Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Februar 1990

Die Unveränderlichkeit und Ewigkeit Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Mein Gott, laß mich dich immer besser erkennen, damit ich dich immer mehr liebe und dir immer treuer folge.“ Dieses Gebet läßt der heilige Ignatius von Loyola alle die sprechen, die mit seinem Exerzitienbüchlein in der Hand Exerzitien machen. „Herr, mein Gott, laß mich dich immer besser erkennen, damit ich dich immer mehr liebe und dir immer treuer folge.“ Wie soll man Gott lieben, wie soll man ihm folgen, wenn man ihn nicht kennt? Die Kenntnis ist die Voraussetzung, die notwendige Voraussetzung von Liebe und Gefolgschaft. Das ist der Grund, meine lieben Freunde, warum wir seit geraumer Zeit Gott und seine Eigenschaften uns vor Augen führen. Am vergangenen Sonntag hatten wir über Gottes Güte und Wahrheit nachgedacht. Am heutigen Sonntag wollen wir fragen, was es heißt, wenn wir Gott den Unveränderlichen und den Ewigen nennen. Wir wollen also die Unveränderlichkeit und die Ewigkeit Gottes vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen.

Unveränderlich bedeutet den Gegensatz von veränderlich. Veränderlich ist, was von einem Zustand in den anderen übergeht. Das Wasser beispielsweise kann vom flüssigen Zustand in den festen übergehen, dann nennt man es Eis, oder es kann in den gasförmigen übergehen, dann nennt man es Wasserdampf. Und so ist bei allem Endlichen, bei allen Geschöpfen eine Veränderung möglich und tatsächlich. Diese Veränderlichkeit wird von Gott bestritten. Gott ist unveränderlich. Das IV. Laterankonzil und das I. Vatikanische Konzil nennen Gott incommutabilis – unveränderlich. Die Lehre der Kirche hat ihre feste Basis in der Heiligen Schrift. Im Jakobusbrief heißt es von Gott: „Bei ihm ist kein Wechsel und kein Schatten der Veränderlichkeit.“ Und besonders deutlich spricht ein Psalm, nämlich der Psalm 102. Da heißt es von dem Himmel: „Die Himmel, das Werk deiner Hände, sie werden vergehen, du aber bleibst. Sie alle altern wie ein Gewand, du wechselst sie wie ein Kleid. Sie zerfallen, du aber bleibst derselbe. Deine Jahre haben kein Ende.“ Gott ist der Unveränderliche, so haben dann die theologischen Überlegungen der Kirchenväter ergeben, weil er die absolute Fülle des Seins in sich birgt. Er ist der actus purus – die reine Aktualität, also ohne Potentialität, ohne Möglichkeit, die dann zur Wirklichkeit werden kann. Er ist schon die vollendete Seinswirklichkeit. Er ist so vollkommen, daß jede Veränderlichkeit als Unvollkommenheit von ihm bestritten werden muß. Er ist das Sein selbst, und was sich verändert, geht ja von einem Zustand zum anderen über, hört also auf, zu sein, was es war und fängt an, zu sein, was es nicht war. Das ist bei Gott unmöglich, weil er das absolute, das vollkommene Sein, weil er die Seinsfülle selber ist. „Ich bin der Ich bin.“ Was heißt das anders, sagt Augustinus, als: Ich kann mich nicht ändern?

Die Unveränderlichkeit Gottes besagt aber nicht Starrheit oder Unlebendigkeit. Nein, keineswegs. Wiederum Augustinus: „Gott weiß im Ruhen zu handeln und im Handeln zu ruhen.“ Gott nimmt nicht zu und nimmt nicht ab. Gott lernt nicht und vergißt nicht. Gott erwirbt nicht und verliert nicht. Er ist unveränderlich. Diese Unveränderlichkeit Gottes ist ein Grund, weswegen wir auf Gott bauen können, ja bauen müssen. Seine Unveränderlichkeit ist die Basis für eine Eigenschaft Gottes, die wir seine Treue nennen. Gott bleibt treu. Menschen ändern sich. Die Treulosigkeit ist an der Tagesordnung. Gott bleibt treu wegen seiner Unveränderlichkeit. Früher sagte man: „Der alte Gott lebt.“ Gott ist nicht alt. Aber derselbe Gott lebt. Er war immer, und er wird sich nicht ändern, er hält seine Gesinnungen durch, auch wenn er Werke nach außen setzt. Das könnte nämlich ein Einwand sein: Aber Gott hat doch die Welt geschaffen, er ist doch ein Mensch geworden. Hat er sich da nicht geändert? Weltschöpfung wie Menschwerdung beruhen auf ewigen Ratschlüssen Gottes. Und diese Ratschlüsse sind mit Gottes Wesen identisch. Was in der Zeit geschieht, das ist die Wirkung dieser Ratschlüsse. Die Veränderlichkeit besteht also nicht in Gott, sondern in den Wirkungen nach außen, in den Werken. Von der Menschwerdung sagt wiederum die Lehre der Kirchenväter: „Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er noch nicht hatte.“ Nämlich die Menschennatur. Er hat sich eine Menschennatur angeeignet, ja er ist in sie eingegangen, aber ohne jede Veränderung seines göttlichen Wesens. Er blieb, was er war, aber er nahm an, was er noch nicht hatte.

Diese Unveränderlichkeit Gottes ist von so großer Bedeutung, daß für sie Martyrer gestorben sind. Von manchen Martyrern haben wir die Akten des Prozesses, dem sie unterworfen wurden, Martyrerakten, und so auch vom heiligen Karpus; sie gehören zu den ältesten Martyrerakten, die wir überhaupt besitzen. Der Prokonsul, also der kaiserliche Beamte, forderte ihn auf zu opfern, den Göttern zu opfern, und da antwortete Karpus: „Diesen Göttern opfere ich nicht. Sie haben ja auch nicht Himmel und Erde erschaffen.“ „Aber es ist Pflicht, zu opfern, der Kaiser hat es befohlen.“ „Nicht opfern die Lebendigen den Toten.“ „So meint ihr also, unsere Götter seien tot?“ Da antwortete Karpus: „Willst du etwas hören? Diese sogenannten Götter waren niemals richtige, lebendige Wesen. Darum konnten sie nicht einmal wirklich sterben. Unser Gott aber ist zeitenlos und hat die Jahrtausende erschaffen. Unvergänglich, unvergänglich ist er und bleibt in Ewigkeit immer der gleiche. Er nimmt nicht ab und nimmt nicht zu. Die Götzen aber sind von den Menschen geformt und gehen unter im Zeitenlauf.“ Für dieses Bekenntnis ist Karpus in den Tod gegangen.

Mit der Unvergänglichkeit und der Unveränderlichkeit Gottes eng verbunden ist die Ewigkeit. Was besagt Ewigkeit? Ewigkeit besagt unendliche Dauer. Ewigkeit bedeutet, es gibt kein Früher und kein Später, es gibt keinen Anfang und kein Ende. Diese Ewigkeit ist Gott eigen. Und deswegen hat die Theologie in einem glücklichen Ausdruck Gott nunc stans genannt. Das bedeutet zu deutsch „das stehende Jetzt“. In Gott ist nicht ein Voranschreiten über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern in Gott ist alles Gegenwart. In Gott gibt es kein Früher und kein Später, keinen Anfang und kein Ende, sondern nur ein stehendes Jetzt. Gott ist ewig. Er war immer, er ist immer, und er wird immer sein.

Auch diese Eigenschaft Gottes ist ausgesagt worden vom IV. Laterankonzil und vom I. Vatikanischen Konzil. Aeternus ist das entscheidende Wort. Die Ewigkeit Gottes ist eine andere als die des Menschen. Wir wissen, daß die menschliche Seele, wenn sie sich im Tode vom Leibe getrennt hat, ewig lebt. Aber die menschliche Seele besitzt als Geschöpf nicht die absolute Seinsfülle Gottes, und deswegen kann man von ihr nicht sagen, daß sie ein stehendes Jetzt sei. Für sie gibt es schon eine Abfolge, wenn auch eine unendliche. Und deswegen hat die Theologie immer unterschieden zwischen der Aeternitas, der Ewigkeit Gottes, und dem aevum des Menschen, der menschlichen Seele. Also zwei verschiedene Ausdrücke für zwei verschiedene Sachen.

Auch die Ewigkeit Gottes ist in der Heiligen Schrift deutlich ausgesagt, vor allem im 90. Psalm: „Ehe denn die Berge entstanden und Erde und Welt du hervorgebracht, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du, o Gott.“ Auf die Befragung seiner Gegner sagt Jesus: „Ehe Abraham ward, bin ich.“ Nicht „war“ ich. „Ehe Abraham ward, bin ich.“ Damit ist die absolute Anfangslosigkeit Gottes, des göttlichen Wesens, dargestellt. Und auch die Kirchenväter haben sie verteidigt gegen die sterblichen Götter. Die Heiden hatten ja Göttergenealogien, Abstammungsverhältnisse. Zeus hatte Kinder von verschiedenen Frauen in der Phantasie seiner Verehrer. Diese absurden Vorstellungen hat die Kirche immer abgewiesen, auch die der modernen Philosophen, wie zum Beispiel des Herrn Hegel in Berlin, der den Emanatismus und den Evolutionismus vertrat, daß sich Gott durch Emanation, durch Ausströmungen fortpflanzt und fortsetzt oder daß man durch Aufstiege von unten nach oben zu Gott kommen könne. Das sind Verirrungen, die mit der Weltüberlegenheit Gottes nicht in Einklang zu bringen sind, und die alle zum Pantheismus, zur Allgottlehre führen.

Nein, meine lieben Freunde, Gott ist ewig, weil er unveränderlich ist. Er ist ewig, weil er die Fülle des Seins besitzt, weil er der actus purus ist. Er ist ewig, weil er in keiner Weise eine Abfolge der Zeiten in sich geschehen lassen kann. „Vor mir sind tausend Jahre wie ein Tag,“ sagt die Heilige Schrift.

Ich gestehe, es ist für uns unvorstellbar, die Ewigkeit zu begreifen. Wir können immer nur von Wesen reden und auch sie uns vorstellen, die einen Anfang und auch ein Ende haben. Man hat versucht, mit Bildern den Begriff der Ewigkeit klarzumachen. Wenn ein Vöglein einmal in tausend Jahren aus dem Ozean einen Tropfen holt, so müßte doch der Ozean einmal, wenn auch nach unermeßlichen Zeiten, leer werden. Aber das wäre immer noch nicht die Ewigkeit. Oder wenn ein Fels gegen den Himmel ragte und ein Vöglein einmal in tausend Jahren ein Sandkorn abbrechen würde, so müßte doch dieser Fels einmal, wenn auch nach unermeßlich langen Zeiten, aufhören zu bestehen. Aber auch das wäre nicht die Ewigkeit.

Gott ist ewig, weil er die Fülle des Seins ist, weil er der absolut vollkommene Gott ist, der nicht in irgendeiner Weise zunehmen oder abnehmen kann. „Willst du ewige Freude, so halte dich an den Ewigen!“ mahnen uns die geistlichen Schriftsteller. Das ist also der Heilssinn der Ewigkeit Gottes. Nicht daß wir uns davor fürchten oder daß wir die Ewigkeit wegen ihrer Unbegreiflichkeit verwerfen, nein, daß wir sagen: Hier habe ich einen Stand, den mir niemand erschüttern kann. Willst du ewige Freude, halte dich an den Ewigen! So wie die Veränderlichkeit eine Gefahr ist, so ist die Unveränderlichkeit Gottes ein Schutz. Menschen ändern sich, verlassen einen, Gott ist unveränderlich und bleibt derselbe. Menschen vergehen, kommen und gehen, Gott, er bleibt derselbe. Willst du ewige Freude, so halte dich an den Ewigen!

Im Juli 1832 lag im Schloß Schönbrunn bei Wien ein junger Mann auf dem Sterbebett. Es war der Herzog von Reichstadt, der Sohn des großen Napoleon. Mit 21 Jahren sollte er sterben. Er ließ sich in diesem Zeitpunkt aus Parma, wo seine Mutter lebte, die goldene Wiege kommen, die die Stadt Paris ihm bei seiner Geburt geschenkt hatte. Und als sie dann neben ihm stand, da sagte er mit Tränen in den Augen: „Das sind also die Grenzsteine meines Lebens. Dieses Bett, das bald mein Todesbett sein wird, und diese Wiege, und dazwischen liegen meine 21 Jahre, mein Name und mein ganzes Mißgeschick.“ Am 18. Juli 1832 ist der Herzog von Reichstadt gestorben.

Geboren – gestorben! Das ist das Lebenslied eines jeden Menschen. Auch der große Napoleon war schon 11 Jahre tot, als sein Sohn starb. Geboren – gestorben! Ganz anders die Lebensmelodie Gottes. Sie wird in der Kirche fortwährend laut in den Schlußformeln der Gebete: Qui vivis et regnas per omnia saecula saeculorum – der du lebst und herrschest von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.

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