Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. April 2013

Gottes Offenbarung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche hat immer daran festgehalten, dass der Mensch fähig ist, mit dem Lichte seiner natürlichen Vernunft Gott zu erkennen aus den geschaffenen Dingen. Das ist ein Glaubenssatz unserer Kirche, an dem sie allen Einwendungen zum Trotz festgehalten hat. Es gibt Wege, die uns die Existenz Gottes aufschließen. Es sind die sogenannten Gottesbeweise, das heißt, überzeugende Argumente, die zu wirklicher Gewissheit gelangen lassen, dass Gott existiert. Diese „Quinque viae“, diese „Fünf Wege“, wie man sie nennt, setzen an bei den materiellen Dingen, bei der geschaffenen Welt und beim Menschen. Aus der Bewegung, aus dem Werden, aus der Kontingenz, das heißt, aus der Nicht-Selbst-Genügsamkeit, aus der Ordnung und der Schönheit der Welt kann man Gott als Ursprung und Ziel des Universums erkennen. Das Weltall erklärt sich nicht selbst. Es muss erklärt werden durch den Schöpfergott. Und Paulus hat es der Gemeinde in Rom gesagt: „Was man von Gott erkennen kann, das ist ihnen, den Heiden, offenbar. Gott hat es ihnen geoffenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit aus den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.“ „Und deswegen“, sagt er, „sind sie unentschuldbar, wenn sie sich nicht an Gott halten.“ Auch der Mensch ist ein Hinweis auf Gott. Er ist offen für Wahrheit und Schönheit. Welches Tier kann man damit vergleichen? Der Mensch hat Sinn für das sittlich Gute. Der Mensch ist frei und hört die Stimme seines Gewissens. Der Mensch hat ein Verlangen nach Unendlichkeit und Glück und fragt nach dem Dasein Gottes. Das alles zeigt, dass er mehr ist als Materie, mehr ist auch als animalisches oder vegetatives Leben. Der Mensch weist mit seiner Verfasstheit auf Gott hin.

Weil der Mensch Gott erkennt, kann er auch von Gott sprechen. Wir können wahre, zutreffende Aussagen über Gott machen. Gewiss, sie erschöpfen Gott nicht, sie sind nur in Annäherung gültig, denn sie sind ja von den Geschöpfen genommen und versuchen, diese Geschöpflichkeit ins Unermessliche zu steigern. Aber deswegen werden diese Aussagen nicht falsch. Sie sind begrenzt, aber sie führen nicht in den Irrtum. Alle Geschöpfe weisen eine gewisse Ähnlichkeit mit Gott auf. Und wenn wir diese Ähnlichkeit ins Unendliche potenziert denken, dann gewinnen wir eine Ahnung von Gott. Gewiss, noch einmal: Unsere Aussagen über Gott erschöpfen Gott nicht, sie geben ihn nicht wider, nicht adäquat wider, wie er ist, aber sie treffen ihn. Sie bilden Gott nicht ab, aber sie enthalten Wahrheit. Das IV. Laterankonzil vom Jahre 1215 hat treffend gesagt: „Die Unähnlichkeit unserer Aussagen über Gott ist größer als die Ähnlichkeit.“ Hier wird also das Prinzip der Analogie aufgestellt. Die Aussagen über Gott sind nicht falsch, aber sie können Gott nicht ausschöpfen. Die Unähnlichkeit ist grösser als die Ähnlichkeit.

Es ist freilich schwierig, unter den Bedingungen, unter denen die Menschen leben, aus der Natur zu Gott zu kommen. Wir wissen ja um die mannigfachen Verirrungen, die Menschen erzeugt haben auf der Suche nach Gott. Und deswegen hat sich Gott erbarmt und eine andere Erkenntnisordnung erschlossen. Wir nennen sie die Offenbarung. Über der Natur-Erkenntnis Gottes liegt die Offenbarungs-Erkenntnis. Weil Gott sich entschlossen hat, sich selbst den Menschen kundzugeben, deswegen wird der Mensch erleuchtet über das, was Gott ist und was er von ihm begehrt. Es hat Gott in seiner Weisheit und in seiner Güte gefallen, sich selbst zu offenbaren. Der nicht von der Offenbarung erleuchtete Mensch nennt Gott den Absoluten, das Denken des Denkens, den höchsten Geist, die höchste Idee, das höchste Gut, den absoluten Willen, das Numinose, das Heilige, das Göttliche, das Ens a se. Das ist alles nicht falsch, aber es reicht nicht heran an die Selbsterschließung Gottes. Die Selbsterschließung Gottes in der Offenbarung überragt alle diese aus dem menschlichen Geist emporsteigenden Gottesvorstellungen. Sie führt diese Gottesträume zu ihrer Erfüllung. Der Gott, der sich selbst offenbart, ist der Vater der Menschen, aber auch ihr Richter. Er ist der Dreieinige Gott, und das wissen wir nur aus der Offenbarung. Diese Offenbarung Gottes hat sich in Stufen vollzogen, in Etappen, in gewaltigen Zeiträumen. Und wir brauchen deswegen, wenn wir von unvollkommenen Vorstellungen der Menschen aus der Vorzeit hören, nicht anzunehmen, dass sie von Gott in die Irre geführt wurden. Nein – Gott hat langsam und allmählich seine volle und ganze Offenbarung in Christus Jesus vorbereitet. Schon die Stammeltern wussten um Gott. Es ist ganz falsch, was man fortwährend im Fernsehen sieht oder auch in Büchern liest, dass die ersten Menschen affenähnliche Wesen gewesen sein sollen – nein! Die ersten Menschen überragten alle Tiere in unvergleichlichem Maße. Sie waren volle und ganze Menschen, mit Verstand und Willen, mit Gewissen und Verantwortung ausgerüstet. Und noch mehr: Sie kannten Gott und sie lebten in Gemeinschaft mit Gott. Sie waren Begnadete. Freilich haben sie ihre Begnadung verspielt durch die Sünde. Die Sünde der Stammeltern hat aber die Offenbarung Gottes nicht abgebrochen. Gott hat ihnen Hoffnung gegeben auf den Schlangentreter, der einmal kommen werde. Er hat sie durch die Verheißung der Erlösung zur Hoffnung erweckt. Gott hat dann mehrfach einen Bund mit den Menschen geschlossen. Den Bund mit Noah nach der Sintflut. Durch diesen Bund sollten die Völker zu Gott geführt werden, die einzelnen Völker. Es schloss sich an der Bund mit Abraham. Um die versprengte Menschheit zur Einheit zusammenzuführen, hat Gott Abraham erwählt, und ihn in ein anderes Land geführt. „In dir sollen gesegnet sein alle Völker der Erde!“ Aus diesem Stamm ist das Volk Israel hervorgegangen. Gott hat sich in Israel ein eigenes Gottesvolk bereitet. Er befreite es aus der Sklaverei in Ägypten. Er schloss mit ihm den Sinai-Bund und gab ihm durch Moses sein Gesetz. Er hat dieses priesterliche Volk immer wieder durch Propheten belehrt, zurechtgewiesen, zurückgeführt.

Dieses Volk, meine lieben Freunde, unterscheidet sich von allen Völkern der Erde. Gottes Dasein ist ihm eine völlige Selbstverständlichkeit, immer vorausgesetzt, unablässig geäußert, nie geleugnet oder auch nur in Frage gestellt. Die übrigen Völker der Alten Welt vergotten die Kräfte der Natur, die Sonne, das Wasser, den Blitz. Sie schaffen sich einen ganzen Götterhimmel. Das Volk Israel schaut auf zu dem einen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat. Die alttestamentliche Gottesvorstellung ist von allen sonstigen Gottesbildern der Alten Welt qualitativ verschieden. In diesen ist Gott ein Gebilde der Menschen. In ihnen hat sich der Mensch selbst gestaltet mit seinen Stärken und Schwächen. Der Gott, an den bei den übrigen Völkern geglaubt wird, kommt nicht aus dem Jenseits, sondern steigt aus dem Diesseits auf. Er gehört zu der Erfahrungswelt. Er ist ein Stück dieser Welt. Dagegen der Gott, der sich in der übernatürlichen Offenbarung enthüllt, ist jenseits der Welt und jenseits des Menschen. Er ist nicht von der Art der Menschen und der Welt. Er trägt nicht die Eigenart der Menschen an sich, weil er nicht menschlicher Herkunft ist. Die Offenbarung Gottes erreichte ihren Höhepunkt in Jesus Christus, dem menschgewordenen Gottessohn. Feierlich hebt der Brief an die Hebräer an: „Viele Male und auf mancherlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. In dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen, durch den Sohn.“ Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, ist das vollkommene, unübertreffbare, eingeborene Wort Gottes, der LOGOS, wie ihn Johannes nennt. In ihm sagt der Vater alles, und es wird kein anderes Wort mehr geben als dieses. Die Offenbarungen, die vorher geschahen, waren Stufen, aber der Gipfel wird erreicht in Jesus Christus.

Immer wieder hört man, dass Astronomen forschen, ob es nicht auch andere belebte Himmelskörper geben könnte. Man mutmaßt, man untersucht, man vermutet – warum nicht? Aber die Würde und der Rang der Erde werden dadurch niemals in Zweifel gezogen, denn auf keinen anderen Stern ist Gott herniedergestiegen als auf unsere Erde. Die Erde ist insofern tatsächlich die Mitte des Weltalls. Sie mag unter den Himmelssternen so geringfügig sein, wie sie tatsächlich ist; an ihrer Würde als Ort des Heilsgeschehens ändert es nichts. Christus ist in seiner Erscheinung, in seinem Werk und in seinem Wort die Offenbarung Gottes. Christus ist so, dass er nicht in menschliche Maße eingeht. Er ist anders als alles, was uns in der Erfahrung begegnet. Er ist anders als alles, was das menschliche Denken ersinnen kann. In Christus ist eine Wirklichkeit in die menschliche Geschichte eingetreten, die innerlich und qualitativ von allen sonstigen geschichtlichen Erscheinungen verschieden ist.

So wenig wie die übernatürliche Offenbarung vor Christus eine bloße Mitteilung ist über die Wirklichkeit Gottes, so wenig ist es auch die christliche Offenbarung. Sie ist vielmehr ein Anruf an den Menschen, ein Anruf zum Glauben an Gott, zur Hoffnung, zum Standhalten gegenüber seinen Forderungen. Der Mensch soll sich in Christus Gott überantworten. Wer im Glauben diesen Ruf vernimmt, der wird frei von Sünde und Todesverfallenheit. Der gewinnt Frieden und Freude, höchste Existenzsteigerung. So unüberhörbar Gott in Christus den Menschen anruft, so wird er doch nur von denen gehört, die bereitwilligen Herzens sind. Das Gesetz, das für die alttestamentliche Offenbarung gilt, beherrscht auch die in Christus geschehene Selbsterschließung: Sie erfolgt in Verhüllungen und Verschleierungen. Auch der in Christus offenbar gewordene Gott ist ein verborgener Gott. Nur wer sich im Glauben seiner Selbstherrlichkeit begibt, wer darauf verzichtet, sich selbst als Maß und Mitte anzusehen, der wird der in Christus gewordenen Selbsterschließung teilhaftig. Ich hebe das deswegen so hervor, meine lieben Freunde, weil ich bei vielen evangelischen Theologen folgendes gelesen habe. Sie sagen, es gibt einen Canon, an dem man alles messen kann, was auf der Welt geschehen ist oder geschehen kann, nämlich: es kann nichts eintreten, was nicht jederzeit passieren kann. Das heißt, die unerhörten Ereignisse, die die Offenbarung Gottes ausmachen, werden in dieser Vorstellung zu Mythen und Legenden, denn sie können ja nicht jederzeit eintreten, sie sind einmal geschehen und einmalig. Auf diese Weise wird die christliche Offenbarung vernichtet. Die ungläubige Theologie will den Einbruch Gottes in die Welt ungeschehen machen. Aber gegen Fakten helfen keine Argumente. Tatsachen sind hartnäckige Dinge. Und die Offenbarung ist eine Tatsache. Was in Christus geschehen ist, kann nicht zu jeder Zeit wieder geschehen, ist unwiederholbar. Die Offenbarung Gottes in Christus ist einzigartig und unübertreffbar. Anders und mehr konnte Gott sich nicht offenbaren, als er sich in Christus Jesus geoffenbart hat.

Wir haben Respekt vor dem Tasten und Suchen der fremden Religionen nach Gott. Aber es ist ausgeschlossen, sie auf eine Ebene mit der Offenbarungsreligion zu stellen. Alle anderen Religionen stammen von unten, ergeben sich aus den Sehnsüchten, aus dem Nachdenken, aus den Träumen der Menschen. Die christliche Religion stammt von oben, ist ein Geschenk Gottes an die Menschheit. Die von Menschen entworfenen Religionen sind „inkommensurabel“, nicht zu vergleichen mit der von Gott geoffenbarten Religion. Und seitdem diese Religion auf Erden angekommen ist, hat sich auch der Charakter der fremden Religionen gewandelt. Bevor Christus kam, standen sie im Advent, in der Erwartung. Jetzt, wo der Advent erfüllt ist, wo die Erwartung eingetroffen ist, jetzt stehen sie im Gegensatz zur Offenbarungsreligion. Wer an ihnen festhält, stellt sich gegen die Christusreligion, ob er es weiß und will oder nicht. Diese Offenbarung in Christus ist abschließend und gilt für alle Zeiten. Wir haben keine andere mehr zu erwarten. Es wird keine Offenbarung mehr über die Christusoffenbarung hinaus geben. Dieser Neue Bund ist ewig. Er wird niemals vorübergehen. Davon, was in diesem Bunde geoffenbart ist, darf aber auch nichts zu Boden fallen. Wir dürfen nichts eliminieren, weil wir ein anderes Weltbild haben, wie einer sagt: „Man kann nicht elektrisches Licht benutzen und die moderne Klinik in Anspruch nehmen und an die Wunderwelt des Neuen Testamentes glauben.“  Das sagt ein evangelischer Theologe, Professor! Nein, meine lieben Freunde, nichts von dem, was geoffenbart ist, darf ausgelassen werden. Nicht die Menschwerdung des LOGOS, nicht seine Erhöhung über alle Himmel, nicht die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, nicht die Prärogativen des Bischofs von Rom. Himmel und Erde werden vergehen, aber die Worte des Herrn werden nicht vergehen.

Amen. 

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