Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Juli 1995

Über irrige Amtsauffassungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn man in der Gegenwart mit anderen Menschen über religiöse Fragen spricht, hört man sie zahlreiche Male sagen: „Heute ist alles gleich.“ Sie meinen damit, ob man katholisch ist oder evangelisch, ob man irgendeinen anderen Glauben hat, das spielt gar keine Rolle. Heute ist alles gleich, so sagen die Menschen. Und dieser Meinung wird ja Vorschub geleistet durch viele Aktionen, die im Namen des sogenannten Ökumenismus getätigt werden. Auf diese Weise ist unter den Menschen eine große Verwirrung eingerissen. Viele katholische Christen wissen nicht mehr, warum sie bei ihrem Glauben und in ihrer Kirche aushalten sollen, und andere, die in der Unruhe ihres Gewissens nach der wahren Kirche suchen, finden sie nicht mehr, weil man sagt: Es ist ja alles gleich.

Um dieser verhängnisvollen Täuschung vorzubeugen, hat unser Herr und Heiland Vorkehrungen getroffen. Er hat der Kirche bestimmte Merkmale gegeben, an denen man sie als seine, seine einzige, seine gültige und seine wahre Stiftung erkennen kann. Die Kirche ist als eine sichtbare Gemeinschaft gegründet worden.

Wir haben uns an den vergangenen Sonntagen die Elemente dieser Sichtbarkeit vor Augen geführt. Es sind der Glaube, der formulierte Glaube der Kirche, das Bekenntnis, der Gottesdienst, der bestimmte Gottesdienst in der Form des Opfergottesdienstes und in der Gestalt der sieben Sakramente. Es sind aber auch die Rechtsgestalt und das Amt in der Kirche. Gerade die Rechtsgestalt der Kirche unterscheidet sich von jeder anderen. Es gibt keine zweite religiöse Gemeinschaft auf Erden, die der Rechtsgestalt der katholischen Kirche gleichkäme. Keine einzige sogenannte Kirche ist so aufgebaut wie es die katholische Kirche ist. Am deutlichsten sichtbar wird diese Besonderheit natürlich am Primat, also am Vorrang des Bischofs von Rom, der ja der Nachfolger des Apostels Petrus ist.

Aber auch in den übrigen Ämtern unterscheidet sich die katholische Kirche von anderen Religionsgemeinschaften, vor allem im Bischofsamt. Der Protestantismus hat auch sogenannte Bischöfe; es gibt auch da sogenannte Pfarrer und Diakone. Aber diese sogenannten Bischöfe, Pfarrer und Diakone unterscheiden sich wesentlich von den Bischöfen, Priestern und Diakonen in der katholischen Kirche. Denn nur in der katholischen Kirche haben diese erwähnten Amtsträger eine Weihe empfangen. Sie sind dadurch innerlich und seinsmäßig verändert worden. Sie haben eine neue Qualität erhalten, die ihnen niemand auf Erden und in der Ewigkeit nehmen kann. Sie sind durch das Weihesakrament andere geworden. Es sind ihnen bestimmte Fähigkeiten bleibend – nicht vorübergehend – verliehen worden. Eben das leugnet der Protestantismus. Die Amtsträger, die sich bei ihm vorfinden, sind im Grunde keine anderen als die Nicht-Amtsträger. Ob sie nun Bischöfe heißen oder Pfarrer oder Diakone: Sie haben keine ontische, keine seinshafte Veränderung erfahren. Was im Protestantismus göttlichen Rechtes ist, das ist die Funktion, der Dienst, also daß man verkündet, daß man Sakramente spendet. Diese Funktion, dieser Dienst ist göttlichen Rechtes; das Amt selbst ist menschlichen Rechtes.

Nun hat sich natürlich auch in der katholischen Kirche eine Entwicklung vollzogen. Christus hat das Amt gestiftet, als er die Apostel einsetzte. Man wird davon ausgehen müssen, daß das Amt eines war. Nun haben wir heute drei Ämter in unserer Kirche. Wir haben Bischöfe, Priester und Diakone. Hat Christus diese drei Ämter eingesetzt? Dafür läßt sich, meine lieben Freunde, kein Nachweis erbringen. Wir wissen nur, daß Christus ein Amt, nämlich das Apostelamt, eingesetzt hat. Aber woher stammen dann diese Stufen: Bischöfe, Priester, Diakone? Sie sind von der Kirche in der Vollmacht Christi aus dem einen Amte entwickelt worden.

Zu Anfang, in der apostolischen Zeit, hören wir, daß Bischöfe und Presbyter ein und dasselbe Amt bekleideten. Da werden dieselben Amtsträger einmal Bischöfe, einmal Priester genannt, Presbyter. Als zum Beispiel Paulus in Milet in Kleinasien eine Rede hielt, forderte er die Presbyter von Ephesus auf, zu ihm zu kommen, und er hielt ihnen einen Vortrag. In diesem Vortrag nennt er die Presbyter Bischöfe. Wie ist das möglich? Offenbar so, daß zu diesem Zeitpunkt die Unterscheidung zwischen Bischöfen und Priestern noch nicht geschehen war, daß zu diesem Zeitpunkt Bischöfe und Priester noch die Bezeichnung für ein und dasselbe Amt waren. Aber aus den Bedürfnissen der Seelsorge und des Gottesdienstes haben sich Stufen aus diesem einen Amt entwickelt. Die christliche Religion war zunächst eine Stadtreligion, und in der Stadt gab es mehrere Amtsträger, Bischöfe oder Priester geheißen. Aber bald haben sich auch Christen auf dem Lande eingefunden, bald waren auch dort Gemeinden zu betreuen. Und so haben die Apostel und ihre Nachfolger aus der Stadt Amtsträger aufs Land geschickt, aber nicht mit denselben Vollmachten wie die Amtsträger in der Stadt, sondern mit geminderten, mit abgestuften Vollmachten. Das ist die Geburtsstunde des Priesters. Das Priesteramt wurde aus dem Bischofsamt ausgegliedert von den Offenbarungsträgern, die wir Apostel heißen, ist also deswegen ebenfalls göttlichen Rechtes wie das Bischofsamt.

Den Vorgang der Entstehung der Diakone können wir genau nachvollziehen, weil der Bericht in der Apostelgeschichte über ihn existiert. Da haben die Apostel noch einmal eine Ausgliederung vollzogen und eine dritte Stufe des Amtes begründet, eben die Helfer beim Gottesdienst, in der Armenfürsorge, die Diakone. Aber eines ist sicher: Die Entwicklung, wie wir sie heute haben, daß an der Spitze einer Diözese ein Bischof steht, daß ihn ein Presbyterium, also eine Anzahl von Priestern, umgibt und daß da und dort Diakone tätig sind, ist von Gott und von den Aposteln grundgelegt worden. Wenn in der damaligen Zeit an ein und demselben Ort mehrere Bischöfe oder Presbyter waren, dann erklärt sich das daraus, daß die Apostel noch in Aktion waren. Sie haben die Stelle des monarchischen Bischofs innegehabt. Als sie starben, mußte an ihrer Stelle ein Einzelbischof treten, wie wir es auch sehen: Titus in Kreta, Timotheus in Ephesus, die beiden sogar noch zu Lebzeiten des Apostels, und diese Entwicklung ist dann ganz klar zu erkennen bei dem Martyrerbischof Ignatius. Ignatius lebte um das Jahr 100 und war Bischof von Antiochien, also im heutigen Syrien. Er wurde gefangen und gefesselt nach Rom geführt und dort den wilden Tieren vorgeworfen. Auf der Reise nach Rom schrieb er sieben Briefe, die uns erhalten sind, kostbare Dokumente des frühchristlichen Aufbaus der Gemeinde. In diesen Briefen ist die heutige Kirchenverfassung eindeutig bezeugt, der monarchische Bischof, umgeben von seinen Priestern, und ihnen stehen zur Seite Helfer, die wir Diakone nennen. Der Bischof ist der Garant der Einheit. Das heißt, er verbindet die Menschen mit Christus, dem unsichtbaren Haupt der Kirche, und er verbindet sie untereinander. Der Bischof hat eine doppelte Funktion, nämlich die Menschen mit dem unsichtbaren Haupt der Kirche zu verknüpfen, mit Christus, und sie untereinander zu einen, nämlich in der Einheit der Wahrheit und des Glaubens. Alles muß mit Wissen des Bischofs geschehen, so hebt Ignatius hervor; es gibt keine Eucharistiefeier, die nicht entweder der Bischof selber leitet oder die von den von ihm gesandten Presbytern geleitet wird.

Ein wenig vorher hat der Bischof von Rom, Clemens, einen Brief nach Korinth geschrieben. Dort waren die Amtsträger, die Presbyter, von jungen Männern abgesetzt worden. Es hatte einen Aufstand gegeben, und da griff der Bischof von Rom ein und forderte die Gemeinde auf, die abgesetzten Presbyter wieder in ihr Amt einzusetzen, denn, sagte er, sie haben eine göttliche, eine von Gott gegebene Stellung. Sie sind von den Aposteln eingesetzt worden, die Apostel aber sind von Christus gesandt. Christus aber ist von Gott gesandt. Im ersten Clemensbrief, meine lieben Freunde, haben wir diese erhellende Reihe: Der erste Aussendende ist Gott, er schickte seinen Christus; der zweite Aussendende ist unser Herr und Heiland Jesus Christus, die von ihm Gesandten sind die Apostel; und die Apostel wiederum setzten Presbyter oder Bischöfe – die Namen werden ja noch promiscue gebraucht – in den Gemeinden ein. Und das ist nicht menschliches Gemächte, das ist nicht Nachahmung des griechischen Vereinswesens, das ist auch nicht Anpassung an die römische Staatsverfassung, sondern das ist Gottes Wille. So soll es nach Gottes Absicht in seiner Kirche sein.

Für uns hier im Westen hat der heilige Irenäus von Lyon denselben Sachverhalt bezeugt. In jeder Gemeinde, sagt er, gibt es einen Bischof, und dieser Bischof hat eine hervorragende Stellung. Er führt die Gemeinde, er lenkt sie, er ist der Garant der Überlieferung. Nur wo ein Bischof dem anderen in lückenloser Reihenfolge folgt, ist die Wahrheit des Evangeliums gesichert. Die ununterbrochene Sendungsreihe verbürgt die Wahrheit des Glaubens. Der Bischof ist der Garant der Überlieferung gegen gnostische Aufstellungen; der Bischof ist auch der Garant der Wahrheit des Evangeliums.

So also, meine lieben Freunde, müssen wir die Rechtsgestalt unserer Kirche verstehen. Die Apostel haben von Christus das Amt in der Fülle bekommen. Aber sie haben bald die Notwendigkeit verspürt, aus diesem Amte Stufen auszugliedern, nun (weil sie Offenbarungsträger waren) nicht menschlichen Rechtes, sondern göttlichen Rechtes, Amtsstufen, die ebenfalls am Sakrament der Weihe partizipieren. Das sind die Bischöfe, die Priester und die Diakone.

Der Bischof, meine lieben Freunde, steht uns Christen hoch. Wir haben Ehrfurcht vor seinem Amte. Wir wissen, er ist der Repräsentant Christi. In ihm stellt sich Christus dar, und in ihm stellt sich auch die Diözese dar. Er hat eine doppelte Repräsentationsfunktion: Er repräsentiert das unsichtbare Haupt der Kirche, und er repräsentiert seine Gemeinde, die in ihm gleichsam ihre Zusammenfassung erfährt. So ist die rechtliche Lage. Aber leider Gottes wissen Sie alle, es kommt vor, daß Bschöfe ihrer Sendung nicht gerecht werden. Es gibt unbrauchbare, es gibt untaugliche, es gibt auch verräterische Bischöfe. Im 16. Jahrhundert hat zweimal ein Erzbischof von Köln versucht, seine ganze Diözese in den Protestantismus überzuführen. Diese beiden Männer heißen Hermann von Wied und Gebhard Truchseß von Waldburg. Nur durch das rasche Eingreifen des Heiligen Stuhles, der seine Nuntien entsandte, aber auch durch den mannhaften Widerstand der Universität Köln und des Domkapitels von Köln ist es gelungen, diesen Verrat zu verhindern. Wenn die beiden Männer mit ihren Absichten durchgedrungen wären, dann wäre der Katholizismus im Rheinland höchstwahrscheinlich erloschen. Aber das waren nicht die einzigen. Wir können eine ganze Reihe von deutschen Bistümern namhaft machen, in denen Bischöfe im 16. Jahrhundert zum Protestantismus abgefallen sind, z.B. Brandenburg und Meißen. Nicht nur Bischöfe, sondern sogar Kardinäle sind in dieser Zeit vom katholischen Glauben geschieden und zu der Irrlehre übergegangen. Und leider Gottes ist dieser Vorgang nicht auf das 16. Jahrhundert beschränkt geblieben. Auch später haben immer wieder Bischöfe den Glauben verlassen und ihre Herde verraten. Im vorigen Jahrhundert ist der Bischof von Breslau, Sednitzky, zum Protestantismus übergegangen. Wir müssen also mit solchen Vorgängen auch in unserer Gegenwart rechnen. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn so etwas passiert. Wir haben geschichtliche Beispiele, daß Hirten zu Verrätern an ihrer Herde werden können.

Da erhebt sich eine wichtige Aufgabe für die Gläubigen. Sie müssen dafür sorgen, daß solche falschen Hirten entlarvt werden. Sie müssen sie anprangern, wenn sie den Glauben verleugnen oder den Glauben verraten. Sie müssen zunächst in der brüderlichen Zurechtweisung, bei Erfolglosigkeit auch in der Öffentlichkeit auftreten, um solche Bischöfe zunächst zu ermahnen, dann aber als das zu kennzeichnen, was sie sind, nämlich Mietlinge und nicht Hirten. Das ist eine schwere Aufgabe, meine lieben Freunde. Das ist eine Aufgabe, die niemandem Ehre und Anerkennung einbringt, sondern Diffamierung und Verfolgung. Aber es ist eine Aufgabe, die erfülllt werden muß um Gottes willen, um der Wahrheit willen, um der Kirche willen.

Woran messen wir einen Bischof? Wir messen ihn an dem Glauben und an der Ordnung der Kirche. Sie liegen vor. Wir brauchen also nur Glaube und Ordnung der Kirche zu nehmen und das Verhalten oder die Versäumnisse eines Bischofs daran zu messen, dann wissen wir, was wir von einem Bischof zu halten haben. Entweder ist er ein Hirt, der seinem Auftrag und seiner Sendung gerecht wird, oder er ist ein Mietling, der die Herde verläßt, wenn der Wolf kommt. Wir wollen diese schwere, diese verantwortungsvolle Aufgabe im Bewußtsein unserer eigenen Schwäche erfüllen. Aber wir wollen nicht irrewerden an der Rechtsgestalt der Kirche. Auch wenn Bischöfe versagen, auch wenn sie vom Evangelium abfallen, auch wenn sie die Kirche verlassen, die Kirche bleibt in ihrer von Christus gewollten Gestalt eine Bischofskirche. Die Bischöfe repräsentieren Christus, und die Bischöfe repräsentieren ihre Diözesen. Sie sind von Gott gesandte Männer, welche uns das Evangelium verkünden, den Gottesdienst halten, die Ordnung sichern und die Sakramente spenden sollen. Treue zum Bischof in allem, wo er rechtmäßig gebietet. Widerstand da, wo er die Herde in den Abgrund führt!

Amen.

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