Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Februar 2014

Das Leiden unseres Heilandes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im vergangenen Jahre, in der Vorfastenzeit und in der Fastenzeit, haben wir das Leiden des Herrn betrachtet von der Gefangennahme bis zur Kreuzigung. Ich habe Ihnen damals das Versprechen gemacht, wenn ich das Leben und die Kraft habe, will ich im kommenden Jahre – also in diesem – die sieben letzten Worte Jesu am Kreuze mit Ihnen betrachten. Ich will also, vom kommenden Sonntag Sexagesima angefangen, sieben Mal über die Worte Jesu am Kreuze sprechen. Heute aber wollen wir bedenken, was Jesus für uns getan hat, damit wir begreifen, welche Bedeutung diese Worte Jesu am Kreuze haben.

Christus ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Als Mittler öffnet er den Zugang zu Gott und tritt bleibend für die Seinen ein. So erweist er sich umfassend als der Weg, die Wahrheit und das Leben. Immer wenn in der Heiligen Schrift gesagt wird, dass Gott „durch Christus“ etwas gewirkt hat, ist Christus als Mittler angesprochen. Das Wörtchen „durch“ bezeichnet seine Mittlerschaft. Christus ist Mittler geworden durch die Menschwerdung. Da wurde er innerhalb der menschlichen Geschichte, ja innerhalb der gesamten Schöpfung, die Mitte; die Mitte, in der Gott und Mensch zusammenkommen. Sein ganzes Leben war Vollzug des Mittlertums: sein Predigen, seine Heilungen, seine Wundertaten. Aber nach dem Willen des himmlischen Vaters gehörte zum Gipfel seines Mittlertums sein Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt. Als Mittler zwischen Gott und den Menschen ist Christus der Hohepriester, der Hohepriester des Neuen Bundes. Priestertum und Mittlertum fallen zusammen. Christus ist seit seiner Menschwerdung der einzige wahre Priester des Neuen Bundes. Seine Macht als priesterlicher Mittler beruht darauf, dass er der LOGOS, der Sohn Gottes ist. Neben dem Priestertum Christi kommt kein anderes mehr in Frage. Sein Priestertum ist das Ende des alttestamentlichen Priestertums. Christus ist ein anderer Priester als alle übrigen. Er ist heilig, schuldlos, rein, nicht aus den Reihen der Sünder genommen, sondern über alle Himmel erhoben. Er hat nicht nötig, wie die anderen Priester, Tag für Tag Opfer darzubringen für die eigenen Sünden und für die Sünden der anderen. Das hat er ein für alle Mal getan, als er sich selbst darbrachte zum Opfer. Er ist auch nicht Priester aufgrund der leiblichen Abstammung, sondern aufgrund seiner himmlischen Herkunft. Sein Priestertum ist unbedingt und ewig. Das alte Priestertum war unvollkommen und begrenzt. Als Priester ist er bestimmt, Opfer darzubringen. Das Opfer, das Christus als Priester darbringt, ist er selbst. Es geschah im Tode am Kreuze. Indem er sich selbst hingab für die Sünden der Welt, erwies er sich als Priester. Seinem vollkommenen Priestertum entspricht ein vollkommenes Opfer. Es ist ein vom Heiligen Geist geweihtes und in seiner Kraft dargebrachtes Opfer. Im Alten Bunde waren es Böcke und Stiere, die man opferte. Er aber ist in das Heiligtum eingetreten mit seinem eigenen Blute. Er selbst ist die Opfergabe. Sie ist makellos, geweiht, geheiligt durch die Vereinigung mit dem göttlichen LOGOS. Es ist ein Glaubenssatz unsere heiligen Kirche: Christus hat durch die freiwillige Hingabe seines Lebens am Kreuze ein wahres und eigentliches Opfer dargebracht und dadurch die Menschheit mit Gott versöhnt. Dieses Opfer braucht keine Wiederholung. Es ist einmal vollzogen und hat Kraft für immer. Es ist das letzte, es ist das vollkommene Opfer. In diesem einmaligen Tod vollzog sich das Geheimnis unseres Heiles. Dieses Opfer wirkt, was die alten, greisenhaft gewordenen Opfer nicht konnten, nämlich Sühne der Übertretungen, Reinigung der Herzen und Heiligung. Der heilige Paulus jubelt im Brief an die Galater: „Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben.“

Als Opfer hatte der Tod Christi eine andere Qualität als bei den übrigen Menschen. Sein Tod war nicht ein bloßes Erleiden, dem er nicht entrinnen konnte, nicht ein Verhängnis, das über ihn hereinbrach. Der Tod war für ihn ein Werk, eine Gehorsamstat. Die Tat seiner Selbsthingabe, Vollzug seines Selbstopfers. Es war auch nicht nur – wie die liberale Theologie behauptet – ein heldenhaftes Sterben in einer hoffnungslosen Lage, auch nicht bloß die bereitwillige Übernahme eines unentrinnbaren Schicksals. Nein, es war die freiwillige Überantwortung seines Selbst in den Tod für das Leben der Welt. Aus gesammelter Kraft und mit bereitem Herzen ging Christus auf den Tod zu und in den Tod hinein. Der Tod kam nicht über ihn, sondern er schritt in freier Hingabe in den Tod hinein. Dass er am Kreuze starb, war nicht ein Zeichen seiner Ohnmacht, sondern ein Zeichen seiner Kraft. Er ward geopfert, weil er selbst es wollte. Von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des Opfertodes Christi ist, dass es eine Tat des Gehorsams gegen Gott und der Liebe zum Vater und zu den Menschen war – Gehorsam gegen Gott, Liebe zu Gott und zu den Menschen. Er hat im Feuer des Todes alle Selbstherrlichkeit und alle Eigenwilligkeit verbrannt. Das Entscheidende am Kreuzesopfer Christi sind die aus seinem Herzen aufsteigenden Gewalten der Liebe und des Gehorsams. Der Tod mit seiner Qual ist nur die Verleiblichung der inneren Haltungen; nur deshalb hat er Heilskraft. Man würde am Wesentlichen vorbeisehen, wenn man sich einseitig in das Grauen des Leidens mit seinen Einzelheiten versenkte und des in ihm sich verleiblichenden Geistes vergäße. Wenn man etwa fragt, ob nicht andere Menschen ebenso große oder größere Qualen erlitten haben, dann übersieht man vollkommen, worauf es ankommt. Nämlich es entscheidet nicht das Maß des Ertragens körperlicher oder seelischer Schmerzen, sondern das Maß der Liebe und des Gehorsams. Und darin ist Jesus von überragender Größe. Unmenschliche Qualen haben viele Menschen erlitten. Hier aber stehen wir vor einem Menschen, von Blut überströmt, einem Menschen, der Gott ist, das Wort und die Weisheit des Vaters, der Sohn, der von Ewigkeit her in unsagbarer Seligkeit im Schoße des Vaters ruhte. Dieser glorreiche, lebendige Gott ist es, der mit einem Blick von Leid und Liebe vom Kreuze auf uns herabschaut. Dazu kommt: Christus hatte eine weit erhöhte Empfindungsfähigkeit. Eine Empfindungsfähigkeit, die weit über die eines jeden Menschen hinausging. Er konnte gewissermaßen den Schmerz viel intensiver ausleben und ausschöpfen als ein anderer Mensch. Außerdem litt er als der Sündlose. An ihm war nichts von Schuld, weswegen er hätte leiden müssen.

Was die Sicht des Todes aus der Sicht des Vaters betrifft, da muss man sagen: Der Vater hat, um die Menschen von der Sünde zu erlösen, den Christus zum Fluch der Sünde gemacht. Ja, so sagt der Apostel Paulus. „Er ist zum Fluch geworden“, d.h. er hat den Fluch, den die Menschen verdient hatten, auf sich genommen. Er ist das Lamm, das die Sünden der Welt hinwegträgt. Aber er ist es nur deswegen, weil er sie auf sich genommen hat. Er hat dem Fluch der Sünde in seinem Leben Lauf gelassen. Er hat den Fluch der Sünde bis zum Kreuzestod getragen. So hat der Vater im Himmel im Kreuzestod über die Sünde Gericht gehalten. Es war ein furchtbares Strafgericht. In ihm hat sich die Abgründigkeit der Sünde dargestellt. Was die Sünde ist, das sieht man am deutlichsten am Sterben Christi. Der am Kreuze Gerichtete wurde von sündigen Menschen getötet. In der Tötung des menschgewordenen Gottessohnes gewinnt der Absturz der Sünde seine letzte Tiefe. So ist der sündige Mensch, dass er Gott morden will. Da zeigt sich, was er im Grunde in jeder Sünde will, nämlich er will Gott umbringen, dessen Herrschaft er nicht erträgt. Indem Gott seinen eigenen Sohn in den Tod hinein gesandt hat und ihn durch Menschen verurteilen und hinrichten ließ, hat er die menschliche Sünde in ihrer abgründigen Verworfenheit aufgedeckt.

Christus opferte sich als Stellvertreter, d.h. in ihm stand die ganze Menschheit auf Golgota vor Gottes Angesicht und beugte sich unter das Gericht des Vaters. Christus hat am Kreuze für uns Sühne getan und Genugtuung geleistet und uns dadurch Rechtfertigung und Heiligung verdient. Am Kreuze ist die Heiligkeit Gottes über den Repräsentanten der gesamten Menschheit gekommen. Die Stellvertretung Christi wird in der Heiligen Schrift immer ausgedrückt durch die Partikel „für“. Immer wenn es heißt „für uns“, da ist damit ausgesagt, dass Christus an Stelle von uns und zum Nutzen von uns gestorben ist. „Für uns“ heißt: an Stelle von uns und zum Nutzen für uns. Christus hat seinen Tod wiederholt vorhergesagt. Er ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen, ja, sein Leben als Lösegeld für die Vielen zu geben. Er allein wird das Leben der Menschen von Gott zurückkaufen durch seinen Tod. Die da von dem Einen losgekauft werden, sind viele, nämlich alle Menschen. Er wird seinen Leib hingeben für die sündigen Menschen und sein Blut vergießen zur Vergebung der Sünden aller. Und darin wird der neue Bund des Blutes Christi aufgerichtet. Am deutlichsten sagt er es vor seiner Hinrichtung, vor seinem Todesgeschick. Das spricht er zu den Jüngern und sagt: „Nehmt hin, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“ Danach sagt er: „Das ist der Kelch meines Blutes, das für euch vergossen wird.“

Der Tod Christi, meine lieben Freunde, ist nicht losgelöst von Auferstehung und Himmelfahrt. Das Todesgeschehen erhält vielmehr erst in der Auferstehung und in der Himmelfahrt seine Erfüllung. Das Leben Christi war von Anfang an auf Tod, Auferstehung und Himmelfahrt hingerichtet. Tod und Begräbnis waren nicht das Letzte, sondern das Letzte waren die Auferstehung und die Himmelfahrt. Das ist die Antwort des Vaters auf die Tat Jesu gewesen. Christus durfte den Segen seiner völligen Hingabe erfahren. Es war die höchste Gemeinschaft mit Gott. Auf den Untergang der vergänglichen Daseinsweise folgte der Aufgang in die unvergängliche Existenzform. Durch seinen Opfertod ist Christus, auch seiner menschlichen Natur nach, eingegangen in die Herrlichkeit, die er hatte vor Schöpfung der Welt. Im Hymnus an die Philipper hat es der Apostel Paulus ergreifend geschildert: „Er erniedrigte sich selbst. Er war gehorsam, gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze. Darum hat Gott ihn auch erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Seit diesem Heilsgeschehen steht der Gekreuzigte und Auferstandene immerfort im Allerheiligsten vor dem Angesicht des Vaters. Er tritt für uns ein als der ewige Bürge unseres Heiles. Er hält seine Opfertat, seinen Opfertod dem Vater wie eine ewige Bitte entgegen. Im Himmel wirkt Christus als ewiger Hoherpriester. Durch ihn wird alles Heil vermittelt. Der Erhöhte lebt als der Gekreuzigte. Das Geheimnis des Kreuzestodes steht ewig vor dem Antlitz des Vaters. Deswegen jubelt Paulus im Brief an die Gemeinde in Korinth: „Wer soll uns trennen von der Liebe Christi: Trübsal, Bedrängnis, Verfolgung, Gefahr? In all dem bleiben wir Sieger durch den, der uns geliebt hat. Ich bin sicher, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe kann uns trennen von der Liebe Gottes, die da ist in Christus Jesus.“

Amen.

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