Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Juli 1993

Die Gottergebenheit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das menschliche Leben gleicht einer Wanderschaft, bei der man durch ebenes Gelände, aber auch über Gebirge schreiten muß. Das menschliche Leben gleicht einer Schiffahrt, während deren Verlauf schönes Wetter, aber auch Stürme und hohe Wogen das Schiff begleiten. Den Menschen erkennt man in Gefahr. Den Menschen erkennt man im Leiden. Was im Menschen ist, das zeigt sich, wenn er durch Gefahr und durch Leiden hindurchgehen muß. Wer gottergeben ist, wird die Leiden durchschreiten in einer ganz anderen Weise als derjenige, der sich gegen Gott empört oder gegen Gott murrt.

Wir wollen uns den Segen der Gottergebenheit in vier Sätzen vor Augen führen.

Erstens: Wer im Leiden gottergeben ist, wird von Gott wunderbar gestärkt. Diese Erfahrung hat kein anderer als unser Herr und Heiland gemacht. Er sah das Grauen des Todes – und was für eines Todes! – vor sich. Es überfielen ihn Angst und Bangen. „Er fing an zu zittern und zu zagen,“ so berichtet das Markusevangelium. Um uns zu erlösen, hat er die ganze menschliche Hinfälligkeit und Not übernommen, nicht nur die Sünden der Menschen, auch die Angst der Menschen. Aber auf dem Gipfel seiner Not, da kam das Gebet von seinen Lippen: „Laß diesen Kelch an mir vorübergehen, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Der Herr hat sich angesichts seines Todesleidens in den Willen seines Vaters im Himmel ergeben, und darum wurde er wunderbar gestärkt. „Ein Engel kam und stärkte ihn.“ Diese Erfahrung, die unser Heiland gemacht hat, ist allgemein gültig. Wer sich wie er in die Leiden schickt, die Gott über ihn verhängt hat, der wird von Gott wunderbar gestärkt, dem wird in irgendeiner Weise ein Zeichen gegeben, daß Gott bei ihm ist und ihn nicht verlassen hat.

Vor einiger Zeit besuchte ein Herr Südtirol. Er beobachtete während seines Urlaubs ein altes Mütterchen, das jeden Tag schwerbeladen den Berg hinanstieg. Sie war immer heiter, nie verdrießlich, und so fragte er sie eines Tages: „Wie kommt es eigentlich, daß Sie die schwere Arbeit so heiter und so gelassen ertragen?“ Die Frau gab zur Antwort: „Ich habe ein Gebetlein, das hilft mir über alles hinweg.“ „Ja, wie heißt denn dieses Gebetlein?“ „Es heißt: Wie Gott will! Wenn ich von Widerwärtigkeiten betroffen werde, wenn die Arbeit eine Last ist, wenn die Krankheit mich heimsucht, immer sage ich: „Wie Gott will!“ Und dieses Gebet hat mir über alle Widerwärtigkeiten hinweggeholfen.“

Dieses Gebet: Wie Gott will ist ja nichts anderes als ein Gebet der Ergebenheit in Gottes Willen. „Nicht wie ich will, sondern wie du willst.“

Es war einmal ein junger Mann, der sollte sterben, aber er wollte nicht sterben. Da sagte der Priester, der ihn besuchte, zu ihm: „Wir wollen gemeinsam das Vaterunser beten.“ „Ja,“ sagte der Kranke, „das wollen wir tun.“ „Vater unser, der du bist im Himmel“ – „Vater unser, der du bist im Himmel,“ „Geheiligt werde dein Name!“ – Geheiligt werde dein Name!“ – „Dein Reich komme!“ – „Dein Reich komme!“ – „Mein Wille geschehe!“ – Da fuhr der Kranke zusammen: „Nein,“ sagte er, „nein, so darf es nicht heißen. Es muß heißen: Dein Wille geschehe!“

Da hatte er ihn gefunden, den Ergebenheitswillen gegen Gott. Wahrhaftig: Wer die Leiden gottergeben trägt, der wird von Gott wunderbar gestärkt.

Das war der erste Satz. Der zweite Satz lautet: Wer sich in die Leiden, die Gott verfügt, schickt, behält die Ruhe des Geistes. Im Leiden werden ja die Menschen häufig aufgeregt und unruhig, belästigen sich und ihre Umgebung. Die Gottergebenen verhalten sich anders in ihrem Leid. Der heilige Ignatius von Loyola machte einst eine Schiffsreise nach Rom. Es brach ein Sturm aus, der Mastbaum zersplitterte, der Anker zerriß. Die Menschen auf dem Schiff waren in höchster Not und in größter Unruhe. Nur einer blieb ruhig: Ignatius von Loyola. Er war gottergeben, er vertraute auf die Vorsehung Gottes, und dieses Vertrauen gab ihm die innere Ruhe. Er wußte, es kann nichts geschehen, was Gott in seiner Weisheit nicht eingeplant hat. Es wird das geschehen, was Gott von Ewigkeit her vorausgesehen hat.

Wer sich in die Leiden, die Gott verordnet hat, schickt, der behält die Ruhe des Geistes. In Eisenach steht die Wartburg. Wir alle wissen, daß in dieser Wartburg einst die heilige Elisabeth gelebt hat. In den guten Jahren, mit einem geliebten Gatten, hat sie den Menschen Wohltaten erwiesen über Wohltaten, Arme gespeist, vor allem in den Hungerjahren 1224 und 1225 Aber dann zog ihr Gatte nach Palästina auf den Kreuzzug, und er kam nicht wieder, er ist gefallen im Kreuzzug. Da wurde sie von dem Bruder ihres Gatten, von ihrem Schwager also, vertrieben mit ihren Kindern, mit drei kleinen Kindern, und er hatte den Bewohnern von Eisenach verboten, sie aufzunehmen.

Es war am Weihnachtsabend 1227. Nachdem Elisabeth zum Franziskanerkloster gekommen war und dort die Christnacht mitgefeiert hatte, ging sie ins Kloster und bat die Franziskaner, sie möchten doch ein Te Deum singen; sie möchten doch singen: Großer Gott, wir loben dich,  und wir danken dir für all die Schmach und das Elend, das ihr bereitet worden war. Diese starke Frau hatte also nicht die Nerven verloren, war nicht ausweglos irre geworden, sondern sie hatte die Ruhe des Geistes bewahrt, so daß sie Gott sogar danken konnte für die Erniedrigung und die Entbehrung, die ihr widerfahren waren. Wer sich in die Leiden, die Gott sendet, schickt, der behält die Ruhe des Geistes.

Der dritte Satz lautet: Wer die Leiden gottergeben trägt, indem er berücksichtigt, daß sie Mittel sind, um Verdienste für den Himmel zu erwerben, der wird auch die Kraft haben, die Leiden zu tragen.

Man muß bei den Leiden bedenken, daß sie von Gott verordnete Mittel sind, mit denen wir uns den Himmel verdienen sollen. Krankheiten, böse Menschen, schwere Berufsarbeit, Erfolglosigkeit, Verleumdungen, Schwierigkeiten ob und ob, das alles ist notwendig, damit wir reif werden für den Himmel. Die heilige Kreszenzia von Kaufbeuren hat einmal so schön gesagt: „Durch Leiden schnitzt Gott aus uns Engel.“ Durch Leiden schnitzt Gott aus uns Engel! Ja, der Mensch muß im Leiden geprüft sein, damit er fähig wird, in den Himmel einzugehen. Es ist wie mit den Ähren. Die Ähren auf dem Felde reifen in der Sonnenhitze. Oder es ist wie mit den Steinen des Tempels, den Salomon gebaut hat. Diese Steine kamen von weit her, aber sie waren so behauen, daß man sie ohne weiteres, ohne Lärm und ohne Mühe zusammenfügen konnte. So müssen auch wir behauen werden, damit wir den himmlischen Lohn empfangen können.

Denken wir an die Leiden, die unser Herr und Heiland in seinem Leben erlitten hat, von der Flucht nach Ägypten angefangen bis zum letzten Seufzer auf Golgotha! Der Herr hat es ja den Emmausjüngern gesagt: „Mußte nicht Christus dies alles leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen?“

In vielen unserer Gemeinden gibt es Stationen mit den Sieben Schmerzen Mariens. Auch ihr Leben war das einer gramgebeugten Mutter. Sie hat ja einen Gekreuzigten geboren. Aber diese Leiden hat sie getragen in starkem Mute, mit fester Gesinnung, im Vertrauen auf ihren Gott und in Treue zu ihrem Sohn. „Durch Trübsale belohnt Gott die Dienste jener, die ihn lieben,“ hat der heilige Aloysius einmal gesagt. Durch Trübsale belohnt Gott die Dienste jener, die ihn lieben! Je größer die Leiden auf dieser Erde sind, um so schöner der Lohn im Jenseits. Gott hat den Seinen auf Erden ein Schwert ins Herz und nach dem Tode eine Krone aufs Haupt beschieden.

Der dritte Satz war also: Wenn wir berücksichtigen, daß die Leiden notwendig sind, um ins Himmelreich einzugehen, werden wir sie geduldiger und williger tragen.

Und schließlich der vierte Satz: Wenn wir bedenken, daß die Leiden Geschenke und Zeichen der Gunst Gottes sind, dann werden wir sie noch williger auf unsere Schultern nehmen. Gott belohnt die Seinigen mit Leiden. Im Alten Testament wird uns berichtet von dem frommen Tobias. Er zeichnete sich aus durch überströmende Nächstenliebe. In der Nacht begrub er seine Volksgenossen, die der König wegen ihres Glaubens hatte umbringen lassen; und diese gefährliche, diese lebensbedrohende Tätigkeit wurde ihm vergolten, indem er blind wurde. Drei Jahre konnte er nicht mehr sehen und nichts mehr tun. Aber der Engel hatte ihm erklärt, warum das notwendig sei: „Weil du angenehm warst vor Gott, mußte die Versuchung dich bewähren.“ Also nicht als Strafe hat er diese Leiden durchmachen müssen, sondern weil er angenehm war vor Gott, mußte die Versuchung, die Prüfung über ihn kommen.

Es ist so, meine lieben Freunde, daß Gott durch die Leiden, die er den Seinigen schickt, ihnen helfen will, daß sie ihm immer mehr entgegenwachsen, daß sie auf diese Weise Tugenden erwerben und zu einem Zeichen für andere werden. Es sind Zeichen der Gunst und der Liebe Gottes, die er uns schickt.

In einem Winter ist einmal einem vornehmen Herrn folgendes widerfahren: Er ging auf der Straße, da wurde er von oben mit einem Schneeball beworfen. Er war ganz entrüstet und hätte sicher, wenn er den Täter vor sich gehabt hätte, ihn zur Rechenschaft gezogen. Dann schaute er empor, und aus dem Fenster im obersten Stockwerk schaute eine schöne junge Frau herunter. Augenblicklich erhellten sich seine Züge, er fing an zu lächeln, er verbeugte sich. So ähnlich ist es mit den Leiden, die Gott uns schickt. Sie wollen uns nichts Böses zufügen, sie wollen uns zu Gott führen, sie wollen uns eine Botschaft von Gott bringen, sie wollen in der Liebe zu Gott, in der selbstlosen Liebe zu Gott festigen. Unsere Liebe zu Gott soll eben nicht eine Berechnung sein. Sie soll nicht deswegen erbracht werden, weil wir sagen: Ja, wenn wir brav sind, dann bekommen wir von Gott alle Vorteile zugewendet. So darf es nicht sein. Man darf nicht durch Tugend etwas für sich erwerben wollen. Man muß Gott lieben ohne Lohn, ohne Lohnverlangen. Man muß Gott lieben um seiner selbst willen.

Das ist also die Botschaft von der Gottergebenheit im Leiden. Versuchen wir, sie in unserem Leben zu bewähren! Wenn uns das Wetter nicht paßt, dann murren wir nicht, sondern sagen: Wie Gott will! Wenn wir von anderen mißachtet werden und wenn uns Verleumdung trifft, sagen wir: Wie Gott will! Wenn uns Krankheiten überfallen, sprechen wir: Wie Gott will! Wenn wir uns so bei kleinen Anfechtungen eingeübt haben in die Ergebenheit, dann werden wir auch bei den großen Prüfungen des Lebens mit unserem Heiland sagen können: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Dann werden wir nicht nur in Gott hineinleben, sondern auch in Gott hineinsterben. Wer den Mut hat, in Gott hineinzuleben, der hat auch die Kraft, in Gott hineinzusterben. Und wer gottergeben stirbt, der hinterläßt den Seinen die Gewißheit, daß er das Ziel erreicht hat.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt