14. November 1993
Vom Wirken des Teufels
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am vergangenen Sonntag haben wir uns über das Wesen des Teufels Klarheit verschafft. Wir haben heute und am folgenden Sonntag zu bedenken, welches sein Wirken ist.
Der Teufel haßt Gott. Er lebt im Gotteshaß. Gott aber ist das personale Gute. Weil der Teufel Gott haßt, kann er nichts und niemanden mehr lieben. Er haßt auch den Menschen, weil er in ihm Gott, den Heiligen und Schöpfer, haßt. Er sucht deswegen den Menschen von Gott abspenstig zu machen, ihn in die Gottabgewendetheit hineinzuziehen. Er haßt das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes in dieser Welt und sucht sie zu Fall zu bringen. Es gibt nicht nur eine apersonale böse Macht, sondern es gibt ein personales Böses, dessen innerstes Wesen, dessen innerste Gesinnung böse ist und welches das Böse um des Bösen willen will.
Die Bosheit des Teufels zeigt sich darin, daß er den Menschen zur Sünde verführt. Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, gewiß, das gilt, aber die Verführung zu dieser Sünde kam vom Teufel. Durch den Neid des Teufels ist deswegen auch die Sünde in die Welt gekommen, und jede Sünde ist ein Anschluß an die Ursünde, ist ein Anschluß an das Wirken des Teufels von Anfang an. Jeder Sünder gibt dem Wirken des Teufels nach, stellt sich in die Reihe der Gotteshasser, deren erster der Teufel ist. Es ist dem Menschen keine Wahl gegeben: Entweder unterwirft er sich Gott, oder er ist dem Teufel unterworfen, ein drittes gibt es nicht. Entweder ist er frei von Gott, oder er ist frei vom Teufel.
Der Mensch, der dem Teufel nachgibt, gerät unter seine Herrschaft. Die Heilige Schrift nennt den Teufel den Fürsten dieser Welt, den Herrn der Welt, ja den Gott dieser Welt. Er ist der Herrscher über die Welt, in der Unrecht, Lüge, Verfolgung, Ungerechtigkeit, Haß und Unlauterkeit herrschen. Er ist freilich der Herr dieser Welt nicht in demselben Sinne wie Gott. Er ist Gott unterworfen, aber Gott duldet, daß der Teufel in dieser Welt des Leids und der Vergänglichkeit, in dieser Welt des Hasses und der Unlauterkeit seine Herrschaft ausübt.
Im Alten Testament sind es vor allem drei Stellen, in denen das Wirken des Teufels beschrieben wird. Ganz scharf umrissen ist seine Gestalt im Buche Job. Da wird in dichterischer Freiheit und Einkleidung eine Versammlung bei Gott geschildert; auch der Satan ist anwesend bei dieser Versammlung. Gott verweist auf seinen Diener Job, auf seine Frömmigkeit, aber der Satan bezweifelt die Echtheit der Frömmigkeit. Er verlangt von Gott, daß er ihm Gewalt gebe über seine Gesundheit und über sein Eigentum und dann werde er diese Frömmigkeit als unecht erweisen. Gott gestattet es ihm, und er macht sich ans Werk. Der Teufel sucht die Tugend des Job zu Fall zu bringen, indem er ihn am Eigentum und in der Gesundheit schädigt. Er will Gottes Überzeugung als unrecht erweisen, daß es eben wahre Gottesfurcht gibt. Er will Gott ins Unrecht setzen und deswegen bekämpft er den tugendhaften Job und will ihn in die Ungerechtigkeit, in der er selbst lebt, hineinziehen.
Im Buche Zacharias steht der Hohepriester Josue in schmutzigen Gewändern vor dem Engel des Herrn. Diese schmutzigen Gewänder sind ein Sinnbild der sündhaften Gemeinde, aber sie soll entsühnt und entsündigt werden. Das soll dadurch sichtbar dargestellt werden, daß dem Hohenpriester reine Gewänder angezogen werden. Aber der Teufel sucht diesen Wechsel zu hintertreiben. Er wendet sich also gegen die Wiederbegnadigung des Volkes, der Gemeinde, er wendet sich gegen den gnädigen Gott, er ist der Widersacher Gottes in der Begnadigung der reuigen Gemeinde.
Die dritte Stelle, in der der Teufel im Alten Testament geschildert wird, ist das 1. Buch der Bibel, die Genesis. Da wird die Ursünde geschildert. In der Gestalt einer Schlange nähert sich der Teufel den ersten Menschen. Die Schlange scheint geeignet, den Teufel zu versinnbilden wegen ihres schleichenden, unheimlichen, tückischen Wesens. Sie ist gleichsam ein Abbild der Verschlagenheit und Listigkeit des Teufels. Sie nähert sich den Menschen mit einer Lüge. Gott hatte den Menschen nur von einem bestimmten Baum zu essen verboten, und die Schlange lügt, daß Gott ihnen verboten hat, von allen Bäumen des Gartens zu essen. Sie sucht Gott ins Unrecht zu setzen, als ob er in böser, betrügerischer, selbstsüchtiger Absicht die Menschen von der Erleuchtung fernhalten wolle, die sie durch den Genuß des Baumes der Erkenntnis gewinnen können. Er verdächtigt Gott bei den Menschen, und gleichzeitig stachelt er ihr Selbstbewußtsein an: „Keineswegs werdet ihr sterben, ihr werdet sein wie Gott!“
Je näher das Reich Gottes kommt, um so stärker verdichtet sich das Wirken des Satans. In Christus ist das Reich Gottes auf Erden erschienen, deswegen ist auch der Ansturm des Satans gegen Christus von einer unerhörten Schärfe und Härte. Jesus hatte sich zur Vorbereitung seines öffentlichen Auftretens in die Wüste zurückgezogen. Da nahte sich ihm der Teufel – denn Jesus hatte Hunger –, und er empfahl ihm, seinen Hunger zu stillen. Die Befriedigung des Hungers ist keine Sünde, aber worauf Satan hinauswollte, war etwas anderes: „Sag, daß diese Steine Brot werden!“ Er mutete ihm also zu, seine göttliche Macht in eigennütziger, in irdischer Weise zu benutzen, sie also zu mißbrauchen. Denn diese Macht hat er ja bekommen, um das Reich Gottes herbeizuführen. Jesus weist den Versucher ab, indem er auf den Vorrang des Wortes Gottes vor der Stillung irdischer Bedürfnisse hinweist: „Nicht vom Brote allein lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt!“
Die zweite Versuchung besteht darin, daß der Satan Christus ein Schauwunder zumutet. Er stellt ihn auf die Zinne – also auf den Mauerkranz – des Tempels und sagt: „Stürze dich da hinab, Gott hat ja seinen Engeln befohlen, dich auf den Händen zu tragen, daß dein Fuß nicht stoße an einen Stein!“ Hier mutet also der Teufel – mit einem Bibelwort im Munde! – Christus zu, ein Sensationswunder zu wirken, auf einem bequemen und leichten Wege sich Anhänger zu verschaffen, seine Messianität dadurch den Menschen nahezubringen, daß er ein unerhörtes Schauwunder wirkt. Das wäre ein angenehmer Weg gewesen, um Anhänger zu gewinnen, aber es wäre der falsche Weg gewesen. Er mußte sich die Anhänger gewinnen durch sein Wort der Wahrheit, durch sein Leben und Leiden und Sterben, aber nicht durch ein betäubendes, die Menschen überwältigendes Schauwunder. Deswegen weist der Herr ihn zurück und geht auf seinen „Vorschlag“ nicht ein.
Die dritte Versuchung besteht darin, daß ihm der Teufel die Herrlichkeit, die Reiche der Welt zeigt und ihm verspricht, alles das zu übergeben, wenn er vor ihm niederfällt und ihn anbetet. Er weiß sich ja als den Herrn der Welt, und als solcher will er Jesus seine Herrschaft übertragen. Er mutet ihm also zu, nicht das Reich Gottes aufzurichten, sondern das Reich der Welt. Das ist die innerste Verkehrung des Auftrags Jesu. Hier wird ihm angesonnen, an die Stelle des Gottesreiches das Weltreich, das Reich des Teufels aufzurichten. Und deswegen die Härte der Abweisung: „Weiche, Satan!“
Die Versuchungen Jesu, die uns hier in der Wüste geschildert werden, waren nicht die einzigen. Der Evangelist Lukas fügt hinzu: „Der Teufel verließ ihn bis zu gelegener Zeit.“ Er hat also nicht abgelassen von Jesus, er hat ihn weiter und weiterhin versucht, um ihn von seiner Sendung abtrünnig zu machen.
Die Wirksamkeit des Teufels bezieht sich nicht nur auf den seelischen Bereich, sondern auch auf den körperlichen. Der Teufel richtet seine Verwüstungen nicht nur in der Seele der Menschen an, sondern auch in den Leibern. Er ist der Herr der Welt, in der es Krankheit und Unglück und Leiden gibt. Nicht jede Krankheit und nicht jedes Leid ist auf das Wirken des Teufels zurückzuführen, aber daß es eine Welt gibt, in der es Krankheiten und Leiden und Schmerzen gibt, das fällt in die Verantwortung des Teufels.
Die vom Satan verursachten Leiden erreichen ihren Gipfel in der Besessenheit. In der Besessenheit ist ein Mensch in seinem Wollen und Handeln lahmgelegt. Der Teufel haust in einem Menschen und bedient sich des Menschen und sucht ihm zu schaden und in das Unglück zu stürzen. In den Besessenen begegnet Jesus unmittelbar seinem Feind, denn er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Wenn sie ihn spüren, fangen sie an zu schreien und sich zur Wehr zu setzen. Sie spüren, daß der gekommen ist, der das Ende aller Unreinheit und aller Bosheit ist. Am erschreckendsten ist die Schilderung des Besessenen von Gerasa. Er hauste in Grabhöhlen und konnte auch mit Ketten nicht gefesselt werden; er schrie und schlug sich mit Steinen. Das Auftreten dieses Besessenen von Gerasa ist ein Sinnbild des Wirkens des Teufels, denn der Teufel wendet ja den Menschen ab von Gott, der das Leben ist, und deswegen haust der Besessene in Grabhöhlen, dort, wo die Toten sind.
Weil der Sünder sich von Gott abwendet, der das Leben ist, deswegen gerät er in eine Lage, die der Menschenwürde Eintrag tut. Das eben ist der Fall und bei dem Besessenen von Gerasa. Er lebt ein menschenunwürdiges Leben. Als er Jesus sieht, da läuft er ihm entgegen. Und er ist nicht nur von einem Teufel besessen, sondern von vielen, es sind ihrer Legion, die in ihm hausen. Aber Jesus ist mächtiger, er vertreibt die Teufel, und sie fahren in die Schweineherde als Zeichen ihrer Unreinheit und ihrer Gemeinheit. Wenn der Starke seinen Hof bewacht, dann ist sein Eigentum in Sicherheit. Wenn aber der Stärkere über ihn kommt, dann überwältigt er ihn und nimmt ihm seine Waffenrüstung als Beute ab. Das hat sich wahrhaft erfüllt in dem Sieg Jesu über die Besessenheit.
Uns mag diese Erscheinung fremdartig vorkommen, aber, meine lieben Freunde, wir haben hier nicht nach eigenem Urteil zu entscheiden, sondern nach dem Urteil Jesu. Wir haben uns unter das Urteil Jesu zu beugen, und für ihn ist die Besessenheit eine Realität. Er ist nicht nur gekommen, eine Lehre zu bringen, einen Weg zu weisen, den Menschen Leben zu schenken, nein, er ist gekommen, die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Er ist gekommen, um die personale Macht des Satans zu überwinden. Wer die Teufelsaustreibungen Jesu nicht ernst nimmt, der verfehlt sich gegen das Wesen der Sendung Jesu, der verharmlost ihn zu einem bloßen Künder einer Lehre, wie es viele andere gewesen sind. Nein, es ist das innerste Zentrum seines Wesens und seines Berufes, den Teufel zu überwinden, und Zeichen dieser Überwindung sind die Teufelsaustreibungen.
Diese Austreibungen sind nicht nur der Sieg einer naturhaften Gewalt über eine naturhafte Ohnmacht, nein, sie sind der Sieg des Guten und der Liebe über das Böse und über den Haß. Wenn Christus die Teufel überwindet, dann nicht nur mit seiner übermenschlichen Gewalt, sondern auch mit dem Einsatz seiner innersten Gesinnung der Liebe, der Hingabe, der Treue und der Heiligkeit.
Die eben genannten Wirkweisen des Teufels, meine lieben Freunde, setzen sich bis in die Gegenwart fort. Vor wenigen Tagen brachte die Mainzer Allgemeine Zeitung einen Leserbrief eines Herrn N.N. aus Köngernheim. In diesem Leserbrief wurde gegen die Kirche polemisiert. Die Priester, so hieß es da, die 400.000 Priester der Kirche predigen vor ziemlich leeren Kirchen. Aber Drewermann hat volle Säle, überfüllte Säle, wenn er einen Vortrag hält. Nicht wahr, das erinnert an die zweite Versuchung des Teufels bei Jesus. Wenn man mit der Wahrheit nicht ankommt, dann soll man mit der Unwahrheit die Menschen fangen. Wenn man die rechte Glaubenslehre nicht mehr zu den Menschen bringt, dann soll man sie gewinnen mit Ködern, und zählt dann auf, womit die Kirche im Rückstand ist: Sexualmoral, Zölibat, Empfängnisverhütung, Abtreibung – da muß die Kirche sich ändern, so sagt er, der Leserbriefschreiber. Ja, meine lieben Freunde, das ist ja eine teuflische Versuchung! Das ist ja die Versuchung, an die Stelle der göttlichen Gebote menschliche, allzumenschliche Vorstellungen, an die Stelle der gottgestifteten Kirche ein menschliches Machwerk zu setzen!
Wir wollen uns in dieser Stunde, meine lieben Freunde, an das Wort Gottes halten, das Wort Gottes, das ja zweifellos schwer zu verwirklichen ist, aber das ohne Frage unsere Kirche als von Gott gestiftet ausweist. Die anderen beugen sich alle vor den Schwächen und Leidenschaften der libertinistischen Gesellschaft von heute. Es gibt nur eine Kirche, die feststeht, die katholische Kirche, und das ist das Zeichen ihrer göttlichen Stiftung.
Wir wollen in den Angriffen des Satans uns auf die Kraft Christi besinnen. Wir Priester beten jeden Abend in unserem Abendgebet: „Brüder, seid nüchtern und wachsam, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe. Widerstehet ihm standhaft im Glauben fest!“ Die Kirche erinnert uns jeden Abend an das Wirken des Teufels, der ja auch in der Nacht nicht schläft, und fordert uns auf, aus dem Glauben die Kraft zu ziehen, um dem Angriff des Satans zu widerstehen. Und dieser Satan ist ja besiegt. „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen,“ sagt unser Heiland Jesus Christus. Und an einer anderen Stelle: „Jetzt ist das Gericht über den Satan, er ist schon gerichtet.“ Jetzt wird er hinausgestoßen aus der Helle in die Finsternis.
„Derjenige, der in euch wirkt, ist mächtiger als der, der in der Welt wirksam ist,“ schreibt der Apostel Johannes. Wahrhaftig, das ist unser Trost und unsere Kraft und unsere Zuversicht: Derjenige, der in uns wirkt, ist mächtiger als der, der in der Welt wirksam ist.
Amen.