch einen geistigen Leib geben. Der erste Mensch Adam ward zum lebenden Wesen, der letzte Adam ward zum lebendigmachenden Geist. Freilich ist das Geistige nicht das erste, sondern zuerst das Sinnliche, dann das Geistige. Der erste Mensch ist aus Erde, aus Staub, der zweite Mensch ist vom Himmel. Wie der Irdische, so auch die Irdischen, und wie der Himmlische, so auch die Himmlischen. Wie wir daher das Bild des Irdischen getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen.“ In dieser Ausführung ringt Paulus, wie wir deutlich merken, nach Vergleichen und Bildern, mit denen er das Unsagbare auszusagen sich bemüht. Er weiß, wovon er redet, denn er selbst hat ja den Auferstandenen erfahren. Vor Damaskus ist ihm der Auferstandene als Lichtwesen erschienen. „Da sah ich am Mittag auf dem Wege, o König, vom Himmel her ein Licht, glänzender als die Sonne, das mich und meine Gefährten umstrahlte. Wir stürzten alle zu Boden. Dann hörte ich eine Stimme, die zu mir sprach: 'Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?'„
Das Licht scheint besonders geeignet zu sein, uns eine Ahnung von der Auferstehung und dem Auferstehungsleibe zu verschaffen. Der Leib Christi ist durchlichtet. Er ist durchlichtet, weil die Herrlichkeit Gottes ihn durchstrahlt. Auf Erden war der Leib Christi gleichzeitig Offenbarung und Verhüllung der Herrlichkeit Gottes, doch mehr Verhüllung als Offenbarung. Jetzt aber, nach der Auferstehung, ist der Leib Christi verklärt. Er ist verklärt in einer ähnlichen Weise, wie es einmal auf dem Berge Tabor geschehen ist. Da wurde der Leib Christi von der Herrlichkeit Gottes durchstrahlt. Sein Antlitz leuchtete wie die Sonne, seine Kleider wurden licht, sie glänzten wie der Schnee. Die Herrlichkeit Gottes wird also durch das Licht in analoger Weise ausgedrückt. Und diese Verwandlung in die Herrlichkeit Gottes, in die Lichtherrlichkeit Gottes geschieht durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist hat die menschliche Natur Jesu geschaffen. Er ist es auch, der sie jetzt umwandelt. Er wandelt sie so um, daß die Herrlichkeit Gottes anschaubar, erkennbar wird für den, dem der Herr diese Sicht gewährt.
Dennoch darf man den Unterschied zwischen dem verklärten Christus und dem irdischen Christus nicht übertreiben. Denn der Auferstandene ist kein anderer als der Gekreuzigte. Er ist nur anders geworden. Zum Zeichen dafür, daß der Auferstandene mit dem Gekreuzigten identisch ist, läßt der Herr die Jünger die Dichtigkeit seines Körpers fühlen. Sie dürfen ihren Finger in die Male der Wunden legen, er redet mit ihnen, er ißt mit ihnen, er bricht das Brot mit ihnen. So, wie er es in Emmaus macht, hat er es immer gemacht, und sie haben ihn daran erkannt. Der Auferstandene ist derselbe wie der Gekreuzigte. Er ist nur anders geworden. Die Verklärung hat die Herrlichkeit Gottes in ihm durchdringen lassen, die immer in ihm war, die aber auf Erden, weil unsere Augen gehalten sind und den Lichtglanz Gottes nicht ertragen können, in verhüllter Weise unter uns gegenwärtig war. Auf diese Weise ist es annähernd möglich, etwas von dem Geheimnis der Auferstehung und der Verklärung des Herrn zu begreifen.
Von ungläubigen Theologen wird manchmal die Frage gestellt, was denn eine Videokamera, in der Grabeshöhle des Herrn angebracht, aufgezeichnet hätte, als die von ihnen so bezeichnete „sogenannte Auferstehung“ stattfand. Sie sagen: Nichts! Denn nach ihrer Meinung ist nichts geschehen. Doch diese Ansicht ist ein gewaltiger Irrtum und eine abgründige Dummheit. Wenn eine Videokamera in dem Grabe des Herrn angebracht gewesen wäre, hätte sie sehr viel aufgezeichnet. Sie hätte aufgezeichnet, daß eine wunderbare Lichterscheinung den Leib des Herrn ergriffen und verwandelt hat. Sie hätte aufgezeichnet, daß an der einen Stelle die Leinenbinden und an der anderen das Kopftuch Jesu lag. Die Videokamera hätte auf ihre Weise ein Zeugnis für die wahrhafte Verwandlung unseres Herrn geliefert. Amen.