Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Mai 1998

Verfehlungen gegen die Gottes- und Nächstenliebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Liebe ist das erste und größte Gebot. Es gibt nur eine göttliche Tugend der Liebe, aber sie entfaltet sich in die Liebe zu Gott und zu den Menschen. Es gibt eine übernatürliche Liebe auch zu den Menschen, nicht nur zu Gott. Wir haben über dieses eine und einzige Liebesgebot an den vergangenen Sonntagen nachgedacht. Man kann sich gegen dieses Gebot auch verfehlen. Man kann hinter dem Liebesgebot zurückbleiben. Und so wollen wir am heutigen Tage über Mängel und Fehler, die dem Liebesgebot entgegenstehen, sprechen, in erster Linie über die Mängel gegenüber der Gottesliebe und dann an zweiter Stelle über die Mängel gegenüber der Nächstenliebe.

Der Gottesliebe entgegengesetzt ist an erster Stelle die Gleichgültigkeit gegen Gott und damit verbunden die Überschätzung geschöpflicher Werte, die zur Preisgabe Gottes führen und die Übertretung göttlicher Gebote zur Folge haben. Die Gleichgültigkeit gegenüber Gott zeigt sich darin, daß man sich um Gott nicht kümmert, daß man lebt, als ob es Gott nicht gäbe, daß man zwar keinem theoretischen, aber einem praktischen Atheismus huldigt. Man benimmt sich so, als ob Gott nicht der Herr und Schöpfer wäre, dem unser Leben geweiht ist und dem wir zu dienen haben.

Eine junge Mutter, Mutter eines einzigen Kindes, sagte vor wenigen Tagen auf die Frage ihres Kindes, warum sie am Sonntag nicht die heilige Messe besuche: "Wir haben keine Zeit." Der Mensch hat zu allem Zeit, wozu er Zeit haben will. Und wenn er für Gott keine Zeit hat, dann deswegen, weil er keine Zeit für Gott haben will. Er ist gleichgültig gegen Gott. Wir schulden ihm aber Hochachtung, Verehrung, Anbetung, Ehrfurcht, Gehorsam, Liebe. Wer es daran fehlen läßt, der versündigt sich gegen die Gott geschuldete Liebe. "Die Liebe verzeiht alles, nur eines nicht, nicht wiedergeliebt zu werden", hat einmal Lacodaire, der große französische Prediger, gesagt. Die Liebe verzeiht alles, nur eines nicht, nämlich nicht wiedergeliebt zu werden.

Ein anderer Gegensatz zur Gott geschuldeten Liebe ist die Trägheit. Die Trägheit besteht darin, daß man die nötige Anstrengung meidet, um Gott zu dienen und seinen Willen zu erfüllen. Der Träge scheut die Mühe, die notwendig ist, um Gottes Gesetz nachzuleben. Die Trägheit wird im religiösen Leben gewöhnlich als Lauheit bezeichnet. Die Lauheit ist die Unbekümmertheit gegenüber dem gewaltigen, großen Gott. Sie zeigt sich darin, daß man von Gott zwar Belohnungen, Schutz und Hilfe erwartet, aber nicht das Seinige tun will. Die Trägheit vernichtet jede Tugend und zerstört die Anhänglichkeit an Gott. Die Lauheit ist Gott verhaßt. "Ach wärest du doch warm oder kalt! Weil du lau bist, will ich dich ausspucken aus meinem Munde." So schreibt der Apostel Johannes, belehrt durch eine göttliche Offenbarung.

Die Trägheit ist eine Wurzelsünde, d.h. sie hat viele andere Sünden im Gefolge. Wer träge ist, aus dem sprossen eine Fülle anderer Fehler empor. Gott hat den Lohn denen verheißen, die gearbeitet haben. Er ist kein Freund der Bequemen. Die Freunde der Bequemlichkeit nimmt Gott nicht als seine Freunde an. Er liebt die Eifrigen, die Tätigen, diejenigen, die ihr Leben in seinem Dienste aufwenden. Die Trägheit kann eine schwere Sünde werden, wenn sie bejaht wird und wenn sie sich über lange Zeit erstreckt. Sie trennt uns von Gott.

Die furchtbarste Sünde gegen Gott freilich, gegen die Gott geschuldete Liebe, ist der Gotteshaß. Man kann sich fragen, wie so etwas möglich ist, daß man Gott hassen kann. Haß tritt in zwei Formen auf, nämlich als Abscheu und als Feindseligkeit. Wir unterscheiden den Haß des Abscheus und den Haß der Feindseligkeit. Der Haß des Abscheus besteht darin, daß man Widerwillen gegen Gott empfindet, Überdruß, Unlust, sich mit Gott zu beschäftigen, daß Gott als eine unangenehme, bedrohliche Erscheinung empfunden wird. Diese Unlustgefühle leiten sich davon her, weil Gott gebietet, verbietet und straft. Man fürchtet den Gott, der Gebote und Verbote aufgestellt hat und ihre Vernachlässigung rächt. Daraus erklärt sich der Abscheu gegen Gott. Und der Haß erklärt sich aus dem Willen, sich Gott nicht zu beugen. Er ist mit dem dämonischen Verhalten verbunden. Der Haß ist, wenn er als feindseliger Haß auftritt, mit dem Willen zur Vernichtung Gottes verbunden. Er wünscht Gott als solchem Böses. Wiederum hat kaum ein anderer so hellsichtig seinen eigenen Gotteshaß und den Gotteshaß der Menschen beschrieben wie der Philosoph Friedrich Nietzsche. Er ist vielleicht der leidenschaftlichste Atheist, den es je gegeben hat. Er sagt von sich: "Ich bin Zarathustra, der Gottlose, der da spricht: Wer ist gottloser denn ich, daß ich mich deiner Unterweisung freue?" Er leugnet Gottes Dasein, nicht, weil er glaubt, beweisen zu können, daß Gott nicht existiert, sondern sein Unglaube ist praktisch begründet. Er meint, daß Gott den Menschen den Aufstieg zu höherer Würde verwehrt. "Daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein? Also gibt es keine Götter." Das ist der vollendete Gotteshaß. "Wir haben ihn getötet, ihr und ich. Es gab nie eine größere Tat. Und wer immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war." Der Gotteshaß ist die furchtbarste aller Sünden, die totale Verkehrung der sittlichen Ordnung. Er ist seiner ganzen Art nach Todsünde.

Freilich ist Gott selbst dem Hasser nicht zugänglich; und so hält sich der Gotteshasser gewöhnlich an die Verehrer Gottes. Er verfolgt mit unerbittlichem Haß alle, die Gott dienen. So erklärt sich der Haß, der die christliche Gemeinschaft, der die katholische Kirche trifft. Sie können ein Geschichtsbuch an jeder Stelle aufschlagen: Wenn immer sich Haß gegen Gott zu Worte meldet, trifft er die katholische Kirche an erster Stelle und am meisten. Warum? Weil sie die entscheidende Sachwalterin Gottes ist; weil niemand sonst Gottes Sache so klar, so entschieden und so eindeutig vertritt wie die katholische Kirche.

Der Haß paart sich oft mit dem Fanatismus, mit unerleuchtetem Eifer. Wir erleben diesen vom Haß gespeisten Fanatismus in den islamischen Ländern. In Algerien haben diese haßerfüllten Gegner Gottes unschuldige Trappistenmönche ermordet. In Indonesien zünden sie eine katholische Kirche nach der anderen an. Im Sudan verfolgen sie die christliche Minderheit und überliefern sie dem Hungertode. In Pakistan werden die Christen mißhandelt und ausgestoßen. Aus Protest dagegen hat sich – freilich ein falscher Protest – ein katholischer Bischof angeblich selbst den Tod gegeben. In seiner Verzweiflung über die Lage seiner Christen hat er sich selbst getötet. Das ist der Haß gegen Gott, der solche Blüten treibt.

An zweiter Stelle müssen wir die Verfehlungen gegen die Liebe zu den Menschen bedenken. Es gibt Menschen, die sind liebeleer, die lieben nur sich selber und sonst niemanden. Der Mangel an Liebe aber ist eine Schuld. Wir sind verpflichtet, die Menschen zu lieben. Mancher sagt: Ich tue niemandem etwas Böses. Ja, das mag sein, aber du tust auch niemand etwas Gutes. Du mußt Gutes tun, um vor Gott bestehen zu können! Der Mensch ist gehalten, alles, was Menschenantlitz trägt, zu lieben. Es gibt keine Ausnahme. Und wer sich dagegen verfehlt, der trifft Gott, der sich vor den Menschen stellt.

Die häufigste Form, in der die liebeleeren Menschen ihre Leere kundtun, ist der Neid. Der Neid ist ein Gefühl der Trauer über das Gut und über das Glück des Nächsten. Der Neidische gönnt dem Nächsten nicht sein Glück, seine Gaben, seine Erfolge. Er neidet sie ihm. Der Neid ist wiederum eine Wurzelsünde, d.h. er hat viele andere Sünden im Gefolge, an erster Stelle die Schadenfreude. Der Neidische ist entzückt, wenn dem Beneideten etwas Schädliches oder Schlimmes widerfährt. Er hat Freude über seinen Schaden.

Häufig tritt der Neid als Ressentiment auf. Das Ressentiment ergibt sich aus dem Minderwertigkeitsgefühl, aus dem Unterlegenheitsgefühl. Es fühlt sich jemand einem anderen nicht gewachsen, und so will er den anderen entwerten, so sucht er das Gute und das Große, das am anderen zu finden ist, herabzusetzen. Er hat einen geheimen Groll gegen ihn, weil er sich ihm unterlegen fühlt, und er sucht dieses Unterlegenheitsgefühl zu kompensieren, zu überkompensieren, indem er dem anderen seine Werte abspricht oder seine Fehler vergröbert. Das Ressentiment ist eine ungemein verbreitete, unsittliche Haltung. Es ergreift ganze Völker. Das Ressentiment etwa gegen die Deutschen ist in den Niederlanden, in Holland, eine fast allgemeine Erscheinung. Vor diesem Ressentiment muß man sich hüten, denn es macht krank, es vergiftet einen selbst.

Die schlimmste Form freilich, in der wir uns gegen die dem Nächsten geschuldete Liebe vergehen, ist der Haß. Auch hier sind wieder zwei Arten zu unterscheiden, nämlich der Haß des Abscheus und der Haß der Feindseligkeit. Der Haß des Abscheus besteht darin, daß wir den anderen als Person ablehnen. Seine Fehler darf man natürlich nicht bejahen, aber als Person, als Mensch in seiner Würde muß man ihn anerkennen. Wenn der Haß des Abscheus nicht überwunden wird, dann wird er zum Haß der Feindseligkeit. Das heißt: Man sucht dem anderen zu schaden, man wünscht ihm Böses, ja man ist von dem Wunsch erfüllt, daß er nicht existieren würde. Vor wenigen Monaten hat ein Abgeordneter des tschechischen Landtags in Prag die Äußerung getan, er bedauere, daß 1945 nicht viel mehr Deutsche umgebracht worden seien. Das ist der Haß der Feindseligkeit. Er ist vom Vernichtungsdrang begleitet, der dem anderen das Leben nicht gönnt. Der Haß ist eine Todsünde und führt den, der sich davon nicht löst, unweigerlich in die ewige Verdammnis.

Häufig äußert sich der Haß in der Verwünschung, in der Verfluchung. Verfluchung ist das Anwünschen von Bösem im Zorn unter Anrufung heiliger Namen. Manche Menschen verwünschen ihr Werkzeug, andere verwünschen Menschen. Eine Sorge freilich kann ich denen nehmen, die unter solchen Verwünschungen leiden, nämlich: Die Verwünschung des Menschen ist ohnmächtig. Sie kann dem Nächsten nicht schaden. Der Mensch ist nicht in der Lage, durch Worte dem anderen Schaden zuzufügen. Freilich kann es manchmal geschehen, daß eine Verwünschung in Erfüllung geht, aber dann nicht deswegen, weil sie ausgesprochen wurde, sondern weil es durch die Umstände und letztlich nach Gottes Willen so geschehen sollte.

Wir haben, meine lieben Freunde, an den vergangenen Sonntagen die Liebe, die Gottesliebe und die Nächstenliebe, die ja eins sind, betrachtet. Wir haben uns heute die Fehlformen dieser Liebe vor Augen geführt, vor allem Neid und Haß, Mißgunst und Gleichgültigkeit. Wir sind aufgerufen, unser Herz zu prüfen und uns von allem loszumachen, was Haß, Abneigung, Feindseligkeit bedeutet. Der Haß schadet zuerst uns selbst. Der Hasser schadet sich selbst am meisten. Wer den Nächsten als Geschöpf Gottes annimmt, wer ihm Gutes wünscht, der bleibt im Frieden mit sich selbst und mit Gott, der bleibt seelisch gesund. Und wir sollen heute schon im Vorgriff auf die kommenden großen Festtage oft und oft zum Heiligen Geist beten: "Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!"

Amen.

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