Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. Januar 1993

Die Gottesmutterschaft Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

 

Geliebte im Herrn!

Gott hätte die Vereinigung seines Sohnes, des Logos, mit einer menschlichen Natur auf mannigfache Weise bewerkstelligen können. Er wählte den Weg, daß der Logos als Glied in der Reihe der Menschen, in der Kette der Menschen in die Welt eintrat. Er wählte eine menschliche Mutter aus, die dem Logos die menschliche Natur zur Verfügung stellen sollte. Maria hat Jesus geboren, Jesus aber ist der Sohn Gottes. Deswegen ist Maria Gottesgebärerin, Gottesmutter. Auf dem Konzil zu Ephesus im Jahre 431 wurde der Satz angenommen: „Wer nicht bekennt, daß der Emanuel in Wahrheit Gott und die heilige Jungfrau deshalb Gottesgebärerin ist, weil sie das fleischgewordene, aus Gott entstammte Wort, dem Fleische nach geboren hat, der sei ausgeschlossen.“ Und 20 Jahre später hat das Konzil von Chalcedon beschlossen: „Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater gezeugt seiner Gottheit nach, in den letzten Tagen aber wurde derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren.“

Die Evangelien enthalten zwei Berichte über die Geburt Jesu und über die Gottesmutterschaft Mariens. Im Lukasevangelium und im Matthäusevangelium ist davon die Rede. Das Lukasevangelium haben wir ja in der Vorbereitung auf Weihnachten oft gehört. Der Engel bringt die Botschaft zu Maria: „Du sollst gebären, und du sollst deinem Sohne den Namen Jesus geben. Du sollst empfangen und einen Sohn gebären.“ Die Frage Mariens, wie das geschehen solle, beantwortet der Engel: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Und dann das Eingeständnis und die Einwilligung Mariens: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.“ So im Lukasevangelium. Im Matthäusevangelium ähnlich. Es wird vor allem von Josef berichtet, der eben fand, daß Maria bereits empfangen hatte und dann von Zweifeln angerührt wurde. Aber er empfing eine göttliche Botschaft. „Scheue dich nicht, Maria, dein angetrautes Weib, zu dir zu nehmen. Was in ihr entstanden ist, das stammt vom Heiligen Geist.“ Also auch hier die genaue Parallele zum Lukasevangelium. Maria ist Mutter geworden durch die Wirksamkeit einer göttlichen Kraft.

Nun ist es merkwürdig, meine lieben Freunde, daß es in allen Evangelien keine Stelle gibt, an der Jesus Maria seine Mutter nennt. Ist das nicht auffällig? Bei der Hochzeit von Kana sagt er, als die Mutter ihn bittet, für Wein zu sorgen: „Frau, was habe ich mit dir zu tun? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Das klingt abweisend, das klingt hart. Jedermann erwartet, daß er sagt „Mutter“, aber nein, er sagt „Frau“. Der Grund für diese Redeweise ist zweifellos darin gelegen, daß er sein Leben nicht bestimmt sieht von seiner irdischen Mutter, sondern von seinem himmlischen Vater. Wann seine Stunde kommt, das bestimmt der Vater; das kann seine Mutter nicht beschleunigen und nicht herbeiführen. Deswegen diese uns befremdlich erscheinende Redeweise: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ Sein Leben folgt dem Stundenschlag, den der Vater bestimmt. Und bei einer anderen Begebenheit wird berichtet, daß Jesus in einem Hause war mit einem Hofe, wo die Zuhörer seiner Rede saßen, und dann kommen seine Mutter und seine Verwandten, die man Brüder nannte. Es wird ihm gemeldet: „Draußen stehen deine Mutter und deine Brüder.“ Und was sagt der Herr? „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ Dann schaut er auf die, die um ihn herumsitzen und sagt: „Siehe da, meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen meines Vater im Himmel tut, der ist mir Bruder, Schwester und Mutter.“ Auch hier wieder eine befremdliche Weise. Wie kann er fragen, wer seine Mutter ist? Das kann er nur dann fragen, wenn er in anderen Bindungen steht als in den fleischlichen, als in den Abstammungsverhältnissen. Er ist eben der gottgesandte Messias, und als solcher bildet er eine neue Gemeinde, und das sind solche, die den Willen Gottes tun, die um ihn herumsitzen. Das sind seine wahren Verwandten. Die fleischliche Verwandtschaft spielt jetzt keine Rolle mehr in diesem neuen Verbund, den er nach Gottes Willen schafft. Er erschafft eine neue Gemeinschaft, und diese Gemeinschaft nimmt ihren Anfang bei denen, die um ihn herumsitzen, bereit, den Willen Gottes zu tun. Und schließlich, auch in der letzten Stunde seines irdischen Lebens sagt er nicht „Mutter“, sondern er sagt „Frau“. Er sagt zu Johannes: „Siehe da, deine Mutter!“ Und zu seiner Mutter sagt er: „Frau, siehe da deinen Sohn!“ Auch dadurch wird noch einmal bekundet: Der hier stirbt, ist nicht bloß der Sohn Mariens, der hier stirbt und leidet, das ist der Welterlöser, das ist eine Amtsperson, das ist derjenige, den der Vater im Himmel bestimmt hat, um sein Volk von seinen Sünden zu erlösen.

Daß Jesus tatsächlich innig und innerlich mit Maria verbunden war, das zeigt eine andere Stelle des Evangeliums. Einmal war er mitten unter der Menge, und da rief eine Frau: „Selig der Leib, der dich getragen, und die Brust, die dich genährt hat.“ Das ist natürlich seine Mutter. Und da bestätigt er dieses Lob und gibt auch den Grund dafür an: „Ja“, sagt er, „selig die, die das Wort Gottes hören und es bewahren.“ Und eine davon ist seine Mutter. Sie hat das Wort Gottes gehört und bewahrt, wie uns ja der Evangelist Lukas an zwei Stellen berichtet.

Maria und Jesus gehören also innig zusammen wie Mutter und Sohn. Die Gottesmutterschaft sichert Maria ihre hohe Würde. Sie war selige Pforte dem himmlischen Worte, und das ist der Grund, weswegen der Engel und Elisabeth zu ihr sagen: „Du bist gebenedeit unter den Frauen.“ Das heißt, du bist gesegnet vor allen Frauen, gesegnet, weil auserwählt, dem Logos, der zweiten Person in Gott, den Weg in diese Welt zu bahnen. Und weil diese Würde so groß ist, deswgen kann Maria in prophetischer Weise sagen: „Selig werden mich preisen alle Geschlechter.“ Sie weiß, was jetzt kommen wird. Es muß so kommen, denn die Gläubigen, die Christen können nicht anders als die hohe Würde Mariens anerkennen und sie dementsprechend preisen. Seitdem müssen die Christgläubigen Maria verherrlichen, denn anders würden sie sich gegen die Wahrheit und Wirklichkeit dieser erhabenen Persönlichkeit verfehlen. Seitdem singen wir in unseren Kirchenliedern: „Erhabene Mutter, die den Herrn gebar, durch dich steht uns der Weg zum Himmel offen. O Meeresstern, führ' du der Gläubigen Schar, die in dem Kampf auf deinen Beistand hoffen. Du, die so hohes Wunder dem gebar, durch den du selbst und alle Welt entstanden, du, die als Mutter selbst noch Jungfrau war, befrei' uns Arme von der Sünde Banden.“

Mutter und Sohn gehören zusammen, und was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Immer dann,  meine lieben Freunde, immer dann, wenn Theologen und wenn Abspaltungen von der katholischen Kirche versuchen, die Muttergottes in den Schatten zu stellen, immer dann verdunkeln sie den Ruhm ihres Sohnes. Man kann beides nicht trennen, man kann beides nur zusammen haben oder beides zusammen verlieren. Das älteste Marienbild, das wir kennen, ist in Rom in der Priscilla-Katakombe zu sehen. Es stammt aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts. Und was zeigt dieses älteste Marienbild? Es zeigt die Mutter mit dem Kinde. Was so zusammengehört wie Mutter und Kind, das muß auch beisammen bleiben.

Die Verbindung Mariens mit ihrem Kinde wird durch nichts deutlicher ausgedrückt als durch den Ausdruck Gottesmutter oder Gottesgebärerin. Warum? Wer eine Gottesmutter bekennt, der bekennt die wahre Gottheit ihres Sohnes, und wer eine Gottesmutter bekennt, der bekennt die wahre Menschheit ihres Kindes. Also in dem Ausdruck Gottesmutter ist die Wirklichkeit Jesu in einer wunderbaren Weise eingefangen. Der Ausdruck verhütet, daß man Jesus zu einem Traumwesen verunstaltet. Jesus ist eine wahre geschichtliche Person, weil er eine irdische Mutter hat. Er ist kein Mythos, er ist keine phantastische Entstellung, er ist kein Traumgebilde der menschlichen Sehnsucht, er ist der wirkliche und wahrhaftige Mensch, als der er durchs Leben ging. Aber er ist mehr als ein Mensch. Maria hat nicht bloß den Jesus geboren, sie hat den Christus, sie hat den Gottessohn geboren. Vom ersten Augenblick seines Daseins an war die menschliche Natur mit dem Ich des Logos verbunden, und deswegen kann man, muß man sagen: Maria ist Gottesgebärerin. Es ist falsch zu meinen, man hätte genug getan, wenn man Maria Christusgebärerin nennt. Dann bleibt immer noch die Frage offen: Ja, wer ist denn der Christus? Nein, man muß sagen: Sie ist die Gottesgebärerin. Sie hat den Logos geboren, der aus ihr Fleisch angenommen hat.

Weil Maria die Mutter Jesu ist, ist sie auch unsere Mutter, denn Jesus ist der erste von vielen Brüdern. Er macht alle die, die zu ihm kommen, zu seinen Brüdern, zu seinen Geschwistern, und weil er Maria zur Mutter hat, werden wir damit auch ohne weiteres Kinder Mariens. Außerdem hat er seine Mutter allen Gläubigen gegeben. Wenn er am Kreuze sagt: „Johannes, siehe da deine Mutter!“ dann ist das Wort zu Johannes als dem Vertreter der gläubigen Menschheit gesprochen, nicht bloß zu seiner eigenen Persönlichkeit, sondern er ist der Vertreter der Menschheit. Und alle, die zu dieser erlösten Menschheit gehören, erhalten in diesem Augenblick Maria als Mutter. Und dieser Mutter strömt das Vertrauen entgegen, dieser Mutter weihen die Christen ihre Lieder und ihre Gebete. Sechsmal in jeder heiligen Messe, in unserer heiligen Messe, erwähnen wir Maria. Wir Priester schließen jedes Breviergebet mit einem Gruß an Maria ab. Jeder Samstag ist der Muttergottes geweiht. Die Monate Mai und Oktober sind in besonderer Weise der Muttergottes geschenkt. Das Marienlob darf nicht verstummen, wenn immer die Kirche ihrem Herrn treu bleiben will. Und die Sehnsucht zur Mutter, das Vertrauen zur Mutter, das darf ebensowenig sterben wie der Glaube an ihre Gottesmutterschaft.

 Vor einer Reihe von Jahren,  meine lieben Freunde, starb in Berlin ein Sänger der Staatsoper. Ein Kollege kam zu einem katholischen Priester und sagte: „Können Sie nicht eine heilige Messe für ihn lesen? Er war zwar Protestant, aber lesen Sie doch eine heilige Messe für seine Seelenruhe.“ Der Priester versprach es. Nach drei Wochen kam der Mann wieder und sagte: „Ich war am Grabe meines Kollegen und traf seine Mutter und seine Schwester. Sie haben mir erzählt, wie seine letzten Stunden verlaufen sind. Er lag im Krankenhaus der Dominikanerinnen in Berlin. Um 10 Uhr des Morgens nahm er Abschied von Mutter und Schwester, dann sprach er kein Wort mehr. Als es aber um 12 Uhr zum Engel des Herrn läutete, da wurde er noch einmal wach, und da erhob er die Arme, als ob er ein Glockenseil betätigen wollte zum Läuten. Und da sang er aus dem Troubadour von Verdi das „Ave Maria“. Und als er die letzten Worte gesprochen hatte, da sank er um, und dann war er tot. Seine letzten Worte waren: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Sterbens.“

Amen.

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