Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. August 2001

Maria in der Herrlichkeit ihres Sohnes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der glorreichen Aufnahme Mariens in den Himmel Versammelte!

Am 1. November des Jahres 1950 hat Papst Pius XII. auf dem Petersplatz in Rom ein neues Dogma verkündet: „Es ist eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit, daß die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wenn  jemand, was Gott verhüte, diese Wahrheit, die von Uns definiert worden ist, zu leugnen oder bewußt in Zweifel zu ziehen wagt, so soll er wissen, daß er vollständig vom göttlichen und katholischen Glauben abgefallen ist.“

Das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Leib und Seele ist als Dogma, d. h. als von der Kirche vorgelegte Glaubenswahrheit, neu. Der Inhalt ist uralt. Zu allen Zeiten war die Kirche davon überzeugt, daß Maria eine besondere Stellung im Heilsplan Gottes einnimmt. Immer wußte die Kirche, daß Maria mit ihrem göttlichen Sohne in einzigartiger Weise verbunden ist. Diese Teilnahme an der Sendung ihres Sohnes und die Tatsache ihrer Gottesmutterschaft haben auch von Anfang an die Theologen der Kirche dazu bewogen, anzunehmen, daß Maria nicht dasselbe Schicksal wie alle Menschen erlitten hat, nämlich zu sterben und dann im Wartestand zu verharren, bis einmal die Auferstehung der Leiber erfolgt, sondern daß mit Maria etwas Besonderes geschehen sein muß. Der heilige Germanus von Konstantinopel legt Jesus, der sich anschickt, seine Mutter in den Himmel aufzunehmen, folgende Worte in den Mund: „Dort, wo ich bin, mußt auch du sein, Mutter, die du von deinem Sohn nicht zu trennen bist.“ Hier wird also die Verbundenheit Mariens mit ihrem Sohne, vor allem ausgedrückt in der Teilnahme an seiner Sendung und durch ihre Gottesmutterschaft, als Motiv gesehen, warum Maria nicht im Tode geblieben ist wie alle anderen Menschen.

Dieser Glaube hat sich immer mehr verfestigt. Im 5. Jahrhundert schon wird in einer Schrift dargestellt, wie Jesus Petrus und die Apostel fragt, was sie denken, welches das Los Mariens sein solle, welches Los sie verdient habe. Da erhält er von ihnen die Antwort: „Herr, du hast diese deine Dienerin erwählt, daß sie eine makellose Wohnstätte für dich werde. Da halten wir, deine Diener, es für gerecht, daß, wie du nach deinem Sieg über den Tod in der Herrlichkeit herrschest, du auch den Leib deiner Mutter auferweckest und sie in Freude mit dir in den Himmel nehmest.“ Das ist die berühmte Schrift „De transitu virginis Mariae“, die aus dem 5. Jahrhundert stammt. Dem gläubigen Sinn des Gottesvolkes ist dann auch klar geworden, daß die Liebe Jesu zu seiner Mutter zu fordern scheint, daß sie da ist, wo ihr Sohn ist. Der heilige Germanus schreibt in einem Text, die Liebe Jesu zu seiner Mutter verlange es, daß Maria im Himmel wieder mit ihrem göttlichen Sohn verbunden werde. „Wie ein Kind die Gegenwart seiner Mutter sucht und wünscht und wie eine Mutter gern in der Gesellschaft ihres Sohnes lebt, so war es auch für dich, deren mütterliche Liebe zu deinem göttlichen Sohn außer Zweifel steht, angemessen, daß du zu ihm zurückkehrtest, und war es nicht angemessen, daß doch jedenfalls dieser Gott, der dir wirkliche Sohnesliebe erwies, dich zu sich aufnahm?“ Und ein wenig später ruft er aus: „Die Mutter des Lebens mußte die Wohnstätte mit dem teilen, der das Leben ist.“

Man kann auch weitere Argumente anführen, warum Maria nicht im Tode bleiben durfte. Ein anderer Grund ist nämlich ihre Verbundenheit mit Jesus und ihre Teilnahme am Erlösungswerk Jesu. Sie hat ihn ja begleitet; sie stand unter dem Kreuze; sie war bei der Grablegung zugegen, und sie hat mit den Jüngern die Sendung des Geistes durch ihren Sohn erwartet. Wegen dieser Teilnahme Marias am Erlösungswerk sagt der heilige Johannes von Damaskus: „Es mußte so sein, daß sie, die ihren Sohn am Kreuze gesehen hatte und der das Schwert des Leidens tief ins Herz gedrungen war, diesen Sohn schaue, wie er zur Rechten des Vaters throne.“

Das Zweite Vatikanische Konzil hat bei der Begründung der Aufnahme Mariens in den Himmel verwiesen auf die Unbefleckte Empfängnis. „Sie, die eben die Erbsünde sich nicht zugezogen hat und dann erst befreit wurde, sondern sie, die vor der Erbsünde bewahrt blieb, sie durfte das einzigartige Privileg erlangen, daß sie mit ihrem Sohne in Vollendung ihrer personalen Wirklichkeit, also mit Leib und Seele, herrschen durfte.“

Diese Begründungen für die Aufnahme Mariens in den Himmel werden ergänzt durch die Zwecke, die Gott mit diesem Geschehnis verfolgt. Am Anfang der Heilsgeschichte steht ein Menschenpaar, Adam und Eva. Auch auf dem Höhepunkt der Heilsgeschichte soll ein Menschenpaar stehen, Jesus und Maria. Gott wollte offensichtlich, daß die Erlösung nicht nur in dem Manne Jesus dargestellt wurde, er wollte, daß auch in einer Frau die Erlösung, die vollkommene Erlösung, sich darstelle – in Maria. Darum ist sie als Vollendete neben Jesus in die Herrlichkeit des Himmels eingegangen, gewiß nicht wie Jesus aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft, die sich an ihr ausgewirkt hat, aus der Kraft Gottes, aber immerhin in gleicher Vollendung mit Leib und Seele in den Himmel, in die Herrlichkeit Gottes aufgenommen. Dadurch wird auch die Ehre der Frau hervorgehoben. Es sollte eben auch eine Frau an der Vollendung, an der Endvollendung teilhaben, und die Menschen sollten sehen, wozu sie bestimmt sind. Männer wie Frauen sind dazu berufen, sind dazu vorherbestimmt, einmal nach dem Plane Gottes in voller Seligkeit an der Herrlichkeit Gottes teilzunehmen.

Man kann auch noch einen anderen Zweck vermuten, weswegen Gott Maria auch im Leibe vollendet hat, nämlich es sollte die Würde und der Wert des menschlichen Leibes herausgestellt werden. Die Menschen sorgen und pflegen zwar ihren Leib, aber sie entwerten und entwürdigen ihn auch, sie mißbrauchen und zerstören ihn. Die Entwürdigung des Leibes hat in unserer jüngsten Zeit besonders gräßliche Formen angenommen. Vor allem der Körper der Frau wird zur Reklame benutzt und zur Aufpeitschung der Leidenschaften. Ich habe vor wenigen Tagen gelesen, daß die Mohammedaner ihren Frauen verbieten, sich vor anderen zu entblößen, denn die Entblößung sei nur ihrem Ehegatten vorbehalten. Müssen uns die Mohammedaner belehren, wie wir die Würde des Leibes, wie wir die Würde des Körpers der Frau zu schätzen haben? Nein, wir brauchen uns nicht von ihnen belehren zu lassen, wir wissen es aus der Aufnahme Mariens in den Himmel, was der menschliche Körper wert ist, wie hoch ihn Gott einschätzt und was Gott mit ihm vorhat. Also wollen wir aus der Auferstehung Mariens lernen, Ehrfurcht vor dem eigenen Körper, aber auch Ehrfurcht vor dem Körper anderer Menschen zu haben.

Die Gedanken über die Aufnahme Mariens in den Himmel wären unvollständig, wenn sie nicht auch dahin gingen, daß Maria als unsere Mittlerin und Fürsprecherin am Throne Gottes für uns eintritt. Maria ist die Fürbitte in Person, sie ist – wie man auch sagt – die Allmacht auf Füßen, weil alles, was sie im Sinne ihres Sohnes erbittet – sie kann nichts anderes erbitten als im Sinne ihres Sohnes –, ihr Sohn ihr gewähren wird. Deswegen geht zu ihr unser Rufen, unser Flehen, unser unstillbares Weinen.

Im 2. Teile des „Faust“ hat Goethe die ergreifende Mittlerschaft Mariens dargestellt. Da fleht nämlich der Doktor Marianus zu Maria: „Dir, der Unberührbaren, ist es nicht benommen, daß die leicht Verführbaren traulich zu dir kommen. In die Schwachheit hingerafft, sind sie schwer zu retten; wer zerreißt aus eig‘ner Kraft der Gelüste Ketten?“ Auf diesen Flehruf antwortet der Chor der Büßerinnen: „Du schwebst zu Höhen der ew’gen Reiche. Vernimm das Flehen, du Ohnegleiche, du Gnadenreiche!“ Dieses Gebet können wir Goethe nachsprechen. „Du schwebst zu Höhen der ew’gen Reiche. Vernimm das Flehen, du Ohnegleiche, du Gnadenreiche!“

Amen.

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