Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 2018

Gott unser Vater

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Heute beginnt das neue bürgerliche Jahr. Sein Anfang kann uns nicht gleichgültig sein. Wir sind in vielerlei Weise in die übliche Zeitrechnung eingeflochten. Unser Lebensalter wird nach Tag, Monat und Jahr in der gebräuchlichen Ära angegeben, unsere Erwerbstätigkeit richtet sich nach den Jahren, es gibt einen Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Erwerbsarbeit. Wir werden also im neuen Jahr arbeiten und ruhen, hoffen und leiden. Wir werden im neuen Jahr auch beten: Vater unser, der du bist in deinem Himmel. Es ist unser liebstes und schönstes Gebet, es ist das Gebet, das uns der Heiland selbst gegeben hat. Aber denken Sie daran, wie dieses Gebet in der heiligen Messe eingeleitet wird: „Durch heilbringende Anordnung gemahnt und durch göttliche Belehrung angeleitet, wagen wir zu sprechen“ – es ist ein Wagnis, Gott als Vater anzureden, denn er ist der Herr. Durch die Anrede „Vater“ oder „Vater im Himmel“ stellt sich der Betende im Geiste vor Gott. Mit dieser Anrede hat Jesus alle seine in den Evangelien überlieferten Gebete begonnen. Sie ist die Wiedergabe des aramäischen Wortes „Abba“– lieber Vater. Diese intime Form der Anrede ist neu. So kindlich, familiär wagte das Judentum Gott nicht anzureden. Das palästinensische Judentum gebrauchte, wenn es Gott Vater nennen wollte, das Wort „Ab“, nicht „Abba“, Ab – Vater, nicht lieber Vater. Es musste darum für jüdische Ohren unerhört klingen, dass Jesus das schlicht intime Abba als Anrede für Gott verwendete. Das Wort Vater kommt im Neuen Testament über 450-mal vor. An den meisten Stellen, etwa 250, bezieht es sich auf Gott. Dass Jesus Gott als Vater bezeichnet hat, wird durch alle vier Evangelien bezeugt. Matthäus gebraucht den Namen 44-mal, bei Johannes steht der Vatername für Gott 107-mal. Jesus sagt niemals „unser Vater“, was ihn und die Jünger zusammenschließen würde, nein, er sagt stets nur „mein Vater“ und „euer Vater“. Da wird die Distanz deutlich, die Distanz zwischen dem Vaterverhältnis Jesu und dem Vaterverhältnis der Jünger. In den Mein-Vater-Stellen kommt der Abstand zwischen Jesus und den Jüngern deutlich zum Vorschein. Das Sohnesbewusstsein Jesu ist einzigartig und einmalig. Er offenbart den Vater so vollkommen, dass der ihn Sehende in ihm den Vater sieht. „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ Und keiner kommt zum Vater außer durch ihn. Als Maria und Josef nach dem Tempelbesuch den zurückgebliebenen Knaben Jesu suchten, fanden sie ihn im Tempel. Maria hielt ihm vor: „Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht!“ Da kam die Antwort: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Zum ersten Mal spricht Jesus im Evangelium als der Zwölfjährige. Und zum ersten Mal, als er spricht, nennt er Gott seinen Vater, und zwar offenbar im Gegensatz zu dem „dein Vater“, das aus dem Munde Mariens kam. Er sagt nicht im Hause unseres Vaters, sondern im Hause meines Vaters. Es ist das Offenbarwerden seines einzigartigen Verhältnisses zu Gott. Jesus weiß sich als Gottessohn im ureigensten Sinne. Keiner der Propheten des Alten Bundes, so stark auch ihr Glaube und so radikal auch ihre Hingabe an Gott waren, hat es gewagt, Gott seinen persönlichen Vater zu nennen. Jesus tut es, und das ist das Geheimnis seiner Person, das zum ersten Mal in dem Knaben Jesus aufleuchtet. Dieses Wort ist das Geheimnis seines ganzen irdischen Lebens, das jetzt noch vor ihm liegt. Der Sohn des Vaters kann nicht anders, als immer in dem sein, was seines Vaters ist. Zwischen diesem ersten Wort „Vater“, das der Zwölfjährige im Tempel spricht, und seinem letzten Wort „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“ ist jede Tat, ist jedes Wort erfüllt und durchglüht von dem Verlangen, in dem zu sein, was seines Vaters ist.

Das Alte Testament ist zurückhaltend gegenüber der Vaterschaft Gottes. Warum denn? Es fürchtet sich vor einem Missverständnis. Vor welchem Missverständnis? Die außerbiblischen Religionen, also in Ägypten, in Babylon, in Assur, in Griechenland, verbinden mit der Vorstellung von Gott als Vater den Gedanken der Erzeugung, der physischen Vereinigung mit einer Frau. Die so verstandene Vaterschaft Gottes gilt vor allem für den Hauptgott, also für Zeus oder Jupiter. Der wird in den heidnischen Religionen als Vater für die anderen Götter dargestellt, die er gezeugt hat. Und dieses Missverständnis wollte das Alte Testament vermeiden. In Gott ist keine geschlechtliche Bestimmtheit. Gott ist über die geschlechtlichen Differenzen erhaben. Deswegen mied das Alte Testament nach Möglichkeit den Namen Vater. Seit geraumer Zeit wird versucht, Gott, dem Vater, den Namen streitig zu machen. Er ist angeblich sexistisch. Er ist auf das männliche Geschlecht beschränkt. Das ist die These der feministischen Theologie, also einer Verirrung. Die Bezeichnung Vater ist uns durch göttliche Autorität auferlegt; es steht uns nicht zu, sie abzuändern. Die Vorstöße der feministischen Theologinnen und Theologen, Gottes Vatername zu eliminieren, sind absurd. Dieser Name hat nichts mit der irdischen Polarität von Mann und Frau zu tun. Die Wirklichkeit Gottes ist total anders als die Wirklichkeit der Welt und der Erde. Das Wort Vater hat in der Christusreligion keinerlei Beziehung auf eines der beiden Geschlechter. Gott steht jenseits jeder Geschlechterdifferenz. Aber der Vatername ist eben geeignet, das Vertrauen der Menschen zu einem personalen Gott auszudrücken, der ihm Gesetzgeber, Vorsehung und Heilsbringer ist. Die Bezeichnung Gottes als Vater bringt den Gedanken zum Ausdruck, dass Gott die absolute Güte ist. Seine liebevolle Fürsorge umfasst alle Wesen, die er erschaffen hat. Er ernährt die Vögel und kleidet das Gras und die Lilien des Feldes. Ohne seine Zulassung fällt kein Sperling vom Dache und kein Haar von unserem Haupt. Er weiß, was die Menschen brauchen, ehe sie ihn bitten. Seine Liebe lässt alles hinter sich, was es unter Menschen an väterlicher Güte gibt. Seine Sorge erstreckt sich auf Gute und Böse. Er lässt Regen fallen über Gerechte und Ungerechte und die Sonne scheinen über Gute und Böse. Ja, seine Liebe wendet sich in besonderer Weise den Sündern zu. Er will, dass auch sie das Heil erlangen und er hat Freude, besondere Freude an ihrer Umkehr.

Gott ist unser Vater. Wenn er Vater genannt wird, denken wir an die innertrinitarischen Verhältnisse. Wenn Gott Vater genannt wird, ist damit gesagt, dass er in der Dreifaltigkeit derjenige ist, aus dem der Sohn hervorgeht, nicht durch physische Zeugung, wie Menschen sie vornehmen, sondern auf eine geheimnisvolle Weise, die über alle irdischen und alle geschlechtlichen Kategorien erhaben ist. Der Christ ruft die erste christliche Person als Vater an. Er gibt uns Anteil an der Sohnschaft seines Eingeborenen und an seinem Geiste. Wenn Gott im Verhältnis zur Welt und besonders zu den geistigen Geschöpfen Vater genannt wird, dann geschieht das wegen seines Schöpfertums, wegen seiner Vorsehung, wegen seines Heilswillens. Im strengen Sinne aber ist diese Vaterschaft den geistigen Geschöpfen gegenüber gegeben nur durch die übernatürliche gnadenhafte Selbstbeteiligung. Wir dürfen und müssen unterscheiden zwischen den Menschen als Geschöpfen (durch die Schöpfung hervorgebracht) und zwischen den Menschen als begnadeten Kindern Gottes durch die Vaterschaft, durch die übernatürliche Vaterschaft Gottes.

Gott ist der über alle Begriffe gütige und barmherzige Vater. Aber damit hört er nicht auf, der Heilige und Gerechte, der Herr und der Richter der Menschen zu sein. Gott ist immer die erhabene Majestät und der Herr der Welt. Der Himmel ist sein Thron, die Erde der Schemel seiner Füße. Der Mensch ist und bleibt sein Knecht, der ihm Ehrfurcht und Gehorsam schuldet und der ihm nicht mit Rechtsforderungen begegnen kann. Er bestimmt die Lebenslänge des Menschen. Er ist in seinem Heilswirken souverän. Er verbirgt die Erkenntnis den Weisen und gibt sie den Kleinen. Er verteilt die Ehrenplätze in seinem Reiche. Der Herr der Welt ist auch der Richter der Menschen. Der Gedanke der richterlichen Gerechtigkeit Gottes wird in der Verkündigung Jesu wiederholt und mit großem Ernst ausgesprochen. Der Gerichtsgedanke und die Lehre von der doppelten Vergeltung bilden ein wichtiges Motiv der Ethik Jesu. Gott kann Leib und Seele in die Hölle stoßen. Selbst für jedes unnütze Wort müssen die Menschen sich verantworten. Jesus hat den Gerichtsgedanken, den er ja im Alten Testament vorgefunden hat, noch verschärft, indem er darauf hinweist, dass Gott nicht so sehr die äußeren Taten verurteilt, sondern in das Innere des Menschen schaut.

Im Gebet des Herrn fahren wir fort mit den Worten: „Geheiligt werde dein Name.“ Die erste Bitte des Vaterunsers hat zum Inhalt die Heiligung des Namens Gottes. Worin besteht sie? Wir nehmen an – und das mit Recht –, dass sie darin besteht, dass die Menschen Gottes Namen preisen, dass sie eine ehrfürchtige und anbetende Haltung Gott gegenüber einnehmen, dass sie einen frommen Lebenswandel führen und dass sie die richtige Erkenntnis von Gott haben. So wird die Bitte zumeist verstanden, und das ist nicht falsch. Aber man kann sie auch anders verstehen. Man kann meinen, dass Gott selbst es ist, der seinen Namen heiligt, und dass das Passiv: geheiligt werde dein Name, dass das Passiv nur eine Umschreibung für Gottes Heiligung seines Namens ist. Wodurch heiligt Gott seinen Namen? Durch sein Gericht, durch seine Offenbarung und durch seine Heilskraft. Nach dem Alten Testament heiligt Gott seinen Namen selbst. Er heiligt ihn durch seine Heilstaten und durch seine Gerichtstaten. Natürlich kann und muss der Name Gottes auch von den Menschen geheiligt werden. Er wird entweiht durch Meineid, Götzendienst, Unzucht und andere Schandtaten. Der Gedanke, dass Gott selbst es ist, der sich heiligt, der seinen Namen verherrlicht, steht im Alten Testament im Vordergrund gegenüber dem anderen, dass sein Name von den Menschen verherrlicht wird. Gott heiligt seinen Namen durch unverhüllte Offenbarung seines Wesens. Darum beten wir in jedem Gloria: Wir preisen dich ob (also wegen) deiner Herrlichkeit. Die Heiligung des Namens Gottes bedeutet ein eschatologisches Handeln, nämlich die Heraufführung seines Reiches. Erst mit dem Kommen der vollendeten Gottesherrschaft, der endgültigen Offenbarung der Macht und Heiligkeit Gottes ist wirklich erfüllt, was die erste Bitte im Vaterunser ausspricht: Geheiligt werde dein Name. Gott selbst führt sein Reich herauf, seine endgültige Herrschaft: Dein Reich komme. Und doch sind die Menschen in gewisser Weise daran beteiligt. Sie müssen auf das Kommen des Reiches Gottes harren. Sie müssen darum beten: Dein Reich komme. Sie müssen sich dafür bereiten und das auch in dem soeben begonnenen neuen Jahr. Der Tag des Herrn, meine lieben Freunde, der Tag der Wiederkunft des Herrn und damit das Hereinbrechen der unverhüllten Gottesherrschaft kann sich an jedem Tag des Jahres 2018 ereignen. Das Kommen des Herrn ist gewiss, ungewiss ist lediglich der Termin. Hier gilt der Grundsatz: Bereit sein ist alles. Wehe dem, der nicht bereit ist. Es gibt zwei Aussprüche des Herrn, die Ihnen wahrscheinlich wenig vertraut sind, aber die dennoch im Evangelium stehen und die darauf hinweisen, wie ungleich das Schicksal der Menschen sein kann, wenn der Herr kommt. „In jener entscheidenden Nacht, wenn der Herr kommt, werden zwei auf einem Lager sein; der eine wird aufgenommen, der andere zurückgelassen. Zwei werden in jener Nacht an einer Mühle mahlen; die eine wird aufgenommen, die andere zurückgelassen.“ Möchte das neue Jahr, meine lieben Freunde, uns bereit finden. Möchten wir zu denen gehören, die aufgenommen werden. Möchten wir, unsere kleine Gottesdienstgemeinde, uns als Glieder des Reiches Gottes wiederfinden.

Amen.

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