13. März 1994
Die Pflicht zur Anbetung Jesu Christi
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Zu Jesus beten? Ebensogut könnte ich auch zu meiner Großmutter beten.“ Der das gesagt hat, ist der evangelische Theologieprofessor Herrmann. „Zu Jesus beten? Ebensogut könnte ich auch zu meiner Großmutter beten.“
An dem Verhalten zu Jesus zeigt sich, was man von ihm hält. An der Verehrung, die man ihm gewährt, ist abzulesen, welche Vorstellung man von seiner Person und von seiner Würde besitzt. Wenn Sie heute wissen wollen, was jene, die über Jesus reden, und es sind deren ja viele, von Jesus halten, dann müssen Sie fragen: Beten Sie zu Jesus? Beten Sie Jesus an? Und wenn der Gefragte darauf mit ja antwortet, dann darf man annehmen, daß sein Glaube intakt ist. Aber wenn er anfängt, darum herumzureden, dann wissen wir, daß er den Glauben der Kirche nicht mehr teilt.
Im Laufe der Geschichte sind mannigfache Ansichten über Jesus zutage getreten, und sie haben sich immer auch niedergeschlagen in der Weise des Umgangs mit Jesus. Die Arianer leugneten die Gottheit Jesu. Infolgedessen konnten sie auch Jesus nur verehren, wie man einen heiligen und ehrwürdigen Menschen verehrt. Die Nestorianer nahmen in Jesus zwei Personen an. So mußten sie unterscheiden: Den göttlichen Logos beten sie an, aber den Menschen Jesus können sie nur verehren, wie man einen heiligen und ehrwürdigen Menschen verehrt. Die Monophysiten übertrieben und vertraten das Gegenteil. Sie lehrten, daß die menschliche Natur Jesu in die göttliche verwandelt sei. Natürlich muß man dann Jesus anbeten, aber um den Preis der Verkürzung der Menschlichkeit Jesu. Gegenüber diesen Irrtümern ist es ein Glaubenssatz der Kirche: Der ganze Christus ist als eine einzige Wirklichkeit anzubeten, und zwar mit der Verehrung der Anbetung.
Verehrung und Anbetung wird natürlich immer nur einer Person gezollt. Verehren kann man im eigentlichen Sinne immer nur ein personales Ich, ein personales Selbst. Die menschliche Natur Jesu ist in das göttliche Ich aufgenommen. Der Träger der menschlichen Natur Jesu ist der göttliche Logos. Deswegen kann, darf und muß die ganze menschliche Natur Jesu angebetet werden. Der Logos ist ihr Träger. Man kann die menschliche Natur Jesu nicht vom göttlichen Logos trennen. Seine Augen sind die Augen des göttlichen Logos, seine Hand ist die Hand des göttlichen Logos, seine Füße sind die Füße des göttlichen Logos.
Diese Notwendigkeit hat die Kirche auf zwei feierlichen Versammlungen erklärt, das erste Mal auf dem Konzil zu Ephesus: „Wer zu behaupten wagt, der angenommene Mensch müsse mit Gott, dem Worte, zusammen angebetet und zusammen verherrlicht und zusammen Gott geheißen werden wie ein anderer mit einem anderen, und nicht vielmehr mit einer Anbetung den Emanuel ehrt und mit einer Lobpreisung ihn verherrlicht, da das Wort Fleisch geworden ist, der sei ausgeschlossen!“ Und das II. Konzil von Konstantinopel hat erklärt: „Wer den Ausdruck 'Christus, der in zwei Naturen angebetet' so nimmt, daß dadurch zwei Anbetungen eingeführt werden, eine besondere für das göttliche Wort und eine besondere für den Menschen, oder wer, um das Fleisch der Menschheit Christi aufzuheben oder um die Gottheit und die Menschheit miteinander zu vermischen, von einer Natur oder Wesenheit der zusammengekommenen Naturen lügnerisch spricht und in diesem Sinne Christus anbetet, und nicht in einer Anbetung das fleischgewordene Wort Gottes samt seinem Fleische verehrt, wie die Kirche Gottes es von jeher überliefert empfing, der sei ausgeschlossen!“
In diesen Konzilsentscheidungen wird gelehrt, daß der ganze, einheitliche Christus als eine einzige Wirklichkeit zu verehren und anzubeten ist. Wir werden gleich sehen, welche Folgerungen das für unser Gebetsleben hat. Wir wollen unsere Gedanken in zwei Schritten ausbreiten,
1. Wie lehrt uns die Heilige Schrift zu Jesus und durch Jesus beten?
2. Wie lehrt uns das gottesdienstliche Leben der Kirche zu Jesus und durch Jesus beten?
In der Heiligen Schrift ist häufig, sehr häufig die Rede davon, daß wir durch Jesus zum Vater beten. Jesus ist ja unser Mittler; und weil er uns dem Vater gegenüber vermittelt, deswegen darf man, ja muß man durch Jesus zum Vater beten. Ich erwähne einige Stellen, etwa aus dem Römerbrief: „Gott hat uns durch unseren Herrn Jesus Christus den Sieg verliehen. Gott hat uns durch den Tod seines Sohnes mit sich versöhnt. Durch Christus haben wir Zutritt zum Vater.“ Paulus dankt Gott durch Jesus Christus. Er dankt durch Jesus Christus für die Erlösung vom todbringenden Leiden. Durch Jesus Christus zollt er Preis und Ehre dem allein weisen Gott. Im Kolosserbrief fordert er auf: „Durch ihn – nämlich Christus – danket Gott, dem Vater!“ Den Ephesern schreibt er: „Dankt Gott, dem Vater, allezeit für alles im Namen – das ist eben auch so viel wie „durch“ – im Namen unseres Herrn Jesus Christus!“ Nicht nur Paulus betet so; auch die Gemeinde in der Apostelgeschichte. Sie fleht Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde, an, er möge seine Hand ausstrecken, daß Zeichen, Heilungen und Wunder geschehen „durch den Namen“ seines heiligen Knechtes Jesus. Petrus fordert seine Leser in seinem ersten Briefe auf: „So soll Gott in allem verherrlicht werden durch Jesus Christus.“
Aus diesen Stellen ergibt sich, meine lieben Freunde, daß das feierliche und das private Gebet der Urgemeinde, der Urchristen, an den Vater selbst gerichtet wird. Aber es geschieht in Gemeinschaft, in Verbindung und in der Mittlerschaft Jesu. Da könnte es zunächst scheinen, daß man nur durch Jesus zum Vater betet und nicht auch zu Jesus, daß Jesus also nur der Mittler unserer Gebete und nicht der Empfänger ist.
Weit gefehlt! Eine andere Reihe von Texten der Heiligen Schrift zeigt uns, daß, weil Jesus das gleiche Wesen mit dem Vater hat und weil der Vater und der Sohn im Wirken eins sind, wir auch zu Jesus beten können, ja beten sollen, daß er auch der Empfänger unserer Gebete ist. Im Johannesevangelium wird es klargemacht, daß der Vater dem Sohne sein Wirken verliehen hat, damit alle dem Sohn die gleiche Ehre erweisen wie dem Vater. Man kann daher auch den Sohn bitten, wie man den Vater bittet. „Alles, um was ihr den Vater in meinem Namen bittet, will ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird.“ „Wenn ihr mich in meinem Namen um etwas bittet, werde ich es tun.“ Und wir alle kennen die ergreifenden Gebetsrufe des Erstlingsmartyrers Stephanus in der Stunde seines blutigen Zeugnisses für Christus. Da ruft er aus: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ Und als er in die Knie sinkt, da fleht er noch einmal mit lauter Stimme: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Hier wird also zu Jesus gebetet. Auch Paulus betet zu Jesus. Er betet dreimal, wie er erwähnt, zu Jesus, daß er ihn von dem Satansengel befreie, der ihn mit Fäusten schlägt. Ja, die Christen werden in der Apostelgeschichte als diejenigen bezeichnet, welche den Namen Jesus anrufen. Die Anrufung des Namens Jesu ist also gewissermaßen ihr Charakteristikum, unterscheidet sie von den Juden, aus denen sie ja hervorgegangen sind.
Und nicht nur Bittgebete werden an Jesus gerichtet, sondern auch Lobgebete, etwa in der Apokalypse: „Dem, der auf dem Throne sitzt, und dem Lamme seien Preis und Ehre und Ruhm und Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Das Lamm ist natürlich Jesus. Und im Philipperbrief heißt es, daß sich im Namen Jesu die Knie aller Geschöpfe beugen sollen. Genauso, wie sich die Knie beugen müssen vor dem Vater im Himmel. Im Hebräerbrief wird gesagt, daß ihn, nämlich Jesus, die Engel Gottes anbeten. Und die Apostel fielen anbetend nieder, als Jesus vor ihnen in den Himmel erhoben wurde.
Aus diesen beiden Reihen von Texten, die wir der Heiligen Schrift entnommen haben, erkennen wir, daß das Gebet durch Jesus zum Vater berechtigt ist, ja daß wir verpflichtet sind, durch Jesus zu beten, weil unser Gebet anders gar nicht ankommt, als wenn wir in der Gemeinschaft, in der Verbindung und in der Mittlerschaft Jesu uns zum Vater wenden. Es ist eben kein anderer Mittler uns gegeben als Jesus. Gleichzeitig aber ist dieser Mittler göttlichen Wesens, und deswegen kann man auch außer durch ihn zu ihm beten, wie wir soeben an einer Reihe von Stellen gesehen haben.
Diese Weise, zu beten, finden wir dann auch im gottesdienstlichen Leben der Kirche wieder. Sie haben alle den Schott oder das Diözesangesangbuch vor sich. Darin beten Sie die Texte der heiligen Messe mit. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß fast alle Texte der heiligen Messe an den Vater gerichtet sind. Wir beten zum Vater durch Jesus Christus, vor allen Dingen natürlich am Schluß der Orationen, wo wir immer sagen: Das Gebet, das wir soeben an den Vater gerichtet haben, soll „durch Jesus Christus“ zu ihm emporgetragen werden, und natürlich soll auch die Erhörung von ihm zu uns zurückgebracht werden. Diese Gebetsrichtung ist richtig. Sie ist notwendig. Denn was geschieht in der heiligen Messe? Es geschieht die Gegenwärtigsetzung des Kreuzesopfers. Wem war das Kreuzesopfer gewidmet, wem wurde es dargebracht? Es wurde dem himmlischen Vater dargebracht. Jesus hat dem Vater in Gehorsam und Liebe sein Sühne- und Genugtuungsopfer dargebracht. Wenn wir also in der heiligen Messe dieses Opfer gegenwärtigsetzen, müssen wir uns in die Gebetsrichtung Jesu eingliedern. Wir können gar nicht anders als durch ihn und mit ihm zum Vater zu flehen. Denn das ist ja sein großes Lob- und Preisopfer gewesen, daß er in Gehorsam und Liebe den Willen des Vaters vorbehaltlos in sein eigenes Leben einbezog und ihm das Opfer seines Lebens darbrachte.
Darin liegt keine Unterordnung Jesu in dem Sinne, als ob er ein zweiter Gott wäre, ein Gott niederer Ordnung, sondern darin liegt nur die Erfüllung des heilsgeschichtlichen Willens Gottes. Und der heilsgeschichtliche Wille Gottes ging eben darauf hin, daß durch den Tod des Sohnes in der Kraft des Heiligen Geistes die Erlösung bewirkt wurde.
Aber auch in der heiligen Messe beten wir nicht nur und nicht immer nur durch Jesus. Wir beten auch zu Jesus. Wir haben vorhin die Kyrierufe gesprochen: „Herr, erbarme dich unser!“ Das geht auf den Vater. „Christus, erbarme dich unser!“ Das geht auf den Sohn. „Herr, erbarme dich unser!“ Das geht auf den Heiligen Geist. Also schon hier beten wir auch zu Jesus. Wir rufen zu ihm, gleich wie wir zum Vater und zum Heiligen Geiste rufen.
Noch deutlicher wird dieses Verhältnis bei der heiligen Kommunion. Da wenden wir uns unmittelbar Jesus zu. Dreimal sagen wir: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, erbarme dich unser!“ Wir beten zu Jesus. Und in den folgenden drei Gebeten richten wir uns ausschließlich an ihn, denn er ist es, der sich jetzt uns schenken will. Er ist es, der zu uns kommen will. Er ist es, der sich mit uns vereinigen will. Darum müssen wir unsere Liebe und unsere Ergebung und unsere Hingabe ihm persönlich sagen. Deswegen diese drei Gebete, die sich unmittelbar an Jesus Christus richten.
Es gibt auch manche Orationen, die nicht an den Vater, sondern an Jesus gerichtet sind. Das soll uns zeigen und soll uns belehren, daß wir nicht nur berechtigt sind, zu Jesus zu beten, sondern daß wir auch verpflichtet sind, zu Jesus zu beten, um ihn ernstzunehmen als den wesensgleichen Sohn des himmlischen Vaters.
Weil der ganze Christus in einer Anbetung zu verehren ist, können wir auch Bestandteile seines irdischen Selbst zum Gegenstand unserer Verehrung machen. Und das hat die Kirche und die kirchliche Frömmigkeit im Laufe der Jahrhunderte deutlich herausgearbeitet. Wir verehren den verklärten Leib unseres Herrn, wir verehren sein kostbares Blut, und zwar nicht so, daß die Verehrung nur auf die materiellen Bestandteile seines Selbst geht, sondern so, daß sie durch diese Bestandteile hindurch auf die Person des göttlichen Logos gerichtet ist. Wenn wir an Fronleichnam den Leib des Herrn durch die Straßen tragen, dann jauchzen wir dem verborgenen Gott und Heiland zu. An den Sterbetagen unserer Lieben und auf den Friedhöfen verehren wir die heiligen fünf Wunden. Es sind die wirklichen, ihm durch die Henker geschlagenen geöffneten Stellen seines kostbaren Leibes. Aber freilich, wir bleiben dabei nicht stehen, sondern wir dringen durch die Wunden hindurch zu seinem göttlichen Wesen, zu seiner göttlichen Person. Wir verehren in den Wunden die Liebe des Logos, der sich für uns geopfert hat.
Und was soll ich sagen vom heiligsten Herzen Jesu? Wir verehren das leibliche Herz Jesu mit seinem menschlichen Innenleben. Aber wir verehren das leibliche Herz Jesu mit seinem menschlichen Innenleben, weil wir dadurch hindurchstoßen zu seinem göttlichen Selbst. Der Träger dieses menschlichen Herzens und dieses menschlichen Innenlebens ist eben nur einer, nämlich der göttliche Logos. Darum also beten wir das heiligste Herz Jesu an, weil es ein Bestandteil der einen Wirklichkeit Jesu ist, die ihr Selbst, ihr Ich, ihre personale Mitte im Logos besitzt.
Wir können und sollen durch Jesus zum Vater im Himmel beten. Wir bekennen uns damit nämlich zu der Mittlerschaft unseres Herrn und Heilandes, der uns durch sein kostbares Blut, durch seinen schmerzlichen Tod von den Sünden erlöst hat. Aber wir beten auch zu Jesus. Er ist auch der Empfänger unserer Gebete, und die Kirche hat uns immer so beten gelehrt, daß wir unsere Gebete unmittelbar an Jesus richten als den Erhörer unseres Flehens.
„Jesus, Jesus, komm zu mir! O, wie sehn' ich mich nach dir! Meiner Seele bester Freund, wann werd' ich mit dir vereint?“ So beten viele von uns seit der ersten heiligen Kommunion. Und das ist richtig so. Die Liturgie selbst lehrt es uns, so zu beten. Wir rufen zum heiligsten Herzen Jesu: „Herz Jesu, ich vertraue auf dich!“ Und dieses Gebet ist berechtigt, denn dieses Herz ist reich für alle, die es anrufen. Es ist eine Schatzkammer, es ist die Zuflucht und der Ruheort für alle Bedrängten und Beladenen dieser Erde. Wir beten selbstverständlich weiter: „Vater unser, der du bist in deinem Himmel.“ Und wir sind glücklich, daß wir unseren Gott Vater nennen dürfen. Aber gleichzeitig rufen wir: „Jesus, dir leb' ich. Jesus, dir sterb' ich. Jesus, dein bin ich tot und lebendig!“
Amen.