Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. November 1986

Verfehlungen gegen das siebente Gebot

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das 7. Gebot schützt das Eigentum. Wir haben am vergangenen Sonntag die Berechtigung, Eigentum zu erwerben, erkannt, aber auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erwähnt. Es bleibt uns am heutigen Sonntag, von den Verfehlungen gegen das 7. Gebot zu sprechen. Es sind deren sieben; sieben Gruppen von Sünden, die sich gegen das 7. Gebot richten.

Die erste ist selbstverständlich der Diebstahl. „Du sollst nicht stehlen,“ heißt ja das Gebot. Diebstahl ist die heimliche Wegnahme eines fremden Gutes gegen den vernünftigen Willen des Eigentümers. Die Heimlichkeit ist das prägende Merkmal des Diebstahls. Wir wissen schon aus der Heiligen Schrift, daß ein Mann, der unrühmlich in die Kirchengeschichte eingegangen ist, ein Dieb war, nämlich Judas. Er trug einen Geldbeutel, und er nahm aus diesem Beutel, dessen Inhalt für alle bestimmt war, Geld heraus für seine persönlichen Bedürfnisse. Er war ein Dieb, so meldet es uns der Evangelist Johannes.

Der Diebstahl ist außerordentlich häufig. Das hängt einmal damit zusammen, daß die Menschen eben besitzgierig, habsüchtig sind, und zum anderen, daß der Gelegenheiten so viele sind, sich fremdes Gut anzueignen. Ich kann mich erinnern, als ich ein Knabe war, gab es in meiner Klasse Kameraden, die gewissermaßen einen Sport aus dem Diebstahl machten. Vor allem auf den Jahrmärkten stahlen sie, was ein Junge nur eben begehren kann, Taschenlampen, Messer und ähnliche Gegenstände.

Der Diebstahl ist im Osten wie im Westen verbreitet. Im Osten deswegen, weil der Staat als der Eigentümer von beinahe allem auftritt und deswegen die Menschen zum Diebstahl reizt. Diebstahl an Volkseigentum, heißt das. Aber das Volk sieht sich eben weithin vom Staat um die Erträge seiner Arbeit betrogen und glaubt deswegen ein gutes Recht zu haben, sich am sogenannten Volkseigentum zu vergreifen. In unseren Breiten ist es das ungeheure Angebot an Waren, das die Menschen verleitet, Diebstähle zu begehen. Es ist bekannt, daß solche Diebstähle häufig von Angehörigen wohlhabender Familien begangen werden, die es also gar nicht nötig hätten, sich auf eine Weise zu bereichern, die nicht erlaubt ist.

Vom Diebstahl zu unterscheiden ist der Zugriff auf fremdes Vermögen in äußerster Not. Alsdann darf man an sich nehmen, was unbedingt vonnöten ist. Wir wissen, daß diese Weise, sich in äußerster Not selbst zu helfen, kein Diebstahl ist, weil hier die Wegnahme erfolgt nicht gegen den vernünftigen Willen des Eigentümers. Der wohlhabende Eigentümer müßte erkennen, daß er in dieser Lage verpflichtet ist, das abzugeben, wessen er nicht bedarf. In äußerster Not wird alles gemeinsam.

Wenn die Wegnahme des fremden Gutes in Gegenwart des Eigentümers gewaltsam geschieht, dann sprechen wir von Raub. Der Raub ist nicht selten verbunden mit einem Angriff auf den Eigentümer. Dann kommt es zu Gewalttätigkeiten, zu Verletzungen, ja manchmal zur Ermordung des Eigentümers. Man spricht dann von Raubmord. Ein solcher Raub mit Verwundung wird uns im Evangelium berichtet. An dem Mann, der von Jerusalem nach Jericho zog und dort halbtot geschlagen wurde, wurde ein Raub verübt.

Die dritte Verfehlung ist der Betrug. Betrug begeht, wer in listiger Weise jemandem am Eigentum schadet. Betrug ist außerordentlich häufig, je nach den Mitteln, mit denen man ihn begeht. Man kann jemanden betrügen durch falsches Gewicht, durch falsches Maß; Betrug ist möglich durch Verrückung von Grenzsteinen. Es gibt Betrug in der Weise, daß man einen betrügerischen Konkurs vornimmt. Betrug geschieht durch Verfälschung von Lebensmitteln, durch Herstellung von Falschgeld. Es sind unendlich viele Möglichkeiten denkbar, wie jemand betrügerisch sich am Eigentum des Nächsten vergreift. Nicht selten ist der Versicherungsbetrug. Es schließt jemand eine Versicherung ab über Vermögensstücke, dann zündet er seinen Viehstall an oder zerstört ein kostbares Gerät und verlangt, daß die Versicherung ihm diesen Schaden ersetzt, der angeblich durch höhere Gewalt geschehen ist.

Ein besonders schlimmes Vergehen gegen das 7. Gebot ist der Wucher. Der Wucher besteht darin, daß jemand die Notlage eines anderen ausnutzt. Man unterscheidet vor allem den Geld- und den Getreidewucher. Der Geldwucher besteht darin, daß man Geld ausleiht, aber zu weit überhöhten Zinsen. Der Mann, die Frau, welche das Geld leihen, benötigen es dringend, und in ihrer Notlage sagen sie einen hohen Zinssatz zu. So wird ihre Verlegenheit durch den Geldgeber ausgebeutet. Der Getreidewucher besteht darin, daß jemand Lebensmittel zurückhält und sie erst in der äußersten Not auf den Markt wirft, um dann einen besonders hohen Preis zu erzielen. Beides ist höchst verwerflich. Es ist auch gleichzeitig eine Verfehlung gegen die Nächstenliebe, den Nächsten auszubeuten, seine Not auszunutzen.

Eine weitere Verfehlung gegen das 7. Gebot ist die Nichtbezahlung von Schulden. Das Geschäftsleben kann ohne Kredit nicht leben.  Schulden müssen gemacht werden, um eine Existenz zu gründen, um Investitionen vorzunehmen. Die Kreditaufnahme als solche ist nicht verwerflich, nur das leichtfertige Schuldenmachen, und vor allem die Nicht-Zurückzahlung von Schulden. Die Nicht-Begleichung von Schulden nimmt den schlimmsten Charakter, nämlich den Charakter der himmelschreienden Sünde an, wenn sie gegenüber einem Menschen geschieht, der Arbeit geleistet hat und jetzt auf seine Bezahlung rechnet und darauf angewiesen ist. Das Alte Testament hat die Auszahlung des Verdienstes am Abend des Tages verlangt. Das Geld darf nicht über die Nacht bei dem bleiben, der zur Zahlung verpflichtet ist.

Die Auffindung von gefundenen Gegenständen verpflichtet regelmäßig zur Rückgabe. Die Nicht-Rückgabe gefundener oder geborgter Gegenstände ist ebenfalls eine Verfehlung gegen das 7. Gebot. Man kommt im menschlichen Geschäftsleben und auch im Nachbarschaftsleben nicht ohne Leihen, nicht ohne Borgen aus. Das ist nun einmal mit der menschlichen Angewiesenheit auf andere gegeben. Aber wer geliehen hat, muß zurückstellen, und wer etwas gefunden hat, muß es zurückgeben. Nur bei ganz geringfügigen Gegenständen dürfte man das Gefundene behalten. Wenn man den Besitzer nicht kennt, muß man sich um seine Identifizierung bemühen. Selbstverständlich hat der Finder Anspruch auf den Finderlohn, das ist ja sogar bürgerlich-rechtlich geregelt.

Und schließlich eine letzte Verfehlung gegen das 7. Gebot, die Beschädigung fremden Eigentums. Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln oder überhaupt in öffenltichen Gebäuden sich aufhält, kann man oft feststellen, daß die Menschen sich dort benehmen, wie sie sich zu Hause niemals verhalten würden. Achtlos lassen sie Zigarettenasche zu Boden fallen, so daß der Teppichboden verbrannt wird; sie beschädigen Telefonzellen willkürlich; sie ritzen in Bänke, auch in Kirchenbänke, Namen und Zeichen ein. Gehen Sie einmal in die Kirche St. Bonifaz in Mainz! Da sehen Sie, wie die schönen Holzbänke mit Kritzeleien verunstaltet sind – Beschädigung fremden Eigentums.

Diese sieben Verfehlungen, meine lieben Freunde, verpflichten zur Wiedergutmachung, mit dem Fachausdruck: zur Restitution. Wer dem anderen am Eigentum geschadet hat, ist zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet. Er kann in der Beichte nicht losgesprochen werden, wenn er sich nicht verpflichtet, nach Kräften und Möglichkeiten die Restitution zu besorgen.

Nicht immer ist das leicht, aber der reuige Sünder muß wenigstens so viel tun, wie er kann, wie er vermag. Der heilige Clemens Hofbauer hatte einmal die Freude, daß ein Dieb ihm ein gestohlenes Buch zurückbrachte. Er stellte es dann dem Eigentümer zurück, doch der wollte es gar nicht mehr haben. „Nein,“ sagte Clemens Hofbauer, „nehmen Sie es ruhig an, man soll dem Dieb die Sache nicht leicht machen. Er soll lernen, daß es nichts Geringfügiges ist, Eigentum zu entwenden.“ Also die Restitution hat auch eine erzieherische, eine pädagogische Bedeutung.

Wir wissen alle, daß die Sünden die Neigung haben, zu wachsen. Der Volksmund sagt nicht ohne Recht: „Mit Kleinem fängt man an, mit Großem hört man auf.“ Unter Kindern ist der Diebstahl weit verbreitet. Was sie begehren, was ihr Herz ersehnt, das verschaffen sie sich nicht selten auf unrechte Weise. Und deswegen ist es so entscheidend für die Erziehung, daß wir schon den Kindern die Achtung, die unbedingte Achtung vor dem Eigentum des anderen beibringen, denn sie begeben sich hier auf eine abschüssige Bahn. Die Verfehlungen werden immer größer, weil die Wünsche immer mehr wachsen, und es kommt möglicherweise eines Tages zur Katastrophe im Raub oder gar im Raubmord.

Ein Priester, der junge Zöglinge zu betreuen hatte, wurde von einem Siebzehnjährigen bestohlen. Da hat er sich folgende Pädagogik ausgedacht: Er nahm diesen Jungen und ging mit ihm ins Gefängnis. Der Gefängnisdirektor war instruiert. Dann zeigte er ihm die Zellen und die Schlösser und – damals auch noch – die Gitter. Der Junge hat von diesem Zeitpunkt an nie mehr einen Diebstahl begangen, so erschüttert hat ihn das Erlebnis dessen, wohin man kommt, wenn man sich dem Zug nach unten überläßt.

Wir wollen uns, meine lieben Freunde, an die Botschaft des Evangeliums erinnern: „Alles, was ihr wünscht, daß euch die Menschen tun, das sollt ihr ihnen tun!“ Diese goldene Regel gilt auch im Verhalten gegenüber dem 7. Gebot.

Amen.

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