Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. März 1987

Das auserwählte Volk Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag haben wir die Verheißungen, die der Herr, unser Gott, ergehen ließ über die Ankunft des Erlösers, über sein Werk, über sein Leiden und Sterben betrachtet. Diese Verheißungen sind eingebettet in die Vorbereitung auf das Kommen des Erlösers. Die Vorbereitung des Erlösers geschah vorzüglich in der Weise, daß Gott sich ein Volk auserwählte, das er als Priestervolk für die anderen Völker zu benutzen gedachte, um auch allen Heidenvölkern das Heil zuzuwenden. Daß Gott ein auserwähltes Volk schuf, bedeutet also nicht die Verwerfung der übrigen Völker, sondern im Gegenteil, es bedeutet, daß er das Heil für alle Völker bereiten wollte, indem er ein Volk auserwählte, das priesterlich – also vermittelnd – für andere Völker tätig werden sollte.

Dieses Volk hat Gott in vierfacher Weise für die Ankunft des Erlösers vorbereitet. Erstens, indem er es schweren Prüfungen unterwarf. Dieses Volk war sinnlich und sinnenhaft, es verlangte mehr nach den Fleischtöpfen Ägyptens als nach dem gelobten Land. Deswegen ließ Gott schwere Prüfungen über das Volk kommen. Die Knäblein in Ägypten sollten getötet werden, Bedrückungen ohne Zahl, Fortführung in Gefangenschaft, grausame Könige. So und auf diese Weise wollte Gott dieses Volk heiligen, sein Vertrauen anfachen, seine Liebe zu Gott erwecken.

Die zweite Weise der Vorbereitung waren strenge Gesetze, die Gott ihm gab. Unter Donner und Blitz erfolgte die Gesetzgebung auf dem Berge Sinai, und sie war begleitet mit vielen Verheißungen und Drohungen.

Die dritte Weise, wie Gott das Volk vorbereitete, waren Wunder, die er vor den Augen des Volkes durchführte. Denken wir nur an den Durchzug durch das Rote Meer, an die Ernährung in der Wüste, an das Wasser, das Moses aus dem Felsen schlug – alle diese Wunder sollten im Volke den Glauben an den erlösenden Gott befestigen und erhalten.

Die letzte Weise, wie Gott dieses Volk vorbereitete, war die Sendung von Propheten. Etwa 70 insgesamt zählen wir, Männer, gotterfüllte Männer, die gesandt waren, den Glauben an Gott und das Vertrauen auf ihn zu erhalten und zu festigen.

Die Vorbereitung des auserwählten Volkes begann mit der Berufung des Abraham. Abraham lebte in Chaldäa, später in Mesopotamien. Eines Tages erhielt er die Weisung, seine Heimat, seine Verwandtschaft zu verlassen und in ein anderes Land zu ziehen, das Gott ihm zeigen werde. Abraham gehorchte, und so wurde er der Stammvater aller Gläubigen. Sein Sohn war Isaak, den er auf dem Berge opfern sollte, dessen Sohn war Jakob. Jakob ist der Vater von zwölf Söhnen, einer von ihnen, Josef, wurde nach Ägypten verkauft, stieg aber dort zum Vizekönig auf und berief seine Verwandten nach Ägypten. Dort vermehrte sich das Volk, wurde stark und erregte den Neid und die Eifersucht der Ägypter, so daß sie dieses Volk bedrückten und quälten. In ihrer Not berief Gott den Moses, der das Volk aus Ägypten führte. In einem langen Wüstenzuge kamen die Israeliten in die Nähe des gelobten Landes, aber Moses durfte wegen seines Zweifels das Land nur auf dem Berge Nebo schauen, einziehen durfte er nicht. Das war seinem Nachfolger Josue vorbehalten, der das Land Israel, das heutige Palästina, aufteilte unter die zwölf Stämme. Es folgten ihm die Richter, der letzte war Samuel. Samuel mußte dem Volk auf dessen Begehren hin einen König geben. Der erste König war Saul, ein grausamer Mann, der sich selbst töten ließ. Ihm folgte der König David, unter dem das Land und das Volk eine Blütezeit erlebte. David war ein frommer Mann, wir verdanken ihm viele Psalmen, die wir Priester noch heute jeden Tag im Brevier beten dürfen. Er war auch ein reuiger Mann. Als er zwei schwere Sünden begangen hatte, da tat er Buße. Den Tempel durfte er nicht bauen, das war erst seinem Nachfolger Salomon vorbehalten. Salomon war ein Mann von Weisheit und Reichtum, ein Mann, dem wir eines der heiligen Bücher des Alten Testamentes verdanken, nämlich das Buch der Sprichwörter, Salomon, der weise König, zu dem die Königin von Saba kam, um seine Weisheit kennenzulernen.

Nach dem Tode Salomons verfiel sein Reich. Es entstand ein Nordreich, Israel, und ein Südreich, Juda. Sein Sohn war nämlich ein harter Mann. Er vermehrte die Steuern, da erhoben sich zehn Stämme im Norden, fielen von ihm ab, es blieben nur zwei Stämme treu, Juda und Benjamin, im Süden.

So sind also die beiden Reiche jetzt jahrhundertelang getrennt gewesen und haben verschiedene Schicksale erlitten. Das Nordreich, Israel, wurde schon im Jahre 722 von dem assyrischen König erobert, ein großer Teil, der wertvollste Teil dieses Volkes, wurde in Gefangenschaft weggeführt. Das Südreich konnte sich länger halten, aber auch ihm machte der babylonische König Nabuchodonosor ein Ende. Im Jahre 588 wurde auch hier der größte Teil des Volkes in die Gefangenschaft nach Babylon abgeführt.

So waren die beiden Reiche zugrunde gegangen durch die eigene Schuld, wie die Propheten immer wieder hervorgehoben haben, weil sie Gott nicht treu waren, weil sie von Gott abgefallen waren, weil sie in Sinnlichkeit und Gottvergessenheit sich fremden, nichtigen Göttern zugewandt hatten. In der Gefangenschaft blieben die Israeliten, bis das babylonische Reich durch die Perser zerstört wurde. Als der persische König Cyrus im Jahre 538 das babylonische Reich eroberte, da entließ er die Juden in ihre Heimat. Im Jahre 536 zogen sie, aus der großen babylonischen Gefangenschaft befreit, wieder in ihr Land zurück – es wird die Zahl von 42.000 angegeben. Sie bauten Jerusalem wieder auf, das ja zerstört war, und der König Artaxerxes erlaubte ihnen im Jahre 453, die Stadt neu zu befestigen.

Unter persischer Herrschaft hatten die Juden nichts zu leiden. Aber auch die persische Herrschaft fand ein Ende, das wissen wir alle noch aus der Schule: König Alexander von Mazedonien – Alexander der Große – eroberte und zerstörte das Perserreich, die Juden kamen also jetzt unter griechische Herrschaft, unter die Herrschaft der Seleukiden, der Nachfolger Alexanders des Großen. Unter diesen waren böse Könige, z.B. Epiphanes IV., der die Juden grausam unterdrückte, sie zwang, ihre eigenen Gesetze zu übertreten. Gegen diesen Druck erhoben sich die Juden unter Führung der Makkabäer und warfen das syrische Joch ab. Es kamen wieder Könige an die Regierung aus der Sippe des Mattathias und Simon. Unter ihrer Regierung wurde wieder das Religionswesen aufgerichtet, aber  im Jahre 64 v.Chr. erschien der römische Feldherr Pompeius in Palästina und unterwarf das Land Rom. Der letzte König aus der Sippe des Mattathias wurde abgesetzt, Herodes der Große, ein Fremdling, ein Nichtjude, zum König eingesetzt. Er regierte von 39 v.Chr. bis 4 n.Chr. Das ist der Mann, unter dessen Regierung Jesus Christus, unser Heiland, geboren wurde. Er erhielt den Beinamen „der Große“, weil er tatsächlich ein bedeutender Herrscher war. Ihm folgte Herodes Antipas, sein Sohn. Herodes Antipas ist jener König, jener Herodes, der Johannes den Täufer enthaupten und Jesus im Spottgewand vorführen ließ. Auf Herodes Antipas folgte Herodes Agrippa. Agrippa ist jener König, der den Petrus einsperren und Jakobus den Älteren enthaupten ließ. Im Jahre 70 n.Chr. endlich erschien der römische Feldherr Titus mit einem Riesenheer, zingelte Jerusalem ein, zerstörte die Stadt im Feuerbrand und zerstreute das Volk über die ganze Erde.

Das ist das Schicksal des auserwählten Volkes, das den Tag seiner Heimsuchung nicht erkannte.

Auch die Völker, die nicht zum auserwählten Volk gehörten, erfuhren eine Vorbereitung. Zunächst einmal durch das auserwählte Volk selbst. In der Zerstreuung, durch die Gefangenschaft und durch den Geschäftsverkehr – die Juden waren ja tüchtige Geschäftsleute – wurden die Gedanken der jüdischen Religion auch anderen Völkern bekannt. Die Heilige Schrift des Alten Testamentes wurde übersetzt. Wir haben eine syrische Übersetzung, wir haben eine griechische Übersetzung, die Septuaginta. So wurden die fremden Völker auch mit dem Glauben an den einen Gott, wie er in Israel einzigartig bewahrt wurde, bekannt, und manche von ihnen waren davon so angetan, daß sie zum Judentum übertraten. Man nannte sie Proselyten. Wegen dieser segensreichen Wirkung der Zertreuung des jüdischen Volkes, nämlich Bekanntmachung des wahren Glaubens an den einen Gott, preist Tobias einmal die Gefangenschaft. Er sagt: „Lobet Gott, ihr Israeliten, daß er euch zerstreut hat, denn dadurch war es uns möglich, die Wundertaten Gottes zu erzählen und den Heiden, die Gott nicht kennen, den allmächtigen Gott bekannt zu machen.“

Aber auch unter den Heidenvölkern gab es edle Persönlichkeiten, die sich, vom Tau der Gnade berührt und ihrem Gewissen gehorsam, zu einer wunderbaren Höhe der Auffassung von der Religion erhoben. Ich erwähne aus Griechenland nur Sokrates, diesen weisen Mann. Er legte den Götterglauben ab, vertrat den Ein-Gott-Glauben, predigte Enthaltsamkeit, Sanftmut, Demut, Mäßigkeit. Er wurde wegen seiner Auffassungen im Jahre 399 zum Tode verurteilt.

Auch durch Wundertaten bereitete Gott die außerisraelitischen Völker auf die Ankunft des Erlösers vor. Denken wir an die Wandschrift, die der König Baltassar während eines Gelages an der Wand erscheinen sah: „Mene – Tekel – Phares“, eine furchtbare Ankündigung, daß sich seine Tage erfüllt hätten und sein Reich zerstört würde. Auch andere Wunder wirkte Gott unter den Heidenvölkern. Durch Träume oder durch Zeichen – wie Daniel in der Löwengrube – machte er sie aufmerksam, daß nur ein wahrer, allmächtiger Gott ist. Alle diese Ereignisse machten die besten unter den Völkern bereit für die Sehnsucht nach dem Erlöser.

In dem Judenvolke herrschten Spaltungen. Es gab dort drei Parteien, die Sadduzäer, die Rationalisten, die Aufklärer, die nicht an die Auferstehung glaubten, die Pharisäer, die sehr fromm waren, aber verknöchert und verhärtet, die Essener, die sich von der Welt zurückzogen und die Ehe verurteilten. Das war der Zwiespalt im jüdischen Volke, drei Parteien, drei Sekten. Unter den Heiden war es noch schlimmer. Sie versanken in Unwissenheit und Sittenlosigkeit.

Der Geschichtsschreiber Hesiod sagt: „Man kann die Götter gar nicht zählen, so viele Götter gibt es.“ Und so erhob sich unter den besten der Heiden die Sehnsucht nach dem Erlöser. Der große römische Dichter Horaz ruft in einer Ode aus: „O komm, du Sohn der heiligen Jungfrau, komm zu deinem Volke, bleibe lange bei ihm, kehre spät in den Himmel zurück und laß es dein Gefallen sein, von uns hier Vater und König genannt zu werden!“

Diese ergreifende Sehnsucht hat in den besten der Heidenvölker Fuß gefaßt und diese Sehnsucht, die sie mit den Juden teilten, wurde in einzigartiger Weise erfüllt durch das, was unser Gott in Jesus Christus zum Heile der Menschheit gewirkt hat.

Amen.

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