Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
12. September 2004

Jesus, der Herr über Leben und Tod

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Zweimal ist Jesus Müttern begegnet. Einmal traf er das Mutterglück, als er die Kinder zu sich kommen ließ und ihnen die Hand auflegte. Das zweite Mal begegnete er dem Mutterleid, und davon spricht das Evangelium des heutigen Sonntags. Da ist eine Mutter, gramgebeugt, eine Witwe, die ihren Mann verloren hat, und nun muß sie auch noch den Tod ihres Sohnes beklagen, des einzigen Sohnes, der wahrscheinlich ihr Ernährer war. Das Leid der Mutter hat ihre Volksgenossen angerührt, sie begleiten sie in großer Schar hinaus auf den Friedhof vor der Stadt, um sie zu trösten. Aber welchen Trost kann man einer Mutter spenden, die ihr Kind, die ihr einziges Kind verliert. Da ist alles menschliche Trösten vergebens.

Auf dem Wege treffen die Leidtragenden den Herrn über Leben und Tod. Sie begegnen Jesus, und er ward von Mitleid gerührt. Das Mitleid richtet sich nicht nur auf diesen einen Verstorbenen, sondern der Schauer erfasst ihn über den Tod, über den mächtigen Tod, über den Herrn über das Leben, denn er weiß, aus welcher Quelle dieser Tod quillt: aus der Quelle der Sünde. Die Sünde hat den Tod in die Welt gebracht, und der Tod ist der Sold der Sünde. Und so wird der Herr erschüttert, so wie er erschüttert wurde am Grabe des Lazarus und sogar Tränen vergoß um einen Verstorbenen. Er sieht alles Leid, das die Sünde und der Tod über die Welt gebracht hat. Er weiß, welche herbe Enttäuschung der Tod über zahllose Menschen bringt. Aber er offenbart sich jetzt als den Herrn über Leben und Tod, damit sie an seine gottmenschliche Sendung glauben, damit sie erkennen, dass er den Tod überwunden hat.

Christus hat nicht das Gesetz des Todes beseitigt. Auch heute sterben Menschen, Hunderttausende jeden Tag. Hunderttausende von Ehegatten, Eltern, Geschwistern, Kindern stehen an Sterbebetten und weinen bittere Tränen über den Heimgang eines Menschen, den sie lieb hatten. Christus hat den Tod nicht beseitigt, aber er hat die Hoffnungslosigkeit des Todes weggenommen. Von uns Gläubigen gilt, daß wir nicht trauern wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Wir wissen, dass Jesus auferstanden ist und den Tod entmächtigt hat, so dass alle, die an ihn glauben, davon überzeugt sein dürfen, dass es ein ewiges Leben gibt und dass es einst eine Auferstehung auch der Leiber geben wird. Christus hat den Tod nicht weggenommen, aber er hat uns von der Hoffnungslosigkeit des Sterbens befreit. „Deinen Gläubigen wird das Leben nicht genommen“, so heißt es in der Totenpräfation, „sondern verwandelt.“ Wenn das irdische Zelt zerbricht, dann hat Gott eine himmlische Wohnung bereitet, eine Wohnung, die nicht von Menschenhänden gemacht ist.

Für die Ungläubigen ist der Tod ein Untergang, ein unfassbarer, sinnloser Schreck, ein Untergehen im ewigen Nichts ohne Aussicht auf Wiedersehen. Mit einem solchen Sterben wird auch das Leben sinnlos, denn wenn die paar Jahre hier zu Ende sind, und es ist dann alles aus, dann legt sich der Schatten des Nichts auch über dieses Leben, dann ist das Leben ein qualvolles Rätsel, dessen Lösung wir nicht finden können. Aber das ist der tiefe Trost, den Christus uns gebracht hat, dass der Tod nicht ein Untergang, sondern ein Übergang ist, ein gerechter Ausgleich für all die Ungerechtigkeiten auf dieser Erde.

Gewiß ist der Tod für die gläubigen Menschen auch eine Quelle unsagbaren Leides, besonders für die Eltern, die ein liebes Kind hergeben müssen. Ihnen erscheint dieser Verlust als etwas Unfaßbares, und sie möchten mit Gott hadern, dass er ihnen das Kind genommen hat. Aber auch am Grabe eines Kindes steht der Herr und spricht sein Trostwort: „Weine nicht!“ und gibt uns die Hoffnung auf ein jenseitiges Leben und eine einstige Auferstehung. Auch da waltet die Vorsehung über dem Sterben, die Vorsehung, die wir oft nicht verstehen.

Es gibt ein ergreifendes Märchen. Da wird erzählt, wie einer Mutter das Kind im Tode entrissen wurde. Die Mutter eilt dem Tode nach; sie will ihm das Kind entreißen, sie will es zurückholen. Sie überwindet alle Hindernisse, sie gibt ihr Blut hin, sie opfert ihre Augen, und schließlich holt sie den Tod ein und möchte ihm das Kind wegnehmen. Da lässt sie der Tod in einen tiefen Brunnen schauen, und in diesem Brunnen sieht die Mutter in wechselnden Bildern das Schicksal, das ihrem Kinde bevorstünde, wenn es weiterleben würde. Sie sieht, wie es heranwächst, sie sieht, wie es in Not und Elend verfällt, sie sieht, wie es in Schande und Unglück gerät und schließlich elendig zugrunde geht. Da fällt die Mutter dem Tod in die Arme und schreit auf: „Nein! Nein! Nimm das Kind und trage es in Gottes unbekanntes Land! Lieber will ich Leid und Sehnsucht um das Kind tragen, als dass es ein solches Schicksal haben sollte.“

Christus hat das Gesetz des Todes nicht beseitigt, aber er hat uns von der Hoffnungslosigkeit des Sterbens befreit. Wenn manche Eltern wüssten, welchen Weg ihr Kind gehen müsste, dann würden sie nicht mit Gott hadern, weil er es in seiner ersten Blüte und Reinheit zu sich genommen hat. Denn es gilt auch diese Belehrung: Es gibt Dinge, meine lieben Freunde, die schlimmer sind als der Tod. Schlimmer als der Tod ist das Zugrundegehen der Seele. Es gibt viele, deren Leib blüht und herrlich anzuschauen ist, aber ihre Seele ist tot. Das göttliche Leben in ihr ist erloschen. Sie haben den Glauben von sich geworfen. Sie spotten über das, was ihnen einmal heilig war. Und das ist viel schlimmer als der Tod, denn von diesem Tode rettet niemand mehr. Wer diesen Tod stirbt, der hört niemals das Wort: „Stehe auf und wandle!“

Darum, meine lieben Freunde: Wir wissen, wie viele Gefahren unseren jungen Menschen drohen. Wir wissen, wie sie von der Umwelt gefährdet sind, wie die Umwelt sie nicht mehr trägt, wie sie noch vor fünfzig, sechzig Jahren die anderen trug, sondern wie die Umwelt eine Gefahr, eine unermeßliche Gefahr für unsere Jugendlichen ist. Und da gilt es für die Eltern, zu sorgen und zu wachen und zu beten, damit ihre Kinder nicht zugrunde gehen. Und wenn sie gefallen sind, dass sie dann das Wort hören: „Ich sage dir, stehe auf!“ Daß sie den Weg zurück finden, den Weg zu einer reuigen Beicht, den Weg zu einem neuen Leben, den Weg zum Gnadentempel Gottes.

Noch immer spricht ja der Heiland das Wort des Wunders, vollbringt er im Bereich der Übernatur keine geringeren Wunder als damals, da er den toten Jüngling zum Leben erweckte. Aber diese Erweckung geschieht nicht ohne unsere Mitwirkung. Wenn der Mensch nicht mittut, dann wird er niemals das Wort hören: „Steh auf!“ Gebe Gott, meine lieben Freunde, dass Sie und die Ihrigen, alle Ihre Kinder einstens das Wort des Erlösers hören können: „Stehe auf! Gehe ein in die Freude deines Herrn!“

Amen.

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