Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Juli 1989

Jesus, der Logos

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der heilige Ignatius von Loyola hat gebetet: „Herr, laß mich dich immer besser erkennen, damit ich dich immer mehr liebe und dir immer treuer folge!“ Man kann nicht lieben, was man nicht kennt. Erst wenn man den Heiland Jesus Christus innig kennt, kann man ihn auch innig lieben. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich, warum wir seit Monaten uns bemühen, in das Wesen unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus einzudringen. Wir haben an den vergangenen Sonntagen uns bemüht, zu verstehen, was es heißt, wenn wir sagen: Jesus ist der Herr, Jesus ist der Heiland, Jesus ist der Hirt, Jesus ist der Offenbarer. Alle diese Bezeichnungen für Jesus sind Aussagen über die Wirklichkeit, haben einen tiefen Inhalt und geben einen gewaltigen Sinn. Deswegen muß man sich bemühen, in diesen Inhalt, in diesen Sinn einzudringen. „Laß mich dich immer besser erkennen, damit ich dich immer mehr liebe und dir immer treuer folge!“

Am heutigen Sonntag wollen wir fragen, was es bedeutet, wenn Jesus „das Wort“ genannt wird. Am Weihnachtsfeiertage kann bekanntlich jeder Priester drei heilige Messen feiern. In den beiden ersten heiligen Messen ist das Evangelium aus dem Lukasevangelium entnommen. In der dritten heiligen Messe stammt es aus dem Johannesevangelium. Es geht feierlich an: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dieses war am Anfang bei Gott.“ Da haben wir es. Das ist der Prolog, also das Vorwort gleichsam des Johannesevangeliums, und hier wird unser Herr und Heiland Jesus Christus als das Wort, das ist die Übersetzung des griechischen Wortes logos, bezeichnet. Was bedeutet es, wenn Jesus von Nazareth, der Sohn der Jungfrau Maria, „das Wort“ heißt? Nun, aus dem Prolog im Johannesevangelium ergibt sich eine fünffache Bedeutung des Ausdruckes: Jesus ist das Wort.

Erstens: Ich habe eben den ersten Vers dieses erhabenen Textes zitiert: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Das heißt also, Christus unser Heiland, ist anfanglos. Vor allem irdischen Anfang ist er. Am Anfang war das Wort. Und dieses Wort, also Christus, unser Logos, dieses Wort war bei Gott. Es ist also eine Person und hat ein persönliches Verhältnis zum Vater. Und dieses Wort war Gott, ist selbst Gott. Also personale Präexistenz, personale Beziehung zum Vater und wesenhafte Personhaftigkeit als Gott, das ist das erste, was der Prolog vom Wort, von unserem Heiland Jesus Christus, aussagt.

Zweitens: Alles, was geworden ist, ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort ist nichts geworden. Das heißt, das Wort, also unser Herr Jesus Christus, ist Schöpfer, ist schöpferisch tätig. Es gäbe nichts, wenn er nicht geschaffen hätte. Nichts ist ohne ihn geworden, d.h. alles ist durch ihn geworden. Unser Heiland Jesus Christus ist eben nicht nur ein Verkündiger, ein Prophet wie die Propheten des Alten Bundes oder Johannes der Täufer. Er ist der allmächtige Schöpfer.

Drittens: In ihm war das Licht und das Leben, und das Licht leuchtete in der Finsternis. Das ewige Wort, als Jesus Christus, ist Licht und Leben. Was bedeutet das, Licht und Leben? Das sind ja Bilder. Licht bedeutet: Dieses Wort bringt die Wahrheit; denn die Wahrheit vertreibt die Dunkelheit der Unwissenheit und des Irrtums, und Leben bedeutet: Das Wort bringt die Gnade; denn die Gnade ist Leben. Sie erweckt uns vom Tod der Sünde. Also wenn es heißt: Das Wort, in dem Wort war das Leben, und das Leben war das Licht, dann wissen wir: Jesus Christus ist der Bringer von Wahrheit und Gnade, und kein anderer ist mit ihm zu vergleichen. Er allein ist der Bringer von Wahrheit und Gnade. Er allein kann von sich sagen: „Ich bin das Licht, und ich bin das Leben.“

Viertens: Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Also das Wort – Christus – ist nicht in der Ewigkeit des Vaters, in der Herrlichkeit Gottes verblieben, sondern es ist auf Erden erschienen, es ist Mensch geworden, ja es ist Fleisch geworden. Wenn der Evangelist sagt „Fleisch“, dann meint er damit die Hinfälligkeit des Menschen, die Schwäche des Menschen, der Mensch ist eben hinfällig und schwach, und in diese Hinfälligkeit und Schwäche ist das Wort, also Christus, die zweite Person in Gott, eingegangen. Und das Wort ist Fleisch geworden. Das ist unser Weihnachtsgeheimnis. Das ist das Geheimnis, vor dem wir das Knie beugen. Das ist das Geheimnis, bei dem in den großen Messen unserer Meister wie Mozart, Haydn und Beethoven die Musik in wunderbarer Weise auszudrücken versucht, was wir als die ergreifendste Wirklichkeit unseres Glaubens empfinden. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“

Da kommen sie wieder, die beiden Ausdrücke, Gnade und Wahrheit, Leben und Licht.

Und schließlich noch eine fünfte Aussage: Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen Gnade um Gnade. Also alles, was an Gnade uns zufließt, das kommt von unserem Heiland Jesus Christus. Das kommt von diesem Wort.

Nun könnte man fragen: Ja warum hat denn der Evangelist Johannes Jesus als das Wort bezeichnet, als den Logos? Hatte er keinen anderen, hatte er keinen besseren Ausdruck? Ist die Formulierung überhaupt passend dafür, auf Jesus angewendet zu werden? Denn Jesus selbst hat sich ja nicht als das Wort bezeichnet, den Ausdruck hat ihm Johannes gegeben, der Evangelist, der Lieblingsjünger. Wo kommt denn dieser Ausdruck her?

Die Bezeichnung Logos hat zwei Wurzeln, meine lieben Freunde. Einmal das Alte Testament. Im Alten Testament ist wiederholt davon die Rede, daß Gott durch das „Wort“ die Welt geschaffen hat. Und das ist eben nicht ein Wort, wie wir es sprechen, also eine flüchtige Bewegung von Schallwellen, sondern es ist ein Wort, das personal ist, mächtig, ja allmächtig wie der Vater. Und dieses Wort wird im Alten Testament auch häufig mit der Weisheit in Verbindung gebracht. Weisheit und Wort gehören zusammen. Und diese Weisheit ist schöpferisch, diese Weisheit ist erlöserisch tätig. Diese Weisheit stößt auf eine rätselhafte Ablehnung, wie unser Heiland. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf.“ Und diese Weisheit wohnt bei den Menschen, so wie unser Heiland bei uns gewohnt hat. Also das Alte Testament, die dort vorfindliche Rede vom Wort und von der Weisheit, das ist die sachliche Wurzel für die Anwendung des Ausdruckes Wort auf unseren Herrn Jesus Christus.

Terminologisch, also was den Ausdruck selbst angeht, kommt er wahrscheinlich von Philo von Alexandrien. Das war ein guter Mensch, ein frommer Jude. Und er hat in seinem Denken etwas vorausgeahnt von dem, was einmal in Erfüllung gehen würde. Seine Theologie ist eine Art praeparatio evangelica, eine Vorbereitung des christlichen Glaubens. Auch er spricht vom Logos, vom Wort, und der Logos, dieses Wort, ist präexistent und durchwaltet die Welt, ist schöpferisch tätig, ist erlöserisch tätig. Wegen dieser Spekulation des Philo eignete sich das Wort „Logos“ dafür, auf Jesus Christus angewendet zu werden. In dem Alten Testament und in der griechischen Antike war der Ausdruck gewissermaßen schon bereitgestellt, um angewandt zu werden auf unseren Heiland Jesus Christus. Also keine Verfälschung des Evangeliums, kein Mißbrauch des Wortes liegt hier vor, sondern eine legitime Anwendung auf den im Fleische erschienenen Gottessohn. Der Heiland Jesus Christus war so und hat sich so verstanden, daß es berechtigt war, ihn mit dem Ausdruck Wort, Logos, zu bezeichnen.

Ähnliche Wendungen kommen auch an anderen Stellen des Neuen Testamentes vor, z.B. im Hebräerbrief. Da wird Jesus als das Ebenbild des Vaters, als der Abglanz seiner Herrlichkeit bezeichnet. Das ist ebenso ein legitimer und gelungener Versuch, Jesu Wesen zu beschreiben, wie wenn man ihm den Ausdruck Logos, Wort, zuspricht. Und ähnlich im Kolosserbrief. Auch da wird Jesus als der „Erstgeborene vor aller Schöpfung“, als der, der den Vorrang vor allem hat, beschrieben.

Das alles sind Weisen, meine lieben Freunde, das Geheimnis Jesu, das unergründliche Geheimnis Jesu Christi auszudrücken. Mit menschlichen Worten wird versucht, das Übermenschliche, das Göttliche wiederzugeben. Und diese Versuche sind geglückt. Sie sind nicht mißlungen, sie sind geglückt, sie geben wirklich und wahrhaftig etwas vom Wesen Jesu Christi wieder. Und weil dieses Wesen so reich ist, deswegen brauchen wir so viele Ausdrücke. Deswegen müssen wir sagen, Jesus war der Messias, Jesus war der gute Hirt, Jesus war der Herr, Jesus war der Heiland, Jesus war der Offenbarer, Jesus war der Menschensohn, Jesus war der Gottessohn, Jesus war das Wort, das Wort, das der Vater seit Ewigkeit spricht, das Wort, das personale Züge trägt, ja das eine Person ist, das Wort, das also nicht Schall und Rauch ist, sondern das Wort, das der Vater in die Welt gesandt hat, um die Welt zu schaffen und um die Welt zu erlösen.

Das also ist der Sinn, meine lieben Freunde, wenn wir beten: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Dieses schöne Gebet beten wir ja in der heiligen Messe immer am Schluß. Wenn die heilige Messe zu Ende geht, wenn der Priester den Segen erteilt hat, dann begibt er sich noch einmal auf die Evangelienseite und beginnt den Anfang des Evangeliums nach Johannes: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ Warum tut er das? Warum wird noch einmal am Schluß ein Evangelium gelesen? Wegen eines wichtigen Satzes, nämlich: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“

Das ist nämlich in der heiligen Messe wieder in Erfüllung gegangen. Zwar nicht mit den Augen des Leibes, aber mit den Augen des Glaubens, und der Glaube hat Augen, er sieht, mit den Augen des Glaubens sehen wir in der heiligen Messe unseren Herrn und Heiland Jesus Christus gegenwärtig, sehen wir seine Herrlichkeit, wie er sich uns als der Verklärte auf dem Altare darbietet, opfert und als Speise schenkt. Deswegen dieses Evangelium am Schluß. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.“

Es ist also kein Fehler, es ist kein Versehen, wenn die Kirche den Anfang des Johannesevangeliums an den Schluß der heiligen Messe gesetzt hat. Es hat das vielmehr einen ganz tiefen Sinn, es ist innerlich berechtigt, nach diesem wunderbaren Geschehen, das wir das Meßopfer nennen, den Herrn zu preisen, daß er gekommen ist, ja daß er geblieben ist und daß er bei uns weilt und daß er sich uns schenkt, daß wir ihn unter uns haben dürfen und daß wir aus seinen Wunden schöpfen dürfen Gnade um Gnade, von ihm, der da ist das Licht und das Leben der Welt, der da bringt die Gnade und die Wahrheit.

Amen.

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