Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
13. April 1997

Der Wille Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das kirchliche Gesetzbuch verpflichtet die Prediger, das zu verkündigen, was zu glauben und was zu tun ist. Der Gegenstand der christlichen Predigt müssen also die Wahrheiten des Verstandes und des Willens sein. Die oberste Wahrheit des christlichen Glaubens, der hauptsächliche Gegenstand ist Gott. Mit ihm verglichen ist alles andere relativ, sekundär. Deswegen bemühen wir uns seit vielen Wochen, Gott zu erkennen, in das Geheimnis, das wir Gott nennen, einzudringen, soweit das menschlichem Bemühen zugänglich ist. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns um die Erkenntnis der Vernunft Gottes bemüht. Wir müssen heute damit beginnen, uns in den Willen Gottes hineinzuversetzen.

Das Erste Vatikanische Konzil sagt, daß Gott ein unendlich vollkommenes Wollen besitzt. Diese Aussage ist gegen Irrtümer der damaligen Zeit gerichtet. Während der voluntaristische Pantheismus von einer Entwicklung und Entfaltung des Willens Gottes redet, spricht der intellektualistische Pantheismus von der Entfaltung und Entwicklung der göttlichen Vernunft. Die Aussage des Ersten Vatikanischen Konzils faßt Vernunft und Willen Gottes zusammen. Gott ist ebenso Vernunft, wie er Wille ist. Er ist nicht Licht ohne Kraft, er ist aber auch nicht Kraft ohne Licht.

In der Heiligen Schrift ist oft vom Willen Gottes die Rede. Der Wille Gottes ist Schöpferwille, Macht, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Güte, Heilswille. Im Alten Testament ist mehr die Rede vom Schöpferwillen Gottes. An unzähligen Stellen, vom ersten Buch bis zum letzten, wird von dem machtvollen Walten Gottes, von seinem kraftvollen Wollen gesprochen. Vor allem in den Psalmen ist oft die Rede von Gott, dem Schöpfergott, der mit seinem machtvollen Willen über der Schöpfung waltet. „Du, meine Seele, preise den Herrn! Gewaltig bist du groß, mein Gott, in Pracht und Hoheit gewandet. Du hast dich mit Licht wie mit einem Mantel umhüllt, hältst den Himmel ausgespannt wie ein Zelt. Zu deinem Wagen machst du die Wolken und braust auf den Flügeln des Sturmes daher. Zu deinen Boten machst du die Stürme, zu deinen Dienern die Feuerflammen. Du stelltest die Erde auf ihre Pfeiler, sie wankt nicht in alle Ewigkeit.“ Und so wird dann durch die ganze Schöpfung hindurch das Walten Gottes geschildert, in der Bewässerung, in den Gewächsen, in den Gestirnen, im Meere. „Wie sind deiner Werke, o Herr, so viele; du hast alle in Weisheit geschaffen.“ Oder in einem anderen Psalm: „Lobet, ihr Diener des Herrn, lobet den Namen des Herrn. Der Name des Herrn sei gepriesen von nun an auf ewige Zeiten. Hoch ragt über allen Völkern der Herr; sein Glanz strahlt über den Himmel. Wer ist dem Herrn, unserem Gotte, gleich, der da thront in der Höhe? Alles vollbringt er, was ihm gefällt.“ Und um nun noch eine letzte Stelle aus dem Buche Sirach zu zitieren: „Gott ist alles. Wie können wir ihn preisen? Er ist aber auch größer als alle seine Werke. Ehrfurchtgebietend und überaus groß ist der Herr, und wunderbar ist seine Macht. Erhebt den Herrn mit Lobpreis, so hoch wir können, er ist doch immer noch erhabener. Wer kann ihn preisen, wie er ist?“ Diese wenigen Beispiele künden von der Willensmacht Gottes, welche das All geschaffen hat und über dem All mit seiner Vorsehung waltet.

Im Neuen Testament steht der Heilswille Gottes im Vordergrund. Zum Beispiel heißt es im ersten Timotheusbrief: „Gott will, daß alle Menschen selig werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ Hier ist der universale Heilswille Gottes deutlich ausgesprochen. Um des Heiles der Menschen willen hat Gott die Menschwerdung geschehen lassen und die Erlösung durch seinen Sohn Jesus Christus. „Er hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan. Es hat ihm gefallen, und so hat er es sich vorgenommen, um seinen Heilsplan zu verwirklichen, in Christus in der Fülle der Zeiten alles im Himmel und auf Erden einheitlich zusammenzufassen. In ihm sind wir auch zu Erben berufen, wir, die wir vorausbestimmt wurden nach dem Vorsatze dessen, der alles wirkt nach dem Reichtum seines Willens.“ Christus ist erschienen, um den Willen des Vaters zu tun. Er hat seinen Willen vorbehaltlos unter den Willen des Vaters gebeugt. „Nicht wie ich will, sondern wie du willst“, lautet sein Gebetsruf im Ölgarten. Ja, er sagt: „Es ist meine Speise, den Willen des Vaters im Himmel zu tun.“ Und so hat er durch diese restlose Beugung seines Willens das Heil der Menschen geschaffen.

Wer zu Jesus kommen will, muß sich wie er dem Willen des Vaters unterwerfen. Die Unterwerfung unter Gottes Willen ist Voraussetzung und Folge der Verbindung mit Christus. Deswegen lehrt der Herr auch seine Jünger beten: „Dein Wille geschehe!“ In allen Einzelheiten des Lebens muß sich der Christ dem Willen Gottes beugen, denn dieser Wille führt ihn zum Heil. Es ist also völlig irrig, wenn beispielsweise der evangelische Theologe Benz behauptet, die Lehre von der Willensmetaphysik Gottes sei von der ägyptischen Religionsphilosophie bezogen oder aus der Spekulation der Gnosis. Nein, die Willenslehre, die Willensmetaphysik Gottes ist ein Bestandteil der Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes. Wenn Gott Geist ist, dann kann er nicht nur Vernunft sein, dann muß er auch Wille sein. Als Vernunft durchschaut sich der absolute Geist selbst, als Wille behauptet er sich selbst.

Der Wille Gottes ist freilich anders als der menschliche Wille. Er ist dem menschlichen Willen unähnlich-ähnlich. Die Unähnlichkeit mit dem menschlichen Willen ist größer als die Ähnlichkeit. Denn es besteht ein unendlicher Abstand zwischen Gott und dem Geschöpf. So lassen sich folgende Eigenschaften des göttlichen Willens namhaft machen. Gottes Wille ist aktuell, d.h. Gottes Wille vollzieht sich in einem einzigen, unwandelbaren, ewigen Akt. Der menschliche Wille ist zerteilt in viele aufeinanderfolgende Willensentschlüsse. Es gibt einen Willenshabitus, eine Willensanlage, die sich dann in einzelnen Akten auszeugt. Beim Menschen geht der Wille von der Potenz, von der Möglichkeit zum Akt, zur Wirklichkeit über. Nicht so in Gott. Gott ist aktueller Wille, d.h. er ist seiender Vollzug, und er ist willentlicher Vollzug. Gott ist der actus purus, die reine Tatwirklichkeit, die sich selbst behauptet. Gott ist auch subsistenter Wille. Bei uns ist der Wille eine Äußerung unserer Persönlichkeit. In Gott fallen Wille und Personalität zusammen. Gott ist personaler Wille, er ist subsistenter Wille. In Gott gibt es ja keine Unterschiede und keine Auseinanderlegungen, weil er absolut einfach ist. Deswegen muß man Gott als subsistenten, in sich selbst stehenden, seinsbeständigen Willen bezeichnen. Gottes Wille ist von Außergöttlichem unabhängig. Wir strecken uns mit unserem Willen, unserem begehrlichen Willen aus nach außergöttlichen, nach irdischen Dingen; oder wir werden von irdischen Dingen angezogen, gelockt, manchmal sogar verführt. Nicht so bei Gott. Alle seine Willensentschlüsse kommen aus seinem eigenen Inneren hervor. Sie werden nicht von außen angeregt, sondern sie steigen aus seiner göttlichen Seinsfülle empor.

In unserem Willen finden wir Affekte, d.h. Gemütsbewegungen, Regungen. Die Affekte, die Gemütsbewegungen, die Gefühle können von Gottes Willen nur in einer ganz abgeschwächten Weise ausgesagt werden; denn Gott ist absolut einfach. In ihm ist seine Gerechtigkeit zusammenfallend mit seiner Barmherzigkeit. Wir müssen bei den Affekten unterscheiden, ob sie vollkommen oder unvollkommen sind. Wenn es Affekte gibt, die vollkommen sind, also bei denen die Unvollkommenheit fehlt, dann können wir sie von Gott aussagen. Wir können beispielsweise die reine, wohlwollende Liebe von Gott im ursprünglichen Sinne formell, d.h. nach dem wesentlichen Erlebnisgehalt aussagen. Aber wenn Affekte Unvollkommenheit an sich haben – Zorn, Erregung, Trauer, Sehnsucht –, dann können wir sie von Gott höchstens wurzelhaft aussagen. Das heißt: Wir empfinden Gottes Reaktionen oder vielmehr Gottes Aktionen so, wie wir im geschöpflichen Bereich diese Affekte empfinden würden.

Um es zu erklären an einem Beispiel: Wenn wir von Gott sagen, er habe Mitleid, dann meinen wir damit, daß er dem gefallenen Geschöpf die Möglichkeit gibt, sich aus seinem Elend zu erheben. Oder wenn wir sagen, Gott hasse das Böse, dann ist damit gemeint, daß seine Heiligkeit der absolute Gegensatz gegen das Unheilige ist. Oder wenn wir sagen: Gott zürnt, dann meinen wir damit, daß Gottes Heiligkeit den Sünder so trifft, daß die Unseligkeit seiner Sünden ihm zum Bewußtsein kommt. In Gott können die Affekte nicht wie bei uns in Widerstreit geraten. Wir schweben zwischen Furcht und Hoffnung; wir bewegen uns zwischen Freude und Traurigkeit. Nicht so in Gott. In Gott sind alle Affekte, soweit sie überhaupt von ihm ausgesagt werden können, eine Einheit. Es gibt keinen Widerstreit der Affekte. Nur wir, wir werden von Gottes Kraft und von Gottes Macht nach unserer eigenen Befindlichkeit verschieden getroffen. Gottes Liebe begegnet eben dem Sünder anders als dem Gerechten, und Gottes Gerechtigkeit wirkt sich bei dem reuigen Sünder anders aus als bei dem reuelosen Sünder. Nicht Gott ändert sich, sondern wir ändern uns. Nicht die Stimmungen Gottes wechseln, sondern unsere Gesinnung wechselt. Und je nachdem, in welcher Verfassung wir uns befinden, wirkt sich die immer gleichbleibende Liebe Gottes bei uns in verschiedener Weise aus.

Das ist vielleicht die tiefste Aussage, die man von Gottes Affekten und von Gottes Willen machen kann, jene, die bei Johannes steht, nämlich: „Gott ist die Liebe.“ Johannes sagt nicht: Gott hat die Liebe. Nein: Er ist die Liebe. Er hat diese Aussage in seinen Schriften entfaltet. Er meint damit den himmlischen Vater. Der Vater im Himmel ist die Liebe, und aus Liebe zeugt er einen Sohn, aus Liebe haucht er den Heiligen Geist. Aus Liebe sendet er seinen Sohn in die Welt, auf daß er die Welt loskaufe aus der Knechtschaft von Sünde, Tod und Teufel. Die Liebe Gottes ist sichtbar geworden in Christus Jesus. Einen anderen, einen höheren Beweis für die Liebe Gottes gibt es nicht mehr als den, daß er seinen einzigen Sohn hingab, um die Knechte der Sünde zu befreien. Wenn wir Christus begegnen, begegnen wir der Liebe Gottes. Wenn wir die in Gemeinschaft mit Christus treten, treten wir in die Gemeinschaft mit der Liebe Gottes. Freilich steht die Enthüllung der Liebe Gottes in Christus unter demselben Gesetz wie die gesamte Offenbarung, nämlich: Es ist das Gesetz der Enthüllung in der Verhüllung. Auch in Christus ist die Liebe Gottes verhüllt. Sie kann übersehen werden, und sie ist übersehen worden. Sie wird immer noch übersehen, wie wir aus unserer Umgebung wissen.

Die völlige Offenbarung, die letzte und entscheidende Enthüllung der Liebe Gottes wird am Ende der Tage geschehen. Da werden wir erkennen, daß die Welt von Gott als der Liebe geleitet wurde. Was uns jetzt manchmal wie ein Vorwurf gegen Gott erscheint, nämlich die Sünde und das Leid, das aus der Sünde kommt, das Unheil, das alles wird sich dann im Lichte der Ewigkeit  klären. Dann, wenn Gott alles in allem sein wird, dann wird auch die Liebe alles in allem sein.

Amen.

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