Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Mai 2008

Die Freude über den Geist Gottes in der Seele

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!

Vom heiligen Philipp Neri stammt das Wort: „Es ist kein gutes Zeichen, wenn man an Hochfesten sich nicht besonders ergriffen fühlt.“ Heute ist ein solches Hochfest, das Hochfest des Heiligen Geistes, des Heiligen Geistes, dessen Früchte Friede und Freude sind. So wollen wir versuchen, die Freude auch in uns zu erwecken, die Freude, die vom Heiligen Geiste stammt. Ich möchte zu Euch sprechen von der Würde, die Ihr besitzt.

Wenn Sie, meine lieben Freunde, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufschlagen, da finden Sie den ersten Satz, der lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Was ist die Menschenwürde? Worin gründet sie? Wer garantiert sie? Darüber gibt das Grundgesetz keine Auskunft. Das ist der Auslegung in den Kommentaren und der Rechtsprechung überlassen. Darin liegt eine große Gefahr. Denn es ist in Deutschland genauso wie in Russland, und von Russland schreibt Horst Teltschik dieser Tage; „Es gibt in Rußland kein allgemeines Wertsystem, keine ethischen, religiösen oder ästhetischen Maßstäbe, die von einem gesellschaftlichen Konsens getragen sind.“ Diese Feststellung gilt nicht nur von Russland, sie gilt auch von Deutschland. Auch bei uns gibt es kein allgemein anerkanntes Wertsystem, und wegen der Uneinigkeit über die grundwesentlichen Werte kann es auch keine Einigkeit über das Wesen der Menschenwürde geben. Dahin kommt es, wenn man die Religion als Grundlage aller Werte aufgibt.

Wir Gläubigen sind in der glücklichen Lage, von Gott über die Würde des Menschen belehrt worden zu sein. Wir wissen, woher sie kommt und worin sie besteht. Die Würde des Menschen gründet darin, dass er von Gott geschaffen und von Gott erlöst ist. Seine Würde besteht in der natürlichen und übernatürlichen Gottebenbildlichkeit.

Die Welt macht es uns schwer, uns unserer Würde zu freuen. Wir sind Staubkörnchen in einer großen Menge. Wir sind Nummern in einer großen Zahl. Und doch will der Mensch etwas sein, will etwas gelten. Wenn wir einmal hinüberschauen in das Zweistromland, wo Euphrat und Tigris fließen, da stoßen wir auf Trümmer, auf die Trümmer des Turmbaus von Babel. Da wollten die Menschen auch etwas sein und gelten, und sie versuchten einen Turm zu errichten, der in den Himmel reicht. Der Mensch will etwas gelten, und das ist berechtigt, denn Gott hat ihm eine Geltung verliehen. Im Alten Bunde hatte Gott sich ein Volk auserwählt. Er führte dieses Volk in die Wüste, und er selbst zog voran in einer Wolkensäule. Das Volk folgte erschauernd und flüsterte: „Gott ist mit uns.“ Man baute ein Bundeszelt, um eine Wohnstätte für Gott zu bereiten. Eine Wolke ließ sich auf der heiligen Lade nieder, und Moses rief jubelnd aus: „Wo ist ein Volk, dem seine Götter so nahe sind wie unser Gott?“ Moses begehrte noch mehr: Er wollte die Herrlichkeit Gottes schauen. Aber der sterbliche Mensch ist unfähig, Gottes Herrlichkeit zu schauen. Nur ein Abglanz, ein ferner Abglanz der Herrlichkeit Gottes wurde ihm gewährt, und Moses hat niemals darüber gesprochen, als hätte es ihm die Sprache verschlagen.

Aber noch viel inniger und herzlicher wollte Gott mit den Menschen verkehren. Das war, als er ein Mensch wurde unter den Menschen, als er an den Ufern des Jordan entlang wanderte und über die Berge Judäas schritt. Einmal stand er am Jordan, und Johannes der Täufer wies mit dem Finger auf ihn: „Seht, das Lamm Gottes!“ Das hörten zwei von seinen Jüngern, und sie folgten Jesus nach; es waren Johannes und Andreas. Jesus schaute sich um und fragte sie: „Was sucht ihr?“ Da kam es über ihre Lippen, verlegen, so wie Kinder verlegen fragen: „Meister, wo wohnst du?“ Lächelnd mag der Herr geantwortet haben: „Kommt und seht!“ Da kamen sie zu ihm und blieben den ganzen Tag bei ihm. Wie mögen ihre Herzen geglüht haben, als der Herr zu ihnen sprach! Noch im hohen Alter, vielleicht mit 80 Jahren, weiß Johannes davon zu berichten: „Es war um die zehnte Stunde.“ Das heißt um 16 Uhr nachmittags. So sehr hat ihn diese Begegnung ergriffen. Es war um die zehnte Stunde!

Es gibt aber noch eine Stelle in der Heiligen Schrift, ergreifender als alle anderen, und diese Stelle heißt: „Wenn jemand mich liebt, so wird er meine Lehre halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Das ist kein schönes Bild, das ist keine Übertreibung, wie mir einmal ein Theologieprofessor sagte, sondern das ist eine Wirklichkeit. Wenn Gott die Seele liebt und die Seele in der Gnade ist, dann kommt der dreieinige Gott und schlägt seine Wohnung in der Seele auf. Gewiß ist Gott allgegenwärtig; die ganze Welt ist wie eine große Kirche. Aber die Seele des Gerechten ist wie ein Tabernakel in dieser Kirche. Dort wohnt Gott in geheimnisvoller Weise. Wenn Mann und Frau sich am Altare die Hand reichen zum Bunde, dann strömen geheimnisvolle Kräfte von Seele zu Seele. Aber das ist nur ein schwaches Bild für die innige Vereinigung des dreifaltigen Gottes mit unserer Seele. „Wenn jemand mich liebt, dann werde ich kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Gott wollte seine Wohnung aufschlagen unter den Menschen. Dem Moses befahl er, ein Zelt zu bauen. Das Kostbarste, was die Israeliten hatten, trugen sie zusammen, Gold und Silber und Steine und Holz. Das Beste war gerade gut genug für die Wohnung des Allerhöchsten. Aber das war gar nichts gegenüber der Wohnung, die Gott aufschlug in einem Menschen, im besten und reinsten Menschen, der je auf dieser Erde gewandelt ist. Er suchte sich das heiligste Menschenkind aus, das heiligste, und überschüttete es mit seinem Glanz und mit seiner Gnade, und dann zog er ein, um neun Monate darin zu wohnen.

Und wiederum wird das noch übertroffen von dem, was Gott mit der Seele des Gerechten tut. Er nimmt bei ihm Wohnung: „Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen." Sehen Sie, meine lieben Freunde, das ist es, was Pfingsten heißt. Pfingsten heißt sich freuen über den Geist Gottes in unserer Seele. Wir sprechen von der heiligmachenden Gnade, und es ist richtig, davon zu reden. Aber die heiligmachende Gnade ist nicht nur eine neue Qualität, die den Menschen gegeben wird, sondern die heiligmachende Gnade bringt auch die ungeschaffene Gnade, nämlich den dreifaltigen Gott zu uns. Sie macht den Gerechten zu einem Tempel Gottes. Gott wohnt in uns nicht nur mit geschaffenen Gnadengaben, die er spendet, sondern mit seiner ungeschaffenen göttlichen Wesenheit. „Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ So ruft Paulus in seinem ersten Korintherbrief den Sklaven in Korinth zu. „Wißt ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Die Einwohnung Gottes in der Seele wird dem Heiligen Geist zugeschrieben, und das ist berechtigt, weil der Heilige Geist eben die Liebe zwischen Vater und Sohn ist. Aber alle Werke Gottes nach außen sind der Dreifaltigkeit eigen. Das heißt, wenn der Heilige Geist in die Seele einzieht, dann auch der Vater und der Sohn. Wir haben in der Seele des Gerechten die Einwohnung der drei göttlichen Personen.

Und was bedeutet das für uns? Zunächst einmal Ehrfurcht, tiefe Ehrfurcht vor der eigenen Seele. Wenn ein Verstorbener in einem Hause liegt, dann bewegt man sich auf Zehenspitzen, da geht man ehrfurchtsvoll durch die Räume. Es ist, als ob die Majestät der Ewigkeit über diesem Hause liegt. Aber viel mehr erschauernde Ehrfurcht müsste um uns sein angesichts einer reinen Seele, in der Gott eingezogen ist. Haben wir Ehrfurcht vor dem Gott in unserer Seele! Haben wir Ehrfurcht und lassen wir uns trösten von dieser Gegenwart! Wenn uns Demütigungen treffen, denken wir daran: Die Würde ruht in unserer Brust! Die Sklaven der ersten christlichen Zeit lachten über die Demütigungen und die unwürdige Behandlung, die sie über sich ergehen lassen mussten. Sie wussten, sie haben eine Seele, und in dieser Seele wohnt der dreifaltige Gott. Viele Menschen wissen nicht, dass sie eine Seele haben, und verhalten sich entsprechend. Sie denken an Essen und Trinken an Pfingsten; sie wissen nicht, dass sie eine Seele haben. Und wir treffen Menschen, denen die Sünde zur Gewohnheit geworden ist. Arme Menschen; sie wissen nicht, dass sie eine Seele haben. Wir aber wissen es, und wir wollen Ehrfurcht vor dieser Seele haben, Ehrfurcht vor der Wohnung, in der Gott sein Zelt aufgeschlagen hat. „Wenn wir durch den Geist das Leben haben, so lasst uns auch im Geiste wandeln,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Galatien. Wenn wir durch den Geist das Leben haben, dann lasst uns auch im Geiste wandeln! Und in der Tat, durch das Sakrament der Taufe wurden wir zu einem Tempel des Heiligen Geistes. Wir wollen ihn nicht vertreiben durch schlechte Handlungen. „Betrübet den Geist nicht, mit dem ihr besiegelt seid,“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Ephesus. Betrübet den Geist nicht, mit dem ihr besiegelt seid! Und an seinen Schüler Timotheus schreibt er: „Bewahre das dir anvertraute köstliche Gut durch die Kraft des Geistes, der in dir wohnt!“

Wißt ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Diese Überlegung, diese Überzeugung, diese Wirklichkeit kann uns eine große Kraftquelle sein, meine lieben Freunde. Wenn die Versuchung uns naht, wenn die Schwäche uns übermannen will, dann denken wir an das Wort des heiligen Stanislaus Kosta: „Ich bin zu Höherem geboren.“

Man klagt, dass es so wenige Kirchen des Heiligen Geistes gibt. Ich glaube, der Grund liegt darin, dass wir eben selbst Wohnungen des Heiligen Geistes sind. Wir tragen den Heiligen Geist in uns und brauchen deswegen nicht unsere Kirchen dem Heiligen Geist zu weihen, so löblich dieses Beginnen ist. Wir freuen uns, dass wir einmal unsere Seele schauen werden, wenn wir in der Ewigkeit sind. Dort werden wir ja, so hoffen wir, unsere Lieben wieder finden. Dort werden wir das Vaterauge Gottes schauen. Aber wir werden dort auch unsere Seele schauen. Suarez, der große spanische Theologe, lag im Sterben. Er hatte wie wenige in die Wirklichkeit Gottes hineingeschaut. Jetzt lag er blaß und ergeben und wartete auf sein letztes Stündlein. Da ist uns das Wort überliefert, das er in dieser Stunde gesprochen hat: „Videbo animam meam – Ich werde meine Seele schauen.“ Darauf freute er sich, und das machte ihm das Sterben lieb. Auch wir werden unsere Seele schauen. Jetzt mühen wir uns um sie und sorgen uns um sie. Wir tragen das Leid, wir bringen es zur heiligen Kommunion, alles für die Seele, die doch niemals auf Erden zu schauen ist. Aber der Pfingstjubel soll in unserer Seele sein: Wir werden unsere Seele schauen. Wir sind kein Stäublein, das irgendwo zugrunde gehen wird. Wir besitzen eine unsterbliche Seele, und wir wollen uns zu dieser Seele neigen und Gott in ihr anbeten. Wir schön muss eine Seele sein, dass der dreifaltige Gott in ihr seine Wohnung aufschlagen konnte.

Amen.

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