Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. Oktober 2016

Mitwirkung zum Bösen anderer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Mensch ist im Guten und im Bösen nicht allein. Er steht in einem sozialen Zusammenhang. Dieser kann den sittlichen Fortschritt erleichtern, weil man eben ein Beispiel von Menschen hat, die Gutes tun. Er birgt aber auch zahlreiche Gefahren sittlicher Entgleisung in sich. Man kann in die Sünden anderer verwickelt werden zum Schaden des Nächsten und des eigenen Heiles. Das Christentum hat den Gedanken der sittlichen Solidarität der Gesellschaft in die Menschheit eingeführt und das Gefühl der Verantwortung füreinander und die Sorge für fremdes Seelenheil. Die Heilige Schrift spricht ihr „Wehe!“ aus über alle Verführer und Ärgernisgeber. Sie sind vielfach die Hauptursache des entstehenden Bösen. Aber die Heilige Schrift warnt ebenso häufig auch vor der Beteiligung an den Sünden anderer – von den Theologen Mitwirkung genannt. So heißt es z.B. zum Hehler: Wer mit dem Diebe teilt, hasst seine Seele. Bei der Mitwirkung liegt der Nachdruck nicht darauf, dass und wie der Nächste beeinflusst wird, sondern darauf, ob und wie ich selbst an der Sünde des Nächsten mitschuldig werde. Die Mitwirkung im hier gemeinten Sinne zu fremder Sünde ist die Beihilfe zu der von anderen bereits gewollten Sünde.

Zum besseren Verständnis muss ich Ihnen, meine lieben Freunde, eine Reihe von Arten der Mitwirkung vorlegen. Man unterscheidet zuerst die formelle und die materielle Mitwirkung. Formell wirkt mit, wer in die sündhafte Absicht des anderen einstimmt. Formell wirkt also mit, wer der Sünde des anderen zustimmt, wer sie lobt, wer sie verteidigt. Das ist die Lehre von den fremden Sünden. Man kann sich an fremden Sünden schuldig machen, indem man sich irgendwie als Verursacher dieser Sünden betätigt. Es gibt 9 fremde Sünden: Befehl, Rat, Zustimmung, Schmeichelei, Zufluchtgewähren, Teilnahme, Stillschweigen, Nichthandeln, Nichtanzeigen. Die formelle Mitwirkung kann wieder sein eine ausdrückliche oder eine einschlussweise. Ausdrücklich nehme ich formell an der Sünde des anderen teil, wenn ich die Sünde als solche beabsichtige. Einschlussweise nehme ich teil, wenn die Sünde ihre Natur nach oder den Umständen nach notwendig zur Sünde des anderen führt. Wer die Kindstötung im Mutterschoß mit ausführt, z.B. der Assistenzarzt, begeht die Sünde des Kindermordes, auch wenn er diesen innerlich ablehnt. Formelle und materielle Mitwirkung sind wesentlich voneinander unterschieden. Die formelle Mitwirkung zur Sünde ist selbst Sünde und immer unerlaubt. Materielle Mitwirkung ist gegeben, wenn nur tatsächlich Hilfe zu der Sünde geleistet wird, die Sünde selbst aber nicht gewollt wird. Materiell wirkt mit, wer lediglich Dienste bei sündhaftem Tun leistet, ohne die sündhafte Absicht zu bejahen. Bei der materiellen Mitwirkung ist die Handlung weder in sich selbst – also ihrer inneren Beschaffenheit nach – noch durch die Absicht des Handelnden auf die Sünde des anderen ausgerichtet. Die Handlung wird vielmehr gegen den Willen des materiell Mitwirkenden und oft sogar ohne sein Wissen als rein physisches Tun vom Sünder ausgenutzt. Ein Beispiel: Ein Waffenhändler verkauft einem Mann ein Jagdgewehr. Dieser aber benutzt das Jagdgewehr, um einen anderen zu ermorden. Die Tat wäre nicht geschehen ohne das Gewehr, aber der Verkäufer wollte die Tat nicht und ahnte sie gar nicht. Sie ist geschehen, ohne dass er daran Anteil gehabt hatte; diese Mitwirkung ist ohne Zweifel erlaubt. Die materielle Mitwirkung, die erkennbar als Vorbereitung zu einer sündhaften Tat dient, ist normalerweise unerlaubt, wenn ich also erkenne, dass sie zu einer sündhaften Tat führt. Aber infolge der Verflochtenheit der Menschen miteinander kann eine solche Mitwirkung sittlich erlaubt sein. Sie ist erlaubt, wenn die Handlung selbst gut oder indifferent ist und ein entsprechend schwerwiegender Grund vorliegt. Man unterscheidet bei der Tat positive und negative Mitwirkung. Die positive Mitwirkung hat eine Handlung zum Gegenstand. Hier wirkt man mit durch persönlichen Einsatz, durch Helfen. Die positive Mitwirkung verursacht der Wille; er trägt dann auch die Verantwortung für die sittliche Richtung und Beschaffenheit der Handlung. Er ist mit schuld am Bösen, was naturgemäß in der Handlung liegt und aus ihr folgt. Positive Mitwirkung zum Bösen ist unerlaubt. Die negative Mitwirkung besteht im Unterlassen. Hier wirkt man mit durch Nachlässigkeit, Versäumnis, Stillschweigen oder Verheimlichung. Eine Unterlassung ist dann Sünde, wenn die Pflicht besteht zu handeln. Solches ist der Fall, wenn jemand kraft Rechtes oder kraft Liebe mit dem Nächsten verbunden und für ihn verantwortlich ist. Ein Bischof, der es unterlässt, die Normen bzgl. des geschlechtlichen Lebens seinen Diözesanen vorzulegen, macht sich sündhafter Unterlassung schuldig. Man unterscheidet weiter mittelbare und unmittelbare Mitwirkung. Die materielle Mitwirkung kann unmittelbar oder mittelbar sein. Unmittelbar wirkt mit, wer sich an der Tat beteiligt, wer also direkt an der Sünde des anderen teilnimmt. Wenn z.B. ein Wilderer einem Jäger das Wild zutreibt, das ist unmittelbare Mitwirkung zur Wilderei. Mittelbare materielle Mitwirkung liegt vor, wenn man dem Sünder irgendwelche Mittel, Werkzeuge zur Tat liefert. Ein Gastwirt, der einem Gast berauschende Getränke verabreicht, durch die er betrunken wird, wirkt mittelbar mit. Mittelbar wirkt mit, wer an der Vorbereitung einer Tat beteiligt ist. Der Fahrer des Fahrzeugs, der den französischen Präsidenten Hollande zur Unzucht bringt, dieser Fahrer begeht materielle Mitwirkung. Die materielle Mitwirkung kann eine notwendige oder nicht notwendige sein. Bei der notwendigen Mitwirkung kann die Sünde nicht ohne die Mitwirkung geschehen, z.B.: Wer als Abgeordneter an einem schlechten Gesetz mitwirkt, ist notwendiger Mitwirker. Nicht notwendig ist eine Mitwirkung, wenn ein Taxifahrer einen Dieb an eine Stelle bringt, an der dieser seinen Diebstahl begeht. Die materielle Mitwirkung kann sein eine nächste, eine entferntere oder eine entfernte, je nachdem, wie die Nähe zur Sünde des anderen beschaffen ist. Also: Das Halten einer Leiter zum Einbruchsdiebstahl ist eine nächste Mitwirkung. Das Hintragen der Leiter zum Ort des Vergehens ist eine entferntere Mitwirkung. Der Verkauf der Leiter ist eine entfernte Mitwirkung. Sie erkennen sofort den Unterschied zwischen diesen drei Arten. Je nach der Nähe zu der Tat: nächste Mitwirkung, entferntere oder entfernte Mitwirkung. Die Wahl eines Abgeordneten, vor dem man weiß, dass er religionsfeindliche oder unsittliche Gesetzentwürfe unterstützen wird, dürfte eine entferntere Mitwirkung zu diesen Gesetzentwürfen sein.

Die sittliche Beurteilung der materiellen Mitwirkung zur Sünde anderer ist für die Lebenspraxis enorm wichtig, aber sie ist nicht immer einfach. Die Menschen sind in Arbeit und Leben eng mit der Gesellschaft verflochten. Damit verbunden sind erhöhte, aber oft unvermeidliche Fernwirkungen des einzelmenschlichen Handelns. Jeder Mensch ist verstrickt in soziologische Handlungszusammenhänge, und daraus ergibt sich, dass es für den Menschen unmöglich ist, jede materielle Mitwirkung zur Sünde anderer, vor allem jede entfernte Mitwirkung zu vermeiden. Aber man muss die Grundsätze kennen, nach denen eine materielle Mitwirkung erlaubt oder unerlaubt ist. Die materielle Mitwirkung zur Sünde eines anderen ist dann erlaubt, wenn die Mitwirkungshandlung nach den Regeln über das indirekt Gewollte oder über die Zulassung der bösen Folge einer an sich sittlich guten Tat erlaubt ist. Dann darf man also die Handlung oder Unterlassung setzen, obwohl man die schlechten Folgen voraussieht. Man darf es, wenn vier Voraussetzungen gegeben sind. Erstens: Die Ursache, also die eigene Handlung, muss in sich selbst gut oder wenigstens indifferent sein. Zweitens: Die gute Folge muss wenigstens gleich unmittelbar aus der Ursache hervorgehen wie die schlechte Folge. Drittens: Die Absicht des Handelns muss sittlich gut sein. Viertens: Es muss ein entsprechend wichtiger Grund vorliegen, ein positiver, persönlicher oder allgemeiner Wert oder Vorteil, der das Negative, nämlich die böse Folge, aufwiegt. Das Abwägen dieses Grundes, das ist unsere eigentliche Aufgabe, das ist dem gewissenhaften Urteil im Einzelfall überlassen. Man nennt dieses Abwägen das Kompensationsprinzip; Kompensation heißt Ersatz. Das Kompensationsprinzip besagt folgendes: Je größer und wahrscheinlicher bei Mitwirkung und je unwahrscheinlicher bei nicht erfolgender Mitwirkung die drohende Sünde ist, je intensiver der geübte Einfluss ist, je weniger der andere zu seiner Handlung berechtigt ist, je größer die Verletzung der Nächstenliebe durch die primäre Handlung ist, desto dringender muss der Kompensationsgrund sein.

Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben. Materielle Mitwirkung zu einer bösen Handlung kommt in erster Linie in Frage, wenn Regierungen Böses tun und die Untertanen, die Bürger, daran beteiligen. Ich habe im Jahre 1944 in einer Rüstungsfabrik arbeiten müssen – Zwangsarbeit. Neben mir waren Hunderte von jüdischen Frauen aus Holland, die die gleiche Arbeit verrichteten. Weder ich noch die Frauen waren an Hitlers Krieg beteiligt. Wir wollten den Frieden haben und haben das System gehasst. Diese jüdischen Frauen wollten natürlich auch nicht den Krieg Hitlers unterstützen, aber sie standen vor der Wahl, entweder ihre Arbeit so gut wie möglich zu verrichten und somit zu ihrem Teil die Kriegsmaschine im Laufen zu halten oder bei Arbeitsverweigerung dem Tod überliefert zu werden; das war die Alternative. Sie leisteten tatsächlich Mitwirkung bei der Fortführung des ungerechten Krieges, aber ihre Mitwirkung war eine ganz entfernte. Die Handgriffe, die sie zur Herstellung von Röhren – Telefunken – verrichteten, hatten für das kriegerische Geschehen kaum eine Auswirkung. Die Erhaltung ihres Lebens war ein genügend wichtiger Grund, um diese Arbeit zu verrichten. Mein Vater war Eisenbahner. Die Eisenbahner fuhren die Züge mit den Juden, die nach Auschwitz gingen. Sie wussten oder ahnten, was die Menschen dort erwartete. Die Eisenbahner, welche die Züge fuhren, leisteten Mitwirkung zu ihrer Tötung, denn ohne ihren Dienst wären die Gaskammern leer geblieben. Aber dies war eine bloß materielle Mitwirkung, denn sie bejahten ja das Schicksal der von ihnen transportierten Juden selbstverständlich nicht. Es war dazu auch noch eine entfernte Mitwirkung, denn das bloße Herbeischaffen der zum Untergang bestimmten Personen war keine Beteiligung an ihrer Beseitigung. Bei Weigerung die Züge zu fahren, hätten sie nicht nur ihren Arbeitsplatz verloren, sondern wären als Beamte mit schweren Strafen, evtl. mit der Todesstrafe belegt worden. Auch im privaten Leben stehen Christen nicht selten vor der Frage, ob sie sich an bestimmten sündhaften Handlungen anderer beteiligen dürfen. Ich werde manchmal gefragt, ob Eltern an der Hochzeit ihres Kindes teilnehmen dürfen, das eine Mischehe mit einem Nichtkatholiken, vielleicht sogar mit einem Mohammedaner, und unter Zusage nichtkatholischer Kindererziehung eingeht. Ihre Teilnahme kann nämlich so ausgelegt werden, dass sie die Entscheidung ihres Kindes bejahen und sie unterstützen; das wäre formelle Mitwirkung, die nicht erlaubt ist. Kann die Mitwirkung eine materielle werden? Sie kann es. Nämlich wenn die Eltern klar zu erkennen geben, dass sie die Verbindung nicht billigen, dann dürfen sie aus Höflichkeit und Nächstenliebe, um der Verbindung Dauer zu verleihen, die Hochzeit besuchen. Ähnliche Fragen kommen bei der Vermietung von Wohnungen an mich heran. Wer eine Wohnung vermietet, sieht sich häufig vor die Frage gestellt, ob er sie einem nicht verheirateten Paar vermieten darf. Man wird die Frage dahin beantworten müssen: Wenn der Vermieter die Möglichkeit hat, die Wohnung regulär Verheirateten zu vermieten, dann muss er diese Möglichkeit nutzen. Aber wenn er diese Möglichkeit nicht hat, dann darf er sie auch an das irregulär zusammenlebende Paar vermieten, denn da liegt nur eine entfernte Mitwirkung zur Sünde vor. Diese entfernte Mitwirkung wird aufgewogen durch den Zweck der Vermietung, nämlich Wohnraum anzubieten und Mieteinnahmen zu erzielen. Auch im kirchlichen und priesterlichen Leben, meine lieben Freunde, kommen Fälle materieller Mitwirkung zur Sünde vor. Denken Sie an folgenden Fall: Zwei Personen wollen kirchlich heiraten. Sie gehen beide vor der Hochzeit zur heiligen Beichte. Die Frau bekennt schwere Sünden, die sie mit dem Mann begangen hat. Der Mann bekennt diese Sünden nicht. Der Beichtvater ist durch das Beichtsiegel gebunden. Es ist ihm verboten, den Mann auf das Bekenntnis der Frau aufmerksam zu machen und zur Vervollständigung seines Bekenntnisses aufzufordern. Er darf das Wissen aus der Beichte der Frau gegenüber dem Mann nicht verwenden. Er muss dem beichtenden Mann ebenso sein Bekenntnis als aufrichtig abnehmen wie der Frau, denn dem Pönitenten ist zu glauben. Er muss ihm ebenso die Absolution erteilen wie der Frau, obwohl er weiß, dass diese Absolution ungültig ist. Er muss bei der Brautmesse am nächsten Tage dem Mann ebenso die Kommunion reichen wie der Frau. Diese Handlungen des Priesters sind von großer innerer Not des Priesters begleitet. Aber sie müssen geschehen zum Schutz des Beichtsiegels, das unter keiner Rücksicht gebrochen werden darf. Die Frage der materiellen äußerlichen Mitwirkung zur Sünde anderer ist eine stete Herausforderung für gewissenhafte Christen. Sie müssen sich nicht selten zwei Fragen stellen und darauf antworten. Erstens: In welcher Nähe steht mein Verhalten zu der Sünde, die ein anderer vollbringt? Zweitens: Wenn ich mich entschließe, den Beitrag zur Sünde des anderen zu leisten, welche entschuldigenden Gründe habe ich? Hier ist das wache Gewissen gefragt. Laxheit und Ängstlichkeit sind schlechte Berater bei einer Entscheidung. Die Vernunft, die Vernunft, die in Gott ruht, sie weiß immer den Weg.

Amen.

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