Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Juni 1994

Die Genugtuung als erforderliche Folge der Buße

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Reue schließt den Willen zur Genugtuung in sich. Denn wer Abscheu hat gegen die Sünde und sie nicht mehr begehen will, der muß auch, soviel an ihm liegt, darauf bedacht sein, die schlimmen Wirkungen der Sünde zu beseitigen. Die Sünde selbst ist eine Tat der Vergangenheit, sie ist nie mehr ungeschehen zu machen. Aber die Folgen, die Auswirkungen, die Konsequenzen der Sünde kann man häufig korrigieren, und das eben ist Aufgabe der Genugtuung. Die Genugtuung ist die Wiedergutmachung eines einem anderen zugefügten Unrechts.

Viele Sünden sind so geartet, daß sie dem Nächsten Unrecht zufügen. Ich erinnere beispielsweise an die Eigentumsdelikte. Man kann normalerweise mit seinen Mitteln den Schaden, den man durch Diebstahl, Raub, Betrug, Unterschlagung angerichtet hat, wiedergutmachen. Jedenfalls ist man dazu verpflichtet. Ich habe einmal in Mainz erlebt, daß mir jemand in den Beichtstuhl ein Radio brachte, das er aus dem Kaufhaus entwendet hatte. Das ist Wiedergutmachung des einem anderen zugefügten Unrechts. Andere Verfehlungen sind schwerer wiedergutzumachen. Wie will man beispielsweise die Verwüstungen, welche die Verführung zum Unglauben in den Seelen angerichtet hat, wiedergutmachen?

Die Kirche hat früher auf strenger Wiedergutmachung bestanden. Der Autor eines schlechten Buches konnte die Lossprechung in der Beichte regelmäßig nur empfangen, wenn er sich bereit erklärte, nach seinem Vermögen die im Umlauf befindlichen schlechten Bücher aufzukaufen. Das konnte eine teuere Angelegenheit werden. Aber so ernst hat die Kirche die Pflicht zur Wiedergutmachung genommen. Wir sind gehalten, Genugtuung zu leisten für unsere Sünden, weil sonst unsere Reue nicht echt und nicht vollständig ist.

Die Genugtuung richtet sich aber nicht nur gegen Menschen, sie richtet sich auch gegen Gott. Die Sünde ist ja zuallererst ein Unrecht gegen Gott. Und auch hier trifft die Definition zu: Wir müssen Genugtuung leisten, das heißt wir müssen versuchen, das Gott zugefügte Unrecht wiedergutzumachen. Da könnte jemand einwenden: Ja, hat denn nicht Jesus Christus in seinem Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Genugtuung geleistet? Ist nicht vor allem sein Kreuzestod ein genugtuender Tod gewesen? Aber selbstverständlich! Die Genugtuung, die wir Menschen wegen unserer Sünden zu leisten hätten, können wir nicht leisten. Sie geht über unsere Kraft, über unser Vermögen hinaus, denn die Gott angetane Kränkung ist vom Menschen nicht wiedergutzumachen.

Darum hat sich der Sohn Gottes aufgemacht, um diese Kränkung wiedergutzumachen. Durch sein Leben, Leiden und Sterben hat er Genugtuung geleistet. Doch diese Genugtuung muß auf uns übergehen. Wir müssen uns die Genugtuung Jesu aneignen. Es nützt nichts, wenn man Durst hat, daß in der Ferne ein Strom blinkt, man muß zu dem Wasser eilen und von ihm trinken, um den Durst zu löschen. Ähnlich ist es auch mit der Genugtuung, die Jesus geleistet hat. Die objektive Genugtuung muß subjektiv angeeignet werden.

Wie wird die objektive Genugtuung subjektiv angeeignet? Wir eignen uns die Genugtuung Jesu an, indem wir unsererseits Werke der Genugtuung verrichten. Pflichterfüllung, Werke der Liebe, Gebet, Selbstverleugnung, Geduld im Leiden, das sind Werke der Genugtuung. Und durch diese Werke der Genugtuung kommt gleichsam die Genugtuung Jesu zu uns. Wir ersetzen nicht die Genugtuung Jesu, wir erklären sie auch nicht für unzureichend, sondern wir eignen uns die objektive Genugtuung subjektiv an. Wir erfüllen nur die Absicht Jesu, die er bei seiner Genugtuung hatte, nämlich sie zu allen Menschen dringen zu lassen, damit sie ihrerseits in der Kraft der Genugtuung Jesu Wiedergutmachung leisten können.

Die Genugtuung des Menschen gegenüber Gott sind also die sittlichen Anstrengungen, die im Glauben an Jesus Christus und in Vereinigung mit Jesus Christus und in der Gnade Jesu Christi geleisteten sittlichen Anstrengungen, in der Tat der verletzten Gerechtigkeit und Güte Gottes Genugtuung zu leisten, Wiedergutmachung zu verschaffen. Sittliche Anstrengungen, die aus dem Glauben an Christus und seinem Genugtuungswerk kommen, sittliche Anstrengungen, die in der Gnade verrichtet werden, sittliche Anstrengungen, mit denen wir uns bemühen, der Gerechtigkeit, der verletzten Gerechtigkeit und Güte Gottes genugzutun.

Eine besondere Qualität nehmen unsere Genugtuungswerke an, wenn wir im Bußsakrament eine Buße aufbekommen. Diese Buße, diese Bußwerke, die wir vom Priester auferlegt bekommen, dienen der Genugtuung. Sie sollen Wiedergutmachung für das Gott durch die Sünde zugefügte Unrecht schaffen, soweit das in unserer Kraft steht und soweit das nach dem Sühnewerk Christi noch nötig und möglich ist. Die Bußwerke, die der Priester uns nach Vergebung der Sünden und der ewigen Strafe auferlegt, dienen vor allem der Nachlassung zeitlicher Sündenstrafen, denn das Bußsakrament wirkt anders als die Taufe. Wer getauft wird, dem sind alle Sündenstrafen vergeben, die ewige und die zeitliche Strafe. Wer das Bußsakrament empfängt, würdig empfängt, dem ist die ewige Strafe immer vergeben, aber nicht immer werden die zeitlichen Strafen, die also in der Zeit, entweder hier oder drüben im Reinigungszustand abzubüßenden Strafen vergeben. Zu diesem Zweck hat der Priester das Recht und die Pflicht, Bußwerke aufzuerlegen. Das Konzil von Trient hat gegen die Neuerer des 16. Jahrhunderts definiert: „Der Priester ist berechtigt und verpflichtet, heilsame und angemessene Bußwerke dem Pönitenten aufzuerlegen.“ Heilsame und angemessene! Damit ist die doppelte Richtung angedeutet, der doppelte Zweck genannt, den diese Bußwerke haben. Heilsam, das heißt, sie sollen die Seele heilen, für die Zukunft Sorge tragen, daß die Sünde nicht wiederholt wird. Die Bußwerke werden in der Absicht, die bösen Neigungen im Menschen zu dämpfen und zu überwinden, auferlegt. Die Bußwerke sollen angemessen sein. Das heißt: Sie sind zu bemessen nach den bekannten Sünden.

Nun ist freilich, meine lieben Freunde, die heutige Bußpraxis dieser doppelten Aufgabe nicht in vollem Umfange gewachsen. Warum nicht? Erstens deswegen, weil die Bußauflagen allzu milde sind. Mir sagte einmal eine brave Frau: „Es ist zuviel Güte im Beichtstuhl.“ Sie meinte, die Bußen, die da gegeben werden, sind lächerlich gering. Und sie hatte wahrscheinlich recht, da wir wissen, daß die Bußauflagen im Gegensatz zur alten Zeit heute sehr leicht sind. Es gibt Leute, und ich habe es schon erlebt, die einem im Bußsakrament sagen: „Geben Sie mir eine schwere Buße auf!“ Oder wenn man schon eine gegeben hat: „Geben Sie mir eine schwerere Buße auf!“ Sie haben das Gespür, daß ein Mißverhältnis besteht zwischen dem, was sie angestellt haben, und dem, was sie jetzt durch Bußwerke wiedergutmachen sollen. Diese Menschen haben ein rechtes Gefühl für das Verhältnis zwischen Sünde und Strafe, denn der Priester hat die Pflicht, für schwere Sünden eine schwere Buße aufzuerlegen und für leichte Sünden eine leichte Buße. Doch welcher Priester traut sich heute noch, für schwere Sünden eine schwere Buße aufzuerlegen? Es ist aber seine Pflicht.

Nun ist freilich die Schwere der Buße zu bemessen auch nach dem Vermögen des Pönitenten, also nach seiner Kraft, seiner körperlichen und seelischen Kraft, und selbstverständlich muß jeder Priester auch irgendwie Rücksicht nehmen auf den Brauch, wie er nun einmal in der Kirche eingeführt ist, denn sonst würde er die Leute verschrecken und könnte gewiß sein, daß man ihn – er kann sich dagegen nicht wehren – in der Öffentlichkeit brandmarkt und schlecht macht. Aber es besteht – noch einmal – die Pflicht des Priesters, für schwere Sünden eine schwere Buße aufzuerlegen.

Die zweite Schwäche des gegenwärtigen Beichtens liegt darin, daß fast nur Gebetsbußen auferlegt werden. Da kann man sich fragen: Ja, ist das denn überhaupt eine Buße, wenn man mit dem Vater im Himmel sprechen darf? Ist das denn eine Strafe, daß man zum himmlischen Vater sein Herz erheben und ihn anflehen und ihn loben und ihm danken darf? Doch, für uns schon! Für uns, die wir lieber in der Sonne liegen oder vor dem Fernseher sitzen oder den Genüssen des Essens und des Trinkens uns hingeben, für uns ist es eine Buße, wenn wir mit dem Vater im Himmel sprechen müssen. Insofern ist also die Gebetsbuße tatsächlich für uns Menschen geringer Gottesliebe eine Buße, d.h. eine Strafe. Aber freilich, wenn man Gebetsbußen auferlegt, dann sollten sie einen gewissen Umfang annehmen. Mir ist es schon passiert, daß jemand sagte, als ich ihm aufgab, einen Rosenkranz zu beten: „Einen ganzen?“

Meine lieben Freunde, wenn ich Ihnen heute über die Bußauflage Überlegungen vorlege, dann in der Absicht, daß Sie begreifen: Wir sind verpflichtet, Genugtuung zu leisten. Wir sind verpflichtet, angemessene Genugtuung zu leisten. Und wir sollten uns schämen, wenn wir uns wehren gegen eine einigermaßen angemessene Genugtuung, wenn wir uns sperren gegen einigermaßen der Sünde entsprechende Bußwerke.

Nun gibt es freilich die Schwierigkeit, daß der Beichtvater häufig die Pönitenten nicht kennt, daß ihm ihre persönlichen Verhältnisse nicht bekannt sind und er infolgedessen nicht weiß, was sie leisten können und wozu sie imstande sind. Deswegen muß er schonend und behutsam vorgehen. Wenn dagegen die Pönitenten bekannt sind, wenn man um ihre Leistungsfähigkeit weiß, kann man auch schwerere Bußen aufgeben. Man kann sagen: „Machen Sie eine Wallfahrt nach Marienthal!“ Man kann sagen: „Halten Sie einen Fasttag!“ Und ich gestehe, daß ich solche Bußauflagen schon gegeben habe. Aber ich sage noch einmal: Es ist schwierig, in der heutigen Zeit, angesichts der ganzen Verhältnisse, andere als Gebetsbußen aufzuerlegen. Wenn die Beichtkinder erfinderisch wären, dann könnten sie dem Beichtvater Bußauflagen vorschlagen, dann könnten sie sagen, wozu sie imstande sind, was sie zu leisten fähig sind. Und dann würde das Bußinstitut belebt dadurch, daß eben angemessene Bußen auferlegt werden.

Aber jetzt kommt noch eine dritte Schwierigkeit. Die Bußen müßten an sich verrichtet werden vor der Lossprechung. An sich wäre es notwendig, die Bußwerke, die Strafen, die ein integrierender Bestandteil des Bußsakramentes sind, gleich nach der Auflage zu verrichten und dann wiederzukommen und zu sagen: Jetzt habe ich die Werke verrichtet, jetzt erbitte ich die Lossprechung. Und so ist es jahrhundertelang in der Kirche gewesen. Im ganzen 1. Jahrtausend wurde die Bußauflage dem Pönitenten gegeben. Er hatte sie zu verrichten, und nach der Verrichtung empfing er die Lossprechung. Heute – und etwa seit dem Jahre 1000 (Burchard von Worms) – begnügt man sich mit der Zustimmung des Pönitenten zu der Auflegung der Buße. Man vertraut darauf, daß er auch nach der Lossprechung die Bußauflage verrichten wird. Und das ist wichtig, denn die Verrichtung der Bußauflage ist ein Bestandteil des Bußsakramentes. Wer sie nicht verrichtet, der begeht eine neue Sünde. Man soll sie also gleich, gewissenhaft und genau verrichten.

Die Genugtuung, meine lieben Freunde, ist die Wiedergutmachung eines einem anderen zugefügten Unrechts. Wir haben die Pflicht, das Unrecht wiedergutzumachen gegenüber Menschen. Wir haben aber auch die Pflicht, Wiedergutmachung zu leisten gegenüber Gott, gewiß in Vereinigung und in der Kraft der Genugtuung Jesu Christi, aber durch eigene Taten sittlicher Anstrengung. Und es sollte in unserer Gemeinde, die ja doch eine besondere Gemeinde von eifrigen Christen ist, ein heiliger Wunsch entstehen, durch Genugtuung wahrhaft dem Herrn Wiedergutmachung zu leisten. Wir sollten durch freiwillig übernommene Bußwerke, durch geduldiges Tragen der Leiden, durch genaue Pflichterfüllung Genugtuung für die Sünden, Fehler und Nachlässigkeiten, die wir begangen haben, leisten. Es gibt nicht nur eine sakramentale Genugtuung, es gibt auch eine außersakramentale, und das sind alle die soeben genannten Dinge – Pflichterfüllung, Selbstverleugnung, Werke der Liebe, Gebet, Geduld. Alle diese außersakramentalen Werke wirken zwar nicht ex opere operato, durch den Vollzug des Bußsakramentes, sondern ex opere operantis, das heißt durch die Kraft und die Intention dessen, der sie verrichtet. Aber sie sind trotzdem wertvoll und geeignet, einigermaßen der verletzten Ehre Gottes Genugtuung zu verschaffen.

Amen.

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