Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
22. November 2009

„Himmel und Erde werden vergehen...“

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir begehen heute den 24., den letzten Sonntag nach Pfingsten. Mit diesem Sonntag endet das Kirchenjahr, das liturgische Jahr. Am kommenden Sonntag begehen wir dann schon den ersten Sonntag der Erwartung, des Advents. Im Laufe dieses Jahres haben wir viele Evangelien gehört, in denen die Wahrheit Gottes zu uns spricht. Aber von allen Evangelien gibt es wohl keines, das so erschütternd wäre wie das vom heutigen Sonntag, das Evangelium vom Weltgericht. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!“ „Wir bauen hier so feste, und sind doch arme Gäste, und wo wir sollen ewig sein, da bauen wir so wenig ein“, heißt ein alter Spruch. Die Menschen – und das ist ja ihr Auftrag – machen sich die Erde untertan, bauen Tunnel durch ganze Berge, errichten Wolkenkratzer immer höher, 600 Meter hoch jetzt, sie graben Kanäle, sie erfinden immer gewaltigere Schiffe. Es gibt jetzt Dampfer, die 6000 Passagiere fassen. Die Raumfahrt trägt uns in unerhörte Weiten, auf den Mond und vielleicht auch bald auf den Mars. Das alles ist nicht verwerflich. Das alles ist Schöpfungsauftrag, den Gott uns gegeben hat, und wir müssen die Kraft des Geistes, den Gott in die Menschen gelegt hat, bewundern, der all das zustande gebracht hat.

Freilich darf man darüber nicht übersehen, dass all diese Herrlichkeiten einmal zusammenfallen werden. Es gibt ein Ende der Welt, es gibt ein Ende aller menschlichen Schöpfungen. Der Turmbau von Babel war schon ein warnendes Zeichen für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Himmel und Erde werden vergehen. Die Mahnung des Herrn zu diesem Ereignis lautet: „Mensch, bedenke das Ende!“ Die Worte des Herrn sind das einzige, was nicht vergehen wird. Die Worte des Herrn, also seine Lehre und seine Gesetze. Christi Lehre, welche die Menschen mißachten, Fußballspiel und Boxkämpfe sind ihnen wichtiger als Religion, Gebet und Kirche. Christi Gesetz, das sie umdeuten, abschwächen, mit der sogenannten Exegese ihres eigentlichen Inhalts berauben. Lehre und Gesetz des Herrn werden nicht vergehen, nein, sie werden der Maßstab sein, nach dem Gott das Weltgericht vollzieht.

Dieses letzte, endgültige Gericht, in dem der Gottmensch die Menschheit richten wird, nicht mehr in der Demut seines Erdenlebens, nicht mehr in der Langmut seines eucharistischen Lebens, nicht mehr in der Verborgenheit seines Leben in der Kirche, sondern „sie werden den Menschensohn auf den Wolken des Himmels kommen sehen in großer Macht und Herrlichkeit“. Der Apokalyptiker Johannes hat dieses Sehen noch besonders unterstrichen. Er schreibt in seiner Apokalypse: „Alle werden ihn sehen, alle. Auch jene, die ihn durchbohrt haben.“ Auch jene, die ihn durchbohrt haben! Seine Feinde, seine Widersacher, seine Gegner, sie werden ihn sehen, auch die höhnten: „Wo ist denn euer Gott?“ Auch, die zu uns sagten: „Wir haben gesündigt, und was ist uns geschehen? Nichts.“ Alle werden ihn sehen. Da senken sich die stolzen Blicke der Menschen, da wird der Hochmut der Männer gebeugt, denn der Herr allein ist erhaben an jenem Tage. Die Propheten haben dieses Gericht angekündigt, vorausgesagt, beschrieben in grellen Farben, vor allem der Prophet Isaias: „Siehe, der Tag des Herrn kommt ohne Erbarmen, voll Grimm und Zornglut die Erde zur Wüste zu machen, die Sünde auf ihr zu vertilgen. Ein Tag des Zornes, ein Tag der Drangsal und der Angst, ein Tag des Jammers und des Elends, ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölkes und des Wetters. Dann deckt die Erde ihre Blutschuld auf und bedeckt nicht länger ihre Erschlagenen.“

Die Apostel nehmen die Verkündigung der Propheten auf. Auf dem Areopag in Athen hat Paulus den staunenden Zuhörern gesagt: „Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die Welt richten wird durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat und den er dafür beglaubigt hat durch die Auferweckung von den Toten.“

Es wird ein Weltgericht kommen. Wir bereiten uns vor auf das persönliche Gericht, und das ist richtig. Ein jeder wird als Einzelner nach dem Tode, unmittelbar nach dem Tode von Gott gerichtet. Im Weltgericht werden die Völker gerichtet; da werden die Institutionen gerichtet, also die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände, die Staaten und die Staatenverbindungen, die Europäische Union und das Gericht in Straßburg, das das Kreuz verbieten will, das wird auch gerichtet werden. Das Papsttum wird gerichtet werden, das Bischofskollegium und der Klerus. Im persönlichen Gericht stehen wir allein vor Gott, aber im allgemeinen Gericht steht die ganze Menschheit vor Gott. Da werden die einen bestaunt und bewundert werden wegen ihres Wandels, und die anderen beklagt und bedauert werden wegen ihres Verhaltens. Da wird das persönliche Gericht über den Einzelmenschen allen Menschen kundgemacht. Was über den Einzelmenschen ergangen ist, das wird nun in der ganzen Welt offenbar gemacht. Da erfüllt sich das Wort des Herrn: „Was ihr ins Ohr geflüstert habt, das wird verkündet werden von den Dächern.“ Es werden nicht nur die Guten ihren Lohn und die Bösen ihre Strafe erhalten, sondern dieser Entscheid wird in einem allgemeinen, öffentlichen Gericht gefällt werden und so für alle erkennbar und eindrucksvoll sein. Es wird das Finstere ans Licht gebracht werden. Es wird einem jeden vergolten werden nach seinen Werken. Der Richter wird sein Urteil kundmachen über die Großen und über die Kleinen, über Präsidenten und über Feldherren, über Börsengewaltige und über Erfinder, über Vorstandsvorsitzende und Gewerkschaftsführer. Er wird sein Gericht kundmachen über die Verlassenen, über die Stillen im Lande, über die man hinwegging und die man als nichts erachtet hat. Da werden die Urteile der Menschen vor aller Augen korrigiert werden. Da werden die Gerechten jubeln über die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, denn für sie erscheint die Sonne der Gerechtigkeit. Mit großer Zuversicht werden sie denen entgegentreten, die sie einst bedrängt und der Frucht ihrer Mühen beraubt haben. Jetzt empfangen sie den Lohn für ihre Arbeit, für ihre Mühen, für ihre Leiden. Die Bösen dagegen werden zitternd herankommen, wenn ihre Sünden zusammengerechnet und offenkundig gemacht, und wenn ihre Missetaten gegen sie aufstehen. Da heißt es dann nicht mehr: Es kommt nur auf das öffentliche Leben an, auf das politische Leben, das Privatleben ist jedermanns eigene Sache. Nein, das Privatleben wird im Gericht vor aller Augen ausgebreitet werden; also nicht bloß die Ostpolitik des Herrn Brandt, sondern auch sein Eheleben.

Und schließlich noch ein Letztes. Das allgemeine Gericht am Ende der Tage hat noch einen anderen Zweck. Es wird nämlich Gott als den weisen Lenker aller Geschicke erweisen. Es wird sich zeigen, dass Gott allem Anschein zum Trotz die Fäden des Weltgeschehens in der Hand hielt. Es wird offenbar werden, dass Christus wirklich ein König ist, nicht ein König auf der Spielkarte, nicht ein Schattenkönig, sondern ein wirklicher König. Alle werden erkennen, dass wir zu Recht angebetet, dass wir zu Recht auf Christus gehofft und gebaut haben, dass wir zu Recht Gott gefürchtet haben. Zugleich wird der Gerechtigkeit und Vorsehung Gottes von allen Anerkennung gezollt werden zum Ersatz für jene ungerechtfertigten Klagen, die auch aus dem Munde von Frommen zuweilen kommen, wenn sie sehen müssen, wie das Unrecht auf dieser Erde triumphiert. Der Herr wird richten, der Herr wird Gerechtigkeit verschaffen, der Herr wird den Ausgleich herbeibringen.

Er wird auch als Richter über uns kommen, über dich und über mich. Und er wird uns nicht fragen, was wir auf Erden genossen haben, sondern was wir auf Erden geleistet haben. Er wird fragen, was wir gelitten und getragen haben. Er wird fragen, was wir für andere getan haben, nicht nur für unser Wohlergehen. Das Weltgericht wird von solcher Art sein, dass wir verstehen, was wir in jeder Totenmesse beten: „Welch ein Grauen wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt mit Fragen, streng zu prüfen alle Klagen? Weh, was werd’ ich Armer sagen, welchen Anwalt mir erfragen, wenn Gerechte selbst verzagen?“

Die Verkündigung des Weltgerichtes ist eine Mahnung und ein Trost. Eine Mahnung, nämlich dass wir so durch das Leben gehen, dass wir das irdische Leben benutzen, um das ewige Leben zu gewinnen, dass wir uns nicht nur an das hängen, was vergeht, sondern dass wir das Unvergängliche anstreben. Ein versprengtes Jesuswort, das nicht im Evangelium steht, aber höchstwahrscheinlich auf Jesus zurückgeht, sagt: „Die Welt ist eine Brücke. Geh hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr!“ Die Welt ist eine Brücke. Geh hinüber, aber baue nicht dein Haus auf ihr.

Die Wahrheit vom Weltgericht ist auch ein Trost. Es ist ja nicht leicht, ein wirklicher Jünger Jesu zu sein. Auch uns fällt immer wieder die Versuchung an, es uns bequem zu machen, ein gemütliches Leben zu führen. Aber Jesus wird alles, worauf wir hier verzichten, alles, was wir hier niedergerungen haben, die Unholde in der eigenen Brust, Jesus wird alles, was wir hier an Entsagung vollbracht haben, belohnen. Es gibt eine Gerechtigkeit, es gibt eine Vergeltung, es gibt eine Abrechnung, es gibt einen Ausgleich, es gibt eine Entschädigung. Es wird sich zeigen, meine lieben Freunde, dass kein Opfer umsonst gebracht war, keine Träne nutzlos geweint wurde, keine Mühe vergeblich war.

Dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres gehört zu den schönsten, die ich kenne. Er mahnt uns an das, was unvergänglich ist, und er erinnert uns an das, was vergänglich ist. Er erinnert uns an die Wahrheit: Wozu sind wir auf Erden? Wir sind auf Erden, um Gott zu lieben, Gott zu dienen und dadurch in den Himmel zu kommen.

Das Weltgericht wird so sein, wie unser Sterbetag uns findet. Und unser Sterbetag wird so sein, wie unser ganzes Leben war. Auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen, ohne zugleich auch seine Gerechtigkeit zu fürchten, ist Vermessenheit. Tiefste christliche Lebensweisheit spricht aus dem Wort der Heiligen Schrift: „Bei allen deinen Werken denke an die Letzten Dinge, dann wirst du in Ewigkeit nicht sündigen.“

Amen.

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