Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
24. Februar 1991

Der neue Himmel und die neue Erde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mehrere Monate lang haben wir über die Letzten Dinge des Menschen und der Schöpfung nachgedacht. Wir gingen aus vom Tode des Einzelmenschen, besprachen dann das folgende Gericht und die Endzustände, entweder die ewige Errettung oder die ewige Verwerfung. Wer für die ewige Seligkeit noch nicht bereitet ist, so sahen wir, der kommt in einen Reinigungszustand, auf daß er geeignet gemacht werde, um Gott zu schauen.

Neben den Letzten Dingen des Einzelmenschen gibt es auch Letzte Dinge der Schöpfung. Die Schöpfung ist um des Menschen willen der Vergänglichkeit unterworfen, und wenn der Mensch einmal alle Vergänglichkeit abgestreift hat, wenn er einmal verwandelt ist, dann ist die Erde nicht mehr der geeignete Ort, um ihm Stätte der Heimat und der Geborgenheit zu sein. Dann muß auch die Erde, dann muß auch die Schöpfung verwandelt werden.

Es bleibt uns deswegen heute, nachdem wir über Weltgericht und über die einzelnen in diesem Gericht zu fällenden Urteile gesprochen haben,  noch übrig, den neuen Himmel und die neue Erde uns vor Augen zu führen. Die Schöpfung hat einen Anfang gehabt, und wie lange dieser Anfang auch durch Berechungen, die wir auf der Erde anstellen, hinausgeschoben wird, ob 4 Milliarden oder 17 Milliarden Jahre, das spielt keine Rolle. Die Schöpfung hat einen Beginn gehabt, und sie wird auch ein Ende haben. Der Herr hat in seiner Verkündigung mehr als einmal auf das Ende der Welt hingewiesen. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ „Die Gestalt dieser Welt vergeht“, wiederholen die Apostel, denn die Gestalt dieser Welt ist gebunden an den Menschen, und wenn er umgestaltet wird, dann muß auch die Gestalt der Welt geändert werden. Es wird einen neuen Himmel und eine neue Erde geben, wenn das Weltgericht abgeschlossen ist.

Die Schöpfung, die den neuen Himmel und die neue Erde bildet, wird vom Apokalyptiker Johannes unter dem Bilde einer Stadt beschrieben. Wir müssen, um diese Bildhaftigkeit zu verstehen, uns erinnern, was die Stadt für den Menschen vor 2000 Jahren bedeutete. Die Stadt war für den damaligen Menschen der Ort der Ruhe und der Geborgenheit, der Sicherheit und der Lebensfülle. Die Stadt war umwehrt von Mauern und deswegen geschützt gegen Angriffe. In der Stadt war ein reiches Leben; da war Sicherheit und Geborgenheit. Und deswegen war dieser Begriff „Stadt“ geeignet, das auszudrücken, was Gott uns lehren wollte, wenn der Apokalyptiker Johannes von dem neuen Himmel und der neuen Erde spricht. Die Stadt trägt den Namen Jerusalem. Auch diese Bezeichnung hat selbstverständlich eine tiefe Bedeutung. Es gab ja schon einmal eine Stadt Jerusalem, nämlich das irdische Jerusalem, und soeben haben wir in der Lesung des heutigen Sonntags gehört, daß von einem alten und einem neuen Jerusalem die Rede ist. Das alte Jerusalem, das ist der Alte Bund mit seinem Tempel und mit seinen Tieropfern, und das neue Jerusalem, das ist die Gemeinde Christi, das ist die Kirche. Beide, sowohl das alte wie das neue Jerusalem, sind Vorbilder und Vorzeichen des endzeitlichen Jerusalem. Es sind verheißende Erfüllungen. Sie sollen etwas aussagen über die neue Stadt, die vom Himmel herabgesenkt wird und die den neuen Himmel und die neue Erde in sich birgt.

Jerusalem steht im Gegensatz zu einer anderen Stadt, nämlich Babylon. Und auch da gilt es wieder zwei Städte mit dem Namen Babylon zu unterscheiden. Am Anfang der Geschichte war der Turmbau von Babel, als das Menschengeschlecht sich in Anmaßung und Autonomie gegen Gott erhob und einen Turm bauen wollte, der bis zum Himmel reicht, d.h. die Selbstherrlichkeit, die Überheblichkeit des Menschen fand in diesem Bauwerk ihren Ausdruck. Am Ende der Tage gibt es eine heidnische Weltstadt Babylon. Dort sitzt der Antichrist, und in dieser heidnischen Weltstadt wird ein Machtzentrum aufgebaut, das die ganze Erde beherrschen will. Der Gegensatz zu dieser Stadt Babylon ist das himmlische Jerusalem. In dem himmlischen Jerusalem ist nach der farbenprächtigen Schilderung des Apokalyptikers Johannes der Reichtum, die Sicherheit, die Geborgenheit, der Friede und die Würde zu Hause. Der Apokalyptiker beschreibt diese Eigenschaften des neuen Jerusalem, wenn er sagt, daß der ganze Reichtum der Erde in die Stadt hineingetragen wird, daß die Straßen von Gold seien und von kostbaren Edelsteinen erfüllt. Das sind Bilder dafür, daß die neue Stadt, daß der neue Himmel und die neue Erde alles in sich birgt, was der Mensch sich nur überhaupt denken kann, um seine Bedürfnisse, um seine wahren Bedürfnisse zu befriedigen.

Eine Erscheinung ist nun besonders bemerkenswert in dem neuen Jerusalem. Das alte Jerusalem hatte seine Mitte im Tempel. Der Tempel war das Zentrum, und der Tempel war das Heiligtum, und wegen des Tempels pilgerten die Menschen nach Jerusalem. Aber von dem neuen Jerusalem sagt der Apokalyptiker: „Einen Tempel sah ich darin nicht.“ Ja, eine Stadt ohne einen Tempel, eine heilige Stadt ohne einen Tempel, die endzeitliche Stadt ohne einen Tempel, wie ist das möglich? Das ist deswegen möglich, weil Gott selbst der Tempel dieser Stadt ist. In dieser endzeitlichen Stadt braucht es nicht mehr besondere Häuser, in denen die Menschen zusammenkommen, muß man sich nicht erst sammeln aus der Zerstreutheit des Lebens, um Gott anzubeten, braucht es auch kein Opfer und braucht es keine Verkündigung mehr. Das alles fällt dahin, weil Gott sich unmittelbar den Menschen, den Bewohnern dieser Stadt darbietet, weil er ihnen nahe ist, so nahe, wie die Bewohner eines Zeltes einander nahe sind. „Einen Tempel sah ich nicht“, denn der Herr selber und das Lamm, das ist der Tempel dieser neuen Stadt.  Also auch im himmlischen Jerusalem gibt es Anbetung, gibt es Kult. Der Mensch muß anbeten, er ist ein anbetendes Wesen. Er kommt nur zur Erfüllung, wenn er anbetet, und er zerstört sich selbst, wenn er nicht anbetet. Denn wenn er nicht den wahren Gott anbetet, dann verehrt er Götzen so, wie man nur Gott verehren darf. Dann betet er die Macht an oder das Geschäft oder die Arbeit oder die Geschlechtlichkeit. Irgendetwas betet jeder Mensch an, wenn nicht den wahren Gott, dann eben selbsterhobene Götzen. In der himmlischen Stadt findet die Anbetung in höchster Intensität statt. Da wird Gott angebetet in einer Weise, wie es auf Erden den Menschen gar nicht möglich war. Als die verwandelten Wesen, die sie sind, ruhen sie in Gott und finden ihr Genügen eine ganze Ewigkeit in der Anbetung Gottes.

Diese neue Stadt ist eine Stätte des Lebens und der Fülle, der Sicherheit und des Friedens. Der Apokalyptiker Johannes schildert diese Befindlichkeit der neuen Stadt, wenn er sagt: „Der Tod wird nicht mehr sein, Gott wird abwischen alle Tränen von den Augen.“ Die Menschen werden in Fülle des Lebens in dieser Stadt wohnen. Es wird das unter dem Bilde eines Gastmahles geschildert. Sie werden essen und trinken, natürlich nicht, wie wir es tun, sondern es wird ihnen alles, was zur Lebenserfüllung notwendig ist, in reichstem Maße zur Verfügung stehen. Das ist der Sinn, wenn vom Essen und Trinken, von einem Gastmahl des ewigen Lebens, von einem Hochzeitsmahl die Rede ist. Die Menschen werden in dieser Geborgenheit, in diesem Frieden erhalten und aufnehmen, was ihr Wesen erfüllt und was sie bedürfen.

Das also sind die Aussichten,  meine lieben Freunde, denen wir entgegengehen. Wenn man von menschlichen Kräften eine solche Zukunft erwarten wollte, dann müßte man sagen, das sind Schwärmereien, das sind Einbildungen, das ist lächerlich. Wer von irdischen Kräften ein Paradies erwartet, der gibt sich tatsächlich der Lächerlichkeit preis. Denn immer, wenn es die Menschen versucht haben, ein Paradies zu schaffen, ist es ins Gegenteil ausgeschlagen. Wir stehen heute vor dem Bankrott des Sozialismus. Der Marxismus hat in der Praxis versagt, allerdings nicht in den Köpfen. Wenn Sie etwa die Ankündigungen der katholischen Studentengemeinde in Münster ansehen, da finden Sie dort eine Fülle von Veranstaltungen über Marxismus – im Jahre 1990/91. In den Köpfen ist der Marxismus also noch nicht erledigt, nur in der Praxis. Aber auch andere Ideologien, die es sich vornehmen, das Paradies zu schaffen, versagen. Wenn es die Ideologie des Kapitalismus gäbe oder eine andere Ideologie: keine ist imstande, das Paradies auf Erden herbeizuzwingen. Das alles sind Illusionen. Die Erde wird ein Jammertal bleiben, weil nämlich die Sünde auf der Erde unausrottbar ist. Aus der Sünde quellen die Kriege und der Unfrieden hervor, aus der Sünde. Auf Erden ist die Urnot des Menschen die Frage nach Gott. Da können die Ungläubigen uns höhnen: Wo ist denn euer Gott? Und da kann in einem selbst in Kummer und Leid die Frage aufkommen: Wo ist denn mein Gott? In der neuen Stadt, in der Himmelsstadt ist diese Urnot gelöst und ist diese Urfrage beantwortet. Da wird sich das Sinnlose dieser Welt auflösen, und wir werden hinter allem den Sinn sehen, den Gott hineingelegt hat.

Wenn man einen Teppich vor sich hat, und man sieht die Rückseite, da erblickt man ein wirres Durcheinander von Fäden, unansehnlich und unschön. Aber wenn man die Schauseite des Teppichs betrachtet, da ergibt sich ein wunderbares Muster. Ähnlich-unähnlich, meine Freunde, wird es sein an jenem Tage, wenn der Herr uns die Sinnerhellung des scheinbar Sinnlosen dieser Zeit gewähren wird. Dann verstummt die Frage: Wo ist denn unser Gott? Denn wir werden ihm nahe sein, so nahe wie die Bewohner eines Zeltes.

Amen.

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