Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 1989

Heute ist euch der Heiland geboren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!

„Seht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Das ist der Inhalt der Weihnachtsbotschaft, das ist der Grund des Weihnachtsfestes, das ist die Basis unserer Weihnachtsfreude. Seht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr. Das Weihnachtsfest ist von vielen Randerscheinungen umlagert. Ich bin kein Purist, der das Schenken und die Freude und das Essen verurteilt, die nun einmal mit Weihnachten verknüpft sind. Ich meine, das gehört auch dazu. Aber das alles kann nur als Randerscheinung gewertet werden. Im Mittelpunkt muß stehen die Botschaft der Engel: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Es geht also um eine Geburt. Geboren worden sind viele Männer und Frauen, große Männer und bedeutende Frauen, und man hat die Geburt dieser Männer und Frauen den Völkern auferlegt zu feiern. Zwölf Jahre lang haben wir am 20. April die Geburt eines Mannes gefeiert, der dem Volke von einer geschickten Propaganda als Retter aus der Not vorgestellt wurde. Aber heute geht es um die Geburt Christi, um die Feier der Geburt eines Wesens, das jeden Geschaffenen überragt und übersteigt. „Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Drei Aussagen werden von diesem Neugeborenen gemacht. Er ist der Heiland, er ist der Christus, er ist der Herr.

Heiland ist ein altdeutsches Wort und ist die Übersetzung des griechischen Wortes soter. „Soter“ bedeutet soviel wie Retter, Erlöser, ja Heiland. Heiland ist eine genaue Übersetzung von soter. „Soter“ ist im Griechischen derjenige, der von Sünden befreit, der aus Elend und Not herausführt. Und da sieht man, daß diese Bezeichnung auf den Neugeborenen von Bethlehem sehr gut paßt, denn er wird ein ganzes Volk, ach, was sage ich, er wird eine ganze Menschheit aus der tiefsten Not, aus dem größten Elend, aus der Sünde befreien. Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren.

Die zweite Bezeichnung, die dem Neugeborenen gegeben wird, ist Christus. Das ist ein lateinisches Wort, das wiederum aus dem Griechischen kommt, Christos. Christos heißt „der Gesalbte“, und das ist wieder eine Übersetzung aus dem Aramäischen bzw. Hebräischen, nämlich des aramäischen Wortes Messias, des hebräischen Wortes Maschiach -  der Gesalbte. Diese Gestalt ist jene Person, die die Propheten jahrhundertelang angekündigt haben; sie haben verheißen, daß Gott einen Retter, einen Befreier senden wird, der sein Volk Israel erlösen wird. Auf ihn haben die Propheten und das Volk Israel gewartet, geharrt, jahrhundertelang. Heute ist diese Botschaft in Erfüllung gegangen. Heute ist euch in der Stadt Davids der Messias geboren. Ihr Hirten, sagt uns, was habt ihr gesehen? Kündet uns: Was ist euch erschienen? Sie antworten: Der Messias ist uns geboren.

Die dritte Bezeichnung des Neugeborenen ist Herr, griechisch kyrios; denn das Neue Testament ist griechisch geschrieben. Das Wort Kyrios wird im Alten Testament über sechstausendmal für Gott verwendet. Der also dort im Futtertrog der Tiere liegt, das ist derselbe, der die Spiralnebel regiert, das ist der wahrhaftige Gott, der ein Mensch geworden ist. Wenn diesem Würmlein, das da Maria in ihren Händen hält, der Name Kyrios gegeben wird, dann bedeutet das, daß der Himmel sich wahrhaft geöffnet hat und Gott auf diese Erde niedergestiegen ist. „Ich verkünde euch eine große Freude: Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Es hat sich aber nun, meine lieben Freunde, auch unter den Nichttheologen, auch unter dem gläubigen Volk herumgesprochen, daß sogenannte Theologen am Werke sind, die die Weihnachtsgeschichte ihres Wirklichkeitscharakters entkleiden, die so lange an der Weihnachtsgeschichte herumfeilen und herummogeln, bis nichts mehr davon übrigbleibt. Ich erinnere an den anglikanischen Bischof Robinson, der in einem Buche verkündet, daß die Erzählung, wonach Gott auf Erden erschienen sei, ein Mythos sei. Was ist das, ein Mythos? Ein Mythos ist eine Erfindung des menschlichen Herzens. Ein Mythos ist eine religiöse Aussage, die, ähnlich wie ein Traum, das ausdrückt, was Menschen angesichts der Numinosität der Welt empfinden. Das ist eine Erzählung, in der die Menschen die Erfahrung der Überlegenheit des Kosmos über ihr kleines Menschenleben ausdrücken. Ein Mythos ist ein Gemächte des Menschen, das versucht, etwas von der religiösen Tiefe der Wirklichkeit einzufangen und auszusagen. Nahe verwandt mit dem Mythos ist die Legende. Die Legende schildert aus der Sehnsucht des menschlichen Herzens etwas in der Gestalt einer Erzählung, deren Inhalt aber frei erfunden ist oder wenigsten sich niemals so zugetragen hat, wie diese Erzählung behauptet. Als Legenden werden die Berichte von der Geburt Jesu im Lukas- und Matthäusevangelium ausgegeben.

Solche Thesen werden heute von Bischöfen und Theologen vorgetragen, nicht nur im protestantischen Bereich, auch im katholischen. Ich habe vor mir die erste ökumenische Zeitung für Gonsenheim. In der Weihnachtsausgabe dieser sogenannten ökumenischen Zeitung heißt es: „Die Weihnachtsgeschichte, die Lukas aufgeschrieben hat, ist kein historischer Bericht.“ Es handelt sich um eine Erzählung, bei der man nicht annehmen kann, als hätte sich das alles so genau abgespielt. „Lukas wußte auch nicht,“ so steht in diesem Papier, „wie es sich abgespielt hat. Niemand wußte es. Wo Jesus wirklich geboren ist, das weiß ich auch nicht, sagt Lukas.“ Er habe eine Geschichte aufgeschrieben, eine erfundene Geschichte und einen Geburtsort angegeben, einen erfundenen Geburtsort. Jesus ist nicht in Bethlehem geboren, wie wir in dem Weihnachtslied singen „Zu Bethlehem geboren“, sondern das ist eine Erfindung des Evangelisten Lukas. Das bekommen die Katholiken und die Protestanten von Gonsenheim von ihren Pfarrern vorgetragen.

Meine lieben Christen, hier ist die Axt an die Wurzel gelegt. Viel unwahrscheinlicher, als daß Jesus, der in Nazareth aufgewachsen ist, in Bethlehem geboren wurde, ist, daß Gott auf die Erde kommt. Und wer den Geburtsort Jesu, Bethlehem, leugnet, der wird morgen auch an dem Erscheinen Gottes auf dieser Erde Zweifel anmelden. Das ist eben der Unterschied des Christentums und des Evangeliums von einem Mythos und von einer Legende, daß es seine Wurzeln nicht in der Sehnsucht des Herzens hat, daß es nicht aus den Hoffnungen des Menschen geschaffen ist, sondern daß Gott sich selbst in der Geschichte gegenwärtig gesetzt hat. Der Mythos ist ungeschichtlich. Was der Mythos ausbrütet, das geschieht immer und überall oder besser niemals und nirgends. Es ist eben ein Phantasiegebilde. Was das Evangelium berichtet, das ist einmal und ein einziges Mal geschehen in historischer Stunde. Als der Kaiser Tiberius regierte, ist, wie der Evangelist Lukas berichtet, Johannes aufgetreten und dann der Heiland. Und es werden die Namen der Fürsten genannt, die damals in Palästina regierten, und die Namen Hohenpriester. Das ist eine geschichtliche Stunde. Der Mythos spielt überall und nirgends. Er kann in Asien oder in Afrika oder in Amerika spielen, das ist ganz gleichgültig, er ist nirgends beheimatet. Aber das Evangelium ist an einem bestimmten geographischen Ort angesiedelt, nämlich in Israel, im heiligen Land. Und es sind geschichtliche Personen, die im Evangelium diese Geschichte bezeugen. Warum soll denn der Geburtsort, der wahre Geburtsort Jesu, Bethlehem, unbekannt gewesen sein? Haben wir nicht eben im Evangelium gehört, Maria behielt alle diese Worte? Und wird nicht der Evangelist Lukas die Mutter gefragt haben? Sie muß es ja wissen, wo sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte.

Hier stehen wir, meine lieben Christen, vor dem Anfang der Auflösung des Christentums. Hier stehen wir vor der Entgeschichtlichung, vor der Enthistorisierung unseres Evangeliums. Es fängt mit scheinbar nebensächlichen Dingen an, wie mit dem Geburtsort Jesu, und es endet damit, daß der anglikanische Bischof Robinson das Erscheinen Gottes auf dieser Erde als Mythos bezeichnet.

Nein, einmal hat sich der Himmel geöffnet, und einmal ist das Wort Fleisch geworden. Und diejenigen, die es bezeugt haben, sind mit ihrem Leben dafür eingestanden. Wir können die Hirten fragen, was sie gesehen haben. Sagt uns, ihr Hirten, was habt ihr gesehen? Wer ist erschienen auf Erden? Den eingeborenen Sohn Gottes haben wir gesehen und die Engel, die Gott loben.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, nicht aus traditionalistischer Anhänglichkeit, nicht aus sentimentaler Nostalgie, sondern aus Überzeugung, aus einer Überzeugung, die sich auch vor dem Verstande rechtfertigen läßt, an dem vollen geschichtlichen Inhalt der Weihnachtsbegebnisse festhalten. Seht, ich verkünde euch eine große Freude. Heute ist euch in der Stadt Davids der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr!

Amen.

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