Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. Juli 2003

Der Beruf

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn die Schulzeit vorüber ist, dann tritt der junge Mensch ins Leben über, er ergreift einen Beruf. Das klingt ganz selbstverständlich, und dich, wie viele Schicksale, wie viele Wagnisse, welcher Kampf und welche Gefahr, ja welche Katastrophen sind mit diesem Übertritt verbunden! Der Beruf, den ein Mensch sich wählt, ist, wie die Sprache uns sagt, das Ergebnis einer Berufung oder soll das Ergebnis einer Berufung sein. Also, der Beruf soll eine schöne Möglichkeit sein, eine Chance, sich zu verwirklichen und etwas zu leisten, eine Tat und ein Werk, eine Wirklichkeit und eine Wirksamkeit, die von oben kommt; denn Beruf kommt ja von Berufung. Man wird berufen und soll den Ruf hören und den Beruf ergreifen, den uns dieser Ruf nahelegt.

Tatsächlich hat es Menschen gegeben, die eine solche Sendung empfangen haben. Es war einmal ein glühender, ein liebender, ein Gott hingegebener Mensch, der einen solchen Ruf empfing und sagte: „Herr, sende mich!“ Das war der große Prophet Isaias. Auch heute erwarten wir von manchen Menschen, daß sie einer Berufung folgen. Wir setzen voraus, daß, wenn jemand Priester wird, er eine Berufung hat. „Niemand nimmt sich selbst die Ehre“, heißt es im Hebräerbrief, „außer wer berufen ist.“ Auch von denen, die an eine Klosterpforte pochen, erwarten wir, daß sie Berufung haben, daß sich niemand in ein Kloster eindrängt, der nicht meint, einen Ruf Gottes vernommen zu haben. Und schließlich auch von den Liebenden, die an den Altar treten, um sich zu einem Ehebunde zu vereinigen, erwarten wir, daß sie sich geprüft haben, ob Gott sie zueinander ruft, und daß sie nur dann diesem Rufe folgen.

Der Beruf ist gleichbedeutend mit dem Leben, wie es wirklich ist, und diese Berufung ergeht entweder von Gott oder von den Menschen. Sie kann aus der Außenwelt kommen, sie kann aber auch aus der Innenwelt stammen. Es hat Menschen gegeben, die sich zu einem Werk berufen wußten, Künstler, Ärzte, Erzieher. Der große Adenauer hat sich dazu berufen gefühlt, endlich die Aussöhnung mit dem westlichen Nachbarn herbeizubringen und das deutsche Volk in Freiheit zu erhalten. Das war der Ruf, den er verspürt hat. Und tatsächlich ergehen solche Rufe an die Menschen. Aber freilich, bei der großen Masse, bei denen, deren Namen in ihrem Arbeitsausweis stehen, ist von einer solchen Berufung oft wenig zu spüren, die Computerleute und die Hausangestellten und die Verwaltungskräfte und die Schuhmacher und die Bäcker und die Schneider, sie werden lächeln, wenn ich ihnen sage: Auch du hast eine Berufung. Denn wie sind sie in diesen Beruf gekommen? Häufig durch Zwang. Der Vater hatte ein Geschäft, und der Sohn mußte es übernehmen. Es war so vorgezeichnet; die Bahn war ihm gegeben. Ich habe einmal einen Herrn getroffen, der ein ehrlicher Handwerker geworden ist, aber der es niemals verwunden hat, daß er eigentlich Arzt werden wollte. Durch Zwang kann man in einen Beruf kommen, aber auch durch einen Zufall. Man muß halt schließlich etwas machen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und so kommt ein Rat oder eine Gelegenheit, und so tritt man in einen bestimmten Beruf ein. Die meisten ergreifen den Beruf, weil sie halt ihr Brot verdienen müssen. Sie müssen ja von irgendetwas leben. Und so sind sie in den Beruf hineingekommen, den sie ihr ganzes Leben lang ausüben sollen.

Es ist nicht entscheidend, meine lieben Freunde, wie man in einen Beruf hineingekommen ist. Entscheidend ist, was man aus dem Beruf macht. Entscheidend ist, ob man den Beruf, den man gewählt hat oder in den man hineingedrängt wurde, ob man diesen Beruf zu einer wirklichen Berufung macht, ob man den Beruf mit innerer Freude, mit wirklicher Hingabe ausübt, ob man in ihm die Berufung Gottes sieht, der einem diesen Beruf in seiner unergründlichen Weisheit, auch wenn es menschliche Fährnisse und Fehler dabei gegeben hat, zugedacht hat.

Freilich gibt es Menschen, die unter ihrem Beruf leiden, denen der Beruf eine Art Galeerendienst oder gar Martyrium ist, die einzige Möglichkeit, ihr Brot zu verdienen, aber an der sie nicht hängen. Als es um die Kohlesubventionen ging im Ruhrgebiet, da sagte der Führer der Gewerkschaft Bergbau: „Wir hängen nicht an dem Dreckloch.“ Das heißt, die Bergarbeiter haben oft keine innere Beziehung zu ihrem schmutzigen, anstrengenden und gefährlichen Beruf. „Wir hängen nicht an dem Dreckloch“, sagte er. Und doch gibt es solche rufenden Stimmen, die einen Menschen in seinem Berufe festigen und stärken können. Diese rufenden Stimmen können von außen oder von innen kommen, von außen, von Menschen, von der Familie, von der Kirche, von Gott, oder auch von innen, weil man eine innere Schaffensfreude spürt, weil man den Drang hat, etwas zu verwirklichen, weil man bestrebt ist, etwas zu schaffen, etwas zu finden, etwas zu entdecken, etwas zu leisten. Die innere Schaffensfreude, das ist der Ruf, der von innen an einen Menschen geht. Ein jeder Mensch kann seinen Beruf lieb gewinnen, wenn er nur will. Wenn ein Beruf nicht gerade gemein und niedrig und böse ist, ist es einem Menschen möglich, auch in einem Beruf, den er zunächst nur im Gehorsam oder wider Willen übernommen hat, sich zu finden oder sich eine Lebensstellung zu erarbeiten und in diesem Beruf auch glücklich zu werden. Jeder Beruf dient ja dem Gesamten, jeder Beruf hat auch eine innere Nützlichkeit. Und diese Nützlichkeit zu entdecken, ist einem jeden aufgegeben, wenn wir nur bereitwillig sind, den Ruf zu vernehmen, der aus dem Beruf zu uns kommt. Der Mensch, der rechte Mensch kann jede Tätigkeit lieb gewinnen.

Wir wissen, daß viele, ja vielleicht unzählige Menschen ihren Beruf lieben. Der Landmann, der den Samen streut und die Feldarbeit betreibt und die Ernte einfährt, wie kann er glücklich sein in seinem Berufe! Ich habe einen Mitschüler gehabt, der nach dem Kriege sich einen Bauernhof aufgebaut hat und der heute noch jeden Morgen um 5 Uhr in den Stall geht, um die Kühe, 70 Milchkühe, zu melken. Man kann einen jeden Beruf, der nicht böse ist, lieb gewinnen. Jeder Beruf kann einen zur Schaffenslust, zum Nachdenken, zum Erforschen, zum Probieren anleiten.

Freilich ist zuzugeben, daß manche Menschen unter ihrem Beruf leiden. Das ist einmal die große Gruppe derer, die einem Beruf nicht gewachsen sind. Es gehört zu den erschütterndsten Erfahrungen meines Lebens, daß es viele Menschen gibt, die an einer Stelle stehen, für die ihre geistigen oder körperlichen Kräfte nicht ausreichen. An vielen, vielen Stellen sind Menschen in einen Beruf hineingegangen, dem sie nicht gewachsen sind. Wie soll sich dann innere Zufriedenheit einstellen? Es gibt aber auch das Gegenteil, nämlich daß jemand einen Beruf ausübt, den er mit seinen Fähigkeiten weit überragt. Auch das ist möglich, daß jemand seine Fähigkeiten in dem Beruf, in den man ihn hineingedrängt hat, nicht auswirken kann und daß er ein ganzes Leben lang klagt: Ich habe mich nicht verwirklichen können, ich habe meine Kräfte nicht auswirken können, ich konnte nur mit einem Minimum meiner Fähigkeiten den Beruf ausfüllen.

Und dann gibt es natürlich auch eine Gruppe der Berufslosen, die keinen Beruf finden, die in keinem Beruf aushalten, die in keinem Beruf brauchbar sind. Auch die gibt es. Solche berufslosen Menschen sind natürlich todunglücklich; denn sie haben keine Erfüllung in ihrem Leben, wie sie ja der Beruf gewähren kann. Sie sind unglücklich und unzufrieden, und bei manchen erzeugt das einen Widerwillen gegen die Gesellschaft, einen Haß gegen die anderen und eine ständige Klage über ihr verfehltes Leben. Solchen Menschen kann von Menschen kaum geholfen werden, aber es kann ihnen geholfen werden von Gott. In Gottes Weisheit haben auch die Berufslosen noch eine Berufung. Wer gläubig ist und weiß, daß Gott ein Vater ist, daß er mit seiner Vatersorge einen jeden umfängt, der ist auch gewiß, daß die Berufslosen, die am Beruf gescheitert sind oder die einen Beruf niemals gefunden haben, daß auch die Berufslosen noch von Gott angesprochen und berufen sind.

Solche Berufslose gibt es in allen Ständen, selbst in den heiligsten Berufen. Ich sprach einmal mit einem Priester, der offenkundige Zeichen der Unlust in seinem Berufe gab. Bald wurde mir  von zuverlässiger Seite gesagt, dieser Priester habe den Ausspruch getan: „Wenn mein Vater nicht mehr leben würde, würde ich aus der Kirche austreten.“ „Wenn mein Vater nicht mehr leben würde“, der im Pfarrhaus weilte, „würde ich aus der Kirche austreten.“ Man kann auch eine Berufung verlieren, und dann wird der Beruf, den man ausüben muß, zu einem Greuel. Denn man muß etwas tun, hinter dem man nicht mehr steht, und nichts ist schlimmer als der Pfaffe, der Pfaffe, der den Beruf verloren hat. Freilich ist das auch bei anderen Berufen möglich, und diesen Berufslosen muß man sagen, sie sollten den Ruf hören, den Gott an sie ergehen läßt. In Gottes Augen gibt es keine unbrauchbaren Menschen. Vor Gott ist jeder Mensch kostbar und wertvoll, und jedem hat Gott eine Aufgabe zugedacht. Er muß nur diese Aufgabe erkennen und sich anstrengen, sie zu erfüllen. Niemandem wird etwas geschenkt im Beruf und im Leben, und ein jeder muß seine Kräfte anspannen, muß auch ungeliebte Arbeiten tun. Das gehört zum Beruf. Im Beruf kann man sich nicht aussuchen, was man tun will, sondern man muß das tun, was einem angeschafft wird. Und so wird der Beruf dann wahrhaftig zu einer Berufung, wenn man die Stimme Gottes in jedem Berufe, in jeder Tätigkeit eines Berufes hört, wenn man den Beruf auszufüllen bemüht ist.

Der Beruf ist tatsächlich,  meine lieben Freunde, ein Abenteuer, ein Abenteuer, wie man hineinkommt, ein Abenteuer, wie man ihn ausfüllt. Entscheidend ist, daß man einen Beruf findet, einen Beruf wählt, der nach Gottes Willen nützlich, notwendig und zufriedenstellend ist; und entscheidend ist, daß man diesen Beruf mit seiner Kraft ausfüllt. Ich sage noch einmal: Man kann einen jeden Beruf lieb gewinnen, wenn man nur bereit ist, ihn als von Gott gegeben anzuerkennen. Wenn man nur in einem Beruf die rufende Stimme Gottes hört, dann wird ein jeder Beruf zur Erfüllung des Lebens, zu dem Werk, das Gott in uns sehen will, zu der Tat, die Gott von uns verlangt.

Amen.

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