Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Juli 1999

Die Seligkeit des Himmels

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben viele Sonntage hindurch die Letzten Dinge des Menschen betrachtet. Sie lauten Tod, Gericht, Hölle oder Himmel. Heute wollen wir uns zum letztenmal mit diesem Thema beschäftigen, und zwar wollen wir noch einmal die Herrlichkeit des Himmels bedenken, 1. als Besitz der außergöttlichen Wirklichkeit, 2. als Gemeinschaft mit allen Seligen und 3. als heilige Herrschaft.

Die Seligkeit des Himmels besteht in der Gemeinschaft mit Gott, in der Teilnahme am göttlichen Leben, in der Vollendung des Menschen und in der daraus folgenden Seligkeit. Das ist die primäre Quelle der Freude des Himmels, aber daneben gibt es eine sekundäre, neben der Hauptsache eine Nebensache, und diese Nebensache ist der Besitz der außergöttlichen Wirklichkeit. Der Mensch besitzt in Gott und erfreut sich in Gott auch an der Schöpfung. Entweder durch eingeschaffene Erkenntnisbilder oder unmittelbar in Gott sieht er das Außergöttliche; er bekommt einen Einblick in die Geheimnisse der Welt und des Menschen. Er erkennt Sinn und Wert der Schöpfung; er gewinnt eine Erkenntnis der Schöpfung, wie sie auf Erden nicht möglich ist. Und das ist ein Grund zur Freude, denn die Schöpfung ist ein Wunderwerk, und dieses Wunderwerk erschließt sich ihm erstmals vollkommen in der himmlischen Herrlichkeit.

Die Theologen haben über den Umfang dieser Erkenntnis nachgedacht. Wieviel sieht der Mensch in der seligen Ewigkeit? Gewiß nicht alles, denn der Mensch ist ja nicht unendlich. Es muß also eine Grenze geben. Darauf gibt der heilige Thomas die Antwort: „Der Mensch sieht alles das, was für ihn von Bedeutung ist.“ Im besonderen wird er Einblick gewinnen, inwiefern er selbst auf Erden durch sein Tun und Lassen die Gestalt der Welt geformt und verändert hat. In der Erkenntnis des Außergöttlichen gibt es einen Fortschritt. Der Mensch schreitet von Stufe zu Stufe in der Erkenntnis weiter; er dringt immer weiter ein, immer tiefer in die außergöttliche Wirklichkeit. Wenn man einmal auf Erden schon erlebt hat, welche Freude es ist, Erkenntnisse zu gewinnen, im Erkennen voranzuschreiten, dann hat man eine Ahnung davon, welche Seligkeit es dem Menschen verschaffen muß, wenn er in der Erkenntnis des Außergöttlichen im Himmel immer weiter voranschreitet. Es besteht keine Befürchtung, daß die Fülle des Gesehenen und Erfaßten den Menschen überwältigen könnte. Nein, der Mensch erhält eine neue Seh- und Liebeskraft im Himmel; wir nennen sie das Licht der Glorie. Die Enge und Begrenztheit, die ihm auf Erden anhaftete, ist vergangen, und mit dieser neuen Seh- und Liebeskraft gewinnt er eine klare Erkenntnis und eine liebende Erfassung der außergöttlichen Wirklichkeit, die alles Irdische weit übersteigt.

Nun können natürlich im Himmel gewisse irdische Freuden nicht in derselben Weise den Seligen verschafft werden. Es gibt irdische Freuden, die in den Himmel nicht passen, aber es werden alle irdischen Freuden in einer veränderten Gestalt, in einer für den Himmel passenden Gestalt den Seligen gewährt werden. Es wird kein Erkenntnis-, kein Liebesverlangen ungestillt bleiben; es wird kein Glücksverlangen unbefriedigt bleiben. Das ist also die erste Erkenntnis, die wir im Himmel gewinnen: Wir werden auch das Außergöttliche klar erfassen und liebend schauen.

Die zweite Wirklichkeit, die uns neben der Gottesschau und der Teilnahme am göttlichen Leben zuteil werden wird, ist die Gemeinschaft mit den Menschen. Der Himmel ist eine Gemeinschaft. Er ist die Gemeinschaft der Heiligen, die Gemeinschaft der Geretteten. Sie werden also im Himmel beisammen sein. Das wird ausgedrückt mit dem Bild vom Mahl. Ein Mahl hält man mit vielen anderen. Es gibt einen Lebensaustausch zwischen den Seligen. Dieser Lebensaustausch ist von allen Hemmnissen befreit, die im irdischen Leben der Begegnung von Menschen entgegenstehen. Hier hindert die Leiblichkeit, daß wir mit vielen Menschen uns austauschen können. Dann kommt die Müdigkeit und die Kraftlosigkeit des menschlichen Herzens dazu. Es ist auch die geringe Neigung des einen zum anderen in Rechnung zustellen. Das alles wird im Himmel weggefallen sein. Ein jeder wird einen jeden mit Liebeskraft und mit Erkenntnisfähigkeit schauen. Die Seligen des Himmels leben in einem Austausch. Der Heilige Geist, das Band der Liebe, schlingt sich ja um sie; Christus, das Haupt aller Seligen, vereint sie zu einer Einheit. Natürlich werden die, die im irdischen Leben miteinander verbunden waren, auch im jenseitigen Leben eng miteinander verbunden sein. Meine Großmutter sagte öfters zu uns Enkelkindern: „Ich will doch meine Lieben alle im Himmel um mich haben.“ So ist es recht. Die Großmutter hat etwas geahnt davon, daß wir mit allen lieben Menschen im Himmel vereinigt sein können, wenn wir nur wollen.

Die Heilige Schrift bezeugt diese Verbindung der Menschen. Die Sadduzäer stellten eines Tages dem Herrn eine Falle. Sie fragten: „Ja, wie wird das denn sein im Jenseits? Eine Frau hatte sieben Männer; wem wird die dann gehören von den sieben Männern?“ Der Herr entgegnete den Fragenden: „Ihr versteht nichts von der himmlischen Wirklichkeit. Dort wird man nicht mehr heiraten noch geheiratet werden, sondern dort sind die irdischen Beziehungen verwandelt; dort werden sie sein wie die Engel. Da hat der irdische Verkehr zwischen Mann und Frau ein Ende.“ Aber die Wirklichkeit der Begegnung bestreitet der Herr nicht.

Im Himmel werden auch die auf Erden Entzweiten miteinander vereinigt werden. Wir wissen, daß in diesem Leben viele Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen den Menschen ausbrechen. Es ist für einen Seelsorger immer erschütternd, zu erleben, wieviel Unfriede, wieviel Unglück in unseren Familien lebt. Das wird im Himmel beseitigt sein. Im Himmel werden die auf Erden Entzweiten, wenn immer sie den Himmel gewonnen haben, auf diese Entzweiung mit Dankbarkeit zurückschauen, weil sie nämlich jetzt verwandelt sind. Sie werden nicht verlegen und beschämt sein, wenn sie sich daran erinnern, daß sie auf Erden Auseinandersetzungen miteinander hatten. Nein, sie werden Gott loben und danken, daß er sie in verwandelter Gestalt in seine Herrlichkeit aufgenommen hat. Es wird den Seligen auch keinen Schmerz bereiten, wenn sie einen von den Ihren im Himmel vermissen. Wenn sie die Erfahrung machen, daß einer der Ihren verdammt ist, dann wird ihnen das keinen Schmerz bereiten, denn sie werden einsehen, daß der Verdammte das erhalten hat, was er wollte, daß er in dem Zustand ist, den er begehrt hat. Sie durchschauen die Gerechtigkeit der Urteile Gottes und beten seine Gerechtigkeit an, so daß also kein Schmerz in ihnen ist, wenn sie einen von denen, mit denen sie auf Erden verbunden waren, im Himmel vermissen. Das ist also die zweite Wirklichkeit, die uns im Himmel erwartet, die Gemeinschaft mit allen Seligen. Im Himmel ist verwirklicht, was auf Erden nicht ganz verwirklicht werden kann, nämlich daß man sich an einen anderen hingibt, ohne sich preiszugeben, daß man sich selbst bewahrt, ohne sich zu verschließen. Im Himmel werden wir in vorbehaltloser Liebe einander zugetan sein. Es wird kein Rest mehr sein, der vor dem anderen verhüllt und verborgen wird. Wir werden uns in liebendem Erfassen umfangen.

Die dritte Wirklichkeit, die uns im Himmel erwartet, ist die Rangordnung. Gewiß, die Schau Gottes, die Teilnahme am göttlichen Leben – das ist das Wesentliche des Himmels – ist für alle gleich. Aber die Mächtigkeit, mit der sich die Gottesherrschaft im Einzelnen durchsetzt, ist verschieden. Es ist nicht die Seligkeit des einen gleich der Seligkeit des anderen, es gibt akzidentelle Unterschiede zwischen der Seligkeit der im Himmel Befindlichen. Das kann man verstehen, wenn man einen Vergleich wählt. Nehmen wir an, es stehen vor dem Schloß in Mainz Menschen aus einer Touristengruppe. Sie alle sehen das Schloß, aber jeder nimmt es verschieden auf, nämlich je nach seinem Verständnis und seiner Fähigkeit. Der eine weiß den Baustil zu bestimmen, erkennt die Einzelheiten, weiß den Gesamteindruck zu würdigen, kurz, er sieht, obwohl alle das gleiche Gebäude vor sich haben, mehr als der andere. Ähnlich-unähnlich wird es im Himmel sein. Das Wesentliche des Himmels ist bei allen gleich, aber das Akzidentelle ist verschieden. Es wird eine Rangordnung sein, die der irdischen widerspricht. Die Apostel, die auf Erden vor den irdischen Richter geführt worden sind, werden im Himmel andere richten, sie werden dann zum Richteramt aufsteigen. Die Armen und Bedrückten, die auf Erden unansehnlich und mißachtet waren, werden im Zustand des Himmels triumphieren und sich freuen. Viele, die auf Erden an der Spitze standen, werden im Himmel hintangesetzt werden. Es werden viele Erste Letzte sein, und Letzte werden Erste sein. Es gibt im Himmel eine Überordnung und eine Unterordnung. Sie richtet sich nach dem Maß der Liebe, die in dem einzelnen gelebt hat. „Wer spärlich gesät hat, wird spärlich ernten“, heißt es in der Heiligen Schrift. „Wer reichlich gesät hat, wird reichlich ernten.“ Es werden also im Himmel die wahren Unterschiede zwischen den Menschen offenbar.

Wenn wir von einer Herrschaft im Himmel sprechen, dann ist das natürlich kein Gewaltregiment; das paßt nicht zum Himmel, sondern wenn wir von der Herrschaft im Himmel sprechen, dann meinen wir, daß die einen mehr an der Freude der anderen mitwirken als die anderen, daß ihre Liebeskraft größer ist als die anderer. Darin besteht die Über- und Unterordnung des Himmels. Es wird auch niemanden ärgern, daß der andere ein höheres Maß an Seligkeit hat als er selbst. Jeder hat das Maß an Seligkeit, das seiner Fassungskraft angemessen ist. Ein höheres Maß kann er nicht ersehnen und kann er gar nicht ertragen. Wenn Gott es ihm aufdrängen würde, dann würde er daran zerbrechen, weil seine Fassungskraft nicht dafür ausreicht. Das ist also die dritte Wirklichkeit des Himmels, die uns erwartet, nämlich die Rangordnung des Himmels, die eine andere ist als auf Erden. Hier werden die Jungfrauen und die Lehrer, die das Wort Gottes verkündet haben, die Apostel und die Martyrer die ersten Plätze einnehmen, und niemand wird es ihnen neiden, denn ein jeder wird begreifen, daß sie an dem Platz sind, der ihnen zukommt.

Als Johannes Vianney, der heilige Pfarrer von Ars, einmal eine Predigt über den Himmel gehalten hatte, kam nachher ein Herr zu ihm und sagte: „Sie haben uns so schön die Freuden des Himmels beschrieben. Wie komme ich dazu, diesen Lohn zu erlangen?“ Johannes Vianney antwortete: „Zum Himmel führen die Gnade und das Kreuz.“ Wir müssen also in der Gnade leben, damit wir vom gnädigen Gott in den Himmel aufgenommen werden. Wir müssen in der heiligmachenden Gnade verharren, damit sich das Glauben in die Schau verwandeln kann. Wir müssen aber auch die Kreuze des Lebens tragen. Auf Erden ist nun einmal das Land der Pilgerschaft, auf Erden ist nun einmal das Leid unser Los, und es gilt das schöne Wort unseres schlesischen Dichters Angelus Silesius: „Christ, flieh‘ doch nicht das Kreuz! Du mußt gekreuzigt sein; du gehst sonst nimmermehr ins Himmelreich hinein.“

Amen.

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