25. Dezember 1988
Imanuel – Gott mit uns
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, in heiliger Weihnachtsfreude Versammelte!
Jesus von Nazareth trägt viele Namen. Er ist der Menschensohn, wie er sich selbst genannt hat, vor allem im Markusevangelium, er ist der Gottessohn, als den ihn vor allem der Evangelist Matthäus feiert, er ist der Herr, von dem der Apostel Paulus oft und oft spricht, er ist der Messias, der gekommene Gesalbte des Herrn, der Christus, was uns zur geläufigsten Bezeichnung Jesu geworden ist. Er trägt aber auch einen Namen, der ihm schon im Alten Bunde gegeben wurde und dessen Erfüllung im Neuen angezeigt wird. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Imanuel.“ So heißt es beim Propheten Isaias. Und im Matthäusevangelium wird gesagt: Jetzt ist diese Verheißung erfüllt. Jetzt hat die Jungfrau empfangen und einen Sohn geboren und jetzt ist ihm der Name eigen Imanuel. Der Name Imanuel ist ein hebräischer Name. Er bedeutet „Gott mit uns“. Die Silbe „el“ ist ja der Name für „Gott“, und „Imanu“ bedeutet „mit uns“. Also derjenige, der hier von der Jungfrau geboren wird, der ist der GOTT MIT UNS, und das soll der Gegenstand unserer heutigen Überlegung sein.
Was heißt es denn, daß dem Sohn der Jungfrau der Name gegeben wurde Imanuel – „Gott mit uns“? Wir wollen darauf eine vierfache Antwort versuchen.
Der Imanuel ist ein Mensch. Er ist ein Mensch, mit dem Gott ist, ein Mensch, der von sich sagen kann: Gott mit uns. Als im vorigen Jahr meine Mutter todkrank darniederlag, da stellte sie die Frage: „Ist der liebe Gott auch ein Mensch?“ Ja, er ist auch ein Mensch. Er ist der Mensch mit uns, weil er der „Gott mit uns“ ist. Er ist der „Gott mit uns“, weil er in menschlicher Natur die göttliche Person in sich trägt. Die Theologie hat sich in jahrhundertelangem Bemühen darum angestrengt, das Geheimnis dieser Verbindung zwischen Göttlichem und Menschlichem in Begriffe zu fassen. Das ist gelungen vor allem in den beiden Konzilien von Ephesus und Chalkedon im 5. Jahrhundert. Da wurde festgestellt, daß Christus, der Jesus von Nazareth, zwei Naturen hat, eine göttliche und eine menschliche, und daß die Einheit dieser beiden Naturen gesichert wird durch die eine göttliche Person. Also es gibt nicht zwei Ich in Jesus, sondern nur ein Ich, aber zwei Wirkkräfte, zwei Wirklichkeiten, in denen sich dieses eine Ich betätigt, nämlich eine göttliche und eine menschliche.
Warum diese Verbindung notwendig war, das hat der Patriarch von Konstantinopel auf dem Konzil von Ephesus lichtvoll herausgestellt. Er kam, so sagte er, um uns zu erlöen. Weil er uns erlösen sollte, mußte er leiden. Als bloßer Mensch konnte er uns nicht erlösen, als bloßer Gott konnte er nicht leiden. Also mußte ein Gottmensch kommen, um uns erlösend und leidend zu Hilfe zu kommen. Das also, meine lieben Freunde, ist der Grund, warum der Gottmensch zu uns kam, warum er als Gott und Mensch kam: Weil er nur als Gott erlösen und weil er nur als Mensch leiden konnte.
Diese tiefe Wahrheit verstehen wir noch besser, wenn wir ansehen, wie er gekommen ist. Er kam als ein „Bruder unter Brüdern“. Er wollte uns nichts voraushaben, er wollte das menschliche Schicksal in aller Redlichkeit führen, und so hat er an allem Anteil genommen, die Sünde ausgenommen. Er hat auf Erden gelebt und gelitten, er hat Hunger und Durst getragen, wie es eben ein Menschenbruder tun muß. Er ist müde geworden und hat einen Trunk Wassers erbeten. Er hat Angst und Furcht empfunden vor dem drohenden Tode. Er hat gelitten, wie nur ein Mensch leiden kann – ein Bruder unter Brüdern.
Und gerade das ist das Ärgernis für manche Menschen, die sich vor der Wahrheit Gottes nicht beugen wollen. „Das Christentum ist das Tollste, was ein Menschenhirn ersinnen kann,“ hat einmal Adolf Hitler gesagt. Tatsächlich, wenn das Menschen ersonnen hätten, wäre es das Tollste. Aber das sind eben keine Menschengedanken, sondern das sind Gottesgedanken, das hat nicht ein Menschenhirn ersonnen, sondern das hat Gott unter uns gewirkt, und Gott handelt eben auf göttliche Weise.
Die Aufklärer, die liberalen Theologen, die Jesus seiner göttlichen Würde entkleiden, verwandeln Gott in eine ferne, ungreifbare, unfaßbare Gestalt. Aber der Gott, den wir anbeten, ist ein Mensch geworden, er ist ein fleischgewordener Gott. Ein Theologe hat einmal geschrieben: „Ich will nichts wissen von dem Gott der Philosophen, diesem unbestimmten und unbestimmbaren Wesen. Ich suche einen Gott, dessen Füße ich mit meinen Tränen benetzen, dessen Knie ich umfangen, aus dessen Augen ich Verzeihung lesen und aus dessen Mund ich Gnade hören kann.“ Ja, so einen Gott suchen wir und finden wir in Jesus, unserem Bruder. Er ist der Gott, der Fleisch angenommen hat und so unser Bruder geworden ist, der alles mit uns geteilt hat, die Sünde ausgenommen.
Aber damit nicht genug. Dieser Menschenbruder kam als ein Kind. Als ein Kindlein liegt er in dem Kripplein im Stall. Ein Kindlein! Wie ohnmächtig, wie hilflos, wie klein, wie zart ist ein Kind! Er kam als ein Kind, um uns alle Furcht vor ihm zu nehmen.
Vor einigen Jahren erklärte einmal ein Religionslehrer seinen Schulkindern die Größe und Allmacht Gottes. Er wies auf das Firmament, auf die zahllosen Sterne hin, die Gott geschaffen hat. Wie groß muß der Schöpfer der Sterne sein! Ein Kind fragte: „Müssen da nicht die Heiligen und die Engel des Himmels Furcht haben vor Gott, wenn er so groß und gewaltig ist?“ „Nein,“ sagte der Religionslehrer, „du hast ja auch keine Furcht vor deinem Vater, obwohl er viel größer ist als du.“ Diese Antwort leuchtete dem Kind ein. Aber das Kind, das neben ihm saß, sagte: „Na ja, aber gern haben tu ich lieber das Jesuskind.“ Aber gern haben tu ich lieber das Jesuskind!
Nicht wahr, ein Kindlein muß man gernhaben, ein Kindlein muß man lieben. Ein Kindlein muß man an sein Herz drücken. Und das hat der heilige Bernhard einmal wunderbar ausgedrückt: „Der große Gott ist preiswürdig“, sagte er, „aber das kleine Kind ist liebenswürdig.“ Wie fein bemerkt! Unser großer, gewaltiger Gott ist allen Lobes würdig, aber das Erscheinen dieses Gottes in der Gestalt eines Kindes, das ist eine Liebe ohne Maß, das ist eine Handlung, die unser Vertrauen erweckt, das ist ein Geschehen, das uns alle Furcht vor diesem Gott nimmt. Er ist erschienen als ein Kindlein.
Und als ein Kindlein ruht er auf dem Schoße seiner Mutter. Wir haben dieses Bild hier in unserer Kapelle stehen, das Kind auf dem Schoße der Mutter. Der Imanuel in den Armen der seligen Jungfrau Maria. Und das ist eine Mutter besonderer Art, das ist eine jungfräuliche Mutter, eine Frau, die Jungfrau und Mutter zugleich ist. Und auch das ist ein Geheimnis, über das wir nicht genügend nachdenken können. Dieses Geheimnis dürfen wir nicht auflösen, es hängt Ungeheueres daran. Denn daß diese Mutter eine Jungfrau ist, das ist ein Zeichen. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen!“ Gott gibt dem König Achaz ein Zeichen, das heißt: Er zeigt auf etwas hin. Und dieses Zeichen will auf die Qualität dessen hinweisen, der hier geboren wird. Ohne Mitwirkung eines Mannes, unter Absehen von einem männlichen Prinzip, allein durch die Überschattung des Heiligen Geistes wird dieses Kind geboren. Also die Jungfräulichkeit Mariens ist von gewaltiger dogmatischer Tragweite.
Als vor einigen Jahren eine sogenannte Theologin in Norddeutschland die Jungfräulichkeit Mariens bestritt, da erhielt der zuständige Bischof von Essen Tausende von Briefen, die sich gegen diese Irrlehre wandten. Da hat das gläubige Volk gesprochen, das Volk, dem Maria am Herzen liegt, da hat es die jungfräuliche Würde Mariens verteidigt. Das ist der sensus fidei, von dem die Theologen sprechen, der Sinn für das Glauben, das Gespür für das, was gläubig und was nicht mehr gläubig ist. Sie ist die jungfräuliche Mutter, und das ist doppelte Aufgabe, zu zeigen, daß der, den sie geboren hat, Gott ist, daß er aber auch ein Mensch ist, kurz gesagt: unser Imanuel, der Gott für uns, der „Gott mit uns“. Daß sie eine Mutter ist, weist auf seine wahre Menschheit. Daß sie eine jungfräuliche Mutter ist, weist auf seine Gottheit hin.
Und so können wir jetzt zu dieser Mutter, zu dieser wunderbaren Mutter hinzutreten und sagen: „Maria, du jungfräuliche Mutter mit deinem Kind auf dem Arm, flehe für uns Sünder, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen!“
Als Alphonso Albuquerque, der Eroberer Indiens, einmal mit seiner Flotte in einen Sturm geriet, und der Sturm die Schiffe, diese Nußschalen von damals, schüttelte, da ergriff er ein auf seinem Schiff befindliches Kind. Er hob es in die Höhe und rief: „O Gott, wir sind Sünder und wir sind schuldig. Aber um dieses Kindes willen erbarme dich unser und rette uns!“ Der Sturm legte sich, die Flotte war gerettet.
Ist es nicht so, meine lieben Freunde, daß Weihnachten uns die Gelegenheit gibt, ein Kind zu ergreifen und es in die Höhe zu heben, nun aber nicht irgendein Kind, sondern das Gotteskind, den Imanuel, und zum Vater im Himmel zu sagen: „O Gott, wir sind schuldig, aber um dieses unschuldigen Kindes willen, um dieses Gotteskindes willen erbarme dich unser und verzeihe uns unsere Sünden!“ Ist das nicht die beglückende und tröstende Botschaft der Weihnacht, damit er einhalte mit seinem Zorn?
Ja wahrhaftig, meine lieben Freunde, so ist es. Unser Imanuel ist gekommen, er ist da! Was Johannes mit einem Satz ausdrückt: Das Wort – der Logos, das göttliche Wort – ist Fleisch geworden, hat die schwache menschliche Natur angenommen, das wird in dem einen Worte eingefangen: Imanuel. Wir haben jetzt den „Gott mit uns“. Wir haben jetzt den Menschen, der eine menschliche Natur mit einer göttlichen vereinigt und in dem das Ich-Zentrum die zweite Person in der Gottheit ist. Jetzt ist unser Imanuel bei uns, und jetzt bleibt er auch bei uns, und jetzt verläßt er uns nicht mehr. Jetzt dürfen wir flehen und rufen: „Unser Imanuel, gib uns deine Gnade! Laß uns Vertrauen zu dir haben! Laß uns die Liebe, die du bewiesen hast, an dir vergelten! Laß uns deine Kinder, deine Brüder, deine Gotteskinder sein und segne uns in dieser heiligen Weihnacht!“
Amen.