Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. April 2001

Die Kirche als das Ursakrament

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den Masten vor unserer Kirche sind heute Fahnen aufgezogen. Der Altar ist in besonderer Weise geschmückt. Die Bänke sind geziert, denn sie werden heute 24 Kinder aufnehmen, die zum ersten Mal das allerheiligste Sakrament des Altares empfangen. Dieses Ereignis, dieses große Ereignis einer Pfarrei lenkt unseren Blick auf die Sakramente; denn das Altarsakrament ist eines der Sakramente, ja, es ist das höchste und erhabenste der sieben Sakramente.

Die Kirche nennt Jesus das Ursakrament und das Urwort, weil von ihm alle Sakramente und alle Worte ausgehen. Er hat ja die Herrschaft Gottes in seinem Leben, Leiden und Sterben aufgerichtet. Mit der Herrschaft Gottes ist das Heil der Menschen verbunden. Wenn der Mensch sich der Herrschaft Gottes unterwirft, erwirbt er das Heil. Ja, Gottesherrschaft und Heil des Menschen sind zwei Seiten einer Sache. Die Gottesherrschaft wurde aufgerichtet im Leben, Sterben und Auferstehen des Heilandes. Man muß also zu ihm gelangen, um Anteil an der Gottesherrschaft zu gewinnen. Wer in Gemeinschaft mit Christus tritt, der wird in die Gottesherrschaft hineingezogen.

Da erhebt sich aber eine schwierige Frage, denn Jesus ist eine geschichtliche Gestalt. Sein Leben ist eingegrenzt in das Damals und Dort. Wie kommen wir, die wir hier und jetzt leben, mit Jesus in Verbindung? Welches ist die Brücke zu dem Jesus, von dem unser Heil abhängt? Diese Brücke sind Wort und Sakrament, die in der Kirche verkündet und gespendet werden. Durch Wort und Sakrament gewinnen wir Anteil an dem vergangenen Leben Jesu. Wort und Sakrament holen das vergangene Leben Jesu in die Gegenwart herein. Das Urwort und das Ursakrament Jesus wird vergegenwärtigt – das ist der richtige Ausdruck – und repräsentiert in der Kirche. Durch die Verkündigung des Wortes und durch die Spendung der Sakramente wird das Heil in Jesus in die Gegenwart hereingeholt. Daß Jesus das Urwort und das Ursakrament ist, erkennt man daran, daß er der von Gott dem Vater in die Welt gesandte Heilbringer ist. In ihm ist Gott sichtbar und hörbar geworden. In seinem Reden und Tun hat Christus die Gottesherrschaft aufgerichtet. Und wenn wir an diesem Urwort und an diesem Ursakrament Anteil gewinnnen, dann wird die Gottesherrschaft auch in uns aufgerichtet und damit das Heil gewonnen.

Wir sehen, daß hier die Kirche eine wesentliche Funktion hat. Ohne die Kirche wird das Urwort Christus und wird das Ursakrament Christus nicht lebendig gemacht. Die Kirche muß es repräsentieren, sie muß es in einer geheimnisvollen Weise vergegenwärtigen. Deswegen, weil die Kirche diese Aufgabe hat, nennen wir sie das Universalwort und das Universalsakrament. Universal heißt allgemein. Sie ist das allgemeine Wort, und sie ist das allgemeine Sakrament. Alle einzelnen Worte, die in der Kirche laut werden, und alle Einzelsakramente, die in der Kirche gespendet werden, gehen aus dem Universalwort und Universalsakrament, das die Kirche ist, hervor. Man könnte die Kirche auch das Grundwort und das Grundsakrament nennen, weil sich aus ihr wie aus einer Tiefe das einzelne Wort und das einzelne Sakrament erheben. Kirche als Universalwort und Universalsakrament. Kirche als Urwort und Ursakrament. Die ganze Kirche ist worthaft und gleichzeitig sakramenthaft. Wort und Sakrament sind untrennbar verbunden. Wenn wir Sakramente spenden, ist immer auch das Wort beteiligt. Ohne Wort gibt es kein Sakrament. Das hat z. B. die Auswirkung: Ein Priester, der nicht mehr sprechen könnte, könnte auch keine Sakramente mehr spenden, denn zum Zeichen muß das Wort kommen, und dadurch entsteht das Sakrament.

Wir bezeichnen die Sakramente als Gnadenmittel, und diese Bezeichnung ist nicht falsch, denn die Sakramente vermitteln die Gnade. Nur darf man sich die Gnadenmittel, die Mittel der Heiligung und des Heiles, nicht wie die Lebensmittel oder Heilmittel im natürlichen Bereich vorstellen. Sie sind in einem analogen Sinne als Gnadenmittel zu verstehen. Das heißt: Sie sind Mittel des Lebens und des Heiles, ganz gewiß, aber sie unterscheiden sich von den natürlichen Mitteln des Essens und des Heilens in einer doppelten Weise, denn die Gnadenmittel gehen weit über das hinaus, was die Lebensmittel oder Heilmittel im natürlichen Bereich leisten. Und außerdem: Sie stellen eine persönliche Beziehung zu Christus her. Denn Christus ist in den Sakramenten gegenwärtig und wirkt in den Sakramenten. Wir begegnen Christus in den Sakramenten. Die Sakramente sind keine sachlichen Vorgänge, die Sakramente sind Medien der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus. Christus wirkt in ihnen, und Christus gibt uns Gemeinschaft mit sich in den Sakramenten. Der Mensch muß daher die Sakramente in der Liebe zu Christus aufnehmen. Wenn er in dieser Weise Christus begegnet, dann läßt er Christus Herr sein; und wenn er ihn Herr sein läßt, dann schenkt er ihm Anbetung. Alle Sakramente sind deswegen nicht nur Heilmittel für den Menschen, sondern auch Mittel der Anbetung. Nicht nur in der Eucharistie, wo ja der Spender der Gnade leibhaftig und wirklich gegenwärtig ist, wird Anbetung geübt, auch alle anderen Sakramente sind Mittel der Anbetung.

Wenn am heutigen Tage die Erstkommunionkinder zum ersten Mal das Altarsakrament empfangen, dann ist das eine Begegnung mit dem im Sakrament gegenwärtigen Heiland Jesus Christus. „Jesus, Jesus, komm zu mir, o wie sehn‘ ich mich nach dir! Meiner Seele bester Freund, wann werd‘ ich mit dir vereint?“ So haben viele von uns als Erstkommunionkinder gelernt. „Jesus, Jesus, komm zu mir, o wie sehn‘ ich mich nach dir!“

Wenn die Sakramente als Gnaden-, als Heilmittel bezeichnet werden, dann besagt das nicht, daß der Mensch dabei unbeteiligt ist. „Es ist zwar wahr, daß Gott dich retten will, doch wenn du glaubst, er will’s ohne dich, dann glaubest du zu viel“, sagt der schlesische Dichter Angelus Silesius. „Es ist zwar wahr, daß Gott dich retten will. Glaubst du, er will’s ohne dich, dann glaubest du zu viel.“ Der Mensch muß mittun, damit die Sakramente ihre Wirksamkeit entfalten. Die Vorbereitung, die Disposition, die Empfangsbereitschaft, die Sehnsucht, die Liebe, die sind es, die verlangt werden zum gültigen oder zum fruchtbaren Empfang der Sakramente.

Wort und Sakrament bauen die Kirche auf. Durch Wort und Sakrament gliedert sich die Kirche immer neue Kinder ein, und Wort und Sakrament sind Ausdrucksgestalten und Vollzugsformen der Worthaftigkeit und der Sakramenthaftigkeit der Kirche. Wort und Sakrament sind auch Konstitutiva, also wesentliche Elemente der christlichen Existenz. Das Wort will gehört werden, und das Sakrament will empfangen werden, beides aber mit einer bereiten Seele, mit einem zugerüsteten Herzen, mit dem Verlangen, das wir als Kinder ausgedrückt haben mit den Worten: „Jesus, Jesus, komm zu mir! O wie sehn‘ ich mich nach dir! Meiner Seele bester Freund, wann werd‘ ich mit dir vereint?“

Amen.

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