Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Mai 1986

Die heiligmachende Gnade

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Heilige Geist teilt die Gaben aus, die Christus uns verdient hat. So hatten wir am Pfingsfeste eine unverbrüchliche Wahrheit formuliert. Wir haben dann am Pfingstmontag die Beistandsgnaden betrachtet, jene Gnadenimpulse, die vorübergehend sind und die uns helfen sollen, das Heil zu erwerben. Wenn der Mensch die Gnadenimpulse aufnimmt, wenn er mit der Beistandsgnade, mit der helfenden Gnade mitwirkt, dann zieht der Heilige Geist in die Seele ein, dann erhält der Mensch die heiligmachende Gnade. Das ist das höchste Geschenk Gottes und das größte Glück des Menschen, die heiligmachende Gnade.

Die heiligmachende Gnade wird in der Theologie auch als Rechtfertigung bezeichnet, weil eben durch die heiligmachende Gnade die Gerechtigkeit dem Menschen zugewendet wird. Er wird aus einem Sünder zu einem Gerechten. Auch Anziehen des neuen Menschen heißt der Beginn des Lebens der heiligmachenden Gnade in der Seele. Was ist die heiligmachende Gnade? Sie ist ein Licht und ein Glanz in der Seele, die Erhebung zu einem neuen Sein. War der Mensch ohne Gnade natürlich, so ist der Mensch mit der Gnade übernatürlich. Es fehlen dem Menschen die Begriffe, um diese Wirklichkeit adäquat zu schildern. Wenn ein Stein Blüten treiben könnte, dann wäre aus den Natursteinen etwas Übernatürliches geworden. Wenn eine Pflanze sprechen könnte, dann wäre aus der Natur der Pflanze Übernatur geworden. Ähnlich, aber freilich noch viel mehr unähnlich ist es, wenn der Heilige Geist in eine Seele einkehrt und dieser Seele die heiligmachende Gnade mitteilt. Es ist so, als ob ein Eisen ins Feuer getaucht würde und dort leuchtend, glühend, glänzend wird. Der Mensch in der heiligmachenden Gnade ist ein wunderbar erhobener Mensch. Er genießt eine besondere Freundschaft Gottes, weil er von einer engelgleichen Schönheit ist.

Wir wollen die Wirkungen der heiligmachenden Gnade in sieben Sätzen zusammenfassen.

1. Die heiligmachende Gnade vertreibt die Sünde. Im Menschen kann immer nur eines sein, entweder die Herrschaft der Todsünde oder die Herrschaft des Heiligen Geistes. Wenn der Heilige Geist in der Seele Wohnung nimmt, wenn er ihr die heiligmachende Gnade, diese übernatürliche Qualität schenkt, dann kann die Sünde, die Todsünde im Menschen keine Stätte mehr haben. Gott teilt seine Herrschaft nicht mit dem Fürsten der Unterwelt. Das ist die erste wunderbare Wirkung der Ankunft des Heiligen Geistes. Sie vertreibt die Sünde.

2. Die heiligmachende Gnade vereinigt uns mit Gott und macht uns zu einem Tempel Gottes. Es entsteht kein Leerraum, wenn die Sünde vertrieben ist, sondern es zieht in die Seele der Heilige Geist mit seiner Gnade ein. Er erfüllt die Seele, er ist in der Seele nicht etwa so, wie die Sonne im Zimmer ist, da sind ja nur die Strahlen der Sonne. Nein, er ist wahrhaft und wirklich in der Seele, er durchdringt die Seele, er erfüllt die Seele. Die heiligmachende Gnade ist nicht nur eine Gunst, wie protestantische Vorstellungen wollen, sondern die heiligmachende Gnade ist eine Wirklichkeit im übernatürlichen Sein. Wir werden mit Gott vereinigt. Wir werden gewissermaßen vergöttlicht, gewinnen Anteil an der göttlichen Natur, werden wunderbar erhoben über unser Vermögen und unsere Anlagen hinaus. Wir werden ein Tempel Gottes! So schreibt es Paulus: „Wißt ihr nicht, daß ihr Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“

Welche Ehrfurcht muß uns vor einem Menschen erfüllen, in dem der Heilige Geist Wohnung genommen hat! In einem Tempel benimmt man sich ehrfürchtig. Selbst die deutschen Touristen ziehen im Tempel anderer Religionen die Schuhe aus, und das sind Tempel, die falschen Göttern geweiht sind. Der Mensch mit der heiligmachenden Gnade aber ist wahrhaft ein Tempel, ist ein Tempel des wahren Gottes. Welche Herrlichkeit und welches Glück und welcher Glanz liegt über einem solchen Menschen!

3. Der Heilige Geist verklärt unsere Geisteskräfte. Er bringt uns die übernatürlichen Tugenden und gibt uns die sittlichen Tugenden als Fähigkeiten. Er verklärt unsere Geisteskräfte, Verstand und Willen, d.h. er durchwirkt sie mit seinem himmlischen Licht und mit seinem himmlischen Feuer. Er erhebt sie und erhält sie, und mit seinen Gaben bringt er uns wunderbare Kräfte in die Seele. Die göttlichen Tugenden, also Glaube, Hoffnung und Liebe, werden als die Begleitschaft des Heiligen Geistes in unsere Seele eingeführt. Ein Mensch mit der heiligmachenden Gnade vermag zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Und diese Tugenden richten sich auf Gott, deswegen heißen sie göttliche Tugenden. Der Heilige Geist begründet aber auch in uns die sittlichen Tugenden als Fähigkeiten, nicht als Fertigkeiten. Wir müssen bei den sittlichen Tugenden, also beispielsweise Geduld, Demut, Reinheit und wie sie alle heißen mögen, zwischen den Fähigkeiten und den Fertigkeiten unterscheiden. Die Fähigkeiten sind Anlagen, und sie begründet der Heilige Geist in uns. Wer in der heiligmachenden Gnade lebt, ist geneigt und befähigt, sittlich gut zu handeln. Daß er diese Fähigkeiten ausbilden muß, daß die Fähigkeiten zu Fertigkeiten gemacht werden müssen, das steht auf einem anderen Blatt. Er muß eben jetzt mit seinen Fähigkeiten und aufgrund seiner Fähigkeiten arbeiten, sich mühen, sich anstrengen, dann werden die Fähigkeiten zu Fertigkeiten.

4. Der Heilige Geist gibt der Seele eine besondere Zufriedenheit. Der Weltmensch, der Mensch ohne Geist, der Mensch ohne heiligmachende Gnade ist interessiert an Essen und Trinken, am Vergnügen und an äußeren, vergänglichen Dingen. Der Mensch im Heiligen Geiste dagegen, der Mensch mit der heiligmachenden Gnade lenkt seinen Blick auf das, was bleibt, auf das Überirdische, und er kann deswegen mit wenigem auf dieser Erde zufrieden sein. Er jagt nicht jedem Genuß nach, er hat eine große Gelassenheit und innere Freiheit. Der Mensch im Heiligen Geiste, mit der heiligmachenden Gnade begabt, ist ein zufriedener Mensch, denn der Trost des Geistes schenkt ihm Glück über alle irdischen Glücksgüter hinaus. Der Mensch mit der heiligmachenden Gnade ist ein zufriedener Mensch.

5. Der Heilige Geist lehrt uns, er ist ein Lehrmeister. Jeder, auch der Mensch ohne Gnade, kann die christlichen Wahrheiten lesen und lernen. Er hat ja einen Verstand. Aber sie verstehen, d.h. sie innerlich begreifen und sie sich aneignen, das kann nur der Mensch im Heiligen Geiste. Für ihn sind das nicht bloß Buchstaben und Sätze, für ihn sind das Wirklichkeiten, die höchst beglückend und erfüllend sind. Der Heilige Geist ist der Lehrmeister der Seele. Er lehrt uns die Wahrheiten des Glaubens nicht nur lernen, er lehrt sie uns verstehen.

6. Der Heilige Geist spornt uns an zu guten Werken und macht sie verdienstlich für den Himmel. Die in uns wirkende Kraft des Geistes ist ja nicht tot, sie ist lebendig. Wir glauben an den Heiligen Geist, den Lebendigmacher! So bekennen wir im Glaubensbekenntnis. Er ist lebendig, und er spornt uns an zu guten Werken. Das ist wie mit einer Rebe, die am Weinstock bleibt, die bringt Früchte, weil sie vom Weinstock genährt wird. Im Griechischen heißt das Wort, das wir mit „Heiliger Geist“ wiedergeben, pneuma, d.h. eigentlich „Hauch“, und der Hauch, der läßt sich vergleichen mit einem Dampf wie bei einer Dampfmaschine, die vom Dampf getrieben wird. So ähnlich – natürlich viel mehr unähnlich – ist das Wirken des Geistes in der Seele. Er treibt uns an zu guten Werken. Und weil sie getan sind im Heiligen Geiste, deswegen sind sie verdienstlich, d.h. werden sie Lohn finden. Gott wird die im Heiligen Geiste verrichteten Werke belohnen mit seinem Himmel der Freuden. Das ist, wie wenn ein Gärtner auf einem wild gewachsenen Baum ein edles Reis propft. Der wilde Baum trägt nur wilde Früchte; sie sind klein und unansehnlich und grün. Aber wenn der Baum durch ein edles Reis veredelt worden ist, dann trägt er schöne, große, ansehnliche Früchte. So ähnlich – noch mehr unähnlich – ist es mit dem Menschen, der gute Werke im Heiligen Geiste vollbringt. Diese guten Werke sind verdienstlich für den Himmel.

7. Der Heilige Geist macht uns zu Kindern Gottes und Erben des Himmels. Als der Herr die Taufe des Johannes empfing, da öffnete sich der Himmel, und eine Stimme erscholl: „Dieser ist mein geliebter Sohn!“ Das war eine Aussage über das von Ewigkeit her bestehende Sohnesverhältnis des Logos zum Vater. Aber auch über uns öffnet sich gleichsam der Himmel, und eine Stimme ertönt: „Dieser ist mein geliebter Sohn,“ wenn wir in der heiligmachenden Gnade sind. Dann werden wir zu Adoptivsöhnen Gottes. Gott nimmt uns an als Brüder seines Christus, und so werden wir seine Adoptivsöhne. Der Heilige Geist in unserem Herzen verschafft uns die Kindschaft Gottes. Kinder aber erben den Besitz ihrer Eltern; infolgedessen sind auch wir Erben. Wenn Kinder, dann Erben, Erben Gottes und Miterben Christi. Wir gehen einer wunderbaren Zukunft entgegen. Über alle irdischen Zusammenbrüche, Zerstörungen, Katastrophen wartet auf uns die Offenbarung der vollen Einsetzung zu Söhnen und Töchtern, zu Kindern Gottes. Wir werden einmal das verheißene Erbe in Empfang nehmen, wenn wir in der Gnade verharren.

Da muß man beten um das Gut der Beharrlichkeit, daß wir nicht herausfallen aus der Gnade, daß wir die Gnade nicht verlieren. Da muß man wachsam sein, denn wie sagt der Apostel: „Wir tragen unseren Schatz in irdenen Gefäßen.“ Das sind eben Töpfergefäße, aus Ton gemacht, und die sind zerbrechlich! Die können leicht zerstört werden. Deswegen sei achtsam, fürchte dich, sei nicht übermütig, so mahnt der Apostel. „Wirket euer Heil in Furcht und Zittern!“ Achte auf das, was Gott in dich gelegt hat, betrübe den Geist nicht, der in dir lebt, verliere die heiligmachende Gnade nicht! Verkaufe nicht dein Erstgeburtsrecht! Das sind die Mahnungen, die an unser Ohr dringen, damit wir im Heiligen Geiste verbleiben, damit wir die heiligmachende Gnade in uns tragen und sie nicht verlieren, daß wir das nicht beflecken, was Gott in uns an Schönheit geschaffen hat.

O mein Christ, wie wunderbar herrlich hat Gott alles bereitet, und wie achtsam mußt du sein, daß du nichts davon verlierst!

Amen.

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