Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. April 2000

Ostern – das unerhört Neue

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ostern ist das älteste Fest des Christentums, ja, das Christentum hat seinen Ursprung in dem Geschehen, das wir zu Ostern begehen. Das Osterfest der Christen ist gewissermaßen die Fortsetzung und die Erfüllung des Paschafestes der Juden. Deswegen wird in den Lesungen und Gebeten der drei österlichen Tage so viel von den Geschehnissen des Alten Bundes gesprochen, von der Schöpfung, von der Sintflut, vom Osterlamm, vom Auszug aus Ägypten, vom Durchzug durch das Rote Meer. Das alles ist erfüllt in dem Geschehnis, das wir zu Ostern begehen.

Das älteste Fest des Christentums ist zugleich der Inbegriff der Neuheit der christlichen Welt. Wir hören in den Lesungen von dem neuen, verklärten Christus; wir hören von der Neugeburt, von der Wiedergeburt, von der Neuschöpfung, von dem neuen Leben. Der Begriff „neu“ (griechisch kainos) ist dem Christentum von Anfang an angeboren. Das Christentum ist etwas Neues; es ist etwas Einmaliges; es ist etwas Unerhörtes. Die Neuheit des Christentums zeigt sich an erster Stelle in dem Heilsbringer. Was an Jesus geschehen ist, das ist nur an ihm geschehen, das ist noch nie an einem anderen geschehen, und das wird niemals sich an einem anderen ereignen. Christus ist gewissermaßen die Neuheit in Person. Der heilige Hippolyt hat in einer Osterpredigt diese Neuheit mit ergreifenden Worten geschildert: „Ist es nicht etwas gänzlich Neues“, so sagt er, „daß eine Jungfrau gebar, daß der Spender des Lebens an einer Mutterbrust lag, daß das Licht Erleuchtung empfing, daß Gott sich versuchen und der Richter sich richten ließ, daß der Unverwundbare litt und der Unsterbliche starb, daß der Himmlische im Grabe lag und der Lebende von den Toten auferstand? Sind das nicht neue Dinge? Oder kannst du mir sagen, wo solches geschehen ist, ehe Christus kam? Wenn sie aber bei Christus zuerst geschehen, so ist das eben deshalb ein neues Geheimnis, neu wegen des neuen Heiles, neu um des neuen Reiches willen, neu um deinetwillen, der du dadurch auf neue Weise gerettet wirst.“

Die Neuheit, die Christus als Person bedeutet, setzt sich fort in der Neuheit derer, die sich zu Christus bekennen. Das sind neue Menschen. Ich habe immer gelacht in den fünf Jahren, die ich in der sowjetischen Besatzungszone oder der DDR zugebracht habe, wenn die Kommunisten erklärten, sie schaffen den neuen Menschen. Ach, wie sah dieser neue Mensch aus? Es war der Massenmensch, es war der Mensch des Kollektivs, der Mensch ohne Verantwortung, der Mensch, der wie eine Puppe ist, an der man zieht; das war der angeblich neue Mensch. Nein! Der wirklich neue Mensch wird aus Christus geboren. Wieso ist der Christ ein neuer Mensch? Weil in ihm die neuen Kräfte des Christus wirksam sind, weil er in der Taufe Christus angezogen hat, weil er durch Glaube und Taufe dem Christus ähnlich geworden ist. Die Gesamthaltung des Christen ist neu; er sieht Gott in einer neuen Weise. Gewiß, auch ohne Christus kann man Gott erkennen als den Schöpfer und den Erhalter der Welt, aber Christus eröffnet uns die Innenwelt Gottes, daß Gott ein dreipersonaler ist. Er zeigt uns, daß Gott ein Vater ist und daß er die Menschen zum Heil berufen hat, daß er sie in sein innergöttliches Leben hineinziehen will. Das ist neu.

Neu ist auch der Blick auf die Schöpfung. Die Schöpfung ist seit dem Erscheinen Christi verwandelt. Die Verwandlung ist noch unanschaulich, aber die Kräfte, die Christus in sie eingesenkt hat, sind da, und sie werden sich einmal entfalten bei der Wiederkunft Christi. Die alte Welt ist neu geworden durch das Erscheinen und Wirken des Logos.

Neu ist auch die Lehre, die Christus gebracht hat. Die Menschen, die sich zu Christus bekennen, sind aus der Nacht der Finsternis und von der Macht des Bösen befreit. Aus der Macht des Bösen sind sie befreit, weil sie jetzt die Kräfte haben, mit denen sie die Begierlichkeit überwinden können. Sie sind in der Lage, die Triebe zu beherrschen. Sie sind imstande, den Geboten Gottes nachzuleben. Sie haben das Nicht-mehr-sündigen-Können – wenn sie nur wollen. Und sie sind der Nacht der Finsternis entrissen, weil sie das Ziel und den Weg kennen. Sie kennen das Ziel, nämlich die Gemeinschaft mit Gott; sie kennen den Weg, nämlich die Nachfolge Christi. Neu sind sie, weil sie der Macht des Bösen und der Nacht der Finsternis entrissen sind. Neu sind sie, weil sie zu dem Todesüberwinder gehören. Sie wissen, daß der Tod nicht das letzte Wort ist. Seitdem Jesus auferstand, heißt es nicht mehr bloß: Er starb, er starb, er starb, nein, jetzt heißt es: Er ist auferstanden, er ist auferweckt worden und er lebt und er stirbt nicht mehr.

Und das, was an Jesus geschah, das soll an uns geschehen. Wenn wir sterben, dann wissen wir, wenn wir in der Gnade gelebt haben, daß wir eine Wohnung bei Gott erhalten, in die wir aufgenommen werden. Für uns hat der Tod, wenn wir wirklich gläubig sind, seine Schrecken verloren. Alt ist jener Mann, der am Karsamstag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Frage, wie er sterben wolle, sagte, in seinem Bett, umgeben von schönen Frauen. Das ist ein alter Mensch! Er hat nichts begriffen von der Neuheit des Christentums. Das Christentum ist eine neue Wirklichkeit, die sich allen mitteilt, die sich dem Geiste Christi überlassen und von ihm sich führen lassen. Die Kirche ist eine neue Gemeinschaft. Alte Gemeinschaften haben wir in Fülle und in großer Zahl. Aber die Kirche ist eine neue; sie ist die einzige neue Gemeinschaft, die es auf dieser Welt gibt und die durch das Erscheinen Christi hervorgebracht worden ist.

Freilich hat auch die Kirche, weil sie aus Menschen besteht, eine Geschichte, eine 2000jährige Geschichte. Menschen altern, und soweit die Kirche aus Menschen besteht, zeigt sie Alterungserscheinungen. Der Kern, das Wesen, die innere Kraft, die sind neu, aber die Menschen kommen und gehen, altern und vergreisen, und so gibt es eben auch, soweit die Kirche menschlich ist, Alterungserscheinungen. Es begann, als die Kirche aus den Katakomben stieg. Solange sie bedrängt, verfolgt und unterdrückt war, da haben die Neuheitskräfte in ihr sich mächtig ausgewirkt in dem Heer von Martyrern. Aber als dann die Kirche mächtig und einflußreich wurde, da drängten die Massen in die Kirche, und zwar auch ohne Bekehrung – und das war ein Verhängnis. Denn wer zur neuen Kirche gehören will, das muß ein neuer Mensch sein, und die Neuheit erwirbt er durch die Bekehrung in Glaube und Taufe. Und so haben sich in 2000 Jahren Kirchengeschichte auch Schwächen angesetzt, soweit die Kirche menschlich ist, so haben Menschen versagt und sich schuldig gemacht, das ist gar keine Frage. Aber an uns ist es nicht, mit den Fingern auf die zu zeigen, die sich früher vielleicht verfehlt haben. Unsere Aufgabe ist es nicht, an die Brust anderer zu klopfen, sondern an die eigene Brust und zu fragen, wie wir der Neuheit des Christentums entsprechen, ob wir neue Menschen sind, ob man es uns anspürt, daß wir zu dem neuen Christus gehören. Gott hat im Laufe der Geschichte Stürme über die Kirche kommen lassen, die das Morsche hinwegfegten. Er hat Boten gesandt, die die Menschen aufrüttelten. Er hat Büßer und Beter geschickt, die für andere stellvertretend eintraten. Aber das Menschliche hat sich nicht tilgen lassen. Das Menschliche, und damit die Schwäche und das Versagen, ist in der Kirche geblieben, weil eben Menschen dazu neigen, schwach zu sein und zu versagen. Und so müssen wir heute sagen, daß es viele gibt, die den Namen von Christen tragen, aber das Neuheitserlebnis des Christentums nicht in ihrem Leben zeigen; daß es viele gibt, die die Kirche mißbrauchen zu ihren eigensüchtigen Zwecken; daß es nicht wenige gibt, die in Betriebsamkeit und Formelkram das Leben ersticken und daß auch viele Gute müde und verzagt sind. Wir wollen nicht mit Fingern auf andere zeigen, von denen wir wissen oder ahnen, daß sie heute versagen. Wir beklagen alle die Schwäche der Führerschaft in unserer Kirche, und es ist unsere heilige Aufgabe, die Pflicht brüderlicher Zurechtweisung zu üben, wenn wir erkennen, daß sie angebracht ist. Aber wir wollen nicht auf die anderen zeigen, sondern wir wollen uns selbst prüfen, ob wir dem Neuheitscharakter des Christentums entsprechen. Wir haben dieselbe Berufung wie frühere Zeiten des Christentums; wir haben dieselbe Aufgabe; wir haben dieselben Kräfte; wir haben dieselben Quellen des Lebens. Aber was machen wir daraus? Sieht man es uns an, spürt man es uns an, daß wir ergriffen sind von dem neuen Leben in Christus? Zeigen wir durch unsere rastlose Arbeit, daß uns das Reich Gottes über alles geht!

Vor einiger Zeit lernte ich einen alten Rechtsanwalt kennen, der sich mit letzter Kraft – er war herzkrank – um die kleine Gemeinde mühte, die ihm von Gott anvertraut war. Er sagte zu mir: „Ich hätte mir meinen Lebensabend anders vorgestellt.“ Aber er hat sich eben nicht einen gemächlichen und bequemen Lebensabend verschafft, sondern er hat gewirkt, solange er wirken konnte, bis ihm das Herz gebrochen ist.

Was tun wir, um die Ehre Gottes, um die Ehre Christi, um die Ehre der Gottesmutter zu verteidigen? Wir alle wissen, wie in immer mehr Theateraufführungen diese Ehre in den Dreck gezogen wird. Als in Frankfurt ein Stück von Faßbinder aufgeführt werden sollte, in dem angeblich antisemitische Züge waren, da haben die Juden von Frankfurt die Aufführung verhindert. Und das sind ein paar hundert. In Deutschland gibt es Millionen von Christen, und sie haben es nicht fertiggebracht, die Aufführung gotteslästerlicher Stücke zu verhindern. Was geschieht im Unterhaus in Mainz? Dort wird die Mutter Gottes in den Dreck gezogen! Was tun die Mainzer Katholiken, um diese Schmach zu beenden? Es ist wenig zu spüren von dem Neuheitserlebnis, von den Neuheitskräften, die uns Christus gebracht hat. Es scheint, daß es an uns liegt, wenn diese Kräfte nicht zur Entfaltung kommen. Sie sind ja da; Christus ist nicht müde geworden in 2000 Jahren, und der Heilige Geist ist nicht schwächer geworden in dieser langen Zeit. Aber die Christen, die Christen sind müde geworden und bequem und lässig.

Da gilt es, sich daran zu erinnern, daß die Zukunft der Kirche teilweise auch in unserer Hand liegt. Gewiß, es gibt das Wort, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, aber was davon verloren wird und zugrunde geht, das wird auch uns als Verantwortung angerechnet werden. Es kann sein, daß viele vom Aufgang und vom Niedergang mit Christus zu Tische sitzen werden und die Kinder des Reiches draußen bleiben müssen. Es kann sein, daß Gott den Leuchter von seiner Stelle rücken muß.

Amen.

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